In Anbetracht der Diskussion über die soziale Auflehnung in Griechenland am Samstag 12. Mai im FERMENTO in Zürich, publizieren wir hier drei Texte bezüglich Griechenland als Pamphlet, die in der 3. Ausgabe der internationalen anarchistischen Zeitschrift "A Corps Perdu" im September 2010 erschienen sind. Die ganze Ausgabe der 3. Nummer dieser Zeitschrift wird im Juni 2012 auf Deutsch erscheinen.
Rebellisches Griechenland 
Der
 Spiegel des sozialen Friedens beginnt Risse aufzuweisen. Das 
Haltbarkeitsdatum der sozial-demokratischen Verwaltung Europas scheint 
überschritten und, eine nach der anderen, nehmen dies die nationalen 
politischen Klassen zur Kenntnis. Während die gesetzlichen Grundlagen 
für diese Wende in einigen Ländern bereits in relativer Ruhe durch die 
Parlamente gewählt wurden, haben die Feindschaften in Griechenland ein 
unerwartetes Ausmaß angenommen. Obwohl diese Konfliktualität in die 
Kontinuität von Kämpfen gegen den Abbau des „Sozialstaates“ gestellt 
werden kann, an die wir bereits gewöhnt sind, hat sie die Tendenz einen 
beträchtlich anderen Charakter anzunehmen – während sie von vergangenen 
Erfahrungen, wie jener der Revolte vom Dezember 2008 genährt wird. Eine 
Übereinkunft mit dem Staat im Sinne des alten sozialen Paktes scheint 
immer unwahrscheinlicher, weil die wirtschaftlichen, politischen und 
sozialen Grundlagen dafür nicht mehr existieren. Wir stehen also vor 
neuen Ausgangsbedingungen. Daran gewöhnt, Kämpfe zu führen, die darauf 
abzielen, die soziale Befriedung und den Konsens zu durchbrechen, der 
ihn umgibt, könnten wir bald mit einer neuen Form von Verwaltung 
konfrontiert sein, die eher darauf abzielt, ein Kriegsklima einzuführen.
 Darum ist es umso notwendiger, neue Perspektiven zu entwickeln, uns 
darauf einzulassen, einige neue Hypothesen für den sozialen Krieg zu 
formulieren. 
Dies ist, wieso wir hier zunächst noch einmal auf 
die Revolte vom Dezember 2008 zu sprechen kommen wollen. Der erste Text,
 der einige Zeit vor den aktuellen Erschütterungen in Griechenland 
verfasst wurde, entspringt dem Willen, diesen Dezember 2008 zu 
evaluieren und seine Grenzen zu umreissen, aber vor allem, entlang der 
insurrektionellen Perspektiven zu reisen. 
Zwei Jahre später 
scheint eine gewisse Unzufriedenheit breite Schichten der griechischen 
Gesellschaft in Bewegung zu bringen. Diejenigen, die 2008 nicht ohne 
große Sympathien, aber dennoch „alleine“ dastanden, um die Flammen der 
Revolte kräftig zu schüren, indem sie sie weit über den anfänglichen 
Funken hinaustrugen, können heute spüren, wie um sie herum etwas 
anzuwachsen beginnt, das versucht, sich gegenüber der vorprogrammierten 
Verschlechterung des Lebens so vieler Menschen zu äussern. 
 Man 
könnte diese Verschlechterung, die für einige bereits Realität ist und 
sich bei anderen gerade ankündigt, einer gründlichen sozio-ökonomischen 
Analyse unterziehen. Man könnte vom Ende eines Zyklus von 
Umstrukturierung, Liquidierung und Wiederaufbau sprechen. Und seien wir 
ehrlich, es wäre nicht ganz uninteressant. Es gibt aber auch eine andere
 Art und Weise, auf die man versuchen kann, auf die Realität Einfluss zu
 nehmen, in sie einzudringen, um die Subversion in sie hinein zu tragen.
 Diese andere Art und Weise, ein Spiel zwischen Theorie und Praxis, eine
 permanente Provokation von Herausforderungen, versucht eine gewisse 
Analyse der Situation auf das Terrain der Hypothese und des Experiments 
zu bringen. Nicht, weil wir Fanatiker des Handelns um des Handelns 
willen oder des Täumens um des Täumens willen wären, sondern weil wir 
von einem Willen angetrieben werden, unsere Ideen ins Herz der sozialen 
Konfliktualität zu tragen. Dieser Wille gibt sich nicht damit zufrieden,
 ein Zuschauer zu sein, sondern sucht permanent nach Anhaltspunkten, um –
 à corps perdu* – ins Getümmel zu springen. Und wir haben keine Lust, 
diese Sprünge blind und unüberlegt zu machen. Und eben dies war der 
Anlass für den zweiten Text. 
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* Diese 
französische Redewendung bedeutet wortwörtlich mit verlorenem Körper und
 steht in etwa für ungestüm, voller Elan, ohne Berechnung. 
Die Pfade der Revolte vom Dezember 2008 
Diese
 Revolte war eine freiwillige Bewegung, eine bewusste Wahl, auch wenn 
sie größtenteils eine Reaktion war. Sie war Ausdruck der Tatsache, den 
Kampf in erster Person zu leben. 
Die Wut und der Aufstand 
Sagen
 wir es, ohne all zu viel zu zögern: die Revoltierenden, die wütenden 
Proletarier treten vor allem ausgehend von konkreten Situationen in 
Aktion, wenn sich ein mir reicht’s Gefühl breit macht. In 
konfliktreicheren Momenten stellen sie sich, um es so zu sagen, ins 
Negative gegenüber der Wirklichkeit, die sie umgibt. Da dieses Negative 
mit der gelebten Realität in einem dialektischen Verhältnis bleibt, 
hatte es schon immer Schwierigkeiten, sich von den Ketten der Realität 
zu lösen, der es sich gegenüberstellt. Oft ist es vielmehr aus diesem 
Grund, als aus einem tief verwurzelten Reformismus, dass die Revolten 
der Unterdrückten sich nach einer gewissen Zeit in einer Sackgasse 
wiederfinden, in der die Kraft fehlt, um den qualitativen Sprung zu 
wagen, sich bereits im Jetzt eine völlig andere Welt vorzustellen. Es 
ist kein Zufall, dass Revolutionäre sich die Frage dieses Sprungs oft 
gestellt haben, denn eben in ihm liegt der ganze Unterschied zwischen 
„seine Wut ausdrücken“ und „eine Insurrektion machen“. Von den 
leninistischen Vorstellungen angewidert und kaum an das Gespenst des 
großen Tages der Revolution glaubend, der durch den Generalstreik 
eingeleitet wird, zögern wir, uns diese Frage zu stellen... und so haben
 wir jene Fähigkeit verloren, die andere noch aufrecht hielten: die 
Frage der Insurrektion, ihrer Methoden und ihrer Ziele zu stellen. 
Im
 Dezember 2008 versetzt die Wut die Stadtzentren von Griechenland in 
Feuer und Flamme. Die Verbreitung der zerstörerischen Praxis war 
beeindruckend, eine Frucht jahrelanger Kampferfahrungen und jahrelanger 
Verteidigung der Notwendigkeit der direkten Aktion. Dennoch ist diese 
Revolte im Allgemeinen eine Reaktion geblieben, eine wilde Reaktion ja, 
aber dennoch eine Reaktion. Und selten in der jüngsten Geschichte waren 
die Revolutionäre so gut vorbereitet, dass sie unmittelbar die 
Insurrektion voranstellen (und in ihre Richtung drängen) konnten, 
innerhalb einer Situation, in der die Antwort auf die Brutalität der 
Herrschaft die Form einer sich generalisierenden Revolte annahm. Denn 
wir müssen zugeben, wir hätten fast vergessen, dass es in der 
Vergangenheit Kameraden gab, und nicht nur eine Handvoll, die sich ganz 
bewusst der insurrektionellen Methode bedienten. 
Wäre es, wenn wir 
die subversiven Potenziale in Betracht ziehen, die heute in Griechenland
 vorhanden sind, nicht denkbar, die Frage der Insurrektion in einem 
überlegteren Sinn auszuarbeiten, eine Insurrektion, die darauf abzielt, 
bestimmte Ziele zu erreichen und dabei gleichzeitig den notwendigen Raum
 zu befreien, um die bestehenden sozialen Verhältnisse zu untergraben? 
Werden wir jene Fähigkeit wiedererlangen können, die wir im Laufe des 
Niedergangs des Klassenkampfes und der revolutionären Initiativen 
verloren haben? Die Revolte vom Dezember 2008, sowie auch andere jüngste
 soziale Explosionen, die wir uns nur schwer vorstellen konnten, machen 
deutlich, wie sehr es noch immer möglich ist, gegen die beste aller 
Welten* in den Kampf zu ziehen. Ohne einem Optimismus zu verfallen, der 
in einen Kontext, in dem sich die Reaktion auf die Unterdrückung eher um
 reaktionäre Ideologien als um befreiende Emanzipation zu 
kristallisieren scheint, nicht angebracht wäre, scheint es dennoch, dass
 wir, so wenige wir auch sind, mehr tun können, als bloß von Zeit zu 
Zeit ein paar Schläge auszuteilen oder schlicht die sozialen Strohfeuer 
mit subversiven Vorschlägen zu begleiten. 
Wenn wir in die Zukunft 
blicken, müssen wir uns die Frage stellen, ob der qualitative Sprung von
 den generalisierten Krawallen, die die Fassaden der Herrschaft 
beschädigen, zur Insurrektion, die ihre Fundamente erschüttert, noch 
immer möglich ist, und falls ja, wie wir diesen Sprung herbeiführen 
können. Dies hat nichts mit einem Avantgardismus zu tun, wie einige 
denken könnten, und auch nichts mit einem aktualisierten Blanquismus, 
wie ihn andere bereits predigen, sondern mit einem Drang, weiter zu 
gehen, um wieder insurrektionelle Hypothesen aufzustellen und in die 
Praxis umzusetzen. 
Anhand der griechischen Erfahrung machen wir uns 
auf die Suche, weniger, um kristallklare Antworten zu finden, sondern, 
um mögliche und denkbare Wege aufzuspüren. 
