Es war ein deutliches Zeichen gegen Neonazis und rassistische Gewalt, dass etwa 900 Antifaschist_innen am Freitagabend im als Schwerpunkt der Neonaziszene geltenden Süden Neuköllns setzten. Die Demonstration, die vom U-Bahnhof Lipschitzallee zum U-Bahnhof Rudow zog, stand unter dem Motto „Zeit zu Handeln! Keine „Homezone“ für Nazis und Rassist_innen!“. Die Teilnehmer_innen ließen sich dabei von einer zeitgleich stattfindenden Neonazidemo nicht aus dem Takt bringen und setzten eigene Akzente. Knapp fünfzig Nazis mussten mit ihrer Demonstration in den Tempelhofer Ortsteil Marienfelde ausweichen. Auch dort wurden sie von massiven Protesten begleitet und konnten ihren Aufmarsch am Ende nicht wie geplant durchführen. Unterdessen sind weitere antifaschistische Aktionen in Südneukölln bereits in Planung.
Über Wochen mobilisierten antifaschistische Gruppen zur Demonstration im Süden Neukölln. Sie informierten über die Neuköllner Neonaziszene, ihre Strukturen und die von ihr ausgehende Gewalt gegen Linke und Migrant_innen. Dazu wurden diverse Vorfeldaktionen durchgeführt und auch die Kampagne „Neukölln gegen Nazis“ beteiligte sich an der Mobilisierung und klärten in mehreren gut besuchten Veranstaltung im Vorfeld über das Anliegen und den Hintergrund der Demonstration auf. In der Endphase der Mobilisierung wurde es noch ein Mal hektisch, als bekannt wurde, dass Neuköllner und Berliner Neonazistrukturen sowohl aus der NPD als auch dem Kameradschaftsspektrum in Reaktion auf die antifaschistische Demonstration zu einem Aufmarsch in Neukölln mobilisierten. Die Organisator_innen der antifaschistischen Demonstration ließen keinen Zweifel daran, dass sie an ihrer Mobilisierung festhalten und das Ablenkungsmanöver der Nazis ins Leere laufen lassen werden. Dieser Plan ging am Ende auf. Die Neonazis, die ihre Demonstration bei laufender Mobilisierung offenbar noch nicht angemeldet hatten, mussten nach einem Gespräch mit der Versammlungsbehörde schließlich nach Marienfelde ausweichen. Die von ihnen zuvor gedruckten und an einigen Südneuköllner U-Bahnhöfen verklebten Plakate, die als Startpunkt den U-Bahnhof Blaschkoallee angaben und ohnehin nur eine kurze Klebedauer aufwiesen, waren damit für die Katz.
„Dahin gehen wo es ihnen weh tut…“
Schnell zeigte sich, dass die Demonstration zu einem antifaschistischen Mobilisierungserfolg werden würde. Am Startpunkt am U-Bahnhof Lipschitzallee hatten sich um 17:30 Uhr bereits mehrere Hundert Antifaschist_innen aus verschiedenen Spektren eingefunden. Im Verlauf der Demonstration durch den von den Neonazis für sich beanspruchten Süden Neuköllns, stieg ihre Zahl auf bis zu 900 an. Bevor der Demonstrationszug sich um kurz nach 18 Uhr in Bewegung setzte, wurde in einem Redebeitrag an den 22-jährigen Burak B. erinnert, der in der Nacht vom 4. auf den 5. April 2012 im Neuköllner Ortsteil Britz ermordet und am Freitagvormittag beigesetzt worden war. Der Beitrag betonte selbstkritisch, dass aus dem jahrelangen Versagen von antifaschistischen Gruppen und zivilgesellschaftlichen Initiativen bei der politischen Verortung der rassistischen Mordserie der NSU, Konsequenzen gezogen werden müssen. Mit Blick auf den aktuellen Mord wurde eine kritische antifaschistische Begleitung von Berichterstattung und Ermittlungen gefordert. Eine andere Motivation als eine Rassistische sei derzeit nicht erkennbar und eine gesellschaftlich Debatte hierrum unverzichtbar. Unter Sprechchören und mit Winkelementen ausgestattet ging es schließlich zunächst Richtung Gropiusstadt. Die Demonstration stieß bei den Anwohner_innen vielfach auf positive Reaktionen, mit Flyern und Lautsprecherdurchsagen wurden sie über die Ziele des Protestes informiert. Einige schlossen sich auch der Demonstration an. In einem Redebeitrag wurde die Zuschreibung der Hochhaussiedlung als sozialer Brennpunkt zum Anlass genommen, stellvertretend für ein zunehmend gesellschaftsfähiges Denken, in dem Armut zu Ergebnis persönlichen Versagens umgedeutet und all diejenigen die nicht ins Idealbild der kapitalistischen Leistungsgesellschaft passen als „faule Schmarotzer“ diffamiert werden, wurde Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky aufs Korn genommen. Neben seinen immer wieder laut geäußerten sozialchauvinistischen Positionen, kamen auch seine rassistischen Herabwürdigungen gegenüber in Neukölln lebender Migrant_innen und sein totalitarismusideologisch verbrämter Umgang mit neonazistischer Gewalt zur Sprache.
