Ronny und Monique wollten ihre Heimatstadt Hoyerswerda nicht den Nazis überlassen - und wurden deshalb selbst Ziel von Bedrohung und Hetze. Die Polizei wusste sich nicht anders zu helfen, als die Opfer aus der Stadt zu bringen, damit endlich wieder Ruhe einkehrt. Die Geschichte einer Kapitulation.
Wann genau Monique und ihr Freund Ronny für ihre Heimatstadt Hoyerswerda
 zum Problem wurden, ist schwer zu sagen. Wann man in Hoyerswerda 
entschieden hat, das Problem Ronny und Monique ein für allemal zu 
beseitigen, das lässt sich genau datieren. Es ist der 17. Oktober 2012, 
als Ronny und Monique von Neonazis überfallen und bedroht werden. Nur 
einen Tag später bringt die Polizei sie aus der Stadt, eine Stunde 
Autofahrt entfernt, in ein altes Bauernhaus. Sie sollen sich verstecken.
 Denn in Hoyerswerda kann die Polizei sie nicht vor den Neonazis 
beschützen. Ein Jahr ist das her, seitdem versuchen sich Ronny und 
Monique an einem fremden Leben. In ihre Heimat können sie nicht mehr 
zurück.   
                        
                                                        
				
					
                        
                        Es ist 15 Minuten nach neun, am Abend des 
Überfalls, als Monique das erste Mal den Notruf wählt. 15 Neonazis haben
 sich Zugang zu ihrem Haus verschafft, stehen vor der Wohnungstür, 
treten und schlagen dagegen. Sie und ihr Freund hatten auf dem Sofa 
gelegen und ferngesehen, als es klingelte. Schon durchs Küchenfenster 
hatte Monique gesehen, wer da zu ihnen wollte: 14 Männer und eine Frau, 
in dunkler Kleidung, die Kapuzen der Sweatshirts in die Stirn gezogen, 
Sonnenbrillen vor den Augen, um die Hüfte tragen die meisten eine 
Gürteltasche, der Aufdruck: NS Hoyerswerda. Neonazis. Irgendjemand im 
Haus hat ihnen die Tür aufgedrückt, wenige Sekunden später sind ein paar
 von ihnen oben vor der Wohnung von Ronny und Monique. Trommeln, treten,
 schlagen gegen die Tür. »Komm raus, du Ratte, du Antifa-Sau, wir 
zerstören dich!«, ruft einer. »Wir machen dich tot!«, ein anderer. Ronny
 geht zur Tür, will durch den Spion schauen, aber der ist zugeklebt. 
Dann geht in der Wohnung das Deckenlicht aus und der Fernseher, auch die
 kleine grüne Anzeige am Radiowecker, am Herd, am Router: kein Telefon, 
kein Internet. Ihre Hunde fangen an zu winseln. Ronny ist sofort klar, 
was passiert ist.  
                        
                                                        
				
					
                        
                         Die Angreifer haben den Sicherungskasten im 
Treppenhaus entdeckt, und ihnen den Strom abgestellt. Die beiden hören, 
wie jemand mit einem Dietrich an ihrem Türschloss herummacht. Unten auf 
der Straße skandieren die übrigen Maskierten immer wieder »ANH«, 
»Autonome Nationalisten Hoyerswerda«. Oben, vor der Wohnungstür, brüllen
 die anderen: »Diesmal bringen wir dich um, du hast uns lange genug 
provoziert.«   
                        
                                                        
				
					
                        
                        Wann genau Monique und ihr Freund Ronny für ihre
 Heimatstadt Hoyerswerda zum Problem wurden, ist schwer zu sagen. 
Angefangen hat alles im Grunde schon Anfang der Neunziger, gleich nach 
der Wende. Die beiden waren elf. Moniques Lieblingsbuch zu dieser Zeit 
hieß Fünkchen lebt und handelt von der Freundschaft zweier 
Mädchen im Dritten Reich. Monique musste immer weinen, wenn sie an die 
Stelle im Buch gelangte, als die eine sich von der anderen abwendet, nur
 weil man ihr gesagt hat, dass jüdische Mädchen schmutzig sind. Später 
lernte Monique Hip-Hop-Musik kennen: Tanzte in ihrem Kinderzimmer zu Grandmaster Flash.
 Um diese Zeit brachte ihre große Schwester zum ersten Mal einen Jungen 
mit nach Hause. Einen, der speckige Schnürstiefel trug und schlecht über
 Menschen sprach, die er gar nicht kannte, nur weil sie anders aussahen 
als er. Monique fand das unfair und es erinnerte sie an das Gerede der 
Idioten in ihrem Lieblingsbuch. Rechte Parolen fand sie ätzend, ebenso 
wie die Lieder der Böhsen Onkelz, die fortan im Zimmer ihrer Schwester auf Endlosschleife liefen.   
                        