Die Frage des Winterpalastes 
Es
 ist eine alte Metapher, aber manchmal sind selbst die ältesten 
Geschichten die Mühe wert, wiederholt und erneut interpretiert zu 
werden. Die Macht sitzt nicht – zumindest wenn wir für einen sozialen 
und nicht für einen politischen Wandel kämpfen – in irgendeinem 
Winterpalast, den es zu erobern gilt. Es stimmt, um eine banale 
politische Veränderung zu bewirken, würde es genügen, durch Wahlen oder 
mit Gewalt den Sitz der Macht einzunehmen, um sie dann auf eine andere 
Weise fortbestehen zu lassen. Die Fundamente der Macht und der 
Ausbeutung sind aber die sozialen Beziehungen, und darum muss die 
revolutionäre Aktivität darauf ausgerichtet sein, diese Beziehungen zu 
untergraben. Jede insurrektionelle Strategie, die sich dies nicht zur 
Kernfrage des Problems macht, droht schnell putschistischen 
Vorstellungen zu verfallen. 
Die Revolte vom Dezember 2008 in 
Griechenland hat sich in den paar Wochen, die sie andauerte, so weit 
ausgebreitet, dass sie fast alle großen und kleinen Städte umfasste, 
dass der Benzingeruch in fast allen Vierteln zu riechen war und es 
schwer noch möglich war, ihren Schrei nicht zu hören. Aber die 
Ausbreitung der Revolte war nicht nur das Resultat eines quantitativen 
Wachstums der Bewegung. Der Grund dafür, dass mehr Strukturen 
angegriffen wurden, war nicht so sehr, dass sich tausende Menschen an 
die Seite der Revolte geschart haben. Vielmehr war es die Frucht einer 
sehr wertvollen Entscheidung, nämlich derjenigen, sich in keinster Weise
 zentralisieren zu lassen. Und diese Entscheidung war nicht die 
Anweisung irgendeines Zentral- oder Führungskomitees, sondern das 
Resultat der fruchtbaren Kreuzbestäubung zwischen den Erfahrungen der 
Vergangenheit und den antiautoritären Ideen. Ebenso war ein Wille 
anwesend, einen einheitlichen und massenorientierten Ausdruck der 
Revolte, der sich auf einen Ort oder ein Viertel konzentrieren würde, 
abzulehnen, und sich stattdessen für eine Vielzahl an nicht aufeinander 
abgestimmten und zerstreuten Initiativen zu entscheiden. 
Die 
Entscheidung für die Dezentralisierung der Revolte, für eine Bewegung, 
die sich lieber vertreut als bündelt, ist eine Entscheidung, die 
inspiriert ist von der Zurückweisung der Politik, von einer 
Repräsentation, die nach Referenzmomenten strebt, wie die 
Großdemonstration oder den landesweiten Streiktag,... Sie ist auch ein 
Ergebnis der Gewohnheiten von Informalität, die in der anarchistischen 
Bewegung von Griechenland fest verankert sind, welche sich schon immer 
geweiger hat, sich um eine Synthesenorganisation (wie zum Beispiel eine 
anarchistische Föderation) oder um eine Organisation 
anarchosyndikalistischen Typs aufzubauen, welche das Spektrum der 
sozialen Subversion auf den Kampf rund um die Produktionsstätten 
reduzieren würde. Die „Stärke“ der Anarchisten in Griechenland liegt 
auch an der Tatsache, dass sie sich nach Affinitäten organisieren, in 
einem sich kontinuierlich ausweitenden Archipel aus Verbindungen 
zwischen Individualitäten und kleinen Gruppen, und dass sie – auch in 
ihrem Innern – das Aufkommen von dominanten Gruppen oder Repräsentanten 
innerhalb des sozialen Kampfs bekämpfen. 
Diese Revolte strebte also 
nicht danach, sich eine Repräsentation zu erkämpfen. Sie hat, in der 
Praxis, jeglichen Dialog mit der Macht und ihren Konkurrenten 
verweigert. Sie hat sich geweigert, sich in das Spiel der Forderungen 
hineinziehen zu lassen, sich in der Suche nach einem Kräftemessen mit 
dem Staat und seinen Bullen dort zu verlieren, wo sie ihr auflauern. 
Die
 Revolte vom Dezember 2008 war nicht zentralisiert, auch wenn das eine 
Frage ist, die sich vor allem die Teilnehmer an den Versammlungen in der
 Polytechnischen Schule, gleich neben Exarchia, gestellt haben. Während 
es den Revoltierenden im Laufe der ersten Tage nach dem 6. Dezember 
gelang, die Ordnungskräfte aus Exarchia und aus der Umgebung der 
besetzten Universitäten zu verjagen, hat der Staat nicht gezögert, diese
 erneut zu organisieren und zu versuchen, die Revolte in einem Umkreis 
von einem Quadratkilometer rund um Exarchia einzudämmen. Den Kameraden 
war sehrwohl bewusst, dass eine Revolte, die sich territorial isolieren 
lässt, dazu verurteilt ist, in einem Blutbad zu enden. Nach diesen 
ersten Tagen begann die allgemeine Stimmung also wieder umzuschlagen, um
 sich einer Rückkehr in die anderen Viertel der Metropole zuzuwenden und
 so die Initiative – das einzige Mittel gegen das vorhersehbare 
Ersticken – zu behalten. 
Diese Zerstreuung stellt sich dem 
klassischen Konzept der Befreiung von Territorien, das heißt, Bollwerke 
zu errichten, indem man die Bullen und Ordnungsvertreter aus ihnen 
vertreibt, und hofft, beziehungsweise versucht, 
dass sich dies 
wie ein Ölfleck ausweitet, de facto entgegen. Obwohl die Rebellen 
zahlreich und entschlossen waren, wäre es unmöglich gewesen, einen 
solchen Stellungskrieg zu halten. Tatsächlich haben es die Bullen 
bereits in der ersten Woche schnell geschafft, sich neu zu organisieren,
 um die Straßen und Plätze von Exarchia und die Straßen rund um die 
besetzten Universitäten vorläufig wieder einzunehmen – womit sie die 
Revoltierenden einluden, sich in einem Kampf nach militärischen Regeln 
zu verlieren, den sie niemals gewinnen könnten. 
Ohne Stützpunkte, 
ohne „Brückenköpfe“, ist jeder Versuch einer Insurrektion zum Scheitern 
verurteilt, das bedeutet jedoch nicht, dass diese Stützpunkte per se 
fixiert oder territorial definiert sein müssen. Die „Brandherde“ der 
Revolte vom Dezember 2008 befanden sich in der Aktion selbst, in der 
spontan oder informell organisierten Koordination zwischen den Rebellen.
 Sie haben sich mit Instrumenten zur Diskussion und Koordination, wie 
den oft kurzlebigen Versammlungen, ausgestattet. Nur in einigen Fällen 
sind diese Versammlungen zu permanenten Organen geworden, womit sie sich
 de facto immer weiter von den wirklichen Fragen der Revolte entfernten.
 
Obiges gilt umso mehr, da die Revoltierenden, auch in den 
zerstörerischen Aktionen, nicht darauf beharrt haben, immer am selben 
Ort oder dieselben Ziele anzugreifen. Es fällt daher auch schwer, zu 
verstehen, wieso so viele Artikel und Analysen über den Dezember 2008 so
 sehr auf der Anzahl Versuche insistieren, den Christbaum auf dem 
Syntagmaplatz erneut anzuzünden. Während all dieser Wochen haben die 
Revoltierenden ihre Fähigkeit bewiesen, dort anzugreifen, wo sie nicht 
erwartet wurden, sich zu zerstreuen, wenn es notwendig wurde und sich 
nicht in eine Konfrontation verstricken zu lassen, die die diffusen 
Angriffe in einen Grabenkrieg verwandeln würden. Diese Form der Revolte 
zeugt darüber hinaus von ihrem zu tiefst antiautoritären Charakter: sie 
überließ jedem und jeder die Verantwortung, autonom zu handeln, nach den
 eigenen Vorstellungen und Einschätzungen, anstatt auf eine 
Erwartungshaltung auf die nächste Krawalldemonstration abzuzielen. Es 
ist die Spannung eines Strebens nach Dezentralisierung, nach Autonomie 
und nach der Verantwortung eines jeden kämpfenden Individuums, die 
dieser Revolte ermöglichte, sich auszuweiten und mehrere Wochen lang 
anzudauern. 
Die Fassaden und die Infrastruktur 
Während
 der ersten Tage der Dezemberrevolte gelang es den Revoltierenden, einen
 Teil der Warenzirkulation lahmzulegen, indem sie unzählige sichtbare 
Strukturen der Herrschaft angriffen, plünderten und in Brand steckten. 
Im Verlauf der drei Wochen, die die Revolte andauern sollte, wurden mehr
 als 500 Geschäfter, Banken und Regierungsgebäude niedergebrannt. 
Sehr
 bald ging es nicht mehr nur darum, anzugreifen, um seine Wut über den 
Mord an Alexis und gegen dieses soziale Gefängnis auszudrücken, in dem 
wir alle eingesperrt sind. Die Revolte ließ die Möglichkeit erkennen, 
viel weiter zu gehen. Es stellte sich also die Frage, wie man eine 
Rückkehr zur Normalität verhindern konnte, um so den Raum und die Zeit 
zu kreieren, die notwendig sind, um gewisse Fragen auf den Tisch zu 
werfen und die Diskussion und Auseinandersetzung mit allen Ausgebeuteten
 zu fördern, auch mit jenen, die sich noch in einer „Zuschauerrolle“ 
befanden, eine Rolle, in die sie der Staat um jeden Preis zu drängen 
versuchte. 
„Es ist unmöglich, im Schatten einer Kirche frei zu 
denken“, und eben diese Feststellung ist es, die uns veranlasst, eine 
Triebkraft in Richtung von Brüchen zu sein. Und dann müssen wir in den 
Spiegel schauen und uns fragen, wie es möglich wäre, die Adern dieser 
Gesellschaft trocken zu legen. Nicht um ein sogenanntes Kräfteverhältnis
 mit dem Staat und seinen Repräsentanten zu entwickeln, nicht um Druck 
auf die „passiven“ Massen auszuüben, sondern eben um, wenn auch nur 
vorübergehend, die alltäglichen Klauen der Autorität etwas zu lösen und 
den Raum zu schaffen, der in dem Bruch entsteht, um die richtigen Fragen
 zu stellen. 
