Absturz im Netz

Erstveröffentlicht: 
04.07.2013

Als Pfleger in einem Kinderhort führte Klaus R. ein ganz normales Leben – bis er als Chef des größten deutschen Neonazi-Forums Thiazi aufflog. Nun ist er als Volksverhetzer angeklagt. In der Szene gilt er als Verräter.

 

Von Thomas Schade

Keine Pizza, keinen Tee, kein Wasser. Seit kurz vor neun Uhr sitzt Klaus R. mit zwei Beamten des Bundeskriminalamtes in einem Zimmer des Rostocker Polizeipräsidiums, beantwortet eine Frage nach der anderen. Nachmittags um drei hat er immer noch keinen Hunger. Was da in den letzten Stunden passiert sei, sei ihm auf den Magen geschlagen, sagt der 31-Jährige den Beamten.

An diesem 14. Juni 2012 hatten Elitepolizisten in aller Frühe die Tür zu seiner kleinen Wohnung eingeschlagen, ihn zu Boden gerissen und gefesselt. Klaus R. lebt in einem Mehrfamilienhaus in Barth, nicht weit vom Markt und vom Wasser, wo man über den Bodden zur Halbinsel Zingst schaut. Zwar war das Sondereinsatzkommando schon morgens um fünf in die Wohnung gestürmt, geschlafen aber hat Klaus R. da schon nicht mehr. Er saß am Computer und war in dem Internetforum, das er aufgebaut und jahrelang betrieben hatte: das rechtsextremistische Thiazi-Netzwerk, die größte deutschsprachige Quasselbude für Neonazis im Internet.

An jenem Morgen waren Polizisten, Spezialeinheiten und Staatsanwälte in elf Bundesländern unterwegs, um die Aktivisten der „germanischen Weltnetzgemeinschaft“, wie sie sich selbst nennen, festzunehmen. Sie hatten weit über eine Million Foreneinträge gesammelt – darunter mehrere Tausend Liedtexte und Musiktitel, die wegen volksverhetzender Inhalte auf dem Index stehen. Fast vier Jahre lang hatten die Ermittler nach den Administratoren des Netzwerks gesucht.

Benannt war das Forum nach Thiazi, einem Riesen aus der germanischen Mythologie, der die Gestalt eines Adlers annahm, um nach Midgard zu fliegen, aus dem „Herr der Ringe“ auch bekannt als Mittelerde. Eine Reise, die er mit dem Leben bezahlte.

Im Juni vorigen Jahres stürzte auch das Thiazi-Forum jäh ab. Die Abschaltung war der zweite große Schlag gegen die wachsende Internetpräsenz von Rechtsextremisten. Zuvor war bereits das Neonazi-Infoportal Altermedia vom Netz genommen und der Betreiber, Axel Möller, zu 30 Monaten Haft verurteilt worden. Obwohl Möller, der in Stralsund lebt, seit November 2011 in Haft sitzt, war das Portal vier Wochen später im Netz wieder erreichbar.

Die folgenden Ermittlungen zeigten, dass nicht nur Altermedia, sondern auch Thiazi von der Ostseeküste aus betrieben worden war. Die beiden Administratoren der Plattformen leben nur etwa 20 Kilometer voneinander entfernt, kennen einander aber offensichtlich nicht. Während sich der 49 Jahre alte Altermedia-Betreiber Axel Möller nach einer kurzen NPD-Karriere heute selbst als „freier Nationalist“ bezeichnet, hat der fast 20 Jahre jüngere Klaus R. bis vor einem Jahr völlig unauffällig in dem Ostseeort gelebt, in den er als Kind gekommen war und wo er seit vielen Jahren den Beruf ausübte, den er auch erlernt hatte. Klaus R. ist Erzieher und betreute im städtischen Kinderhort „Villa Kunterbunt“ bis zu seiner Festnahme täglich 20 Drittklässler. Nie hatte sich jemand über ihn beschwert, keiner hatte bemerkt, dass der junge Mann ein Rechtsextremist sein könnte.

Ein Jahr nach dem turbulenten Tag, an dem das Bundeskriminalamt Klaus R. mehr als zehn Stunden vernommen hatte, erhob die Rostocker Staatsanwaltschaft Anklage gegen den 31-Jährigen und drei Komplizen. Als Rädelsführer einer kriminellen Vereinigung soll er für jahrelange Volksverhetzung im Internet verantwortlich sein.

Äußern möchte er sich nicht zu den Vorwürfen. Zu groß sei sein Misstrauen, dass ihm die Worte im Mund umgedreht werden könnten, sagt er am Telefon. Doch was er nach seiner Festnahme dem Bundeskriminalamt erzählt hat, das kursiert mittlerweile im Internet – ausgerechnet im wiedereröffneten Neonazi-Portal Altermedia. Veröffentlicht offenbar von Leuten, in deren Augen Klaus R. ein Verräter zu sein scheint.

Klaus R. war 1981 in Rostock zur Welt gekommen. Weil es zu Hause nicht gut lief, trieb er sich eine Weile in Abrisshäusern herum, lebte seit dem 14. Lebensjahr im Jugendheim in Barth, ging dort auf die Realschule, schaffte die zehnte Klasse und machte seine Lehre. Glaubt man dem, was er der Polizei sagte, so schloss er sich mit 13oder 14 Jahren den Skinheads an. Um zu provozieren, wie er sagt, ließ er sich das Wort „HASS“ auf den Körper tätowieren und fuhr zu Konzerten, wo Nazibands spielten wie „Sturm Mecklenburg“ oder „Oidoxie“. Irgendwie sei er dabeigeblieben, habe aber keinen richtigen Kontakt mehr zur Szene, abgesehen von den virtuellen Kontakten im Thiazi-Forum. Nach eigenen Worten war er dessen „Anführer“.

