5 Milliarden Dollar für den Staatsstreich

Erstveröffentlicht: 
01.03.2014

Ukraine - Ein Mosaik an Nachrichten und Informationen zu den Vorgängen in der Ukraine und deren Folgen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

 

In meinem Text „Staatsstreich als Strafe für Nein-Sager“ vom 26. Februar habe ich geschrieben: „Wie weit die Unterstützung der US-Regierung für die gewalttätigen Barrikadenkämpfer in Kiew ist derzeit schwer zu belegen.“ Inzwischen bin ich auf einige Belege dafür aufmerksam gemacht worden, die es wert sind, weiter verbreitet zu werden.

 

Einen Beleg lieferte die für Europa und Eurasien zuständige Abteilungsleiterin des US-Außenministeriums Victoria Nuland am 13. Dezember 2013 in Washington vor der „U.S.-Ukraine Foundation“. Sie berichtete nach ihren mehrfachen Auftritten in Kiew stolz, dass die US-Regierung seit 1991 rund fünf Milliarden Dollar für eine „wohlhabende und demokratische Ukraine“ investiert habe.  Es sei darum gegangen, alles zu tun, dass die Ukraine die Voraussetzungen erfülle, um der EU angegliedert werden zu können, d.h. das Land aus seiner historischen Beziehung zu Russland herauszureißen und via „Europa“ in die US-Interessensphäre zu führen, wie es die US-Publizistin Diana Johnstone zusammenfasste.

 

Schon 2004 hatte u.a. Ian Traynor in der britischen Zeitung The Guardian die „US-Kampagne hinter den Unruhen in Kiew“ beschrieben. Die damalige „orangene Revolution“ in der Ukraine sei nach dem zuvor in Serbien erprobten Modell von der US-Regierung finanziert und organisiert worden und umgesetzt von US-ameriaknischen Beratern, Meinungsforschern, Diplomaten, den beiden großen US-Parteien und sogenannten Nichtregierungsorganisationen aus den USA.

 

Neun Jahre später scheinen es nicht mehr vermeintlich gewaltlosen Widerstand leistende Jugendliche zu sein, die von der US-Regierung unterstützt wurden. In Washington wurde anscheinend nun auf schlagkräftigere Handlanger gesetzt. Um wen es sich dabei handelt, machte u.a. Michel Chossudovsky am 24. Februar deutlich. Im Online-Magazin GlobalResearch gab er Fotos von den Rechtsextremen der Partei „Swoboda“ wieder, die anscheinend eine führende Rolle bei den gewalttätigen Protesten in Kiew gehabt haben. Neben Fotos der rechtsextremen Schläger mit Schildern, auf denen Runen und die Naziparole „88“ (= „Heil Hitler“ - siehe hier) zu sehen sind, und Armbinden ihres an faschistische Symbolik angelehnten Parteizeichens, ebenso Bilder auf denen US-Kriegstreiber John McCain ebenso wie US-Diplomatin Nuland gemeinsam mit dem „Swoboda“-Vorsitzenden Oleh Tjahnibok in Kiew zu sehen sind. Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hatte kein Problem, sich mit dem Rechtsextremen zu treffen und fotografieren zu lassen. Und schon im Dezember 2013 hatte der EU-Botschafter in der Ukraine, Jan Tombinski, die rechtsextreme "Swoboda" als gleichwertigen Partner für Gespräche mit der EU bezeichnet.

 

Welchen Partner sich die westlichen Kriegstreiber und Regimewechsler da ausgesucht haben, machten die Ereignisse vor und nach dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch deutlich. So rief der Rabbiner Moshe Reuven Azman am 22. Februar jüdisch Gläubige dazu auf, Kiew zu verlassen, wie u.a. die israelische Zeitung Haaretz berichtete. Nach Drohungen und angekündigten Angriffen auf jüdische Einrichtungen könne die Sicherheiten der Gläubigen nicht mehr gewährleistet werden. "Das muß man sich vorstellen: Die jüdische Bevölkerung in der Ukraine muß um ihre Sicherheit und Unversehrtheit fürchten, und ausgerechnet in Deutschland wird der Grund dafür bejubelt!", sagte die argentinische Publizistin Stella Calloni in einem am 24. Februar veröffentlichten Interview der Tageszeitung junge Welt mit ihr.