Im Spanien vor 1936 versuchten es die Revolutionäre mit
 einer Insurrektion nach der anderen. Es wäre sicherlich interessant, 
auf diese Periode genauer einzugehen, um die Entwicklung 
insurrektioneller Hypothesen, ihre praktische Umsetzungen und ihre 
Auswirkungen zu verstehen. Hier aber wollen wir nur einen Aspekt 
anführen, der uns sehr zutreffend scheint: trotz der Tatsache, dass die 
Technologien damals viel weniger entwickelt waren als heute, versuchten 
die Aufständischen bereits ab der ersten Stunde der Insurrektion (ja 
sogar schon ein kleines bisschen vorher...) alle Kommunikations- und 
Transportmittel zu unterbrechen. Im Laufe der Vorbereitungen und während
 der Insurrektion in Asturien von 1934 hatten sich die Aufständischen 
organisiert, um die Eisenbahnlinien abzuschneiden, denn diese stählernen
 Monster konnten in wenigen Stunden hunderte Soldaten herbeischaffen 
oder, umgekehrt, Waffen und Fertigprodukte, die von gewisser 
Nützlichkeit waren, aus der kaum eroberten Stadt herausschaffen 
Ebenso
 wie es willkommen wäre, wenn das Fernsehen während einer Revolte, die 
sich generalisiert, einmal eine Zeit lang schweigen würde, so wäre es 
auch nützlich, wenn die Produktion, falls sie nicht durch Streiks oder 
Sabotagen am Arbeitsplatz blockiert wird, etwas unterbrochen wird und 
die Zirkulation sich auf die Bewegungen der Aufständischen reduziert. Im
 Grunde sind Kommunikation und Produktion von der Infrastruktur, das 
heißt, von der Elektrizität, den Telefonverbindungen, den Verkehrsadern 
und dem unaufhörlichen Informationsfluss derart abhängig geworden, dass 
man kein großartiger Spezialist sein muss, um diese lahm zu legen. 
Die
 zwei Jahrzehnte verstreuter Revolte in Griechenland und ihre soziale 
Verteidigung haben im Dezember 2008 ihre Früchte getragen. Im Laufe der 
Jahre wurden, sowohl auf der Ebene der Gegeninformation als auch auf der
 Ebene des Angriffs, die Strukturen des Feindes identifiziert und für 
die Augen aller sichtbar gemacht, die noch sehen wollen. Wichtiger als 
jede Vorbereitung oder Strategie, war es diese bewusste und willentliche
 Entscheidung für den Angriff, hier und jetzt, die dieser Revolte die 
notwendige Luft zum Atmen gegeben hat, ein Sauerstoff, der sie ebenfalls
 beflügelte, um über die Grenzen hinaus zu fliegen. Es bleibt dennoch 
nicht weniger wahr, dass die Frage, in Momenten, die solche 
Möglichkeiten öffnen und in denen alles auf dem Spiel stehen kann, nicht
 darauf reduziert werden darf, möglichst viele Fassaden der Herrschaft 
zu zerstören, sondern eben darauf abzielen sollte, Schritte in Richtung 
des Angriffs auf die Infrastrukturen zu machen. Denn in seinen Kellern 
bewahrt der Staat ganze Kartographien der Bevölkerung auf und in den 
Forschungszentren gewinnen die künftigen tödlichen Projekte der 
Herrschaft Stück für Stück an Form. Ohne uns Illusionen darüber zu 
machen, dass die Zerstörung von auch all dem ebenfalls die bestehenden 
sozialen Verhältnisse umwälzen würde, könnten wir zumindest versuchen, 
den Weg für die Subversion offen zu halten, indem wir jene Projekte 
behindern, welche die Möglichkeit dieser Subversion für immer belasten 
können. 
Die Tatsache, dass eine Generalisierung der Revolte Brüche 
ermöglicht, die tiefer gehen, als in Zeiten des „Friedens“, bedeutet 
nicht, dass sie deswegen als etwas betrachtet werden kann, dass von 
allen anderen, oft spezifischen oder partiellen Kämpfen, die bis dahin 
geführt worden sind, losgelöst ist. Wir könnten das Ansteigen der 
sozialen Temperatur und die wachsende Stärke ausnutzen, um die 
Möglichkeiten zu evaluieren, diese Kämpfe zu einem Endpunkt, zu einem 
Ziel zu bringen. So würden wir noch immer zu einer Ausweitung der 
Revolte beitragen, indem wir die Subversion in Gebiete bringen, in denen
 bereits gekämpft wird. Indem wir beispielsweise den wachsenden sozialen
 Groll mit dem kleinen Bisschen verbinden, das oft noch fehlt, um den 
Bau irgendeines schädlichen Projektes zu verhindern. Dies würde uns 
ermöglichen, zwischen dem was vor, während und nach der Intensivierung 
des sozialen Krieges stattfindet, ein Band zu schmieden. 
Die Besetzungen 
Eine
 der wesentlichen Fragen, die sich sowohl die Revoltierenden als auch 
diejenige gestellt haben, die versuchten, die Bewegung zu analysieren, 
lautet: Wie wäre es möglich, mehr Menschen mit einzubeziehen? Nicht nur 
im quantitativen Sinn, sondern vielmehr in Bezug auf die sozialen 
Kategorien. Wie beispielsweise die Kluft schließen, die die 
Randalierenden auf der Straße von den Arbeitern in den 
Produktionsstätten oder von den Migranten in den Vierteln trennte? 
 
Zuallererst, und mit dem Risiko, pessimistisch zu sein, was die 
„historischen Missionen“ der Arbeiterklasse, der Prekären oder der 
Migranten betrifft, sollt gesagt sein, dass oft vergessen wird, dass es 
für die befreiende Revolte unentbehrlich ist, aus den sozialen Rollen 
herauszutreten. Es ist wahr, dass die Revolte von dort ausgehen muss, wo
 wir stehen, sie muss sich aber auch, um insurrektionelle Allüren 
anzunehmen, gerade gegen da richten, wo wir stehen. Und wenn es von 
größter Wichtigkeit ist, aus seiner sozialen Rollen herauszutreten, wie 
können wir unsere Perspektiven dann darauf stützen, die Ohren 
irgendeiner sozialen Kategorie zu öffnen? Wir würden nichts anderes tun,
 als diese zu reproduzieren. Wäre es im Gegenteil nicht denkbar, eine 
Entwicklung von Perspektiven anzugehen, die jeden auffordert, die 
tägliche Knechtschaft und deren Rollen zurückzulassen? Nicht wenige 
Kameraden waren überrascht, als sie sahen, wie sich hunderte 
„Migranten“, obwohl sie mit aktivistischer Viktimisierung bombardiert 
wurden, der Bewegung der Revolte anschloßen und sich an den Krawallen, 
Plünderungen, etc. beteiligten. 
Ein Versuch, um zur territorialen 
und sozialen Verbreitung der Revolte beizutragen, war im Dezember 2008 
das Besetzen von Gebäuden und die Verwandlung dieser in Orte der 
Begegnung und der Diskussion. Die Kameraden hatten es sich bereits zur 
Gewohnheit gemacht, in Momenten wachsender Konfliktualität verschiedene 
Universitäten zu besetzen. Dies war auch Anfang Dezember 2008 nicht 
anders. Während die ersten Versammlungen in diesen besetzten 
Universitäten stattfanden, wurden in allen Ecken Griechenlands auch 
dutzende Schulen besetzt. Diese Schulbesetzungen dienten weniger als 
Bezugspunkte und Diskussionsräume, sondern waren Ausgangspunkte, um 
gemeinsam wilde Demonstration zu starten oder, um Blockaden oder 
Angriffe vorzubereiten. Sie waren sozusagen beinahe technische 
Werkzeuge, die zur Koordination und Organisation der Initiativen 
notwendig waren. 
Später wurden in verschiedenen Vierteln von Athen 
Verwaltungsgebäude und Rathäuser besetzt. Während diese einerseits eine 
Antwort auf die materiellen Nöte der Revoltierenden boten, waren sie 
auch dazu berufen, eine andere Rolle zu spielen: eine Rolle der 
Selbstverwaltung. Dies war beispielsweise bei der Besetzung des 
Rathauses von Halandri der Fall, wo die Besetzer die 
Gemeindeangestellten gebeten haben, ihre Tätigkeiten zur Unterstützung 
von Bürgern und Migranten (hauptsächlich das Ausstellen von 
Aufenthaltsbewilligungen) fortzusetzen und ihre „schädlicheren“ 
Tätigkeiten niederzulegen. Hier taucht eine interessante Frage auf, die 
sich fast ausschließlich in einem Kontext einer generalisierten Revolte 
stellt: Was anfangen mit dem Bestehenden, wenn man seine Aufmerksamkeit 
bereits auf das richtet, was nach der Revolte, sowohl im positiven wie 
auch im negativen Sinne, kommen wird? Einerseits gibt es die 
Möglichkeit, die neuralgischen Infrastrukturen der Herrschaft zu 
zerstören (wie beispielsweise in den Rathäusern die Grundbücher und 
Bevölkerungsregister, die ganze Steuerbürokratie, ausstehende 
Bezahlungen, Melderegister, etc.), wodurch eine schnelle Rückkehr zur 
Normalität erschwert wird. Andererseits könnte man meinen, dass ein 
gewisser Pragmatismus, falls die Revolte nicht plötzlich in die 
Revolution mündet, einer insurrektionellen Logik nicht per se schaden 
würde. Wenn Geld verbrannt wird, dann ist das, um gewisse Fragen auf den
 Tisch zu bringen, aber wäre die Aneignung von Geld während einer 
Revolte nicht schlichtwegs eine Vorbereitung auf die nächste 
Insurrektion? Gilt dies dann nicht auch für alle Arten von 
Ausweispapieren? Das Terrain ist vielleicht heikel, aber diese Fragen 
drängen sich auf und können schwerlich, sei es auf rein ideologische 
oder auf rein strategische Weise, außerhalb von bestimmten Kontexten 
beurteilt oder geklärt werden. 
