Ketscher Tätowierer gerät in heftiges Kreuzfeuer

Erstveröffentlicht: 
26.08.2014

Vorwürfe: Die Antifaschistische Initiative Heidelberg bezeichnet Marco Berlinghof als Neonazi
Angegriffener weist das zurück und erstattet Anzeige

 

Ketsch. Unser Bericht "1500 Stiche pro Minute" über die Arbeit des Tätowierers Marco Berlinghof und sein Ketscher Studio "Pik-Ass" am Donnerstag führte zu komplett gegensätzlichen Stellungnahmen, die wir nun gegenüberstellen wollen.

 

"Wir werten eine solche Berichterstattung als Unterstützung rechter Infrastrukturen. Tattoo-Studios stellen für die Nazi-Szene wichtige Treffpunkte zur Kontaktaufnahme und für den Informationsaustausch dar", so Clara Grube in einer Presseerklärung der Antifaschistischen Initiative Heidelberg zu unserem Bericht. Über den Inhaber des Studios, Marco Berlinghof, sagt die Heidelberger Gruppe auch im Internet, er sei "als Nazi-Skinhead fest verwurzelt in der regionalen rechten Szene. Kontakte unterhält der Tätowierer zu zahlreichen ProtagonistInnen der regionalen rechten Szene. So zählt er unter anderem die Mannheimer NPD-Funktionäre Christian Hehl und Silvio Waldheim zu seinem Bekanntenkreis. Mitglieder und Supporter der rassistischen ,Hammerskins' gehören ebenso zu seinen ,Freunden' wie langjährige AktivistInnen der militanten Nazi-Szene."

Berlinghof: Kein NPD-Mitglied

 
Der so Angegriffene nimmt dazu auf eine entsprechende Anfrage unserer Zeitung Stellung: "Mein Tattoo-Studio ist kein Sammelplatz und/oder Treffpunkt für Neonazis oder national gesinnter Leute." Und weiter unterstreicht Marco Berlinghof in seiner Erklärung: "Ich bin kein Mitglied der NPD oder ähnlicher Vereinigungen beziehungsweise Parteien. Vielmehr bin ich Opfer einer Schmierkampagne von Neidern, Missgönnern und kriminellen Leuten geworden." Er werde heute noch Strafanzeige gegen Unbekannt bei der Polizei einreichen.

Zur Presseerklärung der Antifaschistischen Initiative Heidelberg sagt Berlinghof: "Mein Anwalt ist bereits über diesen Artikel (Anmerkung der Red: die Presseerklärung) informiert und hat mit mir umgehend reagiert. Die Frist von vier Wochen auf die Löschung dieses Artikels auf Suchmaschinen wurde bereits gestern beantragt. Bei Nichtbeachtung wird von meiner Seite eine Strafanzeige der nächste Schritt sein, da dieser Artikel gegen mehrere Artikel des Grundgesetzes der BRD verstößt."

 

Gerber: Auf Fotos identifiziert

 
Woher bezieht die Gruppe ihre Erkenntnisse über Berlinghof? Dazu sagt Peter Gerber, ein weiterer Sprecher der Antifaschistischen Initiative Heidelberg, gestern im Gespräch mit unserer Zeitung: "Das beruht auf eigener Recherche - wir sind auf ihn über einen anderen Kameraden, den Aktivisten der inzwischen verbotenen rechtsextremen Organisationen FAP und früheren NPD-Landtagskandidaten Sascha Trautenberger, gestoßen. Über soziale Netzwerke haben die beiden Kontakt. Berlinghof hat da auch Bilder mit Nazi-Tattoos gepostet." Auf Bildern von Neonazi-Aufmärschen sei Berlinghof schließlich von der Gruppe identifiziert worden.

 

Heroisierende Abbildungen

"Bislang hat nur die Antifagruppe in Mannheim etwas über Berlinghof berichtet", räumt Gerber ein. Er verweist aber noch einmal auf soziale Netzwerke, in denen der Tätowierer unter seinen Arbeiten auch zahlreiche rassistische und nationalistische Symbole präsentiert habe.
Dazu sagt Berlinghof: "Manche Abbildungen der aufgelisteten Fotos haben rein gar nichts mit mir zu tun."

Dennoch, bemerkt die Antifaschistische Initiative, habe auch Berlinghof selber Tattoos, die die "Heroisierung der verbrecherischen Wehrmacht, Glorifizierung des NS-Terrors und heidnisch-germanophile Runenmystik", darstellten, "die im wahrsten Sinne des Wortes ,unter die Haut gehen'".

Auf Rückfrage unserer Zeitung hebt Berlinghof hervor: "Zunächst möchte ich loswerden, dass ich ein professioneller Tätowierer bin. Ich tätowiere ausschließlich legale Motive gegen Vorlage des Ausweises und Einverständnis der jeweiligen Kunden."

In seinem Tattoo-Studio "wird jeder Mensch gleich behandelt - egal welche Herkunft er hat, welche sexuelle Neigung, Alter und/oder Geschlecht. Gerade durch den Fußball kenne ich Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Das können Ihnen zu 100 Prozent auch meine Kunden bestätigen. Viele davon gehören mittlerweile auch zu meinem Freundeskreis - auch mit internationaler Herkunft."
Und so verweist er auf die Freundesliste, Kommentare und Likes auf seiner Facebook-Seite.

Und schließlich hebt Berlinghof sein soziales Engagement hervor: "Das bestätigt auch meine Trinkgeldkasse im Studio rein nach dem Motto ,Flüchtlingshilfe statt Kaffeekasse', die seit dem 1.1.2014 in der Kaffeeecke in meinem Studio aufgestellt ist und nach genau einem Jahr gespendet werden soll. Auch an die Straßenkinder von Mannheim habe ich schon einmal einen Betrag von 1600 Euro durch eine Veranstaltung gespendet."

Von Rechtsradikalen geführte Studios fungieren laut Gerber als "Kristallisationspunkte der Szene", als "Bindeglied zwischen Neonazis, Rockerclubs und Hooligans".

 

Medienschelte der Antifa-Gruppe

 
"Wir haben in der jüngsten Zeit Informationen über die Tattoo-Studios gesammelt und hatten ohnehin vor, uns mit unseren Erkenntnissen an die Öffentlichkeit zu wenden - da hat Ihr Artikel für uns natürlich eine Steilvorlage geboten", sagt Gerber und wirft uns, aber auch anderen Medien, vor, mit einem solchen Bericht "nicht sensibel genug mit dem Thema umzugehen und nur sehr oberflächlich zu recherchieren".

Der Artikel der SZ sei "leider kein Einzelfall", urteilt die Antifaschistische Initiative Heidelberg in ihrer Presseerklärung. Auch bei der Berichterstattung anderer Zeitungen und regionaler TV-Sender über Berlinghofs Weltrekord im Dauertätowieren "war wie erwartet nichts zur braunen Gesinnung des Hauptprotagonisten zu finden".

An die Gemeindeverwaltung habe man sich mit den Vorwürfen gegen Berlinghof noch nicht gewandt, sagt Gerber, "aber diesen Schritt behalten wir uns noch vor - wir wollen irgendetwas machen, um zu warnen".

 

(ras)