LevelUP goes Greece - part 1

„from the exception of state to the constituency of movements”

Unter dem Motto „from the exception of state to the constituency of movements” fand vom 04.-06.09. im griechischen Thessaloniki das Festival der direkten Demokratie statt, zu dem die Genoss*innen der antiautoritären Bewegung Alpha Kappa (A.K.) europaweit eigenladen hatten. Den Abschluss bildeten schließlich die Proteste gegen die jährliche Rede zur Lage der Nation des griechischen Ministerpräsidenten anlässlich einer Handelsmesse in Thessaloniki, was eines der wichtigsten jährlichen politischen Ereignisse Nordgriechenlands ist. Wir nahmen als Gruppe diese Einladung wahr und im Folgenden wollen wir nun unsere Eindrücke schildern.

 

Montag 02.09.

 

Am Tag unserer Ankunft wurde in Thessaloniki ein Squat von den Bullen geräumt, weshalb wir uns erst mal in einer etwas chaotischen Situation widerfanden, da wir in einem besetzten Haus untergebracht waren, das ebenfalls akut räumungsbedroht war, bzw. ist. Dementsprechend unruhig waren die ersten Nächte, aber nach wenigen Tagen entspannte sich die Bedrohungslage dann doch deutlich. Allgemein ist auch in Griechenland die Entwicklung festzustellen, dass in den letzten Monaten sehr viele Squats geräumt wurden, obwohl diese oft jahrelang toleriert wurden. Hierbei wird auch von den Bullen nicht unterschieden, ob es sich um reine Wohnprojekte handelt, oder um social centres.

 

Social centres sind dabei aber nur bedingt mit AZ´s zu vergleichen. Zwar liegt der selbe Ansatz von selbstverwalteten Freiräumen zu Grunde, aber bei AZ´s ist es leider doch oft so, dass diese aufgrund ihrer Außenwirkung, ihres Kulturangebots oder Ambientes eben nur ein bestimmtes Klientel anziehen, das mehr oder weniger der Radikalen Linken zuzuordnen ist. Währenddessen sind social centres in Griechenland offener für größere Bevölkerungsgruppen. Dies lässt sich am Beispiel des social centres „Mikropolis“ im Zentrum Thessalonikis verdeutlichen. Dieses ist zwar anders als viele andere social centres in anderen Stadtteilen nicht besetzt, sondern legal gemietet, aber trotzdem selbstverständlich selbstverwaltet und wird von ca.100 Personen getragen. Dort gibt es bspw. einen Supermarkt für (landwirtschaftliche) Produkte, die ohne Zwischenhändler vertrieben werden, einen Copyshop und Internetcafé, einen Trainingsraum für antifaschistische Sportgruppen, eine Bibliothek, Seminarräume, Büros und einen offenen Barbetrieb. Gerade durch den offenen Betrieb ist das Mikropolis für viele Menschen aus diesem Viertel ein beliebter Treffpunkt.

 

Dienstag 03.09.

 

Wir Gäste aus dem deutschsprachigen Raum (ca. 40 Leute aus verschiedenen Städten und Staaten) konnten an diesem Tag die selbstverwaltete Fabrik Vio.Me besuchen. Diese wurde im Sommer 2011 von den Arbeiter*innen besetzt, nachdem die alten Eigentümer Konkurs anmeldeten und die ausstehenden Löhne nicht zahlten. Schon davor organisierten sich die Arbeiter*innen in einer Basisgewerkschaft, im Rahmen derer sich dann auch beinahe im Konsens entschieden die Fabrik selbstverwaltet weiterzuführen. Dazu eigneten sie sich die Lagerbestände der alten Fabrik an, die ihnen gleichzeitig als Grundkapital, als Ausgleich für die ausstehenden Löhne und als Versicherung gegen eine Räumung dienen, da wohl angekündigt wurde im Falle einer Räumung diese Waren im Wert von ca. 500.000 Euro anzuzünden.

 

Die ersten Monate unter der Selbstverwaltung waren für die Arbeiter*innen sehr hart. So waren diese auf Lebensmittel- und Geldspenden von Unterstützer*innen angewiesen, ehe die Produktion umgestellt wurde und so wieder anlaufen konnte. Zuvor wurden Baumaterialien hergestellt und nun Putzmittel auf ökologischer und veganer Basis. Allerdings wurden diese nicht nur durch Spenden unterstützt, sondern vor allem auch durch das Know-how in Sachen Selbstorganisierung und Selbstverwaltung, das ihnen von Unterstützer*innen von A.K. angeboten wurde.  Aktuell arbeiten 38 Personen in dieser Fabrik, die mittlerweile nicht nur von den hergestellten Produkten leben können, sondern mehr verdienen als vor der Besetzung, obwohl die Produkte wesentlich günstiger sind, als vergleichbare Produkte, die kapitalistisch vertrieben werden. Allerdings ist es den Arbeiter*innen nicht nur wichtig ihre Produkte zu verkaufen, sondern vor allem ihre Idee der selbstverwalteten Produktion verbreitet sehen möchten. Deshalb wird auch großen Wert auf Öffentlichkeitsarbeit gelegt, da ihnen klar ist, dass sie als „isolierte Insel im Meer des Kapitalismus“ nicht ewig überleben werden.