                                                        
				
					
                        
                        Bei Ronny war es noch einfacher. Sein bester 
Freund in der Schulzeit: Ahmed. Zu dem ging er nach der Schule zum 
Spielen, dessen Familie lernte er kennen und deren Abendessen schmeckte 
auch besser als die langweilige Brotzeit zu Hause. Wieso sollte er Ahmed
 hassen, nur weil seine Eltern vor Jahrzehnten aus der Türkei nach 
Deutschland gekommen waren? Das war ihm schleierhaft. Ronny und Monique,
 die sich damals noch gar nicht kannten, hatten noch nicht das, was man 
eine differenzierte politische Meinung nennt, doch sie wussten, was 
richtig und was falsch ist. Eins jedenfalls war klar: Stramme Neonazis 
würden aus ihnen nicht mehr werden. Eine gute Nachricht, eigentlich. Nur
 eben in Hoyerswerda nicht, dort ist das ein Problem.   
                        
                                                        
				
					
                        
                         Der Abend des Angriffs beweist das – und er ist
 noch nicht vorbei. Weiterhin wird gebrüllt, gegen die Wohnungstür von 
Ronny und Monique getreten und geschlagen. Jetzt wird auch Monique 
lautstark bedroht: Ihr stockt auch heute noch die Stimme, wenn sie das 
erzählt, sie weint, verdeckt ihr Gesicht hinter ihren schmalen Fingern, 
den blau lackierten langen Nägeln, schluchzt. Es dauert ein paar Minuten
 bis sie diese vier Sätze, die einer der Neonazis an sie gerichtet hat, 
wiederholen kann: »Ey Blondie, deine Muschi gehört mir heute Nacht. Wenn
 nicht heute dann morgen. Ich bin dafür bekannt. Ich bin extra für dich 
mitgekommen.«   
                        
                                                        
				
					
                        
                        Panik. Unablässig tritt jemand gegen die Tür. Es
 ist dunkel. Der erste Streifenwagen mit zwei Beamten ist zu diesem 
Zeitpunkt schon da, aber die Polizei tut nichts. Ronny schaltet auf 
Notwehr. Er geht davon aus, dass die Wohnungstür der Belagerung bald 
nicht mehr standhalten kann. Er gibt Monique Instruktionen. Sie soll 
sich ein langes Messer aus dem Schrank nehmen, eins, das durch den 
Körper geht. Von unten nach oben rammen, Messer im Fleisch drehen, wenn 
möglich, nicht wieder rausziehen, sondern für den nächsten Angreifer ein
 neues aus dem Schrank nehmen. Ronny sammelt Messer, er bewahrt sie 
hinter einer milchigen Scheibe in seiner Wohnzimmervitrine auf, wie 
andere Leute Sektgläser. Monique steht am Fenster, das Messer in der 
Hand, den Blick auf die Straße gerichtet, in der anderen Hand das Handy.
 Zweiter Notruf um 21 Uhr 55. »Was ist der Stand?«, fragt der Beamte am 
anderen Ende der Leitung. Bedrohung immer noch akut. Drei, vier Nazis 
oben im Treppenhaus, direkt vor ihrer Wohnungstür, etwa zehn unten vor 
der Haustür. Die rauchen, quatschen und skandieren »frei, sozial, 
national«. Beamte anwesend, aber untätig.   
                        
                                                        
				
					
                        
