Die Verbindungsleute des Verfassungsschutzes sind ein kaum zu überwindendes Hindernis bei jeder noch so gut gemeinten Reform zur Demokratisierung der Dienste.
Rechtsradikale Terroristen jahrelang laufen lassen, Mordermittlungen behindern, Akten schreddern: Dass es so nicht weiter gehen kann bei den deutschen Nachrichtendiensten, haben inzwischen alle verstanden, sogar die Dienste selber. Sie üben sich in Selbstkritik und übertreffen einander mit Reformvorschlägen. Aber ist der Verfassungsschutz überhaupt reformierbar?
Aufgebaut wurden die Nachrichtendienste maßgeblich von Funktionären, die ihre Berufserfahrung im NS-Regime gesammelt hatten. Ihre Aufgabe war dem Frontverlauf des Kalten Krieges geschuldet. Die junge Bundesrepublik sollte vor den Einflüsterungen der Kommunisten geschützt werden. Dieser Geist scheint mancherorts bis heute zu herrschen.
Braucht es Spione, die die Bevölkerung im Auge behalten?
Das Wort Verfassungsschutz führt denn auch in die Irre. Es ist nicht seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Grundrechte wie das auf freie Meinungsäußerung oder die Versammlungsfreiheit unberührt bleiben. Im Gegenteil, mit der Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel – beschatten, belauschen, bespitzeln – greifen sie gerade in konkrete Rechte ein. Immerhin mit dem hehren Ziel, die abstrakte freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen.
Das Konzept vom wehrhaften Staat ist eine Lehre aus der deutschen Geschichte. Nie wieder soll eine Bewegung die Macht erlangen, deren Ziel die Abschaffung jener Demokratie ist, die sie überhaupt erst zur Geltung kommen lassen hat. Aber braucht es dafür Spione, die die eigene Bevölkerung im Auge behalten?
Mindestens zwei Aspekte unterscheiden den Verfassungsschutz von anderen staatlichen Behörden und machen ihn problematisch. Zum einen wird er gegen Menschen allein aufgrund ihrer Gesinnung tätig, unabhängig von konkreten Tatbeständen. Das ist mit Blick auf die Bürgerrechte fragwürdig. Und zum anderen unterhält er Verbindungsleute in jenen Gruppen, die er für Feinde der Verfassung hält. Um diese V-Leute führen zu können, entsteht der Zwang zur Geheimhaltung. Die Spitzel sind ein kaum zu überwindendes Hindernis bei jeder noch so gut gemeinten Reform der Dienste.
Selbst wenn die Ämter den Geist des Kalten Krieges überwinden, die Verfassungsschützer angemessen ausbilden, ihre Fähigkeit zur Analyse verbessern, selbst wenn ihre Präsidenten sich nicht mehr als unangreifbare Autokraten gebärden: Sie werden Geheim-Dienste bleiben, so lange sie Menschen bezahlen, die Angst vor Enttarnung haben müssen.
Der Verfassungsschutz ist nicht kontrollierbar
Die Folge sind Parlamentarische Kontrollkommissionen, deren Sitzungen bisweilen so geheim sind, dass die Abgeordneten – Beispiel Hessen – nicht einmal sagen dürfen, wann sie tagt. Protokolle werden nicht geführt. Wenn ein Innenminister behauptet, die Kommission sei informiert gewesen, kann sie es nicht widerlegen. Ohnehin dürfen die Parlamentarier nicht öffentlich über die Inhalte der Sitzungen sprechen. Ähnlich obskur sind die In-Camera-Gerichtsverfahren.
Wenn sich jemand juristisch mit dem Verfassungsschutz anlegt, muss er erzwingen, dass als vertraulich eingestufte Akten im Gerichtsverfahren verwendet werden dürfen. Über die Freigabe entscheidet ein Richter in geheimer Verhandlung, ohne einen Vertreter des Klägers. Ein rechtsstaatliches Verfahren sieht anders aus.
Über die V-Leute ist der Staat auch in die radikalen Gruppen verstrickt, die ihn bekämpfen. Die Spitzel bekommen Honorare, die sie trotz Verbot auch in ihre Organisationen stecken. So lange der Verfassungsschutz V-Leute einsetzt, das bestätigte auch das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren, so lange ist er nicht kontrollierbar. Aber ohne V-Leute, warnen Befürworter der Dienste, drohen Anschläge.
Ein Attentat auf das jüdische Kulturzentrum in München wurde dank der Informationen von Szene-Spitzeln verhindert, die Sauerland-Gruppe flog ihretwegen auf. Sagt jedenfalls der Verfassungsschutz – ob es auch anders gegangen wäre, lässt sich nicht objektiv prüfen.
Nicht beherrschbares, nicht rechtsstaatliches Gebilde
Die nicht abreißende Serie von Pannen und Vertuschungen stellt dringlicher denn je die Frage nach einem Umbau der Sicherheitsarchitektur. Einen großen Teil seiner Erkenntnisse gewinnt der Verfassungsschutz aus „offenen Quellen“, das heißt, er liest Parteiprogramme, Reden und Internetseiten. Das könnten auch andere Stellen leisten. Und wenn es um Straftaten, Gewalt und Volksverhetzung geht, ist in erster Linie die Polizei zuständig.
Die Kernfrage bei der Forderung nach einer Demokratisierung der Dienste ist die Beschäftigung von V-Leuten. Es geht um nicht weniger als das Paradox, ob wir ein nicht beherrschbares, nicht rechtsstaatliches Gebilde dulden wollen, um den Rechtsstaat zu schützen.