Der NSU-Prozess – der Pannendienst und der Teufel… steckt im Detail
Am 6. Mai 2013 wurde der bereits verschobene NSU-Prozess eröffnet und gleich wieder verschoben. Nachdem die Generalbundesanwaltschaft und das OLG München den Nationalsozialistischen Untergrund/NSU auf ein überlebendes Mitglied minimiert hatten, drehte sich zu Prozessbeginn alles um Beate Zschäpe.
»Die Staatsfeindin Nummer 1 trägt einen schwarzen Hosenanzug, die weiße Bluse lässig über der Hose. Schwarze Halbschuhe, große silberne Creolen in den Ohren. Das Haar offen und vom Gefängnis-Friseur für 10 Euro kastanienbraun getönt, schlendert sie um 9.55 Uhr in den Gerichtssaal A 101, die Arme vor der Brust verschränkt.« (Bild).
Als hätten alle Medienvertreter ganz freiwillig verstanden, platzierte man sie auf dem Laufsteg der Berichterstattung. Beate Zschäpe von hinten, von vorne, von der Seite. Alle durften empört sein, alle durften maßlos enttäuscht sein: Eine Nazifrau darf keinen schwarzen Hosenanzug tragen – so die einhellige Kleiderordnung der medialen Öffentlichkeit. Wie soll, wie darf ein neonazistisches Kadermitglied aussehen? Wie muss sie gekleidet sein, dass die mediale Öffentlichkeit zufrieden, angenehm schockiert ist? Soll sie ein T-Shirt tragen, mit der Zahl 18 drauf? Soll sie ein Tattoo sichtbar tragen, auf dem ein Hakenkreuz oder das Emblem von ›Blood & Honour‹ zu sehen ist? Damit jeder aufrechte Demokrat sofort erkennt: So sieht Neonazismus aus? So sehen ›wir‹ nicht aus?
Beate Zschäpe enttäuschte nicht nur, was ihr Outfit angeht, sie enttäuschte auch in ihrer Haltung. Unisono wird sie als entspannt, unbeschwert, freundlich, locker, aufmerksam, gesprächig beschrieben. Wie hätten es denn die Medien gern: Eine Nazifrau, die ihre KameradInnen mit einem Nazi-Gruß begrüßt? Eine, die schreit, Naziparolen möglichst hasserfüllt brüllt? Eine Nazifrau, die an den Nägel kaut, die nervös ist, sich versteckt?
Die Medien waren schlichtweg mit Beate Zschäpe nicht zufrieden: Sie sollte wie ein schreckliches Monster aussehen, eine, die ganz sicher nicht zu ›uns‹ gehört, die mit ›uns‹ nichts gemein hat! Jetzt kann man sie kaum von ›uns‹ unterscheiden.
Das bereitet gerade jenen Medien große Sorge, die mit rassistischen und nationalistischen Theoremen (von der ›Asylantenflut‹ bis hin zu den ›faulen Griechen‹) kein Problem haben, aber mit der Blutspur, die sie hinterlässt, nichts zu tun haben möchten. So titelte die BILD-Zeitung ein Tag nach Prozesseröffnung: ›Der Teufel im schwarzen Kleid‹. Endlich war die Welt wieder in Ordnung: Ein Teufel, der sich nur verkleidet hat, der uns alle täuschen wollte, aber dank BILD uns nicht täuschen kann!
Wundersam auch die rührende Sorge der medialen Öffentlichkeit um die Opfer der NSU-Morde. Dreizehn Jahre lang waren sie ihnen einen Cent, keine Zeile wert. Dreizehn Jahre hat die mediale Öffentlichkeit sie nicht in Schutz genommen, dreizehn Jahr lang dauerten die Unterstellungen an, sie hätten etwas mit den Morden zu tun, hätten irgendwie selbst (Mit-)Schuld. Dreizehn Jahre lang legten die Leitmedien treu und frei die Mordopfer des NSU mit in die Blutspur des organisierten Verbrechens. Dreizehn Jahre trugen sie mit dazu bei, dass die Mordopfer ins ausländische Milieu verschleppt werden konnten. Nun möchte man die Opfer, die man jahrelang verhöhnt hat, für sich, für das eigene gute Gewissen sprechen lassen – selbstverständlich nur die Opfer, die ihnen genehm sind, die authentisch das Versprechen der lückenlosen, schonungslosen Aufklärung wiedergeben. Noch einmal benutzt man sie, beutet ihre verständliche Hoffnung aus, versteckt die Farce dieses Gerichtsverfahrens hinter ihren Wünschen!
Denn selbstverständlich wird es in diesem Prozess nicht um eine lückenlose Aufklärung gehen, schon gar nicht um die Frage, welche staatlichen Behörden dazu beitragen haben, dass der NSU dreizehn lang ›unerkannt‹ im Untergrund (mit regelmäßigem Urlaub, mit Teilnahme an Neonazidemonstrationen, mit guten Kontakten zur Nachbarschaft, mit Familientreffen etc.) leben konnte., dass die zahlreichen Möglichkeiten, diese neonazistische Terror- und Mordserie zu stoppen, unterlassen, verhindert wurden. Man beutet die Hoffnung der Opfer aus, weil man weiß, dass ihre Hoffnungen nicht die geringste Chance haben, erfüllt zu werden. Dazu muss man nicht das Orakel von Delphi anrufen, sondern einfach die Pressekonferenz des OLG München nach dem Verhandlungsauftakt in Erinnerung rufen: Dort erklärte man der Presse, dass kein Verfassungsschutz, kein Innenministerium, kein MAD, keine Polizeibehörde vor Gericht stehen werden, sondern genau fünf Neonazis. Alles andere könne, dürfe man sich wünschen, wäre aber nicht Gegenstand dieses Verfahrens: »Wir haben bisher noch keinen Hinweise auf lokale Unterstützer, auch noch keine Hinweise auf die Verstrickung staatlicher Behörden gefunden«, sagte Bundesanwalt Herbert Diemer. Während sich die Presse unisono über das Hosenkleid von Beate Zschäpe chauffierte, war diese haarsträubende Feststellung keine Aufregung wert.
Auch die systematischen Vertuschungen, die Falschaussagen, die Vernichtung von Beweismitteln, die in allen Behörden vorgenommen wurden, werden nicht Gegenstand dieses Prozesses sein. Daran ließ das OLG München in selbiger Pressekonferenz keine Zweifel aufkommen: Gegenstand dieses Verfahrens sind nicht die verschwundenen, vernichteten Beweismittel, sondern das, was davon übrig geblieben ist. Das Gericht wird also mithilfe der vernichteten Beweise nur das verfolgen, was mit den übrig gebliebenen Beweisen aufgeklärt werden kann/soll. Das heißt im Klartext:
Grundlage dieses Prozesses wird eine manipulierte Beweislage sein.
Das sollte alle wissen, die aus Verzweiflung oder Hoffnung darauf setzen, dass in diesem Prozess eine lückenlose, schonungslose Aufklärung erfolgen wird.
Wolf Wetzel