                        Erst um viertel nach zehn kehrt oben vor der 
Wohnungstür von Ronny und Monique Ruhe ein. Vor der Haustür unten auf 
der Straße geht die Belagerung weiter. Monique zählt 15 Neonazis und 
inzwischen sieben Polizisten, sie hört durch das gekippte Fenster, wie 
beide Parteien sich unterhalten. Kein scharfer Ton, eher Geplauder. Eine
 Beamtin duzt die Täter. Personalien werden keine aufgenommen. Auch die 
Rucksäcke und Gürteltaschen der Angreifer werden nicht kontrolliert. Am 
nächsten Tag wird die Polizei eine Pressemitteilung zu dem Vorfall 
herausgeben, in der sie den Ablauf des Einsatzes stark beschönt. Die 
Täter hätten bei Eintreffen der Polizei den Wohnblock verlassen, heißt 
es dort. Tatsächlich hat es zwei Stunden gedauert, bis die Polizisten 
die Neonazis zum Weiterziehen überreden konnten. Erst um elf Uhr ist 
endlich Schluss. 
Die Ausländer wurden längst aus Hoyerswerda vertrieben, nun sind auch die politischen Gegner dran
Einen Tag nach dem Überfall werden Ronny und Monique von einem 
Polizisten des Staatsschutzes aus ihrer Wohnung in der 
Robert-Schumann-Straße abholt. Monique hat einen lilafarbenen Rucksack 
über die Schultern geworfen, hält einen ihrer zwei Hunde an der Leine. 
Ronny trägt eine Tasche, darin Näpfe, Futter, Leinen, Hundekämme und ein
 paar Socken, eine Hose und drei Pullover für sich. Alles andere lassen 
sie zurück. Was aus ihren Sachen wird, daran denken sie gerade nicht. 
Sie wollen nur weg. Die Neonazis erst mal nicht weiter herauszufordern, 
das sei jetzt wichtig, hatte ein Polizist in der Nacht noch zu ihnen 
gesagt. Und der Sprecher des zuständigen Polizeireviers wird auf Anfrage
 später erklären: »Es ist einfacher zwei Leute wegzubringen, als 30 
Leute zu bewachen.« Und so passiert es auch. Etwa eine Stunde lang fährt
 der Polizist sie durch Sachsen, es wird dunkel, bevor sie auf dem Hof 
eines alten Bauernhauses ankommen, ihrem Versteck, das sie sich selbst 
organisiert haben – noch in der Nacht nach dem Überfall, über Facebook. 
Eine Bekannte hatte den Hof empfohlen und die dort lebende 
Wohngemeinschaft überzeugt, Ronny und Monique ein paar Tage zu 
verstecken. Aus ein paar Tagen werden dann vier Monate.  
                        
                                                        
				
					
                        
                        Wann genau Monique und ihr Freund Ronny für ihre
 Heimatstadt Hoyerswerda wirklich zu einem Problem wurden, ist schwer zu
 sagen. Denn zwei Kinder, die Rapmusik hören und mit Ausländern spielen,
 sind ja noch lange keine wehrhaften Gesinnungsgegner. Erst mal noch 
ungefährlich für die Neonazis, die in Hoyerswerda die Machtübernahme 
vorbereiten. Aber es gibt ein Erlebnis im Leben von Ronny und Monique, 
das sie geprägt hat. Eine Woche in der Geschichte ihrer Heimat, die sie 
dazu bewogen hat, gegen Ausländerfeindlichkeit einzustehen, nicht nur 
stumm dagegen zu sein.   
                        
                                                        
				
					
                        
                        Es ist der 18. September 1991. Neonazis belagern
 ein Wohnheim und bedrohen die Bewohner, hauptsächlich Vietnamesen und 
Mosambikaner. Monique ist zwölf, sie sitzt in ihrem Bett und liest, es 
ist schon sieben, dunkel draußen, aber ungewöhnlich laut: Gebrüll dringt
 in ihr Kinderzimmer, es riecht nach Rauch, sie hört Feuer knistern und 
knacken, Menschen schreien. Sie will wissen, was da los ist. Aber ihre 
Mutter schickt sie zurück in ihr Zimmer. Nichts sei los. Nichts, was sie
 etwas angehe. Sie solle das Fenster schließen.   
                        
                                                        
				
					
                        
                        Währenddessen steht Ronny am Tatort. Schaut zu, 
wie Pflastersteine ins Haus fliegen, Scheiben zerbersten, Gardinen 
brennen und drinnen im Haus Menschen verzweifelt hin- und herrennen. Die
 Neonazis schmeißen Molotowcocktails, versuchen, durch die kaputten 
Fenster ins Haus zu zielen, die Anwohner bejubeln jeden Treffer, sie 
rufen »Ausländer raus!« oder »Brennt die Bude doch ab!«. Ronny steht da 
und weint.   
                        
