Frankfurt ist das Reich der Banker. An diesem Wochenende mussten sie es räumen - zum allerersten Mal. Das tut weh.
 Die
 heißen Tage sind da, und die Gruppe Gebäudesicherheit ist minutiös 
vorbereitet. Die Sicherheitsleute wissen, welchen Blockupy-Aktivisten 
sie auf Twitter folgen müssen, welche Blogs sie lesen müssen. Sie 
wissen, wo die Polizisten ihre Hunde füttern, welche Straßen von 
Frankfurt zur "roten Zone" zählen. Sie haben die Fenster der 
Bankzentrale gesichert und Absperrgitter in den Boden verschraubt.
Sie
 haben dem Vorstand der Bank geraten, sämtliche Mitarbeiter in den 
heißen Tagen nach Hause zu schicken - aber bloß niemandem davon zu 
erzählen. Ein leeres Gebäude provoziert. Seit Anfang April hat die Task 
Force für diesen Tag geprobt. Sie übte schon, als kein Normalbürger an 
die Großdemonstration dachte.
220 Banken sitzen in Frankfurt, 
fast alle um dieselben drei, vier Straßen herum, und 73 600 Menschen 
arbeiten im Finanzsektor. Ihnen gehört die Innenstadt, sie prägen den 
Opernplatz, die Bistros und Feinkostläden auf der Fressgass', die 
Cocktail-Bars zwischen Hauptwache und Westend.
Aber dieses 
Wochenende hat alles verändert: Die Blockupy-Bewegung hat die Banker 
verjagt, vorrübergehend zumindest. An diesem Freitag, an diesem 
Wochenende passiert, was noch nie geschah: Die Banker legen ihre Uniform
 ab. Ohne Anzug schleichen sie am Freitag in ihre Büros an der 
Junghofstraße oder in der Mittagspause zu Feinkost Meyer auf die 
Fressgass'. Ganze Abteilungen fliehen in Außenbüros im Taunus oder 
bleiben gleich daheim. Hätte über Nacht eine Seuche die Stadt 
entvölkert, hätten alle Bürger sich in Vampire verwandelt, das 
Bankenviertel hätte am Freitag kaum ausgestorbener sein können.
Was
 ist nur los? Hat die Bankenwelt nicht viel Schlimmeres erlebt? 
Mordkomplotte und Autobomben gegen Bankvorstände hat Deutschland 
gesehen, Entführungen von Verbandsbossen, Briefbomben für die Spitzen 
der Finanzwirtschaft.
Und doch erreichen die Blockupy-Leute, 
diese 20 000 Menschen mit Trillerpfeifen und Postern, die sich zum Yoga 
in der Fußgängerzone niederlassen, eine neue Eskalationsstufe. Die Angst
 grassiert in der Finanzindustrie. Es ist keine Todesangst, in keiner 
Weise vergleichbar mit der dunklen Zeit des RAF-Terrors - aber es 
regieren die Angst vor dem Zorn der Masse und der Frust über die eigene 
Hilflosigkeit.
Der Zorn der Protestler ist neu, weil er einen 
ganzen Berufsstand trifft - die gesamte Finanzindustrie. Nicht nur ein 
Josef Ackermann muss vor Farbbeutel-Werfern geschützt werden (der 
scheidende Chef der Deutschen Bank weilt ohnehin im Ausland), nicht nur 
ein Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt muss sich irgendwo in Berlin 
verkriechen, und es ist nicht nur ein Karl-Georg Altenburg, deutscher 
Statthalter der Investmentbank JP Morgan, der um seine Unversehrtheit 
bangt.
Nein, es sorgen sich alle Banker, denn der Zorn gilt 
Menschen im Anzug. Ob diese Menschen bei der Volksbank Sparkonten 
eröffnen oder bei der Royal Bank of Scotland Unternehmensdeals 
finanzieren, ob sie für die Commerzbank Bausparverträge verwalten oder 
für die Deutsche Bank Spread-Ladder-Swaps basteln - wenn es um 
Anzugträger geht, kennt die Straße keine Klassenunterschiede. Allen gilt
 die gleiche Verachtung, die gleiche Abscheu, der gleiche Zorn.
