"Vollkommen sinnlose Sauferei und Prügelei" - Kritik an Prozess gegen Neonazi Falk H.

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The show goes on: Kontinuität der Ausblendung rassistischer Motive auch im Allgäu

Am Dienstag, den 6. Mai verurteilte die Große Strafkammer am Kemptener Landgericht den Neonazi Falk H. nach nur zwei Verhandlungstagen zu 11 Jahren Freiheitsentzug mit Alkoholtherapie. Die »Vollkommen sinnlose Sauferei und Prügelei« am letztjährigen Tänzelfest in Kaufbeuren, welche Konstantin M., einen »Mann aus Kasachstan« das Leben kostete, wertete das Gericht als Körperverletzung mit Todesfolge. Zu einer Tatrelevanz des neonazistischen Hintergrundes und Umfeldes des Täters »konnten aber keine konkreten Feststellungen« getroffen werden. Das kritisiert das »Antirassistische Jugendaktionsbüro«.

 

Die Aktivist_innen leisteten Prozessbeobachtung, denn sie wollten angesichts des im Voraus festgestellten neonazistischen Hintergrundes der Tätergruppe etwas dagegen setzen, »wenn Behörden und Bevölkerung wieder in die Deutungs- und Verhaltensmuster zurückfallen, die mit der Aufarbeitung der NSU-Morde erkannt und erledigt werden sollten.« Sie meinen die Ausblendung rassistischer Motive und eigener rassistischer Anteile wie sie jede und jeder verinnerlicht hätte. Dieser Sachverhalt sei mitverantwortlich dafür, dass der NSU bis zu seiner Selbstaufdeckung jahrelang morden konnte. Nun werden 746 Tötungen und Tötungsversuche, darunter auch der Fall Peter Siebert aus Memmingen, erneut auf rechte Tatmotive geprüft. Die Nazigegner_innen, die einige Tage vor Prozessbeginn in Memmingen in Gedenken an Siebert und alle anderen Opfer rechter Gewalt und gegen Nazis demonstrierten, befürchteten, »dass auch der Fall um Falk H. entpolitisiert und abgehakt wird, um dann in einigen Jahren ebenfalls erneut geprüft werden zu müssen.«

 

Die Zeugen- und Sachverständigeneinvernahmen zeichneten ein eindeutiges Bild. Am Abend des 17. Juli 2013 um kurz vor Mitternacht verlässt die fünfköpfige Gruppe um Falk H. das Festzelt am Tänzelfest. In der Gruppe mindestens ein weiterer Neonazi: H.'s Neffe Markus V. Zur gleichen Zeit verlassen drei von den Thüringern offenbar als nicht-deutsch identifizierte das Festgelände und werden als »Scheiß Polacken« und »Scheiß Russen« beschimpft. Der 36-jährige Thüringer wirft den dreien vor, »ihr habt damals meine Oma vertrieben« und greift an. Zu zweit halten die Angegriffenen ihre Gegner in Schach, sodass diese mehrfach zu Boden gehen und schließlich aufgeben müssen. Frustriert und wütend über die Niederlage ziehen sich die Angreifer zurück auf's Gelände, wo der unbeteiligte Konstantin M. völlig unvermittelt einen heftigen Faustschlag gegen die Schläfe erhält. Obwohl der 34-jährige auf Grund eines durch den Hieb ausgelösten Riss einer Arterie hirntot ist noch bevor sein Körper ganz zu Boden fällt, holt der Thüringer nochmals aus: Ein schwerer Fußtritt gegen den Hals des Familienvaters verursacht weitere schwerwiegende Verletzungen. Anwesende Sicherheits- und Rettungskräfte können nichts mehr tun, als den kurze Zeit später festgenommenen Falk H. als Täter zu identifizieren. Konstantin M. stirbt kurz darauf im Krankenhaus. Das Verfahren des anfangs ebenfalls verdächtigten 22-jährigen Neffen Markus V. wird eingestellt werden, gegen H. wird eine Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Mord vorbereitet, während dieser in Untersuchungshaft sitzt.