                                                        
				
					
                        
                        Zu Hause wurde nie darüber gesprochen, was an 
diesen Tagen in Hoyerswerda passiert ist: 120 ausländische 
Vertragsarbeiter wurden von etwa 40 Neonazis mit dem Tod bedroht. Rund 
600 Anwohner haben die Hetze mit Zustimmung begleitet. Am dritten Tag 
wurden die Opfer aus dem Ort gebracht und abgeschoben. Daraufhin nahmen 
sich die Neonazis das Flüchtlingswohnheim vor. Wieder Todesdrohungen, 
wieder kaputte Fenster, wieder Molotowcocktails, wieder mit Zustimmung 
vieler Anwohner. Und wieder kommt die Polizei zu dem Schluss, dass »eine
 endgültige Problemlösung nur durch Ausreise der Ausländer geschaffen 
werden kann«. Wenn die Nazis nicht provoziert werden, gibts auch kein 
Progrom – so geht Logik in Hoyerswerda.   
                        
                                                        
Neonazis gehören zum Stadtbild.
Danach war nichts mehr, wie es war. Zu viele hatten zugesehen, 
mitgegrölt und abgeklatscht. Der Rest von Deutschland war fassungslos, 
erschüttert, verurteilte die ganze Stadt. Und in Hoyerswerda? Rückte man
 zusammen. Wo trotzige Rechtfertigungen gebraucht wurden, waren die 
Parolen der Rechten zur Stelle. War doch gar nicht so schlimm, was 
wollten die auch hier, selber Schuld, erst mal Arbeit für Deutsche und 
überhaupt. Wer anderer Meinung war, war ein Verräter. Die 
Rechtsradikalen wurden laut und selbstbewusst, fingen an, »Leute 
wegzufangen«, wie Ronny sagt. Monique und er wurden oft weggefangen. 
Dann kriegte man ein, zwei Schläge ins Gesicht und ein paar Tritte in 
die Rippen, dann durfte man wieder laufen und sich noch mal überlegen, 
ob man nicht doch lieber rechts sein möchte. Aber Ronny und Monique 
hatten sich entschieden. Fortan trugen sie rote Nickitücher ums 
Handgelenk als Zeichen, dass sie sich gegen Ausländerhass einsetzen 
würden. Die Neonazis trugen weiße Tücher. 1991 war das Jahr der 
Entscheidung. Dafür oder dagegen? Rechts oder links? Mitte gilt nicht.  
 
                        
                                                        
				
					
                        
                        Seitdem sind mehr als 20 Jahre vergangen. Aber 
wer heute durch Hoyerswerda geht, kann sehen, wie man sich hier 
entschieden hat. Neonazis gehören zum Stadtbild. In dunkler Montur, mit 
festen Schuhen mit glänzenden Kappen und Neonazi-Aufnähern am 
Kapuzen-Sweatshirt stehen sie neben dem Netto-Discounter an der 
Albert-Schweitzer-Straße, neben dem Bäcker am Lausitzer Platz und an 
anderen zentralen Orten. Sie grölen, tönen, machen Schussgeräusche, und 
wenn man ihnen den Rücken zudreht, rotzen sie hinter einem auf den Boden
 oder treten gegen Mülleimer. Wer sich erschrocken umdreht, wird 
verhöhnt. Sie genießen die Angst der Passanten. Wer kann, ist längst aus
 Hoyerswerda weggezogen. Die Einwohnerzahl hat sich seit 1991 fast 
halbiert. Ausländer sieht man ohnehin kaum, sie machen hier nur 1,3 
Prozent der Bevölkerung aus. In vielen deutschen Kleinstädten ist ein 
Ausländeranteil von acht Prozent üblich. Im Bundesdurchschnitt sind es 
zehn Prozent.   
                        
                                                        
				
					
                        
                        Als Nächstes, so scheint es, wollen die Neonazis
 ihre Gesinnungsgegner loswerden. Die Opferhilfe Sachsen hat für ihr 
Bundesland im vergangenen Jahr 999 Opfer rechts motivierter Gewalt 
dokumentiert. 2012 richteten sich mehr Angriffe gegen politische Gegner 
der Rechten als gegen Ausländer oder ausländisch aussehende Menschen 
selbst. Gegen Couragierte, die ihre Heimat lieben und nicht aufgeben 
wollen. So wie Ronny und Monique. Auch im Landtag von Sachsen wird der 
Fall der beiden 34-Jährigen diskutiert. Die Linken bringen einen Antrag 
ein; fordern Aufklärung über die Versäumnisse der Polizei an jenem Abend
 und besseren Opferschutz für alle, die sich gegen rechte Gewalt 
starkmachen. Grüne und SPD stimmen dafür. Sachsens Innenminister Markus 
Ulbig windet sich; räumt zwar ein, dass Sachsen ein Problem mit 
Rechtsextremismus habe und dass es eigentlich nicht angehe, dass die 
Bürger in ihrem Zuhause nicht mehr sicher seien. Aber dann stimmt seine 
Partei, die CDU, gegen den Antrag. Genau wie FDP und NPD.   
                        