 Aber kommen wir zurück auf die 
Besetzungen. Die meisten Versammlungen [frz.: assemblées] fanden 
innerhalb dieser Besetzungen statt, was jedoch nicht bedeutet, dass sie 
vor faulen Mechanismen gefeit wären, nur weil sie im Kontext eines 
Kampfes stattfinden. Die Repräsentations- und Delegationsmechanismen 
wuchern während Versammlungen, bei denen mehr als hundert Menschen 
anwesend sind, fröhlich vor sich hin, vor allem wenn es darum geht, zu 
einer gemeinsamen Entscheidung zu gelangen. Nun, wie können wir 
vermeiden, dass Versammlungen, die notwendige Instrumente zur 
Koordination und Begegnung sind, zu kleinen antagonistischen Parlamenten
 werden? Wie kann verhindert werden, dass sie sich die Macht 
verschaffen, Beschlüsse zu fassen und im Namen ihrer Teilnehmer zu 
sprechen? Können wir uns Versammlungen nicht als Diskussions-Momente 
vorstellen, anstatt als entscheidungstreffende Instanzen? Lasst uns 
deutlich sein: auch wenn die „Resolutionen“, die im Dezember 2008 von 
den Versammlungen angenommen wurden, überwiegend einen anti-autoritären 
Charakter hatten, so ändert das im Grunde nichts am Problem, wie man 
verhindern kann, dass die Repräsentations- und Delegationsmechanismen 
reproduziert werden. Denn ein Miniparlament, das für eine anarchistische
 Resolution stimmt, wird immer ein Parlament bleiben, ein Quell von 
Mediation und ein Hemmschuh für die freie Assoziation und die freie 
Initiative. Man könnte sich also auch fragen, wie es möglich ist, dass 
Texte erscheinen konnten, die von solchen Versammlungen unterzeichnet 
sind. Es scheint mir fast undenkbar, dass hunderte Menschen sich in 
einer freien und horizontalen Art, gemeinsam, über Texte von zwei Seiten
 ausdrücken konnten... Wie man es auch dreht und wendet, verschwiegen 
und verborgen oder nicht, es ist der Abstimmungs und der 
Delegationsmechanismus, der dies ermöglicht. Wäre es stattdessen nicht 
denkbar, alle zu ermutigen, das niederzuschreiben, was er oder sie 
denkt, ohne es durch irgendeinen Stempel legitimieren zu müssen (wie die
 Unterzeichnung mit „Versammlung von...“), und einen Text in dem Masse 
zu beachten, wie er anspricht, inspiriert oder auf bestimmte Fragen 
antwortet? Eine freie Zirkulation von Ideen zu ermutigen, die nicht nach
 irgendeiner Repräsentation streben? 
Eine der Besetzungen, die in 
gewissen Milieus viel kommentiert und manchmal auch verherrlicht wurde, 
war jene des Gewerkschaftssitzes der GSEE. Dieses Gebäude wurde von 
Basissyndikalisten, autonomen Kommunisten und anti-autoritären Kameraden
 besetzt. Sie veröffentlichten mehrere Texte, die mit „die Besetzer“ 
unterzeichnet waren, Texte, die vor allem zur Selbstorganisation 
aufriefen (es ist nicht ganz klar, ob sie damit die Selbstorganisation 
des Kampfes ausserhalb jeglicher Repräsentation, oder schlicht das 
Organisieren von „Basisgewerkschaften“ meinten) und eine große 
„proletarische“ Beteiligung anstrebten.Ich gehe davon aus, dass es auch 
für die Besetzer offenkundig war, dass die Gewerkschaften und der 
Syndikalismus Hilfsstrukturen der kapitalistischen Verhältnisse sind. 
Warum also sollte man ihre Gebäude besetzen? Weil ihre Zerstörung von 
den Gewerkschaftlern schlecht aufgefasst würde? Weil eine Besetzung 
beweisen würde, dass ein Kampf ausserhalb der Gewerkschaften möglich ist
 – obwohl dies auf der Strsse bereits für jeden sichtbar war, der Augen 
hat und sehen will? Oder etwas, weil es der Bewegung eine gewisse 
Legitimität geben würde, wenn Strukturen des Feindes erobert werden? 
Dies scheint mir dasselbe Paradox zu sein, wie jenes, das Parlament zu 
besetzen, um die Selbstorganisation zu verkünden. Vergessen wir auch 
nicht, dass sich ein Teil der Besetzer des GSEE physisch gegen Kameraden
 widersetzte, die die Archive und das Material der Gewerkschaft 
zerstören wollten; und dass sie sogar die Türen des Gebäudes 
verschlossen hielten, als Menschen draussen auf der Straße versuchten, 
einem Polizeiangriff zu entkommen. Auch die besten Absichten verhindern 
nicht, dass es zu Abrutschern in die Politik kommt und diese die Revolte
 Stück für Stück von innen anfrisst. 
Die Plünderungen 
Ab
 dem dritten Tag nach der Ermordung von Alexis begannen sich die 
Plünderungen zu verbreiten. Viele andere Leute, die sich nicht nur mit 
der Polizei konfrontierten, sondern auch versuchten, sich einiger Waren 
zu bemächtigen, schlossen sich den Revoltierenden an. der Zauber des 
Respekts vor dem Eigentum anderer schmolz weg wie Schnee in der Sonne. 
Dass sich die Ausgebeuteten auf einmal selbst bedienen, ohne einen 
Zwischenhändler mit einzubeziehen, ist ein schöner Kontrast zur 
Gewohnheit der freiwilligen Untertänigkeit, zum üblichen Loblied auf die
 Arbeit und zum „man muss sich sein Leben verdienen“. 
Als auf einmal
 Menschen mit den Händen voller Mobiltelefone, Computer, Radios, etc. 
zur besetzten Polytechnischen Schule zurückkamen, fanden dort 
Diskussionen von mehreren Stunden darüber statt, was damit angefangen 
werden sollte. Letztendlich wurden die geplünderten Waren verbrannt. 
Auch wenn dies nur eine kurze Episode war (der Großteil der geplünderten
 Waren wurde natürlich mit nach Hause genommen), öffnet sie den Weg für 
eine interessante Fragestellung. Wenn es zwar stimmt, dass der Respekt 
vor dem Privateigentum während Plünderungen dahinzuschmelzen scheint, so
 handelt es sich dabei nicht per se um Angriffe gegen die 
kapitalistische Akkumulation oder die Warenlogik. Der Unterschied 
zwischen einer Plünderung, die sich aneignen will, und einer Plünderung,
 die enteignen will, liegt wahrscheinlich in ihrem Warum, in ihrer 
Intention. Genauso wie alle anderen, können auch Revolutionäre, durch 
die Möglichkeiten, die sich konkret ergeben, die Gelegenheit einer 
Revolte ausnutzen, um an die Zukunft, an das Danach zu denken und sich 
im Hinblick auf kommende Kämpfe materiell zu versorgen. Es wäre eher 
traurig, wenn man aus einem insurrektionellen Moment mittelloser 
herauskommt, als man es vorher war. Hier unterscheidet sich das Warum 
jedoch sehrwohl von denjenigen, die plündern, um die Waren anschließend 
auf dem Markt weiterzuverkaufen, und somit die kapitalistische 
Akkumulation innerhalb einer Intensivierung der Subversion fortführen. 
Ja, es gibt einen Unterschied: Plünderungen sind illegal, während die 
Lohnausbeutung legal ist, was jedoch verändert das in Bezug auf den 
Angriffe gegen die kapitalistischen Verhältnisse? Vielleicht wäre es 
besser, davon abzusehen, die Plünderungen zu verherrlichen (im Stil von 
einer „legitimen Wiederaneignung der Ausgebeuteten, um sich ein Stück 
des „Produkts ihrer Arbeit“ zurückzuholen“); ebenso, wie es fehl am 
Platz wäre, die Plünderungen zu verurteilen (im Stil von “die 
Ausgebeuteten wollen nur selbst Kapitalisten werden). Vielleicht können 
wir einfach sagen, dass Plünderungen normal sind, und dass sich die 
Tiefe der Subversion proportional zur Veränderung der Haltung gegenüber 
den Waren, zum Warum der Plünderung und zum konkret Werden der 
Enteignungsfrage verhält. 
„Auf dass jeder nach seinen Bedürfnissen 
nehme“ war eine alte Devise der sozialen Revolution. Sie bleibt noch 
immer gültig, sowohl zu Zeiten einer Insurrektion als auch zu Zeiten des
 sozialen Friedens, sowohl in kollektiver als auch in individueller 
Hinsicht. Doch angesichts des immer tieferen Eindringens der Warenlogik,
 müssen wir aus der Dialektik zwischen kapitalistischer Enteignung und 
einfacher Aneignung heraustreten, insbesondere, wenn man die Entwicklung
 von immer schädlicheren Technologien in Betracht zieht. Wie können wir 
die Frage der Bedürfnisse von dem loslösen, was uns die kapitalistische 
Gesellschaft als unsere Bedürfnisse einhämmert? Eine Insurrektion, die 
nicht fähig ist, sich diese Fragen zu stellen, wird sich schnell in 
einer Sackgasse wiederfinden, in der die Revolte unvermeidlich durch den
 Kapitalismus absorbiert wird. Es wäre mutiger, sich diese Fragen zu 
stellen, ohne in einen asketischen Moralismus zu fallen, anstatt einfach
 das „jeder nach seinen falschen Bedürfnissen“ zu bejubeln. 
Das Warum artikulieren 
Wenn
 es der Revolte nicht gelingt, die Rollen, die uns diese Gesellschaft 
auferlegt, umzustürzen, wird sie schnell sterben. Würden wir denken, 
dass die Domestizierung der Individuen durch ihre Umgebung und ihre 
soziale Rolle unumstößlich sei, würde dies das Ende des Traumes von der 
sozialen Revolution und allgemeiner von jeglicher Emanzipation bedeuten.
 Aber glücklicherweise widerlegt die Realität der Revolte solch düstere 
Gedanken, die ein fruchtbarer Boden sind für einen Zynismus, der letzten
 Endes die Möglichkeit der Subversion negiert, oder für eine 
aristokratische Selbstverherrlichung, die die Ausgebeuteten so sehr 
verachtet, dass sie diese gleichermaßen als Feinde betrachtet, wie die 
Ausbeuter. 
