Mord an Polizistin Kiesewetter kann der Zwickauer Terrorzelle zugeordnet werden. Doch das Tatmotiv bleibt weiterhin im dunkeln
Von Sebastian Carlens
Das Mahnmal, das am Rande der Heilbronner Theresienwiese steht, wurde in
 diesem Jahr ausgetauscht. »Zum Gedenken an die Polizeimeisterin Michèle
 Kiesewetter«, stand ursprünglich auf einer gravierten Metallplatte, die
 an den Polizistenmord im Jahr 2007 erinnert. Seit April diesen Jahres, 
fünf Jahre nach dem Verbrechen, lautet der Text: »Neonazistische 
Verbrecher haben zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen in sieben 
deutschen Städten ermordet« – darunter auch Michèle Kiesewetter. Die 
22jährige gebürtige Thüringerin war am 25. April 2007 mit einem Kollegen
 auf Streife, als beide von hinten niedergeschossen wurden. Kiesewetter 
starb sofort, ihr Kollege überlebte schwer verletzt.
Daß der »Nationalsozialistische Untergrund« (NSU), der neun Migranten 
ermordet haben soll, auch für den Tod der Polizistin verantwortlich ist,
 scheint unterdessen zweifelsfrei erhärtet. An einer Jogginghose des 
NSU-Terroristen Uwe Mundlos, die im niedergebrannten Versteck der Zelle 
in Zwickau gefunden wurde, konnten laut einem Bericht des Spiegel vom 
Montag DNA-Spuren Kiesewetters festgestellt werden. Die Stele an der 
Theresienwiese wird also kaum erneut ausgetauscht werden müssen. Das 
ist, gerade bei diesem Fall, immerhin ein Fortschritt. Denn die Jagd 
nach den Heilbronner Polizistenmördern scheint einem Krimimanuskript 
entnommen, das jeder Verlag wegen vollkommener Unglaubwürdigkeit 
ablehnen müßte.
Die erste heiße Spur brachte die Fahnder auf die Fährte einer 
mutmaßlichen Topverbrecherin, die im gesamten Bundesgebiet für etliche 
schwerste Straftaten verantwortlich gemacht wurde. Das sogenannte 
»Phantom von Heilbronn« sollte Jahre später enttarnt werden: Es handelte
 sich um eine harmlose Arbeiterin, die die Wattestäbchen, mit denen die 
Ermittler DNA-Spuren aufnehmen, mit ihrem eigenen Erbgut kontaminiert 
hatte. Als sich dann im November 2011 zwei Bankräuber in einem Wohnmobil
 in Eisenach erschossen, schien des Rätsels Lösung in Sicht: Im Wagen 
wurden die Dienstwaffen der Heilbronner Polizisten gefunden. Doch diese 
Bankräuber waren keine einfachen Schwerkriminellen: In der Ruine der 
konspirativen Wohnung des NSU in Zwickau fanden die Ermittler 
schließlich noch die Ceska-Pistole, mit der die neun Migrantenmorde 
begangen wurden, und obendrein die Tatwaffe des Polizistenmordes.
Vollkommen unklar ist bislang, warum die NSU-Terroristen bis nach 
Heilbronn gefahren sein sollen, nur um eine einfache Streifenpolizistin 
niederzuschießen. Verschiedene Erklärungen, die das Bundeskriminalamt 
vorlegte, um eine Verbindung der gebürtigen Thüringerin zum NSU zu 
beweisen, mußten später allesamt dementiert werden: Kiesewetter war nie 
politisch aktiv, seit Jahren aus ihrer Heimat weggezogen und zudem am 
Tag des Mordes im Urlaub – sie sprang spontan für einen erkrankten 
Kollegen ein. Auch die jüngst enthüllte Mitgliedschaft mehrerer Kollegen
 Kiesewetters im rassistischen Geheimbund »Ku-Klux-Klan« mag Bände über 
den Zustand der deutschen Polizei sprechen, die Tat von Heilbronn 
erklärt sie nicht. Doch es gibt eine Aussage, bereits acht Tage nach dem
 Mord an Kiesewetter getätigt, die Rätsel aufgibt: Der Patenonkel der 
jungen Frau, selber Polizeibeamter, sagte bei seiner ersten Befragung im
 Mai 2007 aus, daß ein Zusammenhang zwischen seinem getöteten Patenkind 
und den – damals der »Ausländerkriminalität« zugerechneten – 
»Türkenmorden« bestehe. Damals jagte die Polizei noch nach dem »Phantom 
von Heilbronn«. Das letzte Kapitel im Polizistenmord von Heilbronn ist 
immer noch nicht geschrieben.