Bei einer Zwischenkundgebung an der Kreuzung Zwickauer Damm Ecke Neuköllner Straße wurde an die unrühmlichen Vorfälle auf der dort gelegenen Sportanlage im letzten Jahr erinnert. Bei einem Fußballspiel der Berlin-Liga im vergangenen Oktober hatten rechte Fans des dort beheimateten TSV Rudow 1888 e.V. , die als linksalternativ geltenden Anhänger_innen von Tennis Borussia Berlin mit homophoben und NS-relativierenden Parolen beleidigt und mit Gegenständen beworfen. In der Rede wurde drauf hingewiesen, dass die Anwesenheit von rechten Hooligans und organisierten Neonazis bei Spielen des RSV Rudow keine Seltenheit ist. Beim Spiel im Oktober war mit Thomas Schirmer ein bereits einschlägig in Erscheinung getretener Neonazi als Ordner eingesetzt. Auch daran, dass er seine Gesinnung durch ein Hose der Marke „Thor Steinar“ offen nach außen trug, habe sich niemand gestört. Unmissverständlich wurde der Verein aufgefordert sich zu positionieren.
Nach einer Information zur Situation im benachbarten Schöneweide ging die Demo weiter. Hier kam es zu einem Disput mit Gästen der Gaststätte und Pension „Zur Post“, die im offensichtlich angetrunkenen Zustand lautstark gegen die vorbeilaufende Demo gepöbelt und demonstrativ Flyer zerrissen hatten. Es sollte allerdings die einzige Reaktion dieser Art bleiben. Ein Abstecher in das beschauliche Wohngebiet südlich des U-Bahnhofs Rudows wurde genutzt, um noch ein Mal die Verbindung der Berliner NPD mit den militanten Kameradschaftsstrukturen unter dem Label „NW-Berlin“ hervorzuheben. Auch wurde darauf aufmerksam gemacht, dass dort mit dem Anti-Antifa-Fotografen Patrick Weiss, einer der führenden Neonaziaktivisten in Rudow seinen Wohnort hat. Vor dem Ende der Demonstration wurde für die Teilnahme an der antifaschistischen Straßenparade zum Tag der Befreiung Neuköllns am 28. April geworben. Dort soll der 67. Jahrestag der Befreiung Neuköllns durch die Rote Armee gedacht und allen Menschen gedankt werden, die unter Einsatz ihres Lebens für die Zerschlagung Deutschlands kämpften, wie es im Aufruf der Veranstalter_innen heißt. Kurz danach löste sich die Menge an der Rudower Spinne auf.
Weder an den massiv mit Polizeifahrzeugen abgesperrten „Ketchup“-Imbiss noch einem anderen Punkt der Route ließen sich am Freitag Nazis sehen. Die Polizei, die von der Teilnehmer_innenzahl überrascht schien und mit für Berliner Verhältnisse geringen Kräften vor Ort war, hatte sich während der Demo weitgehend zurückgehalten. Nach Abschluss versuchten die Beamt_innen in einem U-Bahnwaggon doch noch eine Festnahme wegen einer vermeintlichen Beleidigung, diese scheiterte jedoch am solidarischen Handeln der Mitreisenden.