Das ändert aber nichts daran, dass es, solange sich die 
Ausgebeuteten weiterhin als solche definieren und ihre Revolten 
weiterhin auf die soziale Rolle abstimmen, die ihnen auferlegt wird, 
keiner Explosion, wie groß diese auch sein mag, gelingen wird, die 
sozialen Verhältnisse umzustürzen und mit dem Rollenspiel dieser 
Gesellschaft reinen Tisch zu machen. In den zahlreichen Kommuniqués, die
 im Dezember 2008 das Licht der Welt erblickten, ließen Migranten, 
Soldaten, Schüler, revoltierende Jugendliche, wütende Arbeiter, etc., 
ihre „Zustimmung“ zur Revolte erkennen, indem sie ihre soziale Bedingung
 in den Vordergrund stellten. Natürlich kritisieren sie ihre Bedingung, 
doch fanden es fast alle wichtig, sich zu definieren, sich dieses oder 
jenes Etikett zu geben und auf diese Weise die auferlegten Kategorien 
auf sich zu nehmen. Natürlich sagt es viel aus, wenn nicht nur ein 
spezifischer „Sektor“ in Bewegung gerät und die anderen sich 
anschließen, aber das wichtigste sind nicht die „Sektoren“, sondern die 
Motivationen, die Warum‘s, die Verlangen nach dem Umsturz ihrer 
Bedingung. Es ist dieser qualitative Sprung, der als Zeichen einer 
insurrektionellen Perspektive betrachtet werden kann, vielmehr als die 
Tatsache, dass sich „andere Kategorien“ dem Kampf hinzufügen. 
Die 
Frage bleibt allerdings noch immer dieselbe. Wie und auf welchen 
Grundlagen können die Revoltierenden einander begegnen und sich in der 
Revolte zusammenschließen? Reicht es, die Wut zu teilen oder einander im
 gemeinsamen Angriff gegen die Strukturen dieser Welt zu begegnen? Oder 
ist der insurrektionelle Prozess eben jener qualitative Sprung heraus 
aus der Dialektik zwischen der unterdrückenden Realität und der rein 
zerstörerischen Negation davon? 
Es ist lange her, dass wir so 
massenhafte Solidaritätsbekundungen gesehen haben, wie während dieses 
Dezembers 2008. Überall auf der Welt mussten die Strukturen von Staat 
und Kapital Schäden erleiden, nicht nur mit der Solidarität im Herzen, 
sondern auch der Entschlossenheit, das Feuer der Revolte auch im eigenen
 Kontext zu schüren. Die Revolte in Griechenland hat Revoltierende von 
anderswo inspiriert, im Bewusstsein, dass es einen sozialen Sturm 
braucht, um in einer gemeinsamen Spannung nach Freiheit Komplizen zu 
finden und Banden zu schmieden. Vielleicht können wir aus den Spuren 
dieser internationalen Solidarität einen Versuch herauslesen, ein 
bestimmtes Warum zu artikulieren. Über die Grenzen und sozialen 
Kategorien hinaus, haben sich die Rebellen woanders in der Möglichkeit 
wiedererkannt, alles auf eine Karte zu setzen. 
Der Wille 
Viele
 Analysen (und hauptsächlich nicht diejenigen, die aus Griechenland 
kamen) schieben unaufhörlich die „Krise“, die „besondere Brutalität der 
griechischen Polizei“ oder auch die „Korruption und Schwäche des 
griechischen Staates“ in den Vordergrund. Über diejenigen, die ewig auf 
der Suche nach „objektiven Bedingungen“ sind, könnten wir uns amüsieren,
 indem wir dutzende Gegenbeispiele nennen, bei denen praktisch niemand 
auf den Mord durch einen Polizisten reagiert hat und bei denen die 
„Antwort des Proletariats“ auf eine Krise vor allem darin zu bestehen 
schien, sich so schnell wie möglich anzupassen. Ich will hier nicht den 
Einfluss der sozialen und ökonomischen Situation auf mögliche Revolten 
abstreiten, doch es gibt schlicht kein Ursache-Wirkungs Verhältnis 
zwischen Unterdrückung und Revolte, und genauso wenig gibt es eine 
„Bewegung des Kapitals“, welche die Ausgebeuteten per se revoltieren 
lässt. 
Es wäre eine Mystifizierung, die Revolte vom Dezember 2008 
als eine automatische Konsequenz der verschlechterten Lebensumstände 
darzustellen. Sie war eine freiwillige Bewegung, eine bewusste Wahl, 
auch wenn sie größtenteils eine Reaktion war. Sie war Ausdruck der 
Tatsache, den Kampf in erster Person zu leben – und nicht als Spielstein
 der historischen Entwicklung. Und darüber hinaus können wir sagen, dass
 sie das Ergebnis jahrelanger, hartnäckiger Kämpfe von Anarchisten und 
anderen sozialen Rebellen war. Diese Revolte zeigt einmal mehr, dass die
 revolutionäre Aktivität, in all ihren Aspekten, auch in Zeiten 
geringerer sozialer Konfliktualität ebenso wichtig ist, und dass sie 
jederzeit Früchte tragen kann, auch wenn die sozialen Explosionen 
manchmal sehr weit entfernt scheinen. 
[Text geschrieben im November 2009] 
--------------- 
*
 Der französische Begriff “Le meilleur des mondes” wurde 1710 von dem 
Philosophen Leibniz geprägt, der behauptete, dass Gott die “beste aller 
möglichen Welten” geschaffen hat. Es ist auch der französische Titel des
 dystopischen Romans Brave New World (Schöne neue Welt) von Aldous 
Huxley. 
Reise ins Herz einer Möglichkeit 
Auch
 wenn die Überraschung ein ganz angenehmes Gefühl sein kann, so sollten 
wir doch alles daransetzen, dass wir den gegenwärtigen Herausforderungen
 nicht als hilflose Kommentatoren beiwohnen, ertränkt in der Passivität,
 die uns die Herrschaft einflössen will. 
Die 
Umstrukturierungen, die gegen Ende des Zweiten Weltkrieges oder in 
anderen Ländern nach der Zeit der Diktaturen unternommen wurden, setzten
 jahrelang auf einen Sozialstaat, der imstande war, diese Neubegründung 
des Kapitalismus zu begleiten und dessen soziale Spannungen zu 
verwalten. Seit den 80er Jahren sind die sogenannten „sozialen 
Errungenschaften“ jedoch stark in Beschuss geraten und im Laufe der 90er
 Jahre beschleunigte sich ihr Abbau und Zerfall auf ein Tempo, das vom 
internationalen Kontext und von den lokalen Kräfteverhältnissen bestimmt
 wurde. Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, der Abbau der sozialen 
Fürsorge und des Rentensystems, die Liberalisierung und anschließende 
Privatisierung des Energie-, Kommunikations- und Transportsektors 
erschütterten das, was viele lange Zeit für Sicherheiten hielten. 
Im
 Grunde ist die „Finanzkrise“ des vergangenen Jahres keine Krise, 
sondern eine Konsequenz dieser neuen Umstrukturierungen. Jenseits der 
enormen Summen, die von vielen Staaten provisorisch bereitgestellt 
wurden, um einige Banken zu „retten“, wurden vor allem die Verkäufe von 
Unternehmen und „öffentlichen“ Industrien fortgesetzt. Infolgedessen 
verbleiben die Staaten massiv verschuldet und einige der Rezepte, die 
ihre Kassen hätten wiederauffüllen können, wurden bereits ausgeschöpft. 
Sie werden also weiterhin ins Fleisch der Menschen schneiden müssen. Die
 heutige Situation in Griechenland liefert uns ein Vorgeschmack dessen, 
was uns auch in anderen Ländern erwartet. 
Die Sparpläne, die heute 
schon in England, Spanien, Italien, Griechenland und vielen anderen 
europäischen Ländern eingeführt werden, sind dem, was jahrzehntelang 
eines der Paradigmas des „Sozialstaates“ war – der Erhöhung des Konsums 
auf dem Binnenmarkt – diametral entgegengesetzt. Einerseits reduziert 
der griechische Staat den Zugang zum Konsum (mit Lohn- und 
Rentensenkungen) und andererseits erhöht er die direkten und indirekten 
Steuern drastisch, um noch etwas Geld in die Taschen zu kriegen. Das 
deklarierte Ziel ist nicht länger die in Europa so gepflegte 
„Integrierung der Armen“, es wird offen hingenommen, dass sich eine 
ganze Bevölkerungsschicht, die bereits dem Elend ausgesetzt ist, nun 
einer verstärkten Ausbeutung unterordnen muss und sich damit glücklich 
schätzen soll. In groben Zügen wurde diese Richtung schon seit Jahren 
auch von der europäischen Migrationspolitik eingeschlagen. Angesichts 
einer kontinuierlich anwachsenden Migration, verwaltet die sogenannte 
Festung Europa die Flüchtlingsströme schon immer durch Regularisierungen
 und Erhöhungen der Abschiebekapazität, jedoch eng verbunden mit immer 
prekäreren Arbeitsverträgen. Die Existenz einer Unterschicht in der 
Bevölkerung wird also ausdrücklich, je nach Anforderungen des Marktes, 
akzeptiert und erwünscht. 
Gewisse Konflikte der vergangenen Jahre 
(Argentinien 2001 oder Bangladesch vor allem 2006) waren bereits Zeichen
 einer Verschärfung des ökonomischen Krieges. Die heutigen Ereignisse in
 Griechenland sind die europäische Bestätigung davon. Obwohl sich immer 
dunklere Zeiten ankündigen, und die gegenwärtige Schwäche der sozialen 
und revolutionären Kritik wird dies nicht widerlegen, verspüren wir die 
Intuition, dass auch für uns neue Zeiten anbrechen können, Zeiten, die 
Möglichkeiten eröffnen könnten, die wir lange Zeit aus den Augen 
verloren. Aber dies sicherlich nicht, indem wir uns nach Begründungen im
 Stil von „je schlimmer desto besser“ richten. Auch wenn die 
Überraschung ein ganz angenehmes Gefühl sein kann, so sollten wir doch 
alles daransetzen, dass wir den gegenwärtigen Herausforderungen nicht 
als hilflose Kommentatoren beiwohnen, ertränkt in der Passivität, die 
uns die Herrschaft einflößen will. 
