Bismarck als Führer, Hitler als Vermittler – der Fall Schäuble als Geschichtsstunde

geschichtsrevisionistischer Finanzminister

Was passiert wenn zwei Demokraten eine Packung Komponentenkleber in die Hände fällt? – Antwort: Sie machen eine Koalition. Diese ist dann von einem Kleister integriert dessen anteilige Substanzen für sich genommen nicht diese Wirkung ausüben. Doch die "großdeutsche" Koalition in der der von der Realität eines Besseren belehrte Finanzminister die Rolle des Bindemittels spielt gleicht einem Heimwerker der sofort die gesamte Mischung anrührt anstatt kleine Portionen frisch zuzubereiten.

Und so ist der Wirkungsgrad ihrer Gestaltungen gering und es bleibt bei unmaßgeblichen Basteleien an einem grundverkehrten System. Als wäre das nicht schon Problem genug, hat sich jetzt auch noch dessen Standortältester zutiefst im Geschichtsbild vergriffen. Es handelt sich um den diskursüblichen Geschichtsrevisionismus, der die Wiedergänger Hitlers überall zu erkennen vermeint nur nicht in der deutschen Regierung. Doch aus deren Mund hat diese Verdrehung ein besonders verräterisches Aroma. Der Dieb ruft: Haltet den Dieb – im schlimmsten Fall, um auf diese Weise eine falsche Entwarnung hervorzurufen. Denn der Reichswehr-Agent Adolf H., der mit seinen Vorgesetzten wortwörtlich die Rollen tauschte, hat nicht einen individuellen Wiedergänger sondern existiert als seelenlose Hierarchie die aus einer Vielzahl von Tätern und Täterinnen zusammengesetzt ist.

 

Und so erscheint auch das Verhalten des Täters in der Sudetenland-Affäre: Kaum hat Schäuble für seine Tatsachenverdrehung diplomatischen Tadel einstecken müssen, folgt auch schon eine Ausrede bei der Fuchs und Hase sich "Gute Nacht" sagen: Wenn die Anwendung der historischen Parallele seine intellektuellen Fähigkeiten überfordere, so Schäuble, dann solle sie auch niemand anders benutzen. Dieses Kind versucht das Werkzeug was es geklaut hat lieber kaputtzumachen als es zurückzugeben. Oder: Dem Politiker hängt die Geschichtswissenschaft zu hoch, also muss sie sauer sein. So ist es also um das Handlungsniveau des fiskalischen "Leittiers" bestellt, derjenigen Behörde von der die anderen Ministerien betrieblich abhängen. Diese Rhetorik will suggerieren die Äußerung sei lediglich pietätlos gewesen.

Zweifellos ist es pietätlos NSU-Altlasten von rechtsordnungserschütterndem Ausmaß zu hinterlassen und dann den Hitler-Trick zu versuchen. Doch anders als in vergleichbaren derartigen Fällen ist es auch sachlich falsch: Der Russland-Beitritt der Krim gleicht nicht dem Sudetenland-Revanchismus der Schäuble-Generation. Egal aus welcher Richtung der Vergleich angegangen wird, es liegen andere Parallelen nahe, wie Stalins Westerweiterung bzw. die Penetration Libyens. Bekanntlich servierte als Hitler das Sudetenland verdaute Stalin ihm einen explosiven Cocktail den er nicht auszuschlagen vermochte: Das Appeasement der Westmächte, vermengt mit einem doppelten Anteil rot eingefärbtem Imperialismus, abgefüllt in die handelsübliche diplomatische Form, komplett mit einem "Geheimzusatz" als Lunte. Infolge des Abkommens trat Stalin in Osteuropa als eine Art Nachfolgetäter Hitlers auf und nahm sich etwa die kleinere Hälfte von Polen. Aus der anderen Ansicht sind die vom Aggressor ferngesteuerten Oppositionsbemühungen in Libyen vor dem Mord an Gaddafi und die vergleichbaren Situationen die durch diesen Präzedenzfall andernorts eröffnet wurden Anfertigungen vom Prototyp der Henlein-Bewegung, deren Rolle die Kritik an der Methode Hitlers versinnbildlicht.

