[Wü] Bericht zur Nachttanzdemo in Würzburg

Autonome Zentren statt Bullenwachen

Am 18.10. fand in Würzburg eine Nachttanzdemo unter dem Motto „Recht auf Stadt“ statt. Um 19.30 setzte sich der Demozug mit ca. 300 Personen lautstark in Bewegung Richtung Innenstadt, um das Recht auf Stadt für alle zu fordern und zudem Solidarität mit dem geräumten Wagenplatz „Sand im Getriebe“ zu zeigen.

 

Insgesamt fünf Wägen begleiteten die Demo mit verschiedenen Musikrichtungen von Punkrock bis Techno und sorgten für gute Stimmung unter den Demonstrierenden. Am unteren Markt angekommen, begann man mit der Zwischenkundgebung, eine Rede wurde verlesen und der Liedermacher Konny spielte live mehrere Lieder. Die Stimmung auf der Demo war gemischt, es wurde sowohl mit kämpferischen Parolen auf Themen wie die restriktive Flüchtlingspolitik, steigende Mieten und Nationalismus aufmerksam gemacht, als auch fröhlich zur Musik der Wägen getanzt.

 

Auf Höhe der Neubaustraße begrüßten GenossInnen den Demozug mit Böllern, Bengalo, Antifa-Fahne und einem Transparent („Autonome Zentren statt Bullenwachen“) aus dem Polizeirevier der Innenstadt heraus, welches sich gerade in Renovierung befindet.

Die überfordert wirkenden Bullen agierten sehr aggressiv und versuchten mehrere Festnahmen zu tätigen. Ein Genosse wurde überwältigt, festgenommen und in Gewahrsam gebracht.

 

Über 50 Menschen blieben daraufhin solidarisch stehen, blockierten die Kreuzung und forderten lautstark die Freilassung des Festgenommenen, während der Rest des Demozugs weiterzog. Später nahmen sich die verbliebenen 50 Demonstrierenden die gesamte Straße und schlossen zum Rest der Demo auf.

Auf der Abschlusskundgebung, welche gegen 22.30 endete, wurden weitere Redebeiträge zur Wichtigkeit von antifaschistischen Freiräumen und Gentrifizierung verlesen. Eine der Reden dokumentieren wir hier im folgenden:

 

Es ist ein offenes Geheimnis und alle kennen es: die Mieten steigen!

Seit dem Krisenausbruch 2007 sind laut dem IMX-Index die Preise für Neubauten in der BRD durchschnittlich um 38 Prozent in die Höhe geklettert, während Mieter im Schnitt 20 Prozent mehr zahlen müssen. Wie auch bei der Blasenbildung in den USA konzentriert sich der Preisanstieg auf die Metropolregionen und Großstädte. Hierzulande sind vor allem München, Berlin & Hamburg betroffen. Dort sind die Preise seit 2007 um 50 bis 60 Prozent gestiegen.


Das von der Wirtschaftskrise verunsicherte mittelständische Bürgertum nutzt indes die Niedrigzinspolitik der EZB um gerade in den Metropolregionen in Wohneigentum zu investieren. Die marktwirtschaftliche Folge ist die Herausbildung eines Spekulationsbooms, der sich selbst verstärkt und gerade in den wirtschaftlichen Ballungszentren die Mietpreise in immer schwindelerregendere Höhen treibt.


Letztendlich führt die rasch voranschreitende Privatisierung des Wohnraums - die den berüchtigten Prozess der Gentrifizierung von Stadtteilen antreibt - zu einer sozialen und urbanen Segregation.

Stadtteile und Wohnquartiere bilden im Verlauf der Gentrifizierung ein relativ einheitliches Preisniveau aus, das folglich die entsprechende soziale Schicht anzieht - sei es die Mittelklasse oder die Spitzenverdiener und Vermögenden. Man bleibt unter sich. Alltägliche Begegnungen jenseits der eigenen sozialen Schicht erhalten so einen Seltenheitswert, was die Ausbildung von Ressentiments noch verstärkt. Gleichzeitig werden das Elend und die Armut in den wachsenden Gettos konzentriert.


In Europa werden die verarmten und ökonomisch "Überflüssigen" Bevölkerungsschichten gerade in die Randbezirke der Städte abgedrängt. In die anonymen Wohntürme der französischen Banlieues oder den postsozialistischen grauen Plattenbau Ostberlins beispielsweise.