"So
 stark ist unser Berufsstand noch nie angegriffen worden. Es ist ein 
direkter Angriff auf uns Banker." Das sagt Michael Hauck. Der Bankier 
ist 85 Jahre alt, sein Name steht für eine der ehrwürdigen Privatbanken 
im Land: Hauck & Aufhäuser. Fast vier Jahrzehnte lang hat Hauck am 
Finanzplatz Frankfurt gearbeitet, unzählige Attacken auf seine Zunft hat
 er erlebt: den Zorn der Studenten von 1968 über Immobilienspekulationen
 in ihrer Stadt, die Proteste der 80er Jahre gegen Bank-Geschäfte mit 
Südafrikas Apartheid-Regime, die Demos für den großen Schuldenerlass für
 arme Entwicklungsländer.
"Aber die Dimension dieser Proteste 
ist neu", sagt der alte Herr. "Früher waren die Kritiker radikaler, aber
 heute sind sie mehr." Das müsse mit Facebook zusammenhängen, ist der 
85-Jährige sich sicher - heute könnten sich die Demonstranten besser 
organisieren. Die Angst ist so groß, dass die Banker-Zunft ihre 
heimliche Hoheitsgewalt über ihren Zwergstaat zwischen Junghofstraße, 
Mainzer Landstraße, Opernplatz und Taunusanlage aufgibt. Es übernimmt: 
die Polizei, mit 5000 Beamten. Ein Finanzplatz im Ausnahmezustand: Die 
Barclays Bank schraubte ihr Firmenschild ab. Der Privatbankier Friedrich
 von Metzler hat sein Sommerfest abgesagt. Die Bank Morgan Stanley 
verlegte ihr gesamtes Asset Management in den Taunus. Und Goldman Sachs,
 die stolzeste Investmentbank der Welt, legte ihren Mitarbeitern nahe, 
keine Treffen mit Kunden auch nur im Umkreis der Frankfurter Zentrale 
abzuhalten.
Einige Banken aktivieren jetzt die 
Notfall-Zentralen, die sie nach dem 11. September 2001 eingerichtet 
hatten. Es sind zum Teil bunkerartige Räume, in denen es alles gibt, was
 ein Headquarter braucht: Telefonanlagen, Computer, Server. Dorthin 
verkriechen sich die Verantwortlichen der überlebenswichtigen 
Bankabteilungen. "Business Continuity Management" nennen die Banker das 
Krisen-Programm.
Sogar Chinesen litten unter dem 
Chaos-Wochenende: Der chinesische Sportartikel-Hersteller Goldrooster 
wollte just am Freitag seinen Börsengang auf dem Parkett des 
historischen Börsengebäudes in der Innenstadt hinlegen. Stattdessen 
landeten sie im Vorort Eschborn, der so zu seinem ersten und einzigen 
Börsengang in der mehr als 1200-jährigen Stadtgeschichte kam - selbst 
der Bürgermeister kam, um das Ereignis zu würdigen. Zum Trost für die 
Chinesen hatte man immerhin die original Glocke mitgebracht, mit der 
Börsengänge in Frankfurt eingeläutet werden.
Der geordnete Rückzug der Eliten ist im Nachhinein demütigend, weil der Freitag so friedlich war. Niemand warf Steine, niemand prügelte sich, keinem Banker verrutschte auch nur die Frisur. Bis Samstagnachmittag klirrte Glas an einem einzigen Ort: Die Scheiben der Deutsche-Bank-Filiale in Frankfurt Rödelheim wurden zerdeppert. "Ihr seid so peinlich, ihr seid so peinlich", johlten Demonstranten den hochgerüsteten Polizisten zu. Der Sicherheitsaufwand steht außer Verhältnis zu den Schäden. Oder gibt es keine Schäden, weil der Aufwand so gewaltig war?
