Sachsen. Bewährung für Neonazis - aber Haft ohne Bewährung für einen Neonazi-Gegner rufen Protest hervor. Von Harald Lachmann
Dass Sachsen und die Landeshauptstadt Dresden ein Problem am rechten Rand haben, ist nicht neu. Immer wieder überraschen jedoch vor diesem Hintergrund Entscheidungen der sächsischen Justiz. Weil hier manches Urteil nur noch Kopfschütteln erzeugt, prägte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) bereits den Begriff der 'sächsischen Demokratie'. Gleich zwei Urteile zu dieser Problematik, die Dresdner Richter dieser Tage erließen, geben ihm Recht. Im ersten Spruch bestätigte das Landgericht Dresden eine Verurteilung von fünf Rädelsführern der inzwischen verbotenen Neonazi-Schlägergruppe 'Sturm 34' zu milden Bewährungs- und Geldstrafen. Die kahlköpfige Gang hatte monatelang Andersdenkende in und um Mittweida verfolgt, terrorisiert und zusammengeschlagen, Büros linker Parteien sowie Dönerstände überfallen. In den Augen des Gerichts machten sich die Täter damit der schweren Körperverletzung und Sachbeschädigung schuldig.
Für eine Haftstrafe durch die Dresdner Kammer reichte das jedoch nicht - ganz im Gegensatz zu Tim H. aus Berlin, über den das Amtsgericht Dresden verhandelte. Der 36-jährige Familienvater soll nun sogar ein Jahr und zehn Monate hinter Gitter - ohne Bewährung. Dabei ist er nicht einmal vorbestraft. Die Staatsanwaltschaft unterstellt jedoch dem Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle der Linken, zu den Rädelsführern einer antifaschistischen Gegendemonstranten gehört zu haben, die am 19. Februar 2011 einen braunen Aufmarsch verhinderte. Hierbei kam es auch zu rüden Handgemengen mit Polizisten, die den Zug der 3000 Nazis schützen sollten. Vier Uniformierte wurden verletzt.
Richter Hans-Joachim Hlavka verurteilte Tim H. nunmehr wegen Körperverletzung, besonders schwerem Landfriedensbruch sowie Beleidigung. Denn er soll per Megafon andere Antifa-Protestierer zum Durchbrechen einer Polizeisperre angestachelt und diese Aktion zudem koordiniert haben. Ob er wirklich schuldig ist, ist aber keinesfalls klar. Denn in vier Verhandlungstagen ließen sich ihm keine konkreten Taten, ja nicht einmal eine allgemeine Tatbeteiligung nachweisen. Stattdessen sagte der bisherige Hauptbelastungszeuge, der dem Geschehen von seinem Balkon zusah, sogar aus, nicht Tim H. habe da ins Megafon gerufen. Auch Polizisten, die als Zeugen auftraten, konnten keine Angaben zum Täter machen.
Damit fußte das Hafturteil eher auf Indizien, etwa einem verpixelten Polizeivideo. Auf dem halten jedoch zwei verschiedene Männer ein Megafon, und was sie dabei rufen, ist nicht das, was man Tim H. als 'Beleidigung' unterstellt. Dennoch sah ihn die Staatsanwaltschaft vor allem wegen seiner Statur als hinreichend identifiziert. Der Richter schloss sich dem an.
Für die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke), urteilte der Richter damit sowohl 'rechtlich fragwürdig' als auch 'politisch gefährlich'. Statt etwas zu beweisen hätte er forsch gemutmaßt. Offenbar habe die sächsische Justiz mit dem Urteil vor allem ein Exempel statuieren wollen, kritisiert Pau. Denn für den 13. Februar 2013 meldeten erneut rund 1000 Neonazis einen Marsch durch Dresden an. Wie in den Vorjahren dient ihnen hierfür als Anlass die Bombardierung der Stadt im Februar 1945. Und das Bürgerbündnis 'Dresden nazifrei', in dem sich neben linken Parteien und Gruppen auch Künstler, Gewerkschaften und Kirchenaktivisten zusammentaten, rief hierfür erneut zur Blockade auf.
Auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Johannes Lichdi glaubt, dass es Polizei und Justiz mit dem Urteil vor allem darum ging, kurz vor dem 13. Februar Signale zu setzen, dass weiter mit aller Härte gegen Platzbesetzer vorgegangen werde. Immerhin erwartet nun auch Lichdi eine Anklage wegen der Blockaden im Jahr 2011. Seine Immunität wurde bereits aufgehoben.
In der Tat räumt selbst Richter Hlavka erstaunlich offen Zusammenhänge zwischen seinem Urteil sowie den damaligen Ereignissen ein. Dresden habe Ausschreitungen im Februar 'satt', sagt er in seiner Urteilsbegründung. Damit müsse endlich 'Schluss sein'. Angesichts dieser Motivlage verstieg er sich sogar zu gewagten juristischen Konstruktionen: Er bestrafte Tim H. nicht für das, was er tat oder womöglich nicht tat, sondern für das Handeln anderer: 'Was andere getan haben, müssen Sie sich mit anrechnen lassen', attackierte er den Berliner, der während des ganzen Prozesses schwieg.
Da für H.s Verteidiger Sven Richwin der Richter lediglich 'mit Vermutungen und Allgemeinplätzen hantiert' habe, glaubt er nicht, dass das Urteil die nächste Instanz übersteht. Immerhin führe sein Mandant 'ein geregeltes Leben, wie es geregelter nicht geht'. Prompt gab es auch erste spontane Kundgebungen gegen den Richterspruch in Dresden, Leipzig und Magdeburg. Und auch die sächsische Presse, die eher selten mit Schelte gegen die Staatsräson auffällt, wirkte fassungslos angesichts des Urteils. Dieser Verfolgungseifer trage bereits 'bizarre Züge', hieß es in Kommentaren. Immerhin war die Dresdner Justiz in ihrem Vorgehen gegen Naziblockierer bereits durch Strafanzeigen gegen 351 weitere mutmaßlich Beteiligte, millionenfache Funkzellenabfragen, unhaltbare Hausdurchsuchungen sowie umstrittene verdeckte Ermittlungen aufgefallen.