Im Land von Prometheus 
Wir
 müssen in die Geschichte ziemlich weit zurückgehen, um einen Moment und
 einen Ort zu finden, an dem die revolutionäre – und darüber hinaus 
größtenteils antiautoritäre – Bewegung fähig war, den sozialen 
Entwicklungen und dem sozialen Kampf so nahe zu stehen, wie dies 
momentan in Griechenland der Fall ist. Es ist das vorläufige Resultat 
von vielen Jahren Kreuzbestäubung zwischen der griechischen 
anarchistischen Bewegung, in ihrer ganzen Vielfalt, und einer bestimmten
 sozialen Kampfbereitschaft. Viele Male haben die griechischen 
Anarchisten an der Seite der sich auflehnenden Unterdrückten gestanden, 
während sie gleichzeitig bewiesen haben, imstande zu sein, auch in 
Zeiten zu kämpfen, in denen der Rest der Gesellschaft in die andere 
Richtung blickte. Unsere Feinde sind sich dessen mindestens ebenso 
bewusst wie wir. Griechenland war nicht nur das erste Land der Eurozone,
 das drastische soziale Maßnahmen gegen die Ausgebeuteten vornehmen 
musste; Griechenland war und ist nicht nur eine wichtige Basis für 
militärische Operationen hauptsächlich in Richtung der Balkanländer und 
gleichzeitig eine Pforte nach Europa für Migranten aus dem Osten; es ist
 auch ein Land, das sich mit großen sozialen Spannungen und einer 
hartnäckigen revolutionären Aktivität konfrontiert sieht. 
Heute,
 da die institutionelle Linke an der Macht ist, kann sie nicht mehr auf 
althergebrachte Weise ihre Rolle als Rekuperateurin und Hemmschuh des 
sozialen Kampfes spielen. Diese Karte verspielte sie bereits, als sie 
auf der Basis eines „progressiven Programms“, infolge der Explosion vom 
Dezember 2008 in die Regierung gewählt wurde. Der Spielraum der 
griechischen politischen Klasse hat sich also beträchtlich verringert, 
und im Falle einer Ausbreitung und Verhärtung der Konflikte öffnen sich 
ihr zwei – historisch gesehen keineswegs neue – Wege: entweder es 
gelingt der harten Rechten, gestützt auf einen latenten Patriotismus und
 den Anforderungen des nationalen und internationalen Kapitals 
entgegenkommend, die Ordnung mit Hilfe einer technischen Regierung und 
eiserner Hand wiederherzustellen; oder es erscheint die Möglichkeit 
einer Insurrektion am Horizont. Es steht viel auf dem Spiel. 
Fast 
das ganze Jahr 2009 über wurde Griechenland von einer langen Reihe von 
Streiks, Blockaden, Demonstrationen und Angriffen gegen die Strukturen 
der Macht erschüttert. Die Störung der Wirtschaft war groß, als Tausende
 Landwirte die Autobahnen und die Häfen blockierten und somit 
aufzeigten, das es möglich ist, den Kampf auf eine andere Art anzugehen,
 als die Streiks und die von den Gewerkschaften dirigierten 
Demonstrationen. Konfrontiert mit einer wachsenden Spekulation über die 
griechischen Staatsschulden (wobei angemerkt werden sollte, dass ein 
Großteil der griechischen Schulden in den Händen „griechischer“ Banken 
liegt) und mit dem explosionsartigen Anwachsen der Haushaltsdefizite, 
schaltete die sozialistische Regierung anfangs 2010 in den fünften Gang 
hoch, was auch eine Beschleunigung der Protestbewegungen provozierte. Es
 ist nicht übertrieben, von einem „Kriegsklima“ zu sprechen, sowohl auf 
wirtschaftlicher, wie auch auf politischer und sozialer Ebene. Ab Anfang
 2009 bis heute hat die Regierung die Löhne und Renten schlagartig 
reduziert (mit Kürzungen von 10-30%), die direkten und indirekten 
Steuern erhöht, die Ausbildung umstrukturiert und das öffentliche 
Gesundheitswesen quasi abgeschafft. Um die Strukturen des Staates 
aufrechterhalten zu können, müssen die politische Klasse und die 
wirtschaftliche Elite Griechenland möglichst schnell in ein Paradies der
 Ausbeutung verwandeln, in eine Speerspitze der Eurozone. Der 
griechische Staat erklärt den unteren Klassen offen den Krieg und 
versucht bloß noch mittels des Patriotismus und des Spektakels des 
„revolutionären Terrorismus, der die Gesellschaft bedroht“, den Schein 
einer gewissen „Sorge um das Volk“ aufrechtzuerhalten. 
Für die 
bestehenden Institutionen in Griechenland ist die Situation ziemlich 
kritisch und es ist lange her, dass ein europäischer Staat den heißen 
Atem einer möglichen Insurrektion in seinem Nacken verspürte. Aber lasst
 uns nichts überstürzen. Trotz bedeutungsvoller, aber begrenzter 
Konflikte (während der Demonstration vom 5. Mai 2010 in Athen konnte der
 Gewerkschaftsführer der GSEE kaum zwei Worte sagen, bevor er von 
hunderten Demonstranten verjagt wurde), halten sich die meisten Proteste
 an die Richtlinien der sozialdemokratischen Gewerkschaften, der 
stalinistischen Partei KKE und einiger linker Strukturen, wie etwa der 
PAME, hauptsächlich weil diese immer noch die Grundlage einiger 
formeller Initiativen wie der Generalstreiks bilden. Trotz zahlreicher 
praktischer Erfahrungen von Selbstorganisation in den Straßen (bei 
Demonstrationen, Besetzungen und Aufruhren), haben die Proteste die 
notwendige Bekräftigung ihrer Autonomie noch immer außer Acht gelassen. 
Kombiniert mit einer recht brutalen Polizeirepression und einem medialen
 Terror, besteht die Gefahr darin, sich in einen Verschleisskrieg 
verwickeln zu lassen. Ohne behaupten zu wollen, dass der unbeschränkte 
Generalstreik (im Gegensatz zu den 24-stündigen „Aktionstagen“) der 
Vorbote eines insurrektionellen Moments sei, steht dennoch außer Frage, 
dass die Lahmlegung der wirtschaftlichen Tätigkeit und der 
Warenzirkulation notwendig ist. Dazu müsste in Richtung einer 
Dezentralisierung der Initiativen, oder mit anderen Worten, einer 
bekräftigten Selbstorganisation des Kampfes gedrängt werden, um die 
Initiative den Gewerkschaften zu entreißen und einen Raum zu kreieren, 
der sich den Rückrufen zur Ordnung widersetzt. Eine Möglichkeit scheint 
darin zu bestehen, auf dezentralisierte und diffuse Weise auf die 
Lahmlegung der wirtschaftlichen Infrastruktur hinzuarbeiten. Und diese 
Angelegenheit geht nicht nur die revolutionäre Minderheit etwas an, wie 
es einige glauben mögen, es ist im Gegenteil ein praktischer Vorschlag, 
der sich an alle richtet, der sich von vielfältigen Erfahrungen nährt 
und bei dem Kreativität und Verbreitung jede wirtschaftliche oder 
militärische Auffassung überwiegen. 
Es ist also klar, dass die 
Frage der Selbstorganisation weit über die Problematik hinausgeht, eine 
breite Lahmlegung der wirtschaftlichen Infrastruktur zu erreichen. Diese
 ist nur ein Teil, wenn auch ein notwendiger Teil des Weges, oder 
besser, der Wege, die die Subversion beschreitet. Zurzeit vermehren sich
 die selbstverwalteten Besetzungen und die Versammlungen in Vierteln, 
Schulen,... Die Herausforderung besteht nun darin, dass sie sich nicht 
als eine der möglichen Oppositionsoptionen gegen den Stand der Dinge 
innerhalb der gleichen Reihe wie die Gewerkschaften und Parteien 
verstehen. Die Herausforderung besteht darin, dass sie die Politik 
zurückweisen, dass sie sich mit einer kommunikativen Kraft gegenüber 
anderen Revoltierenden ausstatten, und mit einer stummen und 
feindseligen Kraft gegenüber allen Institutionen, selbst den 
„oppositionellen“. Ein Projekt wie die Errichtung von 
Basisgewerkschaften (was gegenwärtig zur Frage steht), läuft in diesem 
Sinne, abgesehen von den anderen Problematiken, die die 
anarcho-syndikalistische Logik aufwirft, Gefahr, ziemlich bald ins Netz 
zu gehen und sich – trotz allem – auf dem Terrain des Feindes 
wiederzufinden. Die Selbstorganisation stirbt, sobald sie als eine Form 
von Gegenmacht verstanden wird (egal, ob sie sich nun mit der alten 
Etikette der „Diktatur des Proletariats“, der etwas moderneren der 
„Klassenautonomie“ oder der jüngsten des „horizontalen Netzwerks“ 
schmückt). Nicht nur, weil sie schließlich sehr bald alle Mechanismen 
der Politik und der Autorität in ihrem Innern reproduzieren wird (die 
Repräsentation und die Hierarchie), sondern auch, weil sie dazu 
verleitet sein wird, die Strukturen des Feindes, die scheinbar 
vernachlässigbar seien und abgeschwächt wirken, intakt zu lassen. Diese 
Feststellungen sind nicht neu, sie können auch aus den Erfahrungen der 
Pariser Kommune 1871, der Arbeiterräte, der spanischen Revolution 1936 
oder des jüngsten Volksaufstands in Argentinien 2001 gezogen werden. 
Halten wir uns auch bewusst, dass der Rückgang des Elans von 
Selbstorganisation schon immer Hand in Hand ging mit Fragen, die an das 
Überleben gebunden waren. Und wenn diese Fragen schon vor hundert Jahren
 komplex waren, so sind sie es heutzutage umso mehr, in einer Welt, in 
der die technologische und industrielle Abhängigkeit jede Perspektive 
einer sozialen Revolution schwer belastet. Dafür zu sorgen, dass diese 
Fragen auf den Tisch kommen, wenn Erfahrungen von Selbstorganisation 
gemacht werden, ist sicherlich nur ein erster Schritt. 