                                                        
				
					
                        
                         2. Februar 2013. Dunkle Schneereste säumen den 
schmalen Schotterweg, der zu dem Bauernhaus führt, in dem die beiden 
leben. Seit drei Monaten sind sie schon hier. Eine Wohngemeinschaft aus 
Sozialpädagogen, Lehrerinnen und Politikern hat sie aufgenommen und 
ihnen ein Zimmer frei geräumt. Acht Quadratmeter teilen sich nun Ronny 
und Monique mit ihren zwei Hunden. Auf dem Boden liegt eine Matratze, 
rechts daneben steht auf einem Hocker Moniques Laptop, zwei 
Nagelackfläschchen, ein Nagellackentferner, eine Feile. Monique 
beschäftigt sich gern mit ihren Nägeln. Selbst hier, wo sie Jogginghose 
trägt, das Gesicht rot an Wangen und Nase vom vielen Weinen, die Augen 
verquollen, die Blondierung zwei Fingerbreit rausgewachsen, sind ihre 
Nägel perfekt lackiert. Sie macht das gern, es beruhigt sie und dauert 
gerade so lange, wie sie sich konzentrieren kann, ohne Kopfweh zu 
bekommen.   
                        
                                                        
				
					
                        
                        Bei Ronny genauso: Er hat früher auf RTL 2 gern 
eine Sendung geguckt, in der Experten irgendwelchen Leuten dabei helfen,
 den Krempel aus ihrem Keller zu Geld zu machen. Diese Sendung dauert 
eine halbe Stunde. Ronny kann ihr nicht mehr folgen. Hunger haben sie 
auch keinen. Unter Ronnys Wangenknochen verläuft ein dunkler Schatten, 
so eingefallen sind die Wangen, auch seine Augen sind rot. Jeder Tag ist
 gleich: Sie haben Angst, Langeweile und rauchen. Ronny malt manchmal 
mit Filzstiften Vorlagen für Graffiti in einen Malblock. Er hat früher 
viel gesprüht, Hakenkreuze mit Peace-Zeichen übermalt. Den Block und die
 Stifte haben ihm seine Mitbewohner aus dem nächstgelegenen Kaufland 
mitgebracht. Er selbst und Monique können dort nicht hin. Sie würden 
sofort auffallen. Nur mit den Hunden gehen sie raus, aber bleiben immer 
in der Nähe des Hauses, am Waldrand. Sonst gibt es nichts zu tun für 
sie. Das macht ihnen am meisten zu schaffen. Manchmal schreiben ihnen 
Bekannte aus Hoyerswerda Nachrichten über Facebook, dass nun, wo sie weg
 sind, niemand mehr irgendwas tut gegen die Rechten. 
Während alle damit beschäftigt sind, sich nicht einzumischen, machen die Neonazis sich breit.
Von 2500 gewaltbereiten Neonazis in Sachsen geht der Verfassungsschutz 
aus, von etwa 25 in Hoyerswerda. Aber 25 Leute sind mächtig, wenn alle 
anderen Einwohner ihre Meinung nicht mehr laut aussprechen. Am Abend des
 Überfalls hat eine Nachbarin die Tür geöffnet, um nachzusehen, woher 
der Lärm kam. Als sie sah, wer dort pöbelt, hat sie sie gleich wieder 
zugezogen und abgeschlossen. Auch sie saß über Stunden im Dunklen, auch 
ihr Spion an der Wohnungstür war abgeklebt, aber Anzeige erstatten will 
sie nicht. So schlimm war es ja nicht. Selbst anonym will keiner der 
Anwohner über den Abend reden. Keiner hat was gehört, keiner was 
gesehen. Und während alle damit beschäftigt sind, sich nicht 
einzumischen, machen die Neonazis sich breit.   
                        