 

Der 36-jährige kennt das. In der Vergangenheit wurde er viele Male unter anderem wegen teils erheblichen Gewalttätigkeiten angeklagt und mit Freiheitsstrafen belegt, die allerdings meist zur Bewährung ausgesetzt wurden. Das Bundeszentralregister verzeichnet 18 Verurteilungen, der Großteil Körperverletzungen, oft in Verbindung mit Hitlergrüßen und »Sieg Heil!«-Rufen. Eine Person wurde verprügelt weil sie sagte, sie sei links. Die auszugsweise Verlesung eines Teils der Urteile prägt das Bild eines äußerst gewalttätigen Neonazis.

 

Deutlich ist auch, so Robert Andreasch von der antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V., das engere Umfeld des Neonazis. »Bilder mit der schwarzen Sonne der SS finden sich hier genauso wie ein Kokettieren mit der Mordserie des ›Nationalsozialistischen Untergrunds‹ (NSU): Markus V. hat eine ›Pink Panther‹-Figur mit Maschinengewehr gepostet. Zu seinen Online-Freunden gehören u. a. thüringer und sächsische Neonazis, die Jugendorganisation von ›Pro Deutschland‹ sowie der aus Bayern stammende frühere NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt.« Das Bild mit der »Pink-Panther«-Figur ziere das Symbol der neonazistischen Internetseite »Infoportal Schwaben«, erklärt der Journalist, der sich schwerpunktmäßig seit Jahren mit der bayerischen Neonaziszene beschäftigt.

Der Täter selbst hält sich - von einigen sexistischen Ausfällen abgesehen - auf Facebook eher zurück. Lediglich auf einem Photo offenbart er auf seiner linken Brust ein weiteres Tattoo, das eine Lebens- und eine Todesrune zeigt. Diese Symbolik war schon in völkischen und alldeutschen Kreisen um Guido von List beliebt. Im Dritten Reich fand sie nicht nur Verwendung in unterschiedlichen nationalsozialistischen Zeichen, etwa beim Lebensborn oder der Hitlerjugend. Auch zur Verdrängung Christlicher Symbolik wurden die Yr- und Man-Rune als Ersatzzeichen für die Kennzeichnung von Geburts- und Sterbedaten verwendet. Auch Neonazis verwenden das Zeichen nicht nur in offiziellen Logos diverser Organisationen.

 

Der Täter, der sich an den Vorfall nicht erinnern will rechtfertigt mit seiner Verteidigerin die neonazistischen Äußerungen. Falk H. sei eigentlich »eher links«, bestimmt aber »nicht rechts« eingestellt, in Antifa- und Punkkreisen unterwegs und hätte somit seine Taten »mehr ironisch« gemeint. Auch der vorsitzende Richter bezeichnet diese Behauptungen als »Quatsch« und erkennt die rechte Gesinnung des Täters an. Eine Tatrelevanz will das Gericht allerdings nicht erkennen und stellt auf eine »völlig sinnlose Sauferei und Prügelei« ab.

 

Genau das kritisiert das »Antirassistische Jugendaktionsbüro«. Durchaus könne das Gericht zwar zu dem Schluss kommen, dass die Gesinnung des Täters keine Tatrelevanz hat, dazu müsse dieser Sachverhalt allerdings geprüft werden. Und dies sei nicht geschehen. »Selbst die ›Ausländer‹feindlichen und explizit rechten Parolen, die auf dem Tänzelfest fielen, wurden nicht debattiert.«

 

The show must go on

 

Damit wurde die Forderung eines Tänzelfestbesuchers schließlich eingelöst. »Bitte sagt das Feuerwerk NICHT ab! [...] THE SHOW MUST GO ON!« Tatsächlich zeigt auch das Kemptener Urteil eine fatale Kontinuität im Umgang mit rassistischen Motiven. Sie werden ignoriert und ausgeblendet. Nicht nur, dass unter anderem diese Haltung es überhaupt erst ermöglichte, dass der NSU jahrelang ungestört morden und rauben konnte, während viele ihrer Opfer und deren Angehörige verdächtigt, überwacht und eingeschüchtert wurden. Immer wieder will mensch rassistische Motive nicht erkennen.