52 Jahre Haft sind genug!

Knast

Das Oberlandesgericht Karlsruhe verkündete Ende März 2014, dass der in der JVA Bruchsal einsitzende Herr N. auch nach 52 Jahren Haft nicht frei kommen werde.

 

Die Vorgeschichte

 

Der 1936 geborene Hans-Georg N. wurde am 30. Mai 1963 vom Landgericht Berlin zu lebenslanger Haft verurteilt, da er im Jahr davor einen Mann und eine Frau, ein Liebespärchen, erschossen hatte. Seit dem 20.01.1962 sitzt N. ununterbrochen im Gefängnis und gilt damit als der am längsten inhaftierte Gefangene Deutschlands, möglicherweise auch Europas.

 

Fuffzig voll“

 

So titelte am 07.07.2012 die Berliner Tageszeitung taz in ihrer Wochenendausgabe. In einem ausführlichen Portrait stellte sie Herrn N., dessen Haftverlauf und Tat vor – 50 Jahre nach dem er inhaftiert wurde. Neben dem Schicksal seiner beiden Opfer wurde auch thematisiert, dass N. unter dem Vorsitz eines ehemaligen NSDAP-Mitglieds verurteilt wurde (nur nebenbei: Erst seit kurzem wird erwogen, den Mordparagrafen zu reformieren, denn auch dieser ist ein Relikt aus der NS-Zeit). Außerdem wurde N.’s Vollzugsverlauf ausführlich erörtert. Geprägt vom langen Leben hinter Mauern hatte er letztlich nie eine Chance – seit 1984 ist die „besondere Schwere der Schuld“ abgebüßt und Herr N. wird lediglich aus Gründen der öffentlichen Sicherheit weiterhin in Haft gehalten.

 

Die Gründe des Oberlandesgerichts Karlsruhe

 

Wie das OLG mitteilte seien von dem Gefangenen weiterhin schwere Straftaten zu erwarten, er habe seine Tat nie aufgearbeitet, sei vielmehr in der Haft in der kriminellen Subkultur verhaftet geblieben, habe z.b. Haschisch konsumiert. Er weigere sich zudem, im Falle einer Entlassung in eine betreute Einrichtung zu ziehen.

Der 77-jährige sei körperlich sehr agil, so das OLG, und es sei zu erwarten, dass er in die kriminelle Subkultur in Freiheit abgleite, käme er auf freien Fuß.

 

Grundlage der Entscheidung: Eine Prognose

 

Wer aus der Haft „vorzeitig“ entlassen werden möchte, also vor Vollverbüßung der Strafe, im Falle von „Lebenslang“ wäre das also der Tod, dem muss seitens psychiatrischer Sachverständiger eine „positive Sozialprognose“ gestellt werden, sprich, es muss zu erwarten sein, dass der/die Gefangene in Freiheit keine (schweren) Straftaten mehr begehen wird.

Im Falle einer Frau, die in den 90’ern zu gleichfalls lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde, sie hatte zwei Männer erschossen, kam ein Gericht nach etwas mehr als 15 Jahren Freiheitsentzug zu der Ansicht, eine Freilassung sei vertretbar.

 

Das belegt, bei gutem Willen von allen Seiten ist eine Freilassung auch nach einer übersichtlichen Zeitspanne möglich.

 

Kernproblem ist und bleibt die „Prognose“, von der selbst renommierte Sachverständige wie Prof. Leygraf einräumen, dass es die „Gefahr hoher false-positive-Raten“ gebe (in: Psychiatrische Begutachtung, S. 439, 4. Auflage), sprich man attestiere fälschlich einer hohen Zahl an Betroffenen eine Rückfallgefahr, obwohl in Wirklichkeit eine solche gar nicht vorliegt. Nur können die Betroffenen diese falsche Prognose nicht widerlegen, denn sie bleiben in Haft. Deshalb gibt es auch Stimmen, auf die auch Leygraf hinweist, wonach es eigentlich gar nicht möglich sei, eine wissenschaftlich fundierte Aussage über künftiges Verhalten eines/einer Gefangenen zu treffen. Letztlich handelt es sich nur um eine „Wahrscheinlichkeitsaussage“ (Tondorf/Tondorf in „Psychologische und psychiatrische Sachverständige in Strafverfahren“, 3. Auflage, Seite 83).

Dieses mag zu-/eintreffen oder auch nicht.

 

Wer trägt die Kosten dieser Situation?

 

Angesichts des Bedürfnisses „nach vollkommener Sicherheit“ (vgl. Tondorf/Tondorf), a.a.O., S. 69) bezahlen zum einen diejenigen (mit ihrer Freiheit), die weiterhin in Haft gehalten werden, obwohl, kämen sie in Freiheit, keine neuen Straftaten begehen würden, wie auch deren Familien und FreundInnen, soweit vorhanden.

Zum anderen trägt die Gesamtgesellschaft einerseits die finanziellen Kosten (diese sind erheblich, denn durchschnittlich können 80 bis 100 Euro pro Hafttag in einer Strafanstalt und über 200 Euro pro Hafttag in der Sicherungsverwahrung veranschlagt werden), und andererseits die ethisch-moralischen, aber nicht auf den ersten Blick sichtbaren Kosten. Denn eine Gesellschaft, die sich missliebiger Menschen regelrecht entledigt, in dem sie diese in den Verwahranstalten entsorgt, erleidet einen ethischen Verfall.

 

Ausblick

 

Einseitig die Verantwortung für die festgefahrene Situation von Herrn N. bei diesem abzuladen, so wie es die Gerichte tun, überzeugt nicht. Aus eigener Erfahrung gerade des Strafvollzugs in der JVA Bruchsal kann ich berichten, dass sich dort AnstaltspsychologInnen um bis zu 100 Gefangene kümmern müssen (d.h. eine Stelle auf 100 Inhaftierte). Wie bei dieser Arbeitsbelastung Zeit dafür vorhanden sein soll, mit einzelnen Gefangenen deren Taten „aufzuarbeiten“ kann man nicht wirklich erklären. Wer sich dann eigenständig um externen therapeutischen Beistand kümmert, muss sich diesen u.U. regelrecht einklagen (OLG Karlsruhe in NStZ 1998, S. 638).

 

Für Herrn N., oder wie seine Mitgefangenen ihn wegen seines hörbaren Berliner Dialekts nennen, „Icke“ sieht die Zukunft eher düster aus, er muss damit rechnen, in Haft zu versterben, so wie 2008 Herr Pommerenke, der seinerzeit am längsten in Deutschland inhaftierte Gefangene, der im baden-württembergischen Vollzugskrankenhaus Hohenasperg verstarb, nach rund 50 Haftjahren.

 

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg


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