Diese urbane Segregation der Bevölkerung entlang ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit befördert eine Art soziale Apartheid, die den sozialen Aufstieg aus der in den Gettos zusammengepferchten Unterschicht zusätzlich erschwert. Ein "schlechter" Stadtteil wird so bei jeder Bewerbung zu einem Nachteil - unabhängig von den Fähigkeiten des Bewerbers. In gewisser Weise forciert die Eigentümergesellschaft eine Renaissance der Ständegesellschaft des 19. Jahrhunderts, als die sozialen Grenzen kaum zu überschreiten waren. Die (abermalige) Kommerzialisierung des Wohnraumes bringt eine Tendenz zur Abschottung gegen all diejenigen mit sich, die sich das entsprechende Preisniveau nicht mehr leisten können.


Gleichzeitig brachten der Wirtschaftscrash 2007 und seine Folgen in anderen Teilen Europas, die sich über Jahre hinweg aufblähenden Immobilienblasen zum Platzen. Sowohl Großinvestoren von Büro und Ferienanlagen als auch mittelständische Häuslebauer gingen reihenweise Pleite. Die Folgen sind halbfertig gebaute brachliegende Geisterstädte auf der einen, und massenhafte Obdachlosigkeit auf der anderen Seite.


In Spanien beispielsweise stehen inzwischen 3.4 Millionen Wohnungen leer, in denen die gesamte obdachlose Bevölkerung Europas ein Dach über dem Kopf finden könnte. Insgesamt haben die europaweit platzenden Immobilienblasen auf dem Kontinent sage und schreibe 11 Millionen unbewohnte Immobilien hinterlassen.

Wir leben jedoch in einer "Wirtschaftsordnung", die diese beiden Krisentendenzen - 4,1 Millionen Obdachlose auf der einen und Leerstand von 11 Millionen Wohneinheiten auf der anderen Seite - beim besten Willen nicht mehr bewältigen kann, da dies den geheiligten Marktgesetzen zuwider laufen würde.


Diese heiligen Gesetze des Kapitalismus sind gleichzeitig auch der Grund dafür, warum alle 3 Sekunden ein Mensch verhungert, während Tonnen von Lebensmitteln vernichtet werden und Menschen an längst heilbaren Krankheiten verrecken, da ihnen der Zugang zu Medikamenten verwehrt wird: Ursache all dieses systematischen Wahnsinns ist die kapitalistische Verwertungslogik. Produziert wird in diesem System nie für die Bedürfnisse der Menschen an sich, sondern einzig um Mehrwert in der Geldform zu schaffen.


Selbst solche elementaren Grundbedürfnisse, wie Essen, Wohnraum und medizinische Versorgung werden nur Menschen zur Verfügung gestellt, die die nötige Kaufkraft besitzen. Ist diese in einer Region nicht mehr ausreichend vorhanden, so werden dorthin keine Waren und Dienstleistungen mehr geliefert, gleichgültig, wie viele Menschen dort leben mögen.

Die moderne Gesellschaft gleicht somit immer mehr der antiken Figur des Tantalus, der als Strafe von den Göttern dazu verdammt wurde, ewigen Hunger und Durst zu leiden obwohl sich Wasser und Essen in seiner unmittelbaren Reichweite befanden.

Mit der modernen Gesellschaft verhält es sich ganz ähnlich: Wohnraum, Essen und andere Gebrauchsgüter sind im Überfluss vorhanden, denn die Produktivität war nie in der Menschheitsgeschichte höher!!!

Doch eher wird massenhaft Nahrung vernichtet und leerer Wohnraum mit Polizei und Security erzwungenermaßen leer gehalten, als dass die „Sünde“ begangen würde, beides Menschen zugänglich zu machen, die nicht dafür bezahlen können!


So richtig und notwendig es deshalb auch ist, für mehr linke Freiräume und Wagenplätze zu streiten, so klar ist auch, dass bei diesen Forderungen nicht halt gemacht werden darf. Gesamtgesellschaftlich stellen sie keinen Lösungsansatz dar, da sie nur für einige wenige eine Alternative bieten können; jedoch niemals für die breite Bevölkerungsmehrheit. Es kann deshalb nicht darum gehen sich in vermeintlich geschützten und alternativen Freiräumen einzuigeln und einer trügerischen Sozialromantik zu frönen. Vielmehr müssen diese Räume als Ausgangspunkte genutzt werden, um die Grundursache von Wohnungsnot, Welthunger und leicht heilbaren Krankheiten ins Blickfeld der Kritik zu rücken: die destruktive und menschenfeindliche kapitalistische Verwertungslogik. Dieser gilt es in aller Entschiedenheit und Radikalität den Kampf anzusagen.“