Essen. Eine Frau aus dem Ruhrgebiet hat sich nach den Anschlägen der rechtsextremen Terrorgruppe NSU gemeldet. Sie glaubt, dass es in Deutschland ein Netzwerk rechtsextremer, alter Männer gibt. Sie hat gute Gründe dafür.
Als Martina Rabelo das erste Kind des Nazis in sich trägt, ahnt sie nicht, dass damit ihr Leben zur Hölle wird. Es ist Anfang der Siebziger-Jahre. Die Mutter von Martina Rabelo sympathisiert mit den Nationalen und schickt ihre Tochter zum Bund Heimattreuer Jugend. Martina liebt dort das Singen und Wandern. Und irgendwann auch einen jungen Nazi. Sie wird von ihm schwanger und ihre Eltern wollen, dass sie den Nazi heiratet. Martina gehorcht – wie so oft in ihrem Leben.
30 Jahre später sitzt Martina Rabelo im Essener Unperfekthaus. Ihren richtigen Namen will sie auf keinen Fall in der Zeitung lesen. Sie hat Angst um ihre Kinder – und um sich selbst. Sie nimmt in einem der verwinkelten Räume Platz und unterbricht ihre Geschichte, sobald jemand durch die Tür schaut.
Netzwerk rechtsextremer Männer
Martina Rabelo hat viel gelitten in den vergangenen Jahren, trotzdem will sie reden. Sie hat sich nach den Anschlägen der rechtsextremen Terrorgruppe NSU gemeldet. Weil sie jahrzehntelang in der rechten Szene gelebt hat und weil sie glaubt, dass es in Deutschland ein Netzwerk rechtsextremer, alter Männer gibt. Ein Netzwerk ehemaliger Jugendfreunde aus dem damaligen Bund Heimattreuer Jugend, dem sie jahrelang angehörte. Männer, die heute reich und unauffällig unter uns leben. Die aber in ihren Herzen noch Nazis sind. Nazis in Nadelstreifen.
Nach der Hochzeit bekommt Martina Rabelo eine ganze Hand voll Kinder. „Ich sollte möglichst viel Nachwuchs gebären, ich hatte nordisches Erbgut”, sagt Rabelo. Dem rechten Ideal entsprechend: blond, kräftig, schön. Ihr Mann hält Kontakt zu seinen Nazi-Freunden in ganz Deutschland. Und er berichtet auch dem Verfassungsschutz darüber. Im Einverständnis mit seinen Nazi-Freunden und nach Rücksprache mit dem damaligen Chef des Bundes Heimattreuer Jugend erzählt er den Beamten für ein stattliches Honorar Lügen über die Szene. Irmin H. führt ein Doppelleben, Martina Rabelo macht den Haushalt. „Die Frau hat am Herd zu stehen, hat mein Mann immer gesagt.”
Gewalt gab es oft, auch gegen Kinder
Paten der Kinder werden Nazi-Freunde aus dem Bund Heimattreuer Jugend. Ein Hort, der sie völlig umschließt. „Je mehr ich mich befreien wollte, desto aggressiver wurde mein Mann.” Irgendwann, erzählt Rabelo, schlägt ihr Mann sie. „Gewalt hat es oft gegeben, auch gegen die Kinder.” Rabelo bleibt trotzdem bei ihm, ihre Eltern akzeptieren eine Scheidung nicht und stellen sich auf die Seite ihres Mannes. Am 1. Dezember 1999 hängt sich einer der Söhne im eigenen Haus auf. Irmin H. macht seine Frau für den Tod verantwortlich, sie habe die Kinder gegen ihn aufgehetzt. Rabelo nimmt die zwei Jüngsten mit und zieht von Süddeutschland ins Ruhrgebiet. Irmin H. wohnt bis heute in ihrem Haus.
In Deutschland gibt es Dutzende rechte Gruppen. Für Martina Rabelo bilden diese Gruppen ein weit verzweigtes Netzwerk, ein Netz von Nazis in Nadelstreifen: Bio-Höfe in Mecklenburg-Vorpommern, Ausbildungslager bei Weimar, Fahrten in die Lüneburger Heide, Sympathisanten in Braunschweig, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und im Allgäu. Unterstützer soll es in Österreich geben und in Norditalien. Dazu Verbindungen zur Münchner Burschenschaft Danubia und ins belgische Diksmuide. In NRW soll es laut Rabelo Verbindungen zur rechten Splitterpartei Pro NRW geben.
