Verschwiegene NSU-Pfade

Erstveröffentlicht: 
19.06.2014

Der Draht eines NSU-Angeklagten zum einflussreichen Neonazi Thorsten Heise war intensiver als bisher bekannt. Eine niedersächsische JVA kontrollierte deren regen Briefverkehr. Zeitgleich ging 2000 auch Post aus Südafrika an Heise – von einem mit Haftbefehl gesuchtem Altnazi.

 

Von Andrea Röpke/Andreas Speit

Im Frühjahr 2000 wurde die Luft dicker für das Jenaer Trio in seinem Chemnitzer Unterschlupf. Der MDR berichtete im Mai in seiner Sendung „Kripo live“ über die unauffindbaren „Bombenbastler“ aus Thüringen. Die Fahnder rückten Uwe Böhnhardt auf die Pelle. Ihnen gelangen Photos, welche bei einer der Observationen vor dem Haus der Helferin Mandy S. in der Chemnitzer Bernhardstraße entstanden und wohl den Flüchtigen zeigen. Dem Trio wurde es zu heiß in der  Stadt.

 

Am 1. Juli bezog das Trio wieder mit Szene-Unterstützung eine Drei-Zimmer-Wohnung im abgelegenen Zwickau. Der Umzug bedeutete eine Neuorientierung. Bis heute stellen die folgenden elf Jahre in dieser Stadt einen nahezu weißen Fleck dar. Wenig ist bekannt über Alltagsleben, Beziehungen, politische Arbeit  und örtliche Unterstützer.

 

Den Kontakt zum treuen Kameraden Holger Gerlach im fernen Hannover ließen sie  nie abreißen. Der sich unscheinbar gebende Neonazi aus Jena, der bereits kurz nach seinem Umzug Ende der 90er Jahre beim Verfassungsschutz in Niedersachsen durchs Raster fiel, lernte viele Größen im militanten westdeutschen Milieu kennen. Verbindungen, die auch für das Trio von Vorteil sein konnten.

 

In der heißen Phase des Abtauchens Anfang 1998 hatte Gerlach, der  sich heute als Mitangeklagter im NSU-Terrorprozess vor dem Oberlandesgericht München verantworten muss, Kontakte zu „Blood&Honour“ in den alten Bundesländern aktiviert. Er hatte bei der Waffenbeschaffung geholfen und seine Identität zur Verfügung gestellt, später dann niedersächsische Kameraden um Hilfe gebeten.

 

Briefe in die JVA Wolfenbüttel

 

Unterlagen, die dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Verfügung gestellt wurden, belegen jetzt, dass Gerlach zwischen 2000 und 2001 sehr beschäftigt schien. Genau im Zeitraum des Umzuges nach Zwickau und des ersten Mordes des NSU begann anscheinend sein stetiger Briefverkehr mit einem der einflussreichsten Neonazis im Westen: Thorsten Heise. Der Kameradschaftsanführer aus Northeim saß gerade eine Gefängnisstrafe in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel ab. Die Szene wusste von dessen nationalen und internationalen Verbindungen. Der Musikproduzent Heise verkehrte mit den Sängern von bekannten Szene-Bands wie „Landser“ und „Stahlgewitter“ auch privat. Bisher war nur sporadischer Kontakt zwischen dem NSU-Helfer und Heise bekannt gewesen. Es dauerte zumeist nur wenige Tage, bis Holger Gerlach auf seine Briefe an den sich damals in Haft befindlichen Thorsten Heise Antwort erhielt. Zwischen Sommer 2000 und Ende Juni 2001 gingen rund ein Dutzend Schreiben der beiden durch die Briefkontrollen.

 

Dem Gericht in München, welches über Gerlachs Schuld befinden soll, liegen die Akten nicht vor. Thorsten Heise ist noch nicht einmal als Zeuge durch den Generalbundesanwalt (GBA) benannt. Die Berliner Vertreterin der Nebenklage im Münchener Verfahren, Antonia von der Behrens ist empört: „Hier wurden den Prozessbeteiligten für das Verfahren relevante Akten vorenthalten. Wir fragen uns, wie viele Unterlagen mit Bezug zu den Angeklagten es noch gibt, von denen wir nichts wissen.“ Die neuen Akten, die im April 2013 von der Staatskanzlei in Hannover an den Untersuchungsausschuss des Bundestages gingen, belegen nicht nur den Kontakt, sondern auch die Tatsache, dass die beiden Neonazis in ihrer Vernehmung maßgeblich taktiert haben könnten.

 

Kontakte nach Südafrika heruntergespielt

 

Trotz des Umzugs nach Zwickau gab es Anzeichen dafür, dass vor allem Mundlos und Böhnhardt damals ins Ausland wollten. Heute ist bekannt, dass  der gut vernetzte Thorsten Heise Kontakte nach Südafrika unterhielt, auch sein politischer „Ziehvater“, der Altnazi Karl Polacek schien sich dort aufgehalten zu haben. Gemeinsam hatten sie zuvor in der Nähe von Göttingen ein berüchtigtes Zentrum aufgebaut. Seit 1999 befand sich der Österreicher Polacek auf der Flucht vor dem Antritt einer Freiheitsstrafe, gesucht mit internationalem Haftbefehl. Ende 2001 wurde er dann in Griechenland festgenommen. Im Juli 2000, als Heise Briefe des mutmaßlichen NSU-Helfers Gerlach erhielt, passierte auch ein Schreiben des flüchtigen Altnazis die Passkontrolle. Als Absender war eine Post-Box in Kapstadt angegeben. Von einem Antwortschreiben Heises ist nichts bekannt.