 

Entscheidungen in der Fabrik werden basisdemokratisch durch eine Vollversammlung getroffen, wobei zwar Wert darauf gelegt wird im Konsens zu entscheiden, es allerdings auch Mehrheitsentscheide gibt, um so die Handlungsfähigkeit zu wahren. Hinsichtlich der Arbeitsorganisation wird darauf Wert gelegt, dass alle mit allen Aufgaben vertraut sind, weshalb auch regelmäßig die Arbeitsplätze getauscht werden. Dadurch wird auch die Verwaltung gemeinschaftlich erledigt, ebenso wie die 24/7 Bewachung der angeeigneten Produktionsmittel. Diese Wachschichten dauern auch 8h, während in der Produktion abhängig von der zu erledigenden Arbeit maximal 6h gearbeitet wird.

 

Aktuell ist Vio.Me illegal, weshalb gerade aufgrund der derzeitigen Repressionswelle eine Räumung befürchtet wird. Deshalb liegt momentan das Hauptaugenmerk der Arbeiter* innen und Unterstützer*innen auf dem Erringen eines sicheren Status. Daher befindet sich Vio.Me in einer juristischen Auseinandersetzung mit den Behörden, um eine Legalisierung und eine Anerkennung als Kooperative zu erreichen. Falls dies gelingen sollte, wäre es

auch möglich deren Produkte in Deutschland zu nutzen, was bislang nur eigeschränkt möglich ist, da die Produkte geschmuggelt werden müssen und dies nur in kleinen Mengen möglich ist.

 

Mittwoch 05.09.

 

Am 05.09. begann das Festival der direkten Demokratie, das in diesem Jahr zum vierten Mal stattfand und von den Genoss*innen von A.K. organisiert wurde. Dies ist eine Mischung aus einem Kongress und Partys und findet auf dem Gelände der Universität statt. So finden nachmittags und abends Workshops und Podiumsdiskussionen statt und anschließend gibt es auf dem Campus bis in die frühen Morgenstunden Konzerte.

In diesem Jahr standen im inhaltlichen Teil verschiedene Prozesse der Selbstorganisierung in Griechenland und die Vernetzung und Verknüpfung von sozialen Bewegungen in Europa im Vordergrund. So gab es am ersten Abend eine Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen von Vio.Me, ERT und dem movement 136 zum Thema: „The struggle for the defense and self-instituting common“.

 

Vor einigen Monaten hat die griechische Regierung den öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsender ERT praktisch über Nacht unter dem Vorwand der Kosteneinsparung geschlossen. Allerdings war es offensichtlich, dass diese zu kritisch über die Austeritätspolitik der griechischen Regierung und der Troika berichteten. Einige Studios des ERT-Netzwerks wurden daraufhin von den Journalist*innen besetzt und selbstverwaltet weitergeführt. Diese müssen ihre Inhalte mittlerweile über das Internet verbreiten. Hierbei war interessant zu erfahren wie ehemals bürgerliche Journalist*innen durch die gegen sie selbst gerichtete Maßnahmen politisiert werden und durch den Wegfall der Hierarchien in dem Sender nun basisdemokratisch arbeiten und laut eigenen Aussagen nicht mehr „nur ihren Job tun, sondern an der Revolution arbeiten“.

 

Ein anderes großes Konfliktfeld ist momentan in Thessaloniki eine anstehende Privatisierung der Wasserversorgung, die eine Auflage der Troika ist und von einem überwiegendem Teil der Bevölkerung abgelehnt wird, da Preisanstiege und ein Qualitätsverfall befürchtet werden. Als Gegenmaßnahme gibt es den Ansatz, dass sich die Haushalte ihre Wasseruhren selbst kaufen, sich in einer Genossenschaft organisieren und dadurch die Wasserversorgung nicht an ein gewinnorientiertes Unternehmen fallen würde. Dies wäre für 136 Euro pro Haushalt möglich, worauf sich der Name des movement 136 bezieht. Allerdings wurden diese von der Ausschreibung der Wasserversorgung ohne Begründung ausgeschlossen, obwohl alle Voraussetzungen erfüllt wurden und so befinden sich diese derzeit in einem Rechtsstreit.

 

Im zweiten Teil wird es um die restlichen Inhalte des Festivals, die Proteste gegen die Rede Samaras´, die Bewegung gegen die Goldminen in Chalkidiki und eine Einschätzung der aktuellen Entwicklungen in Griechenland gehen.