                                                        
				
					
                        
                        Häuserfassaden, Ladenlokale, Mülleimer, 
Lampenmasten, Sitzbänke – alle städtischen Flächen sind mit 
rechtsradikalen Phrasen besprüht, mit Plakaten tapeziert oder Aufklebern
 beklebt. Seit Ronny und Monique nicht mehr in Hoyerswerda leben, gibt 
es wieder zwei Menschen weniger, die sich dagegen wehren. Alle paar Tage
 haben Ronny und Monique ihre Tour gemacht, durch die 
Plattenbausiedlung, in der sie lebten, vorbei am Lausitz-Center, bis 
rüber zum Büro der Linken in der Dietrich-Bonhoeffer-Straße. Jeden 
Nazi-Aufkleber, den sie gesehen haben, haben sie abgekratzt. Früher war 
Ronny mal radikaler unterwegs. Als Jugendlicher hat er viele Monate im 
Gefängnis gesessen, wegen Körperverletzung. Seine Clique aus Türken und 
Linken geriet immer wieder in Kämpfe mit den Neonazis – und er hat oft 
zu fest zugeschlagen. Als er rauskam aus dem Jugendgefängnis, er war 
damals 22, hat er sich geschworen, sich von dieser Art Ärger 
fernzuhalten. Aber keine Haltung mehr haben, das kann er nicht. Deshalb 
entfernten sie Aufkleber. Es ist eine ruhige Art des Protests: Hand in 
Hand gingen die beiden durch die Straßen ihrer Stadt, haben sich 
unterhalten und zwischendurch an irgendwelchen Masten herumgeschabt. 
Klingt harmlos, aber war offenbar ein Problem. Das hatte der Neonazi 
damals vor ihrer Tür gemeint, als er gebrüllt hat, die beiden hätten ihn
 und seine Kameraden nun lange genug provoziert.   
                        
                                                        
				
					
                        
                        Ende Februar 2013 finden Ronny und Monique 
endlich eine Wohnung in einer deutschen Großstadt. Den Umzug haben sie 
unter Polizeischutz gemacht, ihre Mütter hatten ihn vorbereitet. Abends,
 wenn es schon dunkel wurde, waren sie mit Taschenlampen in die Wohnung 
ihrer Kinder geschlichen und hatten Kartons gepackt. Als sie am Abend an
 ihrem neuen Wohnort ankommen, fühlen sie das erste Mal seit Monaten 
wieder Hoffnung. Es wird schon gehen, denken sie. Alles wird besser 
werden. Aber die Angst holt sie bereits nach ein paar Tagen wieder ein. 
Wenn sie durch ihre neue Stadt gehen, gehen sie schnell. Den Weg legen 
sie vorher auf dem Stadtplan fest. Sie durchqueren nur Viertel, in denen
 mehrheitlich grün, rot oder links gewählt wird. Wenn sie Neonazis 
sehen, schauen sie weg. 
Und sie sehen ständig welche. Die Stadt ist eine
 andere, durch ihre Augen betrachtet, weil sie alle Codes erkennen: Sie 
bemerken jedes noch so kleine Thor-Steinar-Logo, sie achten auf den Sitz
 von Gürteltaschen, wie Tücher gebunden sind, sie bemerken weiße 
Schnürsenkel in schwarzen Schuhen; Zeichen, Farben, Zahlenkombinationen –
 alles lässt sie aufschrecken. Monique zieht Ronny an rechten Aufklebern
 vorbei. Und Ronny ermahnt Monique, nicht nächtelang auf den 
Facebook-Profilen der Täter herumzuhängen. Sie können sich immer noch 
nicht konzentrieren, nicht mal für die Dauer einer Doku-Soap auf RTL 2. 
Sie leben von Hartz IV, vorher in Hoyerswerda hatte Monique einen Job im
 Edeka. Immerhin. Eigentlich ist sie Kauffrau für Bürokommunikation und 
Tischlerin. Aber in ihren beiden Berufen gab es in Hoyerswerda keine 
Arbeit. Ronny ist Forstwirt, aber für ihn gab es auch nichts. Im August 
2013 lag Ronny zwei Wochen im Krankenhaus. Seine Lunge ist wieder 
zusammengeklappt, so wie damals, eine Woche nach dem Überfall. Stress, 
sagen die Ärzte. Von Monat zu Monat werden die beiden schmaler, die 
Schatten unter ihren Wangenknochen dunkler. »So wie unser Leben jetzt 
gerade ist, darf es nicht mehr lange bleiben«, sagt Monique. Sie haben 
keine Kraft mehr.   
                        
                                                        
				
					
                        
                         Am 19. November wird der Fall von Ronny und 
Monique am Jugendgericht von Hoyerswerda verhandelt werden. Die beiden 
haben Angst vor dem Prozess. Dabei ist ihnen das Strafmaß für die Täter 
völlig egal. Sie wollen nur eins, dass endlich mal festgestellt wird, 
dass nicht sie das Problem sind.