Das Duell verweigern 
Die
 Insurrektion ist nicht das Werk von Revolutionären und Anarchisten 
alleine. Sie ist sozial, und zwar nicht nur in dem Sinne, dass sie einen
 großen Teil der Ausgebeuteten mit einschließt, sondern vor allem, weil 
sie die bestehenden sozialen Rollen untergräbt, indem sie die Strukturen
 zerstört, die sie aufrecht halten. Ebenso wie sie sich nicht gegen 
Ausgebeutete richtet, um der Ausbeutung ein Ende zu setzen, sondern 
gegen die Strukturen und Menschen, die die Ausbeutung ermöglichen, so 
darf sie sich auch nicht in die Ecke einer Verherrlichung des „Volkes“ 
oder „der Ausgebeuteten“ treiben lassen, deren Resignation, oder sogar 
Gutheißung, letzten Endes die Kräfte sind, die die Maschine am Laufen 
halten. Die Revolte vom Dezember 2008 hat diese Problematik wieder 
aktuell gemacht, und alle Vorschläge, die darin entstehen konnten, haben
 versucht, die Umzingelung der Resignation zu durchbrechen. Zwei Jahre 
später, mit einer Unzufriedenheit, die auf sozialer Ebene einiges 
verbreiteter scheint, bekommen diese Sorgen eine andere Wendung. Auch 
wenn es sicher stimmt, das die Resignation noch immer Verwüstungen 
anrichtet, scheint es dringender, andere Wege zu finden, Wege, die nicht
 zu einem Abbruch, einer Stagnation des Konfliktes führen, sondern ihn 
jenseits der Modelle der politischen Opposition ausbrechen lassen. In 
der Tat kann diese Stagnation die Form einer Unzufriedenheit annehmen, 
die in die Politik eintaucht (mit beispielsweise den Irrwegen 
irgendeiner Art von „Gegenmacht“, einschließlich jener der 
Versammlungen), sie kann aber auch, ungeachtet der Absichten der 
Anhänger des Paradigmas der Stadtguerilla, aus einer Militarisierung des
 Konfliktes entstehen,. 
Der Staat hat in Zeiten, in denen die 
sozialen Spannungen explosionsartig anwachsen, alles Interesse daran, 
den Konflikt als Zweikampf, als Duell zwischen zwei „Fraktionen“ 
darstellen zu können (in diesem Fall der Staat gegen die Anhänger der 
„Stadtguerilla“, mit der Bevölkerung als Zuschauer). Nicht, dass er in 
einem gegebenen Moment nicht auch die anarchistische Bewegung als 
Gesamtheit für diesen Zweck gebrauchen und in einem großen Spektakel 
verschlucken lassen könnte – dies ist sogar ziemlich wahrscheinlich –, 
dennoch scheint es nicht sehr schlau, ihm die Sache zu erleichtern, 
indem wir selbst – mehr oder weniger explizit – Hierarchien unter den 
unterschiedlichen Angriffsformen gegen die Strukturen des Staates und 
des Kapitals aufstellen. Die Insurrektion hat keine Avantgarden oder 
Beschützer nötig, als Feindin aller Fetischismen fordert sie nichts 
anderes, als die Entschlossenheit, den Wind der Subversion durch die 
ganze Gesellschaft zu blasen. Wenn die Frage der Waffen aufkommt, sollte
 sie in der Perspektive einer Bewaffnung von allen, einer 
Generalisierung der Offensive gestellt werden; wir dürfen die bewaffnete
 Tat nicht auf diese oder jene Gruppe, Bezeichnung oder Fraktion 
abschieben lassen. 
Der griechische Staat beginnt, auf einer 
raschen Militarisierung des Konfliktes zu insistieren, und er hofft 
darauf, dass die Anarchisten die Initiative dafür ergreifen werden. Er 
verstärkt also die spezifische Repression und den Terror gegen die 
anarchistische Bewegung; er hat mittlerweile klargestellt, dass es 
weiterhin Tote geben wird, dass er vor den Augen aller foltern wird, 
dass er nicht zögern wird, die militärische Besetzung (eines Viertels 
wie Exarchia zum Beispiel) weiter voranzutreiben, und dass er offen 
para-staatliche und faschistische Truppen benutzen wird. Der Staat will 
die Anarchisten nicht nur vom sozialen Kampf isolieren und ihre 
Dynamiken zerschlagen, sondern sie auch in eine Spirale zerren, worin 
die Logik des Auge um Auge, Zahn um Zahn herrscht, mit Konterschlägen 
seitens der Anarchisten, die sicherlich richtig und mutig sind, deren 
Preis jedoch das Zurückweichen der Subversion in breiten Schichten der 
Gesellschaft sein könnte. Der Staat benutzt die Medien bewusst in einem 
konter-insurrektionellen Blickwinkel, dessen Ziel es ist, den Terror zu 
verbreiten, die Bevölkerung in Angst zu versetzen (mit dem 
Schreckgespenst der „über Griechenland herfallenden Migrantenhorden“, 
der „anarchistischen Terroristen“, der „blutrünstigen Räuber“,…). Der 
Staat hält sich nicht mehr dadurch aufrecht, dass er den sozialen 
Frieden und die Versöhnung erkauft, sondern dadurch, dass er immer 
offener all jenen den Krieg erklärt, die kämpfen. Es ist nicht einfach, 
die Falle zu vermeiden, um nicht in die Netze eines militärischen 
Konfliktes verstrickt zu werden, der zweifellos der Totengräber für 
jedwelches Projekt von Subversion wäre. Lasst uns einander recht 
verstehen, denn die heutigen Zeiten erfordern es, reinen Wein 
einzuschenken: dies ist kein Plädoyer dafür, die Waffen zu senken, es 
geht hier nicht um einen Diskurs, der behauptet, die „insurrektionelle 
Gewalt verängstige die Proletarier und müsse daher eingeschränkt 
werden“. Es ist im Gegenteil eben der Moment für jeden und jede, alles 
daran zu setzen, sich die Waffen zu verschaffen, die er oder sie 
gebrauchen will; die Notwendigkeit des Angriffs möglichst breit mit all 
jenen zu teilen, die nicht länger vor dem Altar der Nation und der 
Wirtschaft niederknien wollen; dem Angriff den Platz zu geben, der ihm 
schon immer zukommen müsste: ein Akt der bewussten Zerstörung einer 
feindlichen Struktur, und nicht ein Medium der eigenen Selbstpromotion. 
Die Subversion weicht zurück, wenn die Kameraden nur sprechen, nachdem 
sie einen Schuss abgegeben haben. 
 Während dieser letzten Jahren
 ist in Griechenland, erst zaghaft und heute mit größerer Wucht, ein 
weiteres Phänomen aufgetaucht. Oder besser gesagt, hat es den 
subversiven Himmel mit unerfreulichen Wolken verdunkelt. Einige nannten 
es „Neo-Nihilismus“, und seine Anhänger selbst begraben uns unter einer 
ganzen Reihe von Adjektiven, die von „nihilistisch“, „anarchistisch“, 
„individualistisch“, „antisozial“… bis zu „terroristisch“ und 
„militaristisch“ gehen – Adjektive, deren gegenseitige Unvereinbarkeit 
das einzige zu sein scheint, was sie gemeinsam haben. Vielleicht wäre es
 hier zunächst angebracht, uns in Erinnerung zu rufen, wer die 
„russischen Nihilisten“ waren. Abgesehen von der Tatsache, dass der 
Nihilismus anfangs eine philosophische und literarische Strömung war, 
die vom Materialismus, vom Asketismus und vom Individualismus geprägt 
wurde, wird er sich später (um 1860-1890) vor allem durch Attentate 
gegen die hohen Persönlichkeiten des zaristischen Regimes ausdrücken. 
Oft opferten die Nihilisten ihr eigenes Leben, um einen besonders 
abscheulichen Machthaber zu beseitigen. Gleichzeitig unternahmen sie 
viele Anstrengungen, um ihre Ideen (die zu diesem Zeitpunkt eine 
manchmal seltsame Mischung aus Anarchismus und revolutionärem 
Sozialismus waren, aber stets verbunden mit dem philosophischen 
Nihilismus) unter dem Volk und vor allem unter den Bauern zu verbreiten.
 Auch dies taten sie oft unter einer Gefahr für ihr eigenes Leben, denn 
im Allgemeinen, wie Volin es gut beschrieben hat, verehrten die Bauern 
den Zaren, ihren „Großen Vater“ auf eine fast mystische und religiöse 
Weise. Die Fälle, in denen die Nihilisten und Revolutionäre von Bauern 
an die Polizei verraten oder gleich selbst gelyncht wurden, sind 
unzählbar. Aber trotz allem, und eben durch den Wunsch gestärkt, in 
einer Welt von Individuen und nicht von Untertanen zu leben, sind diese 
Revolutionäre weiterhin „auf das Volk zugegangen“. Die düstere russische
 Gestalt Netschajew, dessen Katechismus des Revolutionärs vor allem 
jegliche Art von Manipulation lobpreist, wird oft mit diesen Nihilisten 
gleichgestellt. So wurden sie alle über einen Kamm geschoren und es 
entstanden Missverständnise und Verwirrungen, deren Echos im heutigen 
Griechenland die schlimmsten Positionen hervorgebracht haben. Die 
Konsequenzen davon sind für all jene, die versuchen, die Idee einer 
befreienden Revolution voranzutragen, alles andere als nebensächlich. 
Denn die Revolution wird nicht, um ihre Sprache zu gebrauchen, gegen die
 Sklaven des Kapitalismus geführt, sondern gegen die Meister und gegen 
all jene, die gerne ihren Platz einnehmen würden. Aber das genügt diesen
 Protagonisten des „Nichts“ nicht, die von einer eher schlecht verdauten
 Lektüre Nietzsches getrieben werden: sie wollen überall Feinde haben, 
gegen alle Krieg führen, während sie die Kritik an den sozialen 
Verhältnissen (aus denen die Gesellschaft besteht) mit jener an 
Individuen verwechseln. Um die Zusammenarbeit der Ausgebeuteten mit dem 
System aufzuzeigen, können sie sich jeden beliebigen Arguments, auf jede
 beliebige Weise bedienen. Ein Dieb, der von „einem Bürger“ festgehalten
 wird, bringt sie dazu, Drohungen auszusprechen, die gegen die ganze 
Gesellschaft, in weniger verhüllten Worten, gegen die ganze Bevölkerung 
gerichtet sind. Ein Kampf von Arbeitern um bestimmte Forderungen wird in
 ihren Augen zu einer Beleidigung gegenüber der revolutionären Spannung.
