"Affektierte braune Herren"

Erstveröffentlicht: 
31.01.2013

Burschenschaften

Österreichische Burschenschaften stehen stramm an der rechten Flanke – zu weit rechts für deutsche Verbandsbrüder.

 

Ein schwarzer Fleck an der gelben Fassade zeugt noch von der letzten Farbbombenattacke. Über der Eingangstür des zweistöckigen Verbindungshauses der Oberösterreicher Germanen in Wien wacht heute eine Kamera. Im ebenerdigen Kneipsaal der Burschenschaft dominieren zwei Fahnen, die an der Stirnseite prangen: eine in Schwarz-Rot-Gold, den Farben der Urburschenschaft aus Jena, und eine in Schwarz-Weiß-Rot, den Verbindungsfarben, zugleich auch der Farbcode des Deutschen Reiches von Kaiser bis Führer. Schwere dunkle Holztische bilden ein langes U. Zwei Burschenschafter trinken Wasser aus Biergläsern und erklären, warum sie sich trotz ihres österreichischen Passes als Deutsche fühlen.

 

»Deutschland ist mein Vaterland«, sagt einer der beiden, ein 25-jähriger Student der Mathematik und Volkswirtschaft, »und Österreich ist meine Heimat.« Mit Rechtsextremismus habe das nichts zu tun. Und mit Neonazitum schon gar nicht.

 

Alljährlich, wenn Burschenschafter wie am Freitag in der Wiener Hofburg ihre Bierkrüge im Walzertakt schwingen, wird in der Öffentlichkeit gern ein bedrohliches Phänomen beschworen: Schattenmänner mit Schmissen im Gesicht, die Saufgelage zelebrieren, Fechtduelle austragen und, verschworen zum lebenslangen Treuebund, angeblich in Politik und Wirtschaft die Fäden ziehen.

 

Dabei wirken sie wie Relikte des 19. Jahrhunderts, die sich auf ein versunkenes Zeitalter berufen, da Deutschland noch nicht geeint und Nationalstaaten erst im Entstehen waren.

 

Heute gefallen sich viele der Burschenbündler, die sich Korporierte nennen, darin, nonchalant die Grenzen zwischen rechtskonservativ und neonazistisch zu überschreiten. Sei es, dass sie demonstrativ dem Nazimilitär Tribut zollen, sei es, dass sie hart an der Grenze zum Verbotsgesetz provozieren. Gerade österreichische Verbindungen verabsäumen es, klare Trennstriche zu ziehen. Der Korpsgeist steht über allem.

 

Im Gegensatz zu bundesdeutschen Verbindungen haben sich österreichische Burschenschaften eine politischen Einflusszone geschaffen: im Rahmen der FPÖ. Sie sind die treuesten Diener der Partei, das deutschnationale Fundament.

 

Die »Ostmärker«, wie sich einige von ihnen intern selbst bezeichnen, gelten als ultrakonservativ, manche gar als rechtsradikal – die Österreicher versuchen, die besseren Deutschen zu sein, und sorgten schon oft für Spannungen und Zerreißproben innerhalb des Dachverbandes Deutsche Burschenschaften (DB), der 10.000 Mitglieder vereint. Nun droht dem Verband die Spaltung.

 

Zu Beginn dieses Jahres übernahm den Vorsitz der Deutschen Burschenschaft die Wiener Teutonia, eine Verbindung, die als rechtsextrem gilt und laut dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) eine »Hochburg der militant-rechten Wiener Szene« ist. Als einer von 14 österreichischen Bünden unterzeichnete sie im vergangenen Jahr eine Erklärung zum »volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff«, der ein »völkisches Abstammungsprinzip« durchsetzen sollte. Der Antrag wurde rasch als »Arierparagraph« bekannt. Anlass war eine Mannheimer Verbindung, die ein Mitglied mit chinesischen Eltern aufgenommen hatte. In den Augen mancher ein Sakrileg.

