400 Roma-Migranten leben im Großraum Straßburg. Vier illegale Camps an der Peripherie will die rot-grüne Koalition im Rathaus nun per Gerichtsbeschluss räumen lassen.
Bianca ist stolz, dass ihr jemand eine Arbeit angeboten hat. Die junge 
Frau mit den dunklen, zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren erzählt, dass 
sie seit einem Jahr Französisch lernt. Auf drei Schritte zwischen Bett 
und Tisch lebt Bianca Stancu mit Ehemann und Eltern in einem Wohnwagen 
auf einem Platz zwischen alten Festungsmauern und Eisenbahngleisen, 
nicht weit vom Straßburger Hauptbahnhof.
In 26 Wohnwagen haben Roma-Familien hinter einem Drahtzaun eine 
vorübergehende Bleibe gefunden, Armutsmigranten aus Rumänien, die im 
Land der Kultur gestrandet sind. Sie hoffen auf ein besseres Leben. Mit 
einfacher Arbeit Geld verdienen dürfen sie nicht, zumindest nicht bis 
2014. Dann erst genießen Roma aus Bulgarien oder Rumänien Freizügigkeit 
wie andere EU-Bürger auch – obwohl sie das heute schon sind. Bianca 
Stancu, 24, sagt: "Ich will nicht betteln müssen." Dreimal hat sie bei 
der Präfektur vergeblich um eine Genehmigung gebeten. Jetzt ist die 
Frustration unendlich groß.
Bianca ist eine von 400 Roma-Migranten, die im Großraum Straßburg mit 
seinen 500.000 Einwohnern leben. Vier illegale Camps an der Peripherie 
will die rot-grüne Koalition im Rathaus nun per Gerichtsbeschluss räumen
 lassen – und hat damit den Zorn von Vereinigungen wie "Ärzte ohne 
Grenzen" auf sich gezogen, die sich für die Rechte der Roma einsetzen. 
Sie hatten gemutmaßt, die 110 Erwachsenen und Kinder sollten in den 
Sommerferien in ihre Herkunftsländer Rumänien und Ungarn abgeschoben 
werden.
				
"Unsere Absicht war es niemals, eine Räumung mit Polizeigewalt 
durchzusetzen – und schon gar keine Abschiebung", verteidigt die 
Straßburger Sozialbürgermeisterin Marie Dominique Dreyssé das Vorgehen. 
Die Anhörung bei Gericht wurde seit Mitte August zweimal bis auf den 
heutigen Dienstag verschoben. Die Kommunalpolitikerin fühlt sich 
verunglimpft. Die vier Plätze, um die es gehe, seien in einem 
unzumutbaren hygienischen Zustand. Immer wieder habe man Müll wegräumen 
lassen. Dergleichen sei eine Art Tropfen auf den heißen Stein. "Wir 
bemühen uns, eine Alternative zu finden", sagt Dreyssé. "Dass ein 
Richter entscheidet, ist wichtig, weil es dann kein Zurück mehr gibt." 
In einem Fall will die Stadt an gleicher Stelle Wohnungen bauen lassen.
Damit bewegt sich Dreyssé auf der neuen Linie der französischen 
Regierung. Ursprünglich hatte vor allem Innenminister Manuel Valls harte
 Töne angeschlagen und Anfang August in der ansonsten ereignislosen 
Ferienzeit Räumungen angekündigt und Abschiebungen erwogen. 
Wohnungsbauministerin Cécile Duflot hingegen versprach anschließend, es 
werde keine Räumungen ohne Alternativen geben.
"In meinen Augen versucht die Stadt einfach, Druck zu machen und die 
Betroffenen zu zermürben", wendet Dominique Steinberger ein. "Manche 
dieser Familien leben seit fünf Jahren im Raum Straßburg – warum will 
man sie jetzt an einen anderen Ort schaffen, wo doch niemand eine 
vernünftige Lösung hat?" Steinberger, 47, leitet seit mehr als 20 Jahren
 in Straßburg eine Organisation, die reisende Sinti und Roma im Elsass 
bei Verwaltungsangelegenheiten und beim Schulunterricht für die Kinder 
unterstützt.
Am meisten erbost ihn, dass wieder einmal Roma, die seit Generationen 
als Nomaden leben und französische Staatsbürger sind, mit den 
Armutsmigranten aus den ehemaligen Ostblockstaaten in einen Topf 
geworfen werden. "Es gibt keinen normalen Blick auf diese Leute", 
bedauert er, "sie werden latent als Kriminelle wahrgenommen." Eine neue 
Polizeistatistik verstärkt das Misstrauen: Seit 2009 haben Straftaten 
durch bulgarische und rumänische Staatsangehörige in Frankreich um 70 
Prozent zugenommen. Am Oberrhein fürchtet man seit Jahren Kinderbanden, 
die am helllichten Tag in Häuser einbrechen.
Anders als die Regierung Sarkozy, die im Sommer 2010 Hunderte Roma 
abschob, wollen die sozialistischen Nachfolger auf Räumungen verzichten 
und den 15 000, in Frankreich lebenden Roma den Zugang zum Arbeitsmarkt 
erleichtern. Zumal Umsiedlungen keine dauerhafte Lösung sind. Im Januar 
2009 war ein Camp unter einer Autobahnbrücke bei Straßburg-Koenigshoffen
 geräumt worden, heute leben wieder fünf Familien dort. Im Sommer seien 
die Umstände unhygienisch, sagt Dreyssé, im Winter lebensbedrohlich.
Bianca Stancu lebt längst nicht mehr in einem Zelt. Auf dem 
Wohnwagenplatz am Festungswall gibt es Toiletten und Duschen, einen 
Waschraum und eine Schule im Container. Sie hofft auf den nächsten 
Schritt aus der Enge: auf Arbeit. Aber selbst wenn die Regierung ihnen 
den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert, haben die meisten Roma wegen 
einer fehlenden Ausbildung kaum Chancen auf einen einträglichen Job.
			
				