 

Es geht auch  wieder gegen Kommunisten, wie Susann Witt-Stahl in einem Beitrag für die Online-Ausgabe der Zeitschrift Hintergrund am 27. Februar aus Kiew schrieb: „Rote Fahnen werden dem Feuer übergeben. Ein junger Mann wirft Lenin-Bilder und -Büsten aus dem Fenster des Büros der Kommunistischen Partei in der westukrainischen Stadt Tschernihiw. … Die Runen, Haken- und Keltenkreuze im öffentlichen Raum sprechen für sich.“ Ein Gesprächspartner habe ihr erzählt, Schläger des „Rechten Sektors“ hätten „Listen mit Namen von ,Feinden‘ aufgestellt …, die eliminiert werden sollen“.

 

Das erinnert daran, dass schon 1957 US-Präsident Dwight D. Eisenhower klarmachte, dass im Kampf gegen die Kommunisten noch jeder Bündnispartner recht sei, auch die islamistischen Dschihadisten. Der Einsatz der Nazis in US-amerikanischen Diensten nach dem 2. Weltkrieg zeugte ebenfalls davon. Auch sie waren gegen die Kommunisten nützlich. Seit dem Ende des Staatssozialismus geht es gegen Russland. Die Bezeichnungen sind austauschbar, die Prinzipien bleiben die gleichen. Interessantes dazu hatte Albrecht Müller am 19. Februar in seinem Beitrag „Vom Abbau der Konfrontation in Europa zum Wiederaufbau der Konfrontation“ auf den Nachdenkseiten geschrieben.

 

Für Marina Weisband ist das anscheinend alles nur Propaganda der russischen Staatsmedien, „um den Protest zu einem Nazi-Staatsstreich zu stilisieren und ihm damit seine Legitimation zu nehmen“, wie sie erneut in einem Beitrag in der Freitag-Ausgabe vom 27. Februar schrieb. Für sie handelt es sich bei dem Staatstreich um eine „urdemokratische Bewegung“, bei der Nationalismus kein Thema sei. Dennoch bezeichnet sie die rechten Gruppen als „echtes Bedrohungspotential“, weil sie „während der Eskalation zu Helden und Beschützern stilisiert werden konnten“. Weisband hält es für eine große Gefahr, dass die Ideen der rechtsextremen „jetzt in das Vakuum eindringen, das in der Ukraine entstanden ist“. Aus meiner Sicht ist es nicht verwunderlich, dass die frühere führende „Piratin“ die Ereignisse so einschätzt, hält sie doch „Liquid democrazy“ für die Zukunft der Demokratie. Ich habe da einen Lesetipp für die flüssige Piratin: In der jungen Welt vom 22. Februar berichtete Reinhard Lauterbach, was er in Kiew gesehen hatte. Da war u.a. Folgendes zu erfahren: "Faschistische Aktivisten stellen sicherlich den harten Kern der Straßenschläger. Im bis zu Wochenbeginn besetzten Rathaus beherrschen sie bei meinem Besuch die Szene mit Bildern des Nazikollaborateurs Stepan Bandera und einem Banner des von seiner Partei aufgestellten Bataillons »Nachtigall«, das für den ersten großen Judenpogrom in Lwiw nach dem deutschen Einmarsch im Sommer 1941 verantwortlich war. An den Säulen im Treppenaufgang hängt eine antisemitische Karikatur im »Stürmer«-Stil gegen den Bürgermeister von Charkiw, wo der Maidan kein Bein auf den Boden bekommt. Aber es gibt eine offenbar beachtliche Sympathisantenszene im Kiewer Bürgertum."

 

• Aber nicht nur jene, die den gewalttätigen Putschisten im Wege stehen oder als nichtukrainisch gelten, werden bedroht. Den Ukrainern, egal auf welcher Seite sie stehen, droht das Gegenteil dessen, was sie sich von der EU erhoffen und ihnen von westlichen Politikern versprochen wird. Es geht nicht um ihre Wünsche nach Demokratie, Freiheit und Wohlstand, sondern um die Interessen der herrschenden wirtschaftlichen Kräfte des Westens. Darauf hatte ich auch schon hingewiesen.