 Für sie ist die Agitation nicht dafür da, den Humbug der Wahlen 
aufzudecken, diejenigen zu kritisieren, die an Wahlen glauben und zum 
Angriff gegen die Politik anzustacheln, sondern schlicht dazu, all jene,
 die zur Urne gehen, zu bestrafen, oder ihnen mit der Bestrafung zu 
drohen. 
Die Kritik an der Resignation der Ausgebeuteten ist 
sicherlich ein Kern der anarchistischen Ideen und Aktivitäten, welche 
sich für die Revolte und die gewaltsame Insurrektion aussprechen, doch 
niemals indem die Ausgebeuteten mit den Ausbeutern auf eine selbe Ebene 
gestellt werden. Diejenigen, die denken, dass sie auf aristokratische 
Weise „frei“ sind, dies zu tun, sollten sich bewusst machen, dass eine 
tiefe Kluft sie von denjenigen trennt, die vom Traum von Freiheit für 
jeden und jede, und nicht von jenem der Freiheit gegen alle und alles 
angetrieben werden. 
Von einem Hier und einem Dort 
Heute,
 da in Griechenland lange aufgestaute Möglichkeiten mit aller Gewalt 
versuchen, in das Bestehende einzufallen, drängen sich auch für 
Kameraden anderer Länder Fragen auf, die keinen Aufschub zulassen. Nicht
 nur, weil das, was sich dort abspielt, mit größter Wahrscheinlichkeit 
einen Einfluss auf alle Anarchisten und Revolutionäre in Europa und 
darüber hinaus haben wird, sondern vor allem, weil die Möglichkeit einer
 Ansteckung täglich denkbarer wird. Wir wollen hier nicht eine Art 
Domino-Theorie wieder ausgraben, aber, angesichts der immer engeren und 
tieferen internationalen Verschachtelung der wirtschaftlichen und 
staatlichen Strukturen auf dem alten Kontinent (mit dem Projekt der 
Europäischen Union als eine ihrer formellen Strukturen), scheint uns 
klar, dass es eine Selbstverblendung wäre, die Grenzen der Gebiete, in 
denen wir wohnen, der Nationalstaaten, in denen wir unsere Kämpfe 
führen, als unüberwindbare Horizonte zu verinnerlichen. Die alte Frage 
des Internationalismus drängt sich wieder auf und verlangt nach neuen 
Antworten. 
Größtenteils sind es dieselben Fragen, die schon im 
Dezember 2008 an den Türen der Gefährten angeklopft haben, nur, dass es 
heute noch um viel mehr geht. Auch wenn eine Reise nach Griechenland 
durchaus die Mühe wert sein kann, um Erfahrungen auszutauschen und zu 
teilen, bevorzugen wir es, uns die Frage zu stellen, wie wir in unseren 
eigenen Kontexten weiter gehen können, als das bloße Ausdrücken von 
internationaler Solidarität, und wie unsere Aktivitäten über ein 
ermutigendes und großherziges Klopfen auf die Schultern unserer 
griechischen Kameraden hinaus gehen können, die momentan so viel zu 
verlieren, aber vor allem so viel zu gewinnen haben. 
Lasst uns in 
Betracht ziehen, dass alle Kämpfe und Gesten der Revolte, angesichts der
 Ausweitung des sozialen Krieges in Griechenland, eine größere Bedeutung
 erhalten werden. Nicht, weil sie auf die eine oder andere Weise einen 
direkten Druck auf die griechischen Institutionen ausüben würden, 
sondern eben, weil sie die gefürchteten Träger einer Ansteckung sein 
könnten. Teils objektiv und teils durch eigenes Bemühen, ist es möglich,
 die verschiedenen „lokalen“ Kämpfe mit dem sozialen Krieg in 
Griechenland zu verbinden, und vice versa, eben weil dies die logische 
Konsequenz einer sozialen Verknüpfung ist, einer Ähnlichkeit von 
Situationen, die sich, so suggeriert uns unsere Intention, bereits 
morgen auch in „unseren“ Gegenden ereignen könnten. Und es zeugt gewiss 
nicht von schlechtem Willen, festzustellen, dass die subversiven Kräfte 
in vielen Ländern viel schwächer sind als in Griechenland und mit der 
Allgegenwärtigkeit einer rabiaten Reaktion zu kämpfen haben (denken wir 
nur an Italien, wo der Rassismus und die politische Verwaltung durch 
eine erschreckende Zustimmung in breiten Bevölkerungsschichten 
totalitäre Konturen annehmen). Darum drängt sich die Notwendigkeit auf, 
über die Solidarität hinaus zu gehen, und wirklich zu versuchen, unsere 
Kämpfe international miteinander zu verknüpfen. Jeder Schlag, der heute 
ausgetragen wird, könnte eine Bedeutung haben, die über ihn hinausgeht. 
So könnte endlich, auch in unseren Perspektiven, der Logik eines Hier 
und eines Dort ein Ende gesetzt werden. 
 Obwohl es scheint, dass die
 laufende wirtschaftliche Umstrukturierung aus einer generalisierten 
Instabilität ihr neues Akkumulationsgebiet machen will (im Gegensatz zu 
vor einigen Jahrzehnten), ist auch eine andere Destabilisierung möglich,
 eine, die der Herrschaft nicht zu Gute kommt. Wir sollten darüber 
nachdenken, ernsthaft nachdenken. Wäre es nicht möglich, auf einige 
Analysen und Hypothesen zu kommen, die den lokalen Kontext mit dem 
verbinden würden, was wahrscheinlich die ganze Eurozone betreffen wird, 
und so die Fähigkeit zu entwickeln, die heute laufenden Kämpfe aufgrund 
ihrer potenziell destabilisierenden Auswirkungen zu evaluieren? Die 
Herausforderung scheint es uns jedenfalls wert, versucht zu werden. Um 
einander zu stärken, dort, wo ein gewonnener Kampf in diesem weiten 
sozialen Krieg über sein erstes konkretes Resultat hinausgehen kann; um 
zu versuchen, unsere Aktivitäten im Lichte ihrer Beziehung zu den 
Aktivitäten ein paar hundert Kilometer weiter entfernt zu sehen. Der 
Versuch, uns auf diese Pfade zu begeben, könnte uns vielleicht helfen, 
insurrektionelle Hypothesen zu entwickeln, zu vermeiden, allzu sehr 
überrascht zu werden und uns auf einen Weg zu begeben, der versucht, die
 gegenwärtige Unzufriedenheit und Wut, die in vielen Ländern präsent ist
 und sich manchmal auf verwirrte Weise ausdrückt oder ohne 
emanzipatorische Perspektiven bleibt, in Richtung des sozialen Krieges 
gegen jede Form von Ausbeutung und Autorität zu ziehen. 
Der Traum 
Eine
 insurrektionelle Hypothese braucht nicht nur Analysen und Aktivitäten. 
Sie bleibt tote Buchstaben oder ein Schlag ins Wasser, wenn sie ihr 
Warum nicht zu kommunizieren weiß. Obwohl sie eine Methode, ein 
praktischer Vorschlag an alle ist, kann sie in diesen Zeiten nicht auf 
die Anwesenheit einiger vager, aber diskutierter Konzepte von Befreiung 
zurückgreifen. Die Konzepte, die durch den sozialen Kampf vorangetragen,
 durch ihn kommunizierbar gemacht wurden, gibt es nicht mehr. Wir müssen
 es wagen, uns die Frage zu stellen, wie wir wieder einen Traum aufleben
 lassen können, nicht als Trugbild, nicht als Mythos, sondern als eine 
Gesamtheit von lebendigen Intentionen. Der revolutionäre Beitrag zum 
sozialen Kampf sollte sich nicht nur darauf reduzieren, destruktive 
Vorschläge anzubringen und zur Revolte anzustacheln. Sein 
insurrektioneller Charakter zeigt sich deutlicher, wenn es ihm nicht nur
 gelingt, den Feind zu identifizieren und eine Negativität in Gang zu 
setzen, die sicherlich allen Wütenden und all jenen Mut gibt, die die 
Ketten der Resignation zerschlagen wollen, sondern wenn es ihm auch 
gelingt, zu kommunizieren, wofür er kämpft, und dies bereits hier und 
jetzt in seinem Innern zu beleben. 
 In diesem Sinne haben zwei 
Jahrzehnte Ideo logisierung der revolutionären Ideen große Schäden 
angerichtet. Wir sind Waisen von Ideen, die ihre Denkbarkeit verloren zu
 haben scheinen. Wir müssen aus der Ecke herausbrechen, in die wir 
gedrängt wurden, und aufhören, diese Situation kläglich zu 
verherrlichen. Die Konfliktualität, die zur Zeit anwächst, und die einen
 ziemlich anderen Charakter annehmen könnte, als das, was wir bisher nur
 allzu gut kannten, bietet uns reelle Möglichkeiten, wieder zu 
experimentieren und die ideologische Umzingelung unserer Basis zu 
durchbrechen. Der Widerspruch der Subversion verbirgt sich in der 
Spannung zwischen der Annäherung an die Realität und dem Ausbrechen aus 
dem Rhythmus, um zu kommunizieren, was für unmöglich gehalten wird. 
Vielmehr
 als eine akkurate Einschätzung der Situation, in der wir uns befinden, 
sind diese Worte eine Aufforderung, ja ein Aufruf, unsere Köpfe zu 
öffnen und zu versuchen, den sich anbahnenden Herausforderungen direkt 
in die Augen zu schauen. In den kommenden Zeiten könnte vieles auf dem 
Spiel stehen, und die einzige Sicherheit, die wir haben, ist, dass 
Trägheit und ideologische Verblendung noch schwerwiegendere Folgen 
werden haben können als sie bisher schon hatten. 