…unterdessen in Marienfelde
Nachdem die Nazis nicht wie geplant in Neukölln marschieren konnten, meldeten sie stattdessen eine Demo durch den im südlichen Tempelhof gelegenen Ortsteil Marienfelde an. Doch auch ihre Platzrunde in Sichtweite der Stadtgrenze konnten sie nicht wie geplant absolvieren. Nachdem der Auftaktort an die Marienfelder Allee Ecke Nahmitzer Damm bekannt geworden war, hatten Parteien dort eine Gegenkundgebung angemeldet. Bei den Nazis rührte sich dagegen lange Zeit nichts. Nachdem es so schien als würde die 30 dort versammelten Neonazis unter sich bleiben, trudelten doch noch einige „Kameraden“ ein, so dass die „Menge“ schließlich noch auf knapp 50 Teilnehmer_innen anwuchs. Neben dem üblichen NPD-Personal wie Sebastian Schmidtke, Uwe Meenen, Sebastian Thom, Jan Sturm und Jill-Pierre Glaser waren auffällig wenige bekannte Gesichter u. a. Stefanie Piehl zu sehen. Offensichtlich schmeckte vielen Neonazis ihre unattraktive Ausweichroute gar nicht. Gegen 19:30 Uhr ergriff der neu gewählte NPD-Landesvorsitzende Schmidtke schließlich das Mikrofon, um die Auflagen zu verlesen. Im weiteren Verlauf verhöhnte er das Mordopfer aus Neukölln mit den Worten: „Hätte es Kiezstreifen gegeben, wie die NPD fordert, wäre der junge Burak nicht ums Leben gekommen.“ Übertönt werden seine Aussagen von etwa 200 Gegendemonstrant_innen und Anwohner_innen die rund um die Nazidemonstration lautstark ihren Unmut äußerten. Mehrere kleine Sitzblockaden verzögerten den NPD-Aufmarsch immer wieder. Die Polizei ging bei der Räumung teils rabiat vor und nahm mehrere Menschen fest. Auch vier Teilnehmer der Neonazidemonstration wurden in Gewahrsam genommen, nachdem sie sich vermummt hatten. Um 21:30 Uhr beenden die Nazis ihre Demonstration vorzeitig. Statt zurück zu ihrem Auftaktort zu laufen, rollen sie ihre Fahnen und Transparente bereits an der Kreuzung Lichterfelder Ring Ecke Waldsassener Straße ein. Von dort werden sie in einem extra für sie gecharterten BVG-Bus Richtung Schöneweide gebracht.
Unterm Strich ein sehr erfolgreicher Tag. Mehr als 1.000 Menschen waren im Berliner Süden gegen Nazis auf der Straße, während etwa 900 von ihnen in Südneukölln ein starkes antifaschistisches Zeichen setzen, versauten 200 weitere den Nazis in Marienfelde den Tag. Getrübt wird diese Eindruck allerdings von einem Angriff von Demonstrationsteilnehmer_innen auf eine Person mit einer Israel-Fahne. Gewalt darf kein Mittel der politischen Auseinandersetzung innerhalb einer antifaschistischen Demonstration sein. Für innerlinke Gewaltäter_innen ist kein Platz auf ebensolchen Veranstaltungen.
Weitere antifaschistische Aktionen in den nächsten Monaten sind bereits in Planung. Nähere Infos dazu gibt es bald. Informieren könnt ihr euch unter „Zeit zu Handeln“ oder Antifa Berlin.
Bilder vom Tag gibt es bei flickr zu sehen.
Antifa-Demo: 1, 2, 3, 4.
Naziaufmarsch: 1, 2, 3.
Weitere (Presse)Artikel vom Tag gibt es bei: Fels, neukoellner.net, Taz, Tagesspiegel und Berliner Zeitung.