2004 oder 2005 begann Klaus R., unter dem Namen „Modi“ im Nationalen Forum zu schreiben. Vom Betreiber dieser Plattform übernahm er später dessen Tarnnamen „WPMP3“, was so viel heißen soll wie „White Power MP3“. Unter diesem Namen existierte schon Ende der 1990er-Jahre ein Neonazi-Musikforum.

Unklar ist, ob Klaus R. auch dort schon mitmischte. In jedem Fall sei das Thiazi-Forum auf seinem „Mist gewachsen“, sagte er der Polizei. Ein „Ort der Meinungsfreiheit“ sollte es sein. „Hardliner“ habe er nicht im Forum haben wollen. Dafür wurde er schon mal als Zensor beschimpft. Irgendwann sei es ein „Selbstläufer“ geworden.

Als das Bundeskriminalamt das Thiazi-Forum am 14. Juni 2012 vom Netz nimmt, findet es rund 2400 Liedtexte und 1400 Musik-Downloads, deren Inhalte fast alle auf dem Index stehen. Darin wird „zum Hass gegen Ausländer, Juden und Menschen anderer Hautfarbe aufgestachelt“, teilt die Behörde mit. In anderen Bereichen des Forums findet man Beiträge, in denen die NS-Herrschaft im Dritten Reich verherrlicht wird. Die Betreiber können lange unbehelligt agieren, ihre Server liegen in den USA. Anonymität hat höchste Priorität.

Außer Klaus R. haben mehrere von ihm ernannte „Betreuer“, „Moderatoren“, „Organisatoren“ und „Archivisten“ das Forum mitgestaltet. Auch von ihnen führten einige ein unauffälliges bürgerliches Leben.

So lebte „Fjörgyn“, die Technikerin des Forums, unscheinbar und zurückgezogen als Hausfrau in einem kleinen Ort bei Heilbronn. Bei „Enibas“ soll es sich um eine Mutter von zehn Kindern aus Mannheim handeln. Und „Krafft“, angeblich der Chefmoderator und die Nummer drei im Forum, soll Leiter einer Pflegestation in Nordrhein-Westfalen gewesen sein und als Deeskalationstrainer sogar Polizisten und Justizbeamte ausgebildet haben.

Für „Hardcoreleute“, wie Klaus R. sie nennt, gab es das „NSPF“, das „nationalsozialistische Privatforum“, ein abgeschotteter Bereich, in dem Neonazis Klartext schreiben konnten. Im offenen Forum soll ein Hakenkreuz ihr Zeichen gewesen sein. Erst im Frühjahr 2009 kommt der Staatsschutz – anscheinend durch Hinweise eines V-Mannes – dem Betreiber des Forums auf die Spur. Spätestens seit März 2009 kennen die Ermittler den Namen von Klaus R. und wissen, dass im Thiazi-Händlerbereich Tonträger mit strafrechtlich relevanten Inhalten gedealt werden. Reichlich Hilfe erhalten die Beamten von einer Antifa-Gruppe, die das Forum 2010 hackt und Mitglieder outet.

Dabei werden insbesondere rassistische und volksverhetzende Inhalte aus dem Forum der Hardcoreleute bekannt. Zu denen gehört mit rund 2000 Einträgen auch „Saxus“ – ein offenbar im Raum Freiberg lebender Mann. Er benutzte gern Begriffe wie „Nigger“, „Pack“ und „vom Baum gekletterte Affen“, wenn er über Vertragsarbeiter aus Afrika oder Kuba in der DDR schrieb. Offenbar war „Saxus“ Zeuge, wie Polizisten einen Mosambikaner misshandelt haben. Er schrieb: „Der Schmarotzer sah aus wie Jesus auf dem Kreuzgang.“ „Saxus“ gab zudem Ratschläge, wie man den Holocaust öffentlich widerlegen könne, ohne sich selbst zu kriminalisieren. Bei dem Mann soll es sich um einen NPD-Kreisrat im Erzgebirge handeln. Der leugnet jedoch, „Saxus“ zu sein.

Nach dem Hack sollten mehr als drei Jahre vergehen, ehe der Staatsschutz die „germanische Weltnetzgemeinschaft“ zumindest virtuell auflöst. Rund 20000 Personen, viele davon Neonazis, hatten zu diesem Zeitpunkt bei Thiazi geschrieben.

Klaus R. wird nach drei Monaten aus der U-Haft entlassen. Nach Angaben des Landgerichts Rostock gibt es noch keinen Termin für den Prozess. Dem 31-Jährigen ist mittlerweile nicht mehr ganz wohl bei dem Gedanken, dass er Neonazis jahrelang die größte Plattform im deutschen Sprachraum zur Verfügung gestellt hat. Selbst sehe er sich als Freigeist und nicht als Neonazi. In seinen E-Mails kann man so etwas wie Reue zwischen den Zeilen lesen, wohl auch, weil sich viel in seinem Leben verändert hat. Beispielsweise verlor er seinen Job. Seine Schuld hingegen will er nicht abwälzen. Zumindest schreibt er das.