"Waren wir zu feige?" Die Frage quält viele Banker. Dass sie den Krawallos weichen mussten, schmerzt sie. "Scheiß verdammte Blockupy-Zecken. Das ist unser Steuergeld!", macht sich ein junger Investmentbanker auf Facebook Luft. Andere äußern sich vorsichtiger: "Im Finanzsystem läuft sicher nicht alles richtig", sagt eine Bankerin von der Royal Bank of Scotland. "Aber wenn die Antwort der Protestbewegung nur darin besteht, die Stadt lahmzulegen, dann ist das doch ein Armutszeugnis." Aber auch sie sitzt an diesem Freitag im Arbeitszimmer ihres Taunus-Hauses. "Ich habe keine Lust, beim Verlassen der Tiefgarage mit Steinen und Farbbeuteln beschmissen zu werden."
Ein Austausch über Sachargumente ist ohnehin von keiner Seite erwünscht. In den 80er Jahren debattierten Spitzenbanker wie Commerzbank-Chef Martin Kohlhaussen oder Deutsche-Bank-Vorstand Werner Blessing noch auf Kirchentagen mit ihren Kritikern. Als 1977 der damalige Chef der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, von der RAF ermordet wurde, da gingen die Frankfurter Banker sogar selbst auf die Straße. 4500 Menschen zogen mit Transparenten die Taunusanlage hinunter in die Innenstadt, demonstrierten gegen Mörder und Angriffe von links. "Daran musste ich an diesem Wochenende denken", sagt Alt-Banker Michael Hauck. "So was wäre doch heute undenkbar."
Heute gehen Banker nicht mal in Talkshows. Dort sitzt nur, wer längst keine operative Verantwortung mehr trägt. Wenn die Initiative "Vorstände in die Schulen" ihre wenigen Freiwilligen anbietet, ruft manche Schule gar nicht erst zurück. "Man muss mit diesen Leuten reden", sagt Lutz Raettig, als Aufsichtsratschef von Morgan Stanley Deutschland so etwas wie ein Sprecher der Frankfurter Banken. "Aber dafür müssen die doch erstmal klar sagen, was sie wollen." Raettig glaubt, dass viele Bürger mit den Protestlern sympathisieren. "Aber die Finanzbranche wird immer nur mit Einzelnen reden, nicht mit randalierenden Gruppen."
Bei den Frankfurter 
Bürgern dürfte die Occupy-Bewegung an diesem Wochenende allerdings auch 
Minuspunkte gesammelt haben. Die Angst der Händler in der Innenstadt und
 ihre Einbußen an einem langen Wochenende, die Kosten der Polizeitrupps 
für den Steuerzahler, die Verkehrsstaus - da dürfte mancher Frankfurter 
die Rolle von Guten und Bösen neu verteilen. Dass auch noch das beliebte
 Weinfest verschoben wurde, das die Rheingau-Winzer und 
Delikatessenhändler jedes Jahr auf der Fressgass' ausrichten, dürfte den
 Ärger nur gesteigert haben.
"Uns Banker haben diese Chaoten 
jedenfalls zusammengeschweißt", sagt ein Morgan-Stanley-Banker. Und 
seine Kollegen hätten die Polizisten im Foyer der Bank in der 
Junghofstraße 13 mit Snacks und Getränken versorgt.
An normalen Tagen schieben Frankfurts Banken 4000 Milliarden Euro hin und her. Wie das Geschäft in den letzten Tagen lief, will niemand verraten. Ganz reibungslos lief es sicher nicht, Notfallplan hin oder her: Von daheim kommt kein Banker an sein Bloomberg-Terminal mit Aktienkursen, die Analysten hatten keinen Zugriff auf ihre Datenbanken. Doch was Protestler können, können Banker schon lange: Sie organisieren sich online.
"So schnell legt man uns nicht lahm", sagt die Dame 
von der Royal Bank of Scotland trotzig. Notfalls läuft der Handel über 
Indien und London. Das Netz ermöglicht nicht nur die Mobilisierung von 
Demonstranten, sondern auch die Abwehrstrategie der Banken. Occupy ist 
global. Die Finanzwelt erst recht.
Von Melanie Amann, Benedikt Coekoll und Christian Siedenbiedel

