Sinsheim. (tk) Sind die Zustände in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber im Fohlenweideweg "bewusst diskriminierend und rassistisch"? So zugespitzt endete einer von vielen Redebeiträgen bei der Kundgebung der Heidelberger Initiative "Aufgetaucht" am Samstag in der Fußgängerzone. Gemeinsam mit rund 50 Bewohnern der Einrichtung und einigen sich solidarisierenden Sinsheimern wurden Missstände angeprangert und Verbesserungsvorschläge geäußert.
"Ich bräuchte ein Jahr, um einigermaßen Deutsch zu lernen", sagt Nur, Flüchtling aus Afghanistan, zur RNZ in gut verständlichem Englisch, "das verlangt man von mir, wenn ich arbeiten soll, und ich kann arbeiten." Das Geld, das er monatlich zur Verfügung habe, 40 Euro, sagt er, reiche "nicht im Mindesten zum Leben - geschweige denn für einen Sprachkurs." Die drei Deutschstunden in der Unterkunft reichten nicht aus: Überbelegt - wie auch die Zimmer, wo sich vier und mehr Menschen zwölf Quadratmeter sowie die Duschen, Toiletten und zwei Küchen teilten. Ähnlich klingen alle Geschichten, die die Schicksalsgenossen aus unterschiedlichsten Krisengebieten der Welt zu erzählen haben: minderwertige Essenspakete, räumliche Enge, fehlende Intimsphäre. 500 Menschen mit verschiedensten sozialen, familiären, kulturellen oder religiösen Hintergründen und aus unterschiedlichsten Bildungsschichten dicht an dicht. Mangelnde Hygiene und ärztliche Versorgung kämen hinzu, die Liste wirkt schier endlos. Zuständig vor Ort sind vier Sozialarbeiter.
Was ließe sich konkret, einfach und schnell verbessern? Auch Carina Rickert von der Initiative "Aufgetaucht", von Beruf Lehrerin an einer Sonderschule, tut sich da schwer; zu verteilt seien Zuständigkeiten auf den politischen Ebenen. Eine Alternative zu den unbeliebten Lebensmittelpaketen seien Bargeld oder Wertgutscheine, einzulösen "nicht ausschließlich beim Billigdiscounter, sondern auch beim kleinen, indischen Geschäft um die Ecke". Es gebe stattdessen ständig Mehl, ein hauptsächlich aus Zucker bestehendes Fruchtsaftgetränk und Blöcke mit gefrorenem Hühnerfleisch, "obwohl es keine Tiefkühltruhe gibt", weiß Carina Rickert von den samstäglichen Besuchen der Initiative. "Keine Eltern würden das ihren Kindern kaufen", sagt sie. Außerdem müsse etwas gegen die Massenunterbringung "im Lager" getan, die Residenzpflicht aufgehoben werden.
Hier sahen die Aktivisten Land- und Kreistag, Stadtverwaltung, Gemeinderäte und die Bevölkerung selbst in der Pflicht, sich für menschenwürdige Bedingungen einzusetzen und "nicht wegzuschauen." Ulrike Duchrow vom Heidelberger Arbeitskreis Asyl nannte einige der Zustände "skandalös"; auch sei die Integration während des laufenden Asylverfahrens probates Mittel um Kriminalität vorzubeugen. Von den Sinsheimern wünschte sie sich "mehr Hilfe bei den Dingen des täglichen Lebens."
"Ganz so peinlich ist es nicht", wehrt sich Alex Riederer, Sinsheimer Ur-Grüner und seit den späten 90er-Jahren an dem Thema "dran". Er sieht zunächst Land und dann Kreis "entscheidend in der Verantwortung" für bessere Bedingungen zu sorgen. Grünen-Stadträtin Inge Holder lobt sogar "den kurzen Draht zu den Sozialarbeitern da draußen", der beim Thema Schulbesuch schon oft von Vorteil gewesen sei.
Alle Redner und Teilnehmer der Kundgebung forderten besonderes Augenmerk für die Lage der Kinder: "Denn jeder nimmt seine Erinnerung mit", fasste Grünen-Bundestagsabgeordneter Mehmet Kilic zusammen. Der Pforzheimer findet Sammelunterkünfte speziell für Familien mit Kindern ungeeignet, stützt die Forderungen nach dezentraler Unterbringung und empfiehlt der Landesregierung, Ergebnisse bis zur nächsten Landtagswahl vorzuweisen.