Stellungnahme zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012

International Legal Team

Am 18. Juli veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe ein Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz. Das Urteil lautete: „Die Regelungen zu den Grundleistungen in Form der Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind verfassungswidrig.“


Das Gericht stellte fest: „Die Höhe dieser Geldleistungen ist evident unzureichend.“ und weiter „[…] weder nachvollziehbar berechnet worden noch ist eine realitätsgerechte, am Bedarf orientierte und insofern aktuell existenzsichernde Berechnung ersichtlich.“ Darüber hinaus wurde klargestellt: „[…] der Gesetzgeber muss sich immer konkret an dem Bedarf an existenznotwendigen Leistungen orientieren.“ Zum Vergleich wird diesbezüglich meist auf die Höhe des Hartz-IV-Satzes verwiesen, der mit einer Höhe von 374 € (für eine alleinstehende Person) als unbedingtes Existenzminimum betrachtet wird. Im Vergleich dazu: Bisher stand Asylbewerbern ein monatlicher Betrag von 224 € zur Verfügung. Der größte Teil dieses Geldbetrags wird in Form von Sachleistungen erbracht, in der Regel erhielten Asylbewerber lediglich ein Taschengeld in Höhe von 40 € zur freien Verfügung.

Das Bundesverfassungsgericht hat klar festgestellt: „Auch migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an an Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum zu rechtfertigen. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ Damit wird von offizieller Seite bestätigt, was Unterstützergruppen und Bleiberechtsbündnisse schon lange monieren: Die Bundesrepublik Deutschland versucht gezielt und ganz bewusst, die Lebensbedingungen für Flüchtlinge und Asylbewerber so weit zu verschlechtern wie möglich, um einen zusätzlichen Flüchtlingsstrom zu verhindern bzw. „freiwillige“ Ausreisen zu forcieren. Dabei schrecken Behörden noch nicht einmal davor zurück, menschenunwürdige Situationen zu schaffen, in denen zu vegetieren Asylbewerber teilweise über viele Jahre gezwungen werden. „Die menschenwürdige Existenz muss ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland gesichert werden.“ fordert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Aus diesem Grund wird die Höhe der Geldleistungen für Asylbewerber in etwa auf Hartz-IV-Niveau angeglichen: „Aus der Übergangsregelung folgt beispielsweise für einen Haushaltsvorstand jenseits der vorrangigen Versorgung mit Sachleistungen eine deutlich höhere Geldleistung als bisher. Zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dann im Jahr 2011 anstelle von Sachleistungen für einen Monat von einer Geldleistung in Höhe von 206 € und einem zusätzlichen Geldbetrag für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens in Höhe von 130 € auszugehen.“ Diese Regelung gilt rückwirkend ab Januar 2011. Damit kommt eine alleinstehende Person auf einen monatlichen Betrag von 336 €.

Auf den ersten Blick scheint das Urteil durch die deutliche Erhöhung des Geldbetrags ein Fortschritt zu sein. Doch was sagt das Urteil wirklich?

Unter Punkt 1a) findet sich folgender Hinweis: „Art. 1 Abs. 1 GG begründet den Anspruch auf Gewährleistung eines menschwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht. Dieses Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu.“
Gibt es für das Bundesverfassungsgericht etwa zwei Existenzminima?
Hartz-IV-Bezieher erhalten monatlich 374 €, darüber hinaus wird die Miete für eine Wohnung (mit bestimmten Voraussetzungen wie z.B. qm-Zahl) übernommen. Asylbewerber hingegen müssen mit 336 € auskommen, von denen sie künftig lediglich 130 € (bisher 40 €) selbstbestimmt ausgeben können. Es ergibt sich eine nicht nachvollziehbare Differenz von 38 €. Anstelle eines Lebens in normalen Privatwohnungen müssen Asylbewerber und Flüchtlinge in Sammellagern leben, die in ihrer Ausstattung und Hygiene meist schlechter als Gefängnisse abschneiden. Dazu kommt die traurige Tatsache, dass Asylbewerber keinesfalls 336 € im Monat zur freien Verfügung haben. Das Gros der Leistungen wird in Form von Sachleistungen ausgezahlt, die nicht frei wählbar sind. Denn die Vergabe von immer gleichen Essenspaketen oder Gutscheinen zum Erwerb von Lebensmitteln in bestimmten Geschäften sind noch immer die Regel. So sieht Menschenwürde in Deutschland im Jahre 2012 aus. Der Mehrbetrag, der künftig für diese Versorgung ausgegeben werden kann, nutzt damit letztendlich lediglich den Zulieferbetrieben der Essenspakete – die Asylbewerber jedoch profitieren kaum davon.

Sagt der oben zitierte Part nicht gerade aus, dass hinsichtlich des menschenwürdigen Existenzminimums kein Unterschied gemacht werden darf zwischen Deutschen und Ausländern? Noch mal zur Erinnerung: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ Dennoch liegen den Beträgen der beiden verglichenen Leistungen offenbar zwei Existenzminima zugrunde. Zudem stellt das BVG Sachleistungen bevorzugt gegenüber der Auszahlung des vollen Betrags dar. Ein widersprüchliches Ergebnis, das geradezu grotesk erscheint, wo im Urteil auf die Gleichbehandlung mehrfach explizit hingewiesen wird.

Aus diesem Grund ist das Ergebnis des Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus unserer Sicht scharf abzulehnen. Das einzig schlüssige und sinnvolle Ergebnis der Prüfung des Asylbewerberleistungsgesetzes ist nach eigener Argumentation des Bundesverfassungsgerichts die Abschaffung desselben. Das aktuelle Urteil legitimiert die Ungleichbehandlung von Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, was wiederum einen klaren Verstoß gegen das Grundgesetz darstellt.

Wir fordern daher eine klare Konsequenz aus den Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts in Form von der vollständigen Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes!

Wir fordern außerdem:

1. Abschaffung der Sammel- und Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber. Stattdessen: eine dezentrale Unterbringung in Privatwohnungen.

2. Bewegungsfreiheit und vollständige Abschaffung der Residenzpflicht.

3. Erteilung einer Arbeitserlaubnis für alle Asylbewerber / Ermöglichung einer Berufsausbildung bzw. eines Studiums für jeden Asylbewerber.

4. Abschaffung des Systems der Lebensmittelpakete oder -gutscheine.

5. Abschaffung der Isolationhaft sowie aller Abschiebegefängnisse.

6. Hilfestellung für jeden Asylbewerber/Flüchtling durch einen zertifizierten Dolmetscher sowie einen selbstgewählten Rechtsanwalt in allen Stadien seines Asylverfahrens.

7. Bleiberecht für alle und Abschiebestopp.

8. Abschiebeverbot von Kindern.

9. Auflösung der multinationalen EU-Grenzschutzagentur Frontex.

10. Einführung einer unabhängigen, internationalen Ermittlungskommission insbesondere in Verfahren gegen Staatsbeamte bzw. staatliche Institutionen.

11. Unabhängiges, rechtsstaatliches Verfahren im Fall Oury Jalloh.

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