Auf einem Parkplatz in Riegel greifen Antifaschisten einen Neonazi an, der fährt einen Angreifer um. Nun wird der Prozess vor dem Landgericht in Freiburg neu aufgerollt.
Ist es Fassade oder ein Zeichen des Wandels? Spielt S. dem Gericht den 
geläuterten jungen Familienvater vor, der seinem früheren Leben als 
Neonazi abgeschworen hat? Oder sitzt da einer auf der Anklagebank, der 
dem Muster vieler Angeklagten aus der rechten Szene folgt und einfach 
nur schweigt? Nicht mal ein Wort des Bedauerns kommt ihm über die 
Lippen.
Dabei ist die ihm zur Last gelegte Tat unstrittig: Am 1. Oktober 2011 
stand S. mit seinem Auto auf einem Parkplatz in Riegel. Er wartete auf 
Gäste einer Party der rechten Szene, er sollte die Besucher hier 
abholen. Er telefonierte, als plötzlich eine Gruppe Vermummter auf sein 
Auto zugerannt kam, in ihnen erkannte er "Zecken", wie er seinem 
Gesprächspartner am Telefon noch zurief, ehe er losfuhr. Er bog aber 
nicht in einen Fluchtweg ab, sondern steuerte das Fahrzeug auf die 
Gruppe der antifaschistischen Szene zu. Er fuhr einen jungen Mann um, 
der sich schwere Verletzungen zuzog, und gab wieder Gas. So weit der 
Vorgang.
				
Strittig ist dessen die juristische Bewertung. In erster Instanz hat das
 Landgericht den heute 31-jährigen S. vom Vorwurf des versuchten 
Totschlags, der gefährlichen Körperverletzung sowie der Fahrerflucht 
freigesprochen. Das Gericht sah eine Absicht hinter der Tat als nicht 
zwingend erwiesen an und ging zu seinen Gunsten von einer Panikreaktion 
in einer Bedrohungssituation aus. Sowohl der Staatsanwalt als auch die 
Nebenkläger gingen in Revision, der Bundesgerichtshof (BGH) hob das 
Urteil auf und verwies den Fall zur Neuverhandlung zurück ans 
Landgericht, an eine andere Kammer. Mit Vorgaben, worauf das Gericht 
genauer zu achten habe.
S. kennt also den Platz, auf dem er an diesem Montag erneut Platz 
genommen hat. Er wirkt jünger, als er ist, trägt zur Jeans ein schwarzes
 Jackett, der V-Ausschnitt des Pullunders bietet genug Platz, den 
Krawattenknoten vorzuführen. Die spärlichen Haare trägt er kurz, aber 
keinen Glatzenschnitt. Das Reden überlässt er seinem Verteidiger, der 
eine Erklärung verliest. Angaben zur Person, mehr nicht, zur Sache werde
 sich sein Mandant nicht äußern. S. sitzt nahezu regungslos an seinem 
Platz, lediglich die Kiefer mahlen sichtbar. Mehr Regung lässt er an 
diesem ersten Verhandlungstag nicht erkennen. Wenn er hinüberschaut zu 
den Nebenklägern, den "Zecken", wie er sie nennt, ist dennoch zu 
erkennen: Hier entsteht keine Freundschaft. Auf beiden Seiten nicht.
S. ist nicht irgendwer. Er hatte 2011 für die NPD bei der Landtagswahl 
kandidiert, war Wortführer der "Kameradschaft Südsturm Baden" und der 
"Freien Kräfte Ortenau", organisierte Kundgebungen zum Todestag von 
Rudolf Heß und zum Jahrestag der Deportation der südbadischen Juden nach
 Gurs, er hielt Kontakt zu anderen Gruppen aus der rechtsradikalen 
Szene. Die Liste ließe sich fortsetzen. S. war also eher Führer denn 
Mitläufer. Nachdem Antifaschisten ihn geoutet hatten, erschien im 
Internet ein Video von ihm: Er warte nur darauf, "dass einer mal 
angreift", dann könne er den "endlich mal die Klinge fressen lassen". 
Und: "Das Schöne daran, es wäre sogar Notwehr." Einen solchen Angreifer,
 eine "Zecke", mit einem Messer zu erstechen "muss doch ein Gefühl sein,
 wie wenn man kurz vor dem Ejakulieren ist". Der Kammervorsitzende trägt
 die Passagen vor, der BGH verlangt, dies müsse bei der Urteilsfindung 
berücksichtigt werden – wieder zeigt S. keine Regung, sondern sein 
freundliches, schmales Vertretergesicht.
Drei Tage nach Erscheinen des Clips hat S. in Riegel einen Angreifer 
angefahren. Einen aus der linken Szene, eine "Zecke", wie er sie nennt. 
Der Verletzte zog sich unter anderem eine Hirnblutung zu, lag auf der 
Intensivstation, musste später das Sprechen teilweise neu lernen. Sie 
habe die Sorge gehabt, er werde sterben, sagte die erste Zeugin in dem 
Revisionsverfahren. Sie ist Krankenschwester und wartete an jenem Tag 
auf dem Park-&-Ride-Platz auf eine Kollegin.
Das Geschehen spielte sich direkt vor ihren Augen ab. Sie habe eine 
Gruppe von sechs bis acht jungen Leuten auf sich zukommen sehen, alle 
schwarz gekleidet und vermummt. Sie habe Angst bekommen, das Auto 
verriegelt. "Da ist er" habe einer gerufen, dann seien alle losgerannt, 
in Richtung des Autos, in dem S. saß. Sie hätte gehört, wie das Auto 
losfuhr, die Reifen drehten durch, dann seien die Angreifer zur Seite 
gesprungen, der Hintere habe aus ihrer Sicht wohl nicht mehr ausweichen 
können und sei von dem Fahrzeug erfasst worden. Ein zweiter Zeuge sagt 
später aus, "es sah nach voller Absicht aus", er habe sofort die Polizei
 verständigt, weil es einen "Mordanschlag" gegeben habe.
Die Antifa-Leute wussten von der Soli-Party für den Südsturm in 
Bahlingen, sie kannten den Treffpunkt und wussten, wer den Fahrdienst 
übernommen hatte. Dass sie ihn attackieren wollten, steht außer Frage. 
In dem zweiten Prozess wird es daher erneut um die Frage gehen, wie weit
 das Notwehrrecht gilt. Selbst wenn die Möglichkeit bestanden hätte zu 
fliehen und so der Konfrontation auszuweichen, S. musste diesen Weg 
nicht wählen. Notwehr heißt, dass man sich – angemessen – wehren darf. 
Allerdings hätte das Landgericht die Vorgeschichte der 
Auseinandersetzung würdigen müssen. War es Notwehr, oder sah da einer 
die Chance gekommen, in die Tat umzusetzen, was er zuvor nur 
herbeifantasiert hatte?
Auch die Annahme, S. habe in Panik reagiert, die in erster Instanz 
entscheidend zum Freispruch beigetragen habe, müsse genauer begründet 
werden. Immerhin habe S. in einer polizeilichen Vernehmung angegeben, er
 habe verschiedene Fluchtwege und seine fahrerischen Möglichkeiten 
abgewogen. Das klinge gerade nicht nach Panik.
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