Nun ist jedoch eine derartige Marionettenbewegung nicht auf der Krim anzutreffen, sondern war es in der Ukraine, in Form der sogenannten Maidan-Darbietung. Sogar einen Möchtegern-Henlein gab es da, wenigstens bis vor kurzem, und mehr Mitläufer als Initiator der Massenbewegung, doch in der Orientierung auf machtpolitische Auftraggeber ebenso "großdeutsch" wie der geschichtsrevisionistische Minister. Dass Schäubles Pferd, Klitschko, aus dem Rennen ist darf wohl für den eigentlichen Auslöser der Affäre gehalten werden: Damit erwies sich die umfassende feindliche Übernahme des Landes nach dem historischen Modell als gescheitert. Die mit der Schuldumkehr einhergehende Verdrängungsreaktion und deren abermaliges Scheitern sind Belege für die Zielrichtung der geschichtsrevisionistischen Intention. Darin lässt Schäuble seine historischen Vorbilder erkennbar werden.

Die deutsche Annexion des Sudetenlandes, welche schlussendlich die Benes-Dekrete nach sich zog, war schließlich nicht einer besonderen Originalität oder Kreativität Hitlers oder Henleins zu verdanken, sondern der Übertragung der über Generationen eingeübten Herrschaftsmethoden des europäischen Kolonialismus in Afrika, Asien und Amerika auf die innereuropäische Politik. Volksgruppenhierarchien auf der Grundlage der gewaltsamen Zuteilung von Privilegien hat der Kolonialismus der Nationalstaaten andernorts mit nicht weniger tödlichen Folgen hinterlassen, welche dann wiederum als seine Rechtfertigung herangezogen wurden. Hitler tat im Sudetenland nichts anderes als ihm die seit Bismarck herrschende deutsche Politik vorgemacht hatte. Bismarck hatte sich freilich einmischungsmäßig damit begnügt in Afrika die letzten Zwischenräume zwischen den frühkapitalistischen Kolonialmächten anzugreifen, während Hitler bereits nach der Rolle des "Kolonialisten der Kolonialisten" strebte.

Wenn sich heute die gescheiterten Kolonialisten einreden, die Völker Afrikas seien nun einmal blutrünstiger und bedürften daher kolonialistischer Herrschaft wie die Deutschen einer alliierten Umerziehung, anstatt die Spätfolgen ihrer eigenen Völkerhierarchisierungsbemüungen wenigstens nicht noch weiter zu verschlimmern, loben sie sich dafür die Brände zu löschen die sie selbst gelegt haben. Hätte Schäuble an den Methoden Hitlers tatsächlich etwas auszusetzen, sollte dies dann nicht auch dessen Ideengeber mit einschließen? Doch wie bspw. der Blick auf die deutsche Ruanda-Erzählung erkennen lässt (und auch deren militaristischer Henker-Blick dorthin) findet eine Methodenanalyse nicht statt und der historische Bezug ist lediglich eine apologetische Kulisse derer er sich bedient um seine menschenverachtende Politik fortzusetzen. Auffällig ist, dass der Fall Schäuble ein typisches Beispiel für die derzeitige Regierungspolitik ist, die in allen ihren Ausprägungen dieses Muster erkennen lässt: Gleich welches Thema, ob Geschichte, Gesundheit, Rente, Einwanderung, Arbeit, Erziehung, Gleichstellung oder Elektrifizierung – die gesamte sogenannte Politik der "großdeutschen Koalition " (einschließlich der parlamentaristischen Scheinopposition) erinnert eher an eine ergebnislose Koalitionsverhandlung als an Politik. Da werden kosmetische Stilisierungen forciert als handele es sich um durchaus umfassende Entwürfe, doch dann die damit verkleideten Fehlkonstruktionen wiederaufgenommen.