Die Seilschaft der damals jungen Männer besteht heute noch”
Der Kontakt zwischen den Alt-Nazis ist offenbar relativ eng. „Die Seilschaft der damals jungen Männer besteht heute noch”, sagt Rabelo. „Und ihre Doktrin ist auch noch immer die gleiche: Ein sauberes Deutschland soll es sein. Nur sagen sie das jetzt nicht mehr so offen.” Je weniger die Organisationen offen für den Rechtsextremismus eintreten, desto schwieriger wird es für Experten, hinter die Fassade zu schauen. Deshalb ist es schwer, Rabelos Geschichte zu belegen. Verfassungsschützern sind einige der von ihr genannten Namen bekannt, Informationen wollen sie keine geben. Anhaltspunkte im Internet und aus Gesprächen lassen Rabelo in großen Teilen glaubwürdig erscheinen, an einigen Stellen hat die Geschichte Lücken.
Eines aber ist gesichert: Die ehemaligen Führer der rechtsextremen Jugendbünde sind heute gut verdienende Geschäftsmänner: Ein Promi-Arzt aus NRW ist dabei, der Präsident einer Versicherung, ein Unternehmer. Ihr Netzwerk wurzelt in den Siebziger-Jahren. Damals gingen sie gemeinsam auf große Fahrt. Auf einer dieser Fahrten lernt Martina Rabelo Anfang der Siebziger-Jahre ihren späteren Mann kennen, Irmin H. Dessen Vater kämpft im zweiten Weltkrieg unter Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß, ist im nationalen Freundeskreis der NPD aktiv, schreibt rechtsradikale Aufsätze.
"Das war toll"
H. engagiert sich im Bund Heimattreuer Jugend. „Die Heimat, das waren fünf Häuser im Wald. Man will ja auch mal andere Kontakte haben. So war ich in Braunschweig, Hamburg, München, Ostdeutschland und Belgien. Das war toll”, erklärt sich H. am Telefon, als er bereit ist, über seine Vergangenheit zu sprechen. „Wir werden in die rechte Ecke gerückt, dabei waren wir nur Jugendliche, die deutsches Kultur- und Liedgut nicht negativ betrachtet haben”, sagt H., der heute einen Gartenbaubetrieb im Süden Deutschlands führt.
Irmin H. ist damals Bundesfahrtenführer und organisiert die Lager für den Bund Heimattreuer Jugend, später wird er zum zweiten Bundesführer. Heute, sagt Irmin, habe er zu keinem seiner damaligen Freunde noch Kontakt.
Auf mehrer Gesprächsanfragen nicht reagiert
Im Vorstand aktiv ist damals auch Ulrich W., heute der Chef einer Versicherung. Auf mehrere Gesprächsanfragen reagiert er nicht. Seine Pressesprecherin richtet aus, er wolle dieses private Thema heute lieber nicht mehr diskutieren. Zu einem persönlichen Treffen ist nur Gernot M. bereit, bis 1977 Führer des Bundes Heimattreuer Jugend. Martina Rabelo beschreibt ihn als die Spinne im Netz, „den gedanklichen Führer”.
Jedes Volk brauche „Raum zum Leben, dieser Raum muss jedoch erkämpft werden“, schreibt Gernot M. damals als Bundesführer des BHJ. M. kommt aus einem politisch rechten Elternhaus. Heute will er solche Aussagen im Licht der Zeit verstanden wissen. In einem Düsseldorfer Edel-Bistro verabredet er sich zum Gespräch.
Irgendwann wagt sie den Ausbruch
„Ach, die alten Geschichten”, sagt er lachend und betont doch mehrfach, wie einflussreich seine Patienten seien, auch in der Zeitungsbranche. Und dass er 1977 im Streit gegangen sei. „Man entwickelt sich weiter. Für mich war diese Art von Jugendbund nichts mehr, das Denken war zu eng”, sagt M. Das Kapitel Bund Heimattreuer Jugend habe er abgeschlossen.
Martina Rabelo behauptet das Gegenteil: Die Jung-Nazis von damals stünden bis heute in Kontakt. Sie selbst braucht Jahrzehnte, um sich aus den Fängen ihres rechtsextremen Mannes zu lösen. Lange duldet sie, irgendwann wagt sie den Ausbruch. Heute lebt sie mit ihren zwei jüngsten Kindern im Ruhrgebiet, die anderen hat sie an den Rechtsextremismus verloren.