 

Liberalere deutsche Bünde sind von Entwicklungen wie diesen entsetzt. Über ein Dutzend von ihnen verließen in den vergangenen Monaten unter Protest den Dachverband. Sogar österreichische Bünde beginnen zaghaft Kritik an der strammen Rechtslastigkeit ihrer Verbandsbrüder zu äußern.

 

Die zwei Studenten der Oberösterreicher Germanen, beide mit Schmissen im Gesicht, wollen anonym bleiben. Es gehe nicht um sie, sondern um den Bund, in dessen Namen sie sprechen. Der einzelne Burschenschafter zählt wenig, gemeinsam ist man stark.

 

Deutsch zu sein habe nichts mit Blut zu tun, »das deutsche Kulturgut ist kein Genpool«, sagen sie. »Es geht darum, wie man aufwächst, ob man sich zur Kultur und zur Heimat bekennt.« Auch Kinder von Zuwanderern könnten demnach deutsch im Sinne der Burschenschafter sein.

 

Mit solchen Ansichten ist die Burschenschaft fast ein Linksabweichler in Österreich. Der 8. Mai, der Jahrestag der Kapitulation Hitler-Deutschlands, gilt ihr zwar als ein Tag der Niederlage, an dem sie öffentlich der Gefallenen gedenkt, doch das Datum markiere ebenso den Tag der Befreiung Österreichs. Das Verbotsgesetz ist den Germanen auch kein Dorn im Auge: »So etwas wie Hitler darf nie wieder passieren, und daher muss die Gesellschaft Grenzen aufzeigen.«

 

»Wir Burschenschafter haben es uns selbst zuzuschreiben, dass wir in dieser Gesellschaft zu oft Verwirrung hervorrufen und hervorgerufen haben«, schreibt Gerhard Pendl, ein Alter Herr der Verbindung, in einem Buch über die Geschichte der Burschenschaften. Der Medizinprofessor ist Obmann des Vereins zur Pflege des Grabes von Walter Nowotny. Die Gedenkveranstaltungen für das Fliegerass der Nazis am Wiener Zentralfriedhof galten bis vor wenigen Jahren als Pflichttermin in der rechten Szene.

 

Pendl, der 2006 von Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer als Universitätsrat wegen einer Rede am Grab des NS-Helden entlassen wurde, kritisiert die falsch verstandene Treue: »Wir haben unsere Väter und Brüder zu Recht lange beschützt, (...) haben aber auch andere, die es nicht verdient haben, aus falscher Pietät geschützt.«

 

Worte wie diese sind selten im Milieu der Burschenschaften. Öffentliche Kritik ist verpönt.

 

Die Oberösterreicher Germanen gelten als liberalste aller österreichischen Verbindungen. Trotzdem waren sie bis vor wenigen Monaten Mitglied der Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG), des braunen Blocks innerhalb der Burschenschaften, der Anfang der Siebziger die Aufnahme der österreichischen Verbindungen in den deutschen Dachverband durchsetzte. Die 41 Bünde der Hardcore-Kommilitonen, die zuweilen vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet werden, agieren geschlossen wie ein monolithisches Kollektiv und verdrängen seit Jahren die liberalen Bünde.

 

Anfangs seien die Österreicher belächelt worden, erzählt Christian Becker, vormaliges Mitglied der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks in Bonn: »In den Achtzigern waren sie die wunderlichen, affektierten braunen Herren, die Themen aufbrachten, die bei uns keinen mehr interessierten, Südtirol etwa.«

 

Aus den belächelten Außenseitern wurden Anführer, und die Rhetorik wurde immer hartgesottener. Großdeutsche Fantasien und ein biologistisches Rasseverständnis waren kein Tabu mehr. Von »nichteuropäischer Körpermorphologie« war plötzlich die Rede. Zu viel des Rechten für Christian Becker, der vergangenes Jahr die Initiative Burschenschafter gegen Neonazis gründete. Die österreichischen Bünde hält er für besonders gefährlich: »Da träumen manche noch von einem großdeutschen Reich.« Andere erzählen, es gebe unter den Wiener Bünden einen Wettstreit darin, wer in den Medien noch weiter nach rechts gerückt und als noch bedrohlicher dargestellt werde.