Wem nutzt es, an der gesetzlichen Krankenversicherung die Basteleien der Vorgängerregierung durch neue zu ersetzen, wenn das bodenlose Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung sich davon bestätigt wähnt? Wieso sollte sich das Recht auf Rente der kapitalistisch-demokratischen Zwangsvorstellung einer Arbeitspflicht – oder in den übelsten Ideologisierungen gar einem Arbeitskult – unterordnen? Wieso findet bei den Einwanderungsvoraussetzungen keine Abwägung statt die die Zahl der betroffenen Personen mit einbezieht? Weshalb wird das Grundrecht auf Arbeitslosigkeit nicht anerkannt? Wieso werden Lehrerstellen gestrichen bevor die Meinungsbildung zum Lehrplan ausgereift ist? Wieso sollen Quotenfrauen dort Zugang bekommen wo auch Quotenmänner draußen bleiben müssen? Wieso werden Stromfresserbetriebe zu Lasten des ökologischen Umbaus subventioniert und nicht aus dem Gesamtetat, wenn es angeblich gerechtfertigt sein soll?

Das alles liest sich nicht wie Endergebnisse einer souveränen Regierungspolitik, sondern wie Feilschereien in einer zum Scheitern verurteilten Koalitionsverhandlung – Vorschläge, deren Überprüfung eher auf die Notwendigkeit grundsätzlicher Neukonzeptionen deutet als einen Gebrauchswert zu ergeben. Daher haben sie inhaltlich auch ebenso wenig Bestand wie die Schäuble-Aussage, und treiben als parlamentarische Leergeschäfte den stetigen Vertrauensverlust der Öffentlichkeit voran. Politik als leeres Versprechen an die eigene Bezugsgruppe in naher Erwartung die anderen von einer vermeintlichen Überlegenheit überzeugt zu haben, und die gewaltsame Aufrechterhaltung dieser Illusion als Dienstleister beliebiger Ausbeutung sind die Erkenntnismerkmale einer grotesken Gesellschaftsdeformation, in der die kapitalistische Entfremdung so weit fortgeschritten ist das selbst ein Minimalkonsens zugunsten des demokratischen Staates nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.

Jener lässt den Totalausfall seines gesellschaftlichen Mandats eben darin erkennen, dass er sich gegenüber der Gesellschaft welche im Maße ihrer Selbst-Bewusstwerdung auf unlautere Annäherungsverfahren wie Abstimmungen und Wahlen verzichtet, da die wenigen Fragen die tatsächlich alle betreffen ohnehin allgemeine Konsensbildung erfordern, wie eine hilflos um Koalitionspartner buhlende Partei verhält. Doch das verkrampfte Gebalze läuft ins Leere: Es gibt keinerlei gesellschaftliche Gruppen oder Akteure welche daran interessiert sein könnten mit diesem toxischen Politikimitat zu interagieren. Selbst wenn die Regierung offen benennen würde worauf sie aus ist bliebe der Verdacht im Raum: Sobald mit Vorstellungen gehandelt wird die in der Gestaltung umfangreicher ausgearbeitet sind als im Konzept, dann ist diese Gestaltung im besten Fall leere Hülle und im schlimmsten ein raffinierter Verpackungsanreiz.

Wenn jedoch der ganze Wert eines Ressort-Pakets im Design des Einwickelpapiers besteht, dann werden es selbst diejenigen abweisen die ansonsten darin etwas irgendwie Verwendbares wiedererkennen könnten. Oder gerade deswegen, denn während Parteien in einer Koalitionsverhandlung von der Rechtsform her gleich sind, sind Regierung und Bevölkerung es nicht und daher ist jedwedes Szenario das diesen Anschein vortäuscht eine Farce. Eine Regierung die es darauf anlegt einen Gesellschaftsvertrag nach dem Modell eines Koalitionsvertrags zustande zu bringen muss deshalb notwendigerweise an der politischen Willensbildung scheitern. Oder sie versucht diese zu manipulieren und macht dadurch ihr Scheitern letztendlich noch heftiger. Spielt sich eine solche Leerpolitik in einem Kontext von Bespitzelung und Gewalt ab, dann ist sie als deren Symptom identifiziert sobald sich ihre unbrauchbare Gestaltung als deren Ergebnis herausstellt: Leerpolitik kann, wenigstens theoretisch, auch aus indifferenter Dummheit und Ignoranz resultieren, doch kommt sie daher dass eine ideenlose Regierung blindwütig den Vorgaben ihres Repressionsapparats folgt dann muss diese als dessen Instrument aufgefasst werden anstatt umgekehrt dieser als deren.