 

Was der Ukraine und den Ukrainern jetzt droht, hat Ewald Böhlke, Direktor des Berthold-Beitz-Zentrums in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, am 26. Februar gegenüber Deutschlandradio Kultur so erklärt: "Erste Situation, der IWF hat ja schon im letzten Jahr angeboten, der Ukraine über 15 Milliarden einen Kredit zu geben. Das wurde von seiten der Ukraine abgelehnt mit der Begründung, da sind zu viele Sozialkosten dahinter, da sind zu viele Forderungen dahinter, die in der Bevölkerung nicht durchsetzbar sind. Nun kommt das gleiche Thema wieder hoch.


Also, das Modell Griechenland in der Ukraine werden wir in jedem Fall finden. Also, das gehört dazu, Aufhebung der Subventionen, Festschreibung der Löhne und Gehälter et cetera, et cetera."


Im Radiosender Stimme Russlands wurde am gleichen Tag das "serbische Rezept für die Ukraine" beschrieben: "Nach der Revolution 2000 versprachen die Politiker in Belgrad, dass Serbien bereits im Jahr 2004 EU-Mitglied werde. Nun schreiben wir das Jahr 2014 und Serbien steht nach wie vor am Anfang seines Weges. Die damalige Bundesrepublik Jugoslawien ist mittlerweile mit Hilfe ihrer „Freunde“ aus den USA und der EU in zwei Teile zerfallen und Serbien hat 15 Prozent seines Territoriums verloren.


Angesichts der kritischen Finanzsituation baten das Finanzministerium und die Zentralbank der Ukraine kürzlich andere Länder, darunter Polen und die USA, um einen 35 Milliarden US-Dollar schweren Kredit. Für diese Zwecke plädierte die Ukraine für eine Geberkonferenz. Am 29. Juni 2001 hatte eine solche Konferenz auch mit Blick auf Jugoslawien stattgefunden. Die Regierung in Belgrad bekam damals rund 1,2 Milliarden Dollar.


Der damalige Regierungschef Zoran Djindjic kommentierte: „Der erste Zuschuss sollte rund 300 Millionen Euro betragen. Uns wurde jedoch gesagt, 225 Millionen davon gebrauche man, um alte Schulden aus der Tito-Ära sowie angehäufte Verzugszinsen aus der Milosevic-Zeit zu tilgen. Es blieben also nur 75 Millionen übrig.“


Seit 13 Jahren auf dem „europäischen Weg“ bekam Serbien zwar 15 Milliarden US-Dollar Investitionen, doch mehr als 60 Milliarden Dollar verließen dagegen das Land. Serbien verlor auf diesem Weg rund 500.000 Arbeitsplätze, seine Staatsschuld verdreifachte sich. Das Land tat alles, was die EU und die USA forderten."

 

Ein anderes Beispiel ist Kroatien, auf das Heiner Flassbeck in seiner Studie „Kroatien – oder wie die osteuropäischen Länder in eine tückische Falle geraten sind und niemand ihnen heraushilft“. Darin wird der Niedergang eines Landes beschrieben, dass unbedingt unabhängig werden wollte und dafür auch einen krieg samt aller Folgen in Kauf nahm, unterstützt vom Westen. Das Ergebnis fasste Albrecht Müller auf den Nachdenkseiten am 26. Februar so zusammen: „Bei vielen betroffenen Menschen geht es schon um die nackte Existenz. Das Land hat vier Jahre Krise hinter sich und steht, wenn nichts geändert wird, wie andere südliche Länder Europas vor einer Deflation, vor weiter stagnierenden Löhnen, vor Arbeitslosigkeit und Depression. Junge gut ausgebildete Leute verlassen das Land.“

 

Sollte es der Ukraine und den Ukrainern anders ergehen, wäre das als Wunder zu bezeichnen. Hinweise, dass dieses möglich ist, nehme ich gern entgegen. Sicher bin ich mir, dass die sozialen Probleme der Menschen in der Ukraine, die den Nährboden für die Proteste bildeten und bilden, auch von den neuen Machthabern nicht gelöst werden. Ihr Kurs auf die EU deutet eher daraufhin, dass sie verschärft werden. Aber wen kümmert das schon in Berlin, Brüssel und Washington?