 

Ultrakonservative deutsche Bünde beneiden indes die südlichen Nachbarn um ihre enge Verflechtung mit der FPÖ. »Sie haben gezeigt, wie man eine Partei für sich vereinnahmen kann«, sagt Becker.

 

Die personellen Querverbindungen zwischen ultrakonservativen Burschenschaften und der FPÖ sind zahlreich: Sie reichen vom dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf, einem Mitglied der als rechtsextrem geltenden Olympia, über Abgeordnete bis zu parlamentarischen Mitarbeitern. »Das Dritte Lager besteht gerade auch aus diesem Kernbereich des waffenstudentischen Lagers«, sagt Heinz-Christian Strache in einem Interviewbuch mit Andreas Mölzer. Sie seien der »Rückhalt« der Partei nach der Abspaltung des BZÖ gewesen.

 

Während Burschenschaften immer wieder in deutschen Verfassungsschutzberichten aufscheinen, tauchen sie in österreichischen seit 2002 nicht mehr auf. Für den grünen Nationalratsabgeordneten Karl Öllinger eine politische Entscheidung: »Die ÖVP hat kein Interesse daran, die FPÖ oder eine ihrer Suborganisationen in einem problematischen Zusammenhang zu erwähnen.«

 

Für Andreas Peham vom DÖW fungieren einige Burschenschaften als »Scharnierstelle zwischen Deutschnationalismus und dem militanten Rechtsextremismus«. Zu Beginn der Neunziger habe sich etwa die Liste mit Aktiven der Teutonia wie ein »Auszug aus dem Mitglieder- und Sympathisantenverzeichnis« der neonazistischen Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition gelesen, deren Ziel die Wiedergeburt einer Nazipartei war.

 

Mitte der neunziger Jahre übernahm die Wiener Olympia den Vorsitz der DB. Für viele liberale Bünde war damit die Schmerzgrenze erreicht: Sie spalteten sich ab und gründeten die Neue Deutsche Burschenschaft, die bis heute kein einziges Mitglied aus Österreich hat.

 

Nun droht nach dem Eklat um den »Arierantrag« (der noch nicht beschlossen wurde) und der Vorsitzübernahme der Teutonia erneut eine Spaltung. Im vergangenen März gründete sich die Initiative Burschenschaftliche Zukunft, der bislang 26 deutsche Burschenschaften angehören. Sie wollen nicht mehr dem Diktat der Scharfmacher gehorchen, sondern die »burschenschaftliche Tradition in die heutige Zeit transferieren«, wie ihr Sprecher Michael Schmidt sagt.

 

Doch das Bild der Schattenmänner, die stramm geeint marschieren, bröckelt. Die Personaldecke ist dünn, immer weniger Studenten treten einer Verbindung bei. Manche bestehen nur noch aus ein oder zwei Aktiven, andere haben ihren Betrieb eingestellt. Der Dachverband ist heillos zerstritten, von gemeinsamen Zielen kann keine Rede sein, auch wenn in der Hofburg noch gemeinsam mit gezogenen Säbeln chargiert wird.

 

Die Oberösterreicher Germanen verließen Ende 2012 die Burschenschaftliche Gemeinschaft. »Es geht darum, alte Krusten aufzubrechen und zu zeigen, dass es bei den Burschenschaften nicht nur eine Stoßrichtung gibt«, sagen sie. »Wir haben mehr zu bieten als eine Handvoll FPÖ-Politiker.« Das Bild, das sie und ihre Verbandsbrüder nach außen hin abgeben, sei streckenweise eine Katastrophe, sie könnten nachvollziehen, wenn Außenstehende sie als »sonderbar und ewig gestrig« bezeichnen. Vor allem, wenn »Schwachsinnigkeiten wie der Arierparagraph« nach außen dringen. So etwas sei mit »aufgeklärten Argumenten der Neuzeit« nicht mehr in Einklang zu bringen«.