Mit jeder neuen Regierungskampagne verhält es sich wie mit der faschistischen Reaktion gegen die vorherige Ausgabe dieser Kolumne: Eine weitere überflüssige Fußballveranstaltung welche den englischsprachigen Namen der UN-Vorläuferorganisation – des Völkerbunds – gezielt falsch übersetzt, und außerdem nach Auffassung derer die es betrifft total unprofessionell konzipiert ist. Doch der Plan ist im Raum wie ein Haufen auf einem Elfmeterpunkt der gestern noch nicht dalag. Wer war´s? Irgendjemand der historische Bildung verachtet, soviel ist sicher, denn ginge es rein um den Gebrauchswert ohne jede sekundäre Verdrängungspropaganda dann wäre ein solcher Vorschlag gar nicht erst gemacht worden.

Ebenso ist es mit Schäubles Sudetenland-Geschwätz. Das beabsichtigte etwa die berechtigte Kritik aus Griechenland an seinem (selbst-)mörderischen Finanz-Irrsinn zu verdrängen, auch wenn das auf Kosten der Wahrheitsfindung in Sachen Ukraine geht. Hier ist auffällig dass Schäubles persönliche Situation eher der von Heß als der von Hitler gleicht – so wie Heß vom Nazikriegsverbrechertribunal am Leben gelassen wurde, überlebte Schäuble einen Versuch ihn infolge seiner Politik zu töten. Dieter Kaufmann, der die Entschlossenheit eines Georg Elser mit der Spontaneität eines Marinus Vanderlubbe verband, teilte jedoch auch beider Schwächen: Er verfehlte sein Ziel wie der eine und zerbrach als Persönlichkeit unter der Repression wie der andere. Dabei waren seine Motive aus heutiger Sicht völlig integer, wenngleich auch das Unrecht welches er damit angreifen wollte nach wie vor alles andere als ein "großdeutscher Sonderweg" ist.

Vanderlubbe und Elser sind gescheitert, es ist ihnen nicht gelungen einen Schlusspunkt in ihrem Sinne zu setzen, Bismarck und Hitler finden sich nach wie vor von den Apparaten verkörpert bzw. von deren Tätern. Auch Kaufmann ist in diesem Sinn gescheitert, so wie Schäuble in dem anderen, wenngleich das strategische Patt das er hinterließ einiges leichter macht. Kaufmann griff Schäuble von einem Punkt aus an wo dieser als Marionette eines UN-Legislativirrtums getroffen wurde. Seine Tat enthüllte damit die völkerrechtswidrigen Motive Schäubles, der sein sogenanntes "Ehrenwort" an die korrupten Emissionskönige verkauft hatte. Geschäftsmodell Lehensknecht also. So gesehen ist das Erstaunliche nicht dass dieser zwei Jahrzehnte später noch lebt sondern dass die auslösende krasse Unrechtssituation noch andauern kann.

Bemerkenswert ist darin vor allem der Mangel an stringenter Legitimation. Schäubles Lügen-Politik legt es darauf an die klassizistisch-metaphorischen "Lorbeeren" anderer Leute zu ernten, ist aber unfähig sich selbst gegen völkerrechtswidrige Fremdbesetzungen zu behaupten, oder in den Worten der Klima-Risikoanalyse formuliert Wahlbetrug im nicht-linearen Sinn: Es wurde nicht nur beim Verfahren getrickst sondern auch dessen Gegenstand veruntreut. Erschwerend kommt hinzu, dass Schäuble sich in fortgeschrittenem Alter nicht mehr auf eigennützige Motive herausreden kann, sondern unsägliche Verbrechen begangen hat für die es nicht einmal Nutznießer gab, die also lediglich mit seiner Bösartigkeit zu erklären sind und mit sonst nichts. In diesem Aspekt ist er tatsächlich von seinen historischen Vorbildern ununterscheidbar.

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