 

Doch regen Briefkontakt gab es im selben Zeitraum auch zum inzwischen verstorbenen „Weltskriegsveteranen und Orientwissenschaftler“ Dr. Heinz-Georg Wilhelm Migeod, einem Deutschen, der als Kaufmann in Südafrika tätig war und Polacek ebenfalls kannte. Über 20 Briefe wechselten zwischen dem inhaftierten niedersächsischen Neonazi in der JVA Wolfenbüttel und dem ehemaligen Jagdflieger in Südafrika.

 

In seiner Vernehmung durch Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) wird Heise sich 2012 nur spärlich an Holger Gerlach erinnern, ihm habe „das Gesicht nichts“ gesagt und er wird seine und seine Kontakte nach Südafrika gekonnt herunterspielen. Von einem angeblichen Kontakt zwischen dem Mann aus Hannover und ihm habe er erst aus den Medien erfahren. Die von der Polizei protokollierte Tatsache, dass Gerlach sogar an Heises Hochzeitsfeier 1999 mit zahlreichen Szene-Größen teilgenommen hatte, griffen die Ermittler scheinbar nicht weiter auf. Sie gaben sich mit der Ausrede zufrieden, der Bräutigam habe nicht alle Gäste persönlich gekannt, er sei wohl über Kameraden einfach mitgebracht worden.

 

Nach der Hochzeit mit Heise getroffen


Devot versuchte auch der gewissenhafte NSU-Helfer Gerlach, den Kontakt zu  verharmlosen. Ein handschriftlicher Satz in dessen Vernehmung zeugt von einer gewissen Angst vor dem Anführer. Gerlach behauptete im Verhör: „Heise war eine Nummer zu groß für mich.“ In seiner Vernehmung 2011 räumte Gerlach jedoch ein, sich nach dem Hochzeitstermin noch etwa zwei Mal mit Thorsten Heise getroffen zu haben. Einmal soll ihn der mutmaßliche Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben geschickt haben, einmal wurde er auf Empfehlung des Thüringer Neonazis und V-Mannes Tino Brandt entsendet. Gerlachs Angaben zufolge habe der mächtige Neonazi und Musikproduzent, der sich kurz nach der Haft auf einem Gutshof im thüringischen Eichsfeld niederließ, ihm etwa 1999 eine Telefonnummer in Südafrika gegeben. Aber aus dem Auslandsaufenthalt sei dann doch nichts geworden. Heise jedoch kann sich angeblich weder an Gerlach noch an eine Kontaktvermittlung nach Südafrika erinnern.

 

Warum aber flammte der Kontakt zwischen Thorsten Heise und Holger Gerlach spätestens im Sommer 2000 so intensiv auf? Wusste der Mann von der konspirativen „Arischen Bruderschaft“, deren Logo zwei Handgranaten zieren, vielleicht doch mehr, als er bisher gegenüber den Behörden einräumte? Was bedeutet der Brief eines per internationalen Haftbefehls Gesuchten aus Südafrika?

 

Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos will Heise nicht gekannt haben. Gemeinsame Schnittstellen zu ihnen gab es aber mehr als genug. Im August 1999 observierte der Inlandsgeheimdienst Holger Gerlach in Hannover deshalb, weil eine Kontaktaufnahme des Trios vermutet wurde. Denn im Mai 1999 hatte Quelle 2045 alias Tino Brandt dem Verfassungsschutz in Thüringen mitgeteilt, Heise sei bereit, „nach Wohnungen für das Trio im In- und Ausland zu suchen“.

 

Der Hilferuf aus Jena


Im März 2014 belastet auch der ehemalige Spitzel des Verfassungsschutzes, genannt „Tarif“ alias Michael See (heute von D.),  den ehemaligen engen Kameraden. See berichtet in seiner Vernehmung, er habe seit den 90er Jahren Kontakt auch zu Heise gehabt, habe sogar dessen Kameradschaftsabende besucht und mit ihm eine Reise zu einer der Schlüsselfiguren von „Blood&Honour“ nach Schweden unternommen.

 

Nach der Flucht des Trios will der damalige V-Mann „Tarif“ alias See einen Anruf aus Jena von André K. erhalten haben und um Hilfe bei der Flucht gebeten worden sein. Die Thüringer hätten gerade wegen seiner Heise-Kontakte zu ihm aufgesehen, glaubt See. Der informierte umgehend seinen V-Mann-Führer „Alex“ und bat um Hilfe. K. habe dem Spitzel berichtet, dass er die Flüchtigen eigentlich kennen müsse, „die waren mal auf einer deiner Veranstaltungen“. Die Antwort des Geheimdienstes ließ wohl auf sich warten, Aus Jena kam kein zweiter Anruf. Auf die Frage im BKA-Verhör, wem See von dem Hilferuf aus Jena berichtet habe, antwortete der ehemalige Neonazi, er wisse nicht mehr, wem er es im Einzelnen weitergegeben habe, doch er habe es „vermutlich dem Heise“ erzählt.

 

Ob NSU-Unterstützer Gerlach nicht sogar an Treffen der „Kameradschaft Northeim“ oder der „Arischen Bruderschaft“ teilgenommen hat, darüber könnten Berichte von V-Leuten diverser Ämter, die über Heises Aktivitäten  berichteten, vermutlich Aufschluss geben.