Am 12. Dezember 2010 wurde in Heidelberg „Simon Brenner“ als Spitzel des Landeskriminalamts enttarnt [die GWR berichtete].(1)
Er hatte über mehr als neun Monate hinweg die örtliche linke Szene ausgespäht. In den verschiedensten Gruppen hatte er Informationen über die politischen und privaten Aktivitäten von Hunderten von Menschen gesammelt und regelmäßig Berichte darüber verfasst. Für die Betroffenen, die teilweise fast täglich Kontakt mit ihm hatten, war das ein Schock, jedoch wehrten sie sich mit einer breit angelegten Öffentlichkeitskampagne. Einige der AktivistInnen haben inzwischen Klage eingereicht, um auf juristischem Weg eine Aufklärung dieser dreisten Polizeimaßnahme zu erreichen.
Der Spitzel „Simon Brenner“
Im April 2010 tauchte „Simon Brenner“, eingeschrieben als Student für Ethnologie und Germanistik, beim Heidelberger SDS auf, der Studi-Organisation der Partei Die Linke.
Gemeinsam mit den anderen AktivistInnen nahm er im Frühjahr 2010 an Demos im Rahmen des Bildungsstreiks und gegen das AKW in Biblis teil und fuhr mit ihnen nach Berlin, um dort den SDS-Kongress zu besuchen.
Im Mai traf der staatlich bezahlte Schnüffler beim linken Campus Camp die Kritische Initiative (KI), einen offenen Zusammenschluss von Studierenden, der zu einem breiten Spektrum von Themen aktiv ist. In der KI bekam „Simon Brenner“ einen guten Einblick in zahllose linke Politikfelder und lernte Menschen und Gruppen in vielen Städten kennen.
Zusätzlich engagierte er sich in der Heidelberger Klimaaktionsgruppe und weiteren Strukturen. Er zeigte sich immer sehr motiviert und hilfsbereit.
So übernahm er bald organisatorische Aufgaben, etwa als Ordner bei einer Bildungsstreik-Demo oder im Bereich der Pressearbeit. Bereitwillig stellte er sein Auto für Transporte zur Verfügung und war dadurch immer schon beim Aufbau von Aktionen am Start.
Mit seiner Fahrt zum NoBorder-Camp Ende September 2010 in Brüssel startete der LKA-Beamte sogar einen mehrtägigen Auslandseinsatz und beteiligte sich dort am Campschutz und an der Legal-Team-Struktur.
Außerdem war er mit MedienaktivistInnen unterwegs und verfasste einen Artikel ausgerechnet zum Thema Polizeigewalt. Darin ist er ja sicher Fachmann.
Beim Castortransport im Herbst 2010 organisierte der vermeintliche Student die Blockade in Berg mit und war bei vielen Vor- und Nachbereitungstreffen dabei. Während der Südblockade übernahm er Schichten am Infopunkt und hatte so Zugang zum Infotelefon und mehreren Telefonlisten.
Mehrfach nahm der Spitzel an antifaschistischen Demos teil, so zum Beispiel an einer Anti-Nazi-Demo in Sinsheim-Hoffenheim oder an den Protesten gegen das städtische „Heldengedenken“ auf dem Heidelberger „Ehrenfriedhof“.
Doch selbstverständlich trat „Simon Brenner“ nicht nur bei der politischen Arbeit in Erscheinung. Regelmäßig war er in WGs von verschiedenen AktivistInnen zu Gast, wo er mit größter Selbstverständlichkeit deren Computer nutzte und des Öfteren übernachtete.
Vielen Menschen gaukelte er eine enge Freundschaft vor und verschaffte sich bei persönlichen Gesprächen Einblicke in das Privatleben der AktivistInnen. Ob bei der Vokü im selbstverwalteten Café Gegendruck oder bei Soliparties - immer war der kontaktfreudige junge Mann dabei und suchte das Gespräch mit Leuten aus verschiedenen Gruppen.
Die Enttarnung
Bei einer Party am 11. Dezember 2010 - wenige Stunden nach einer von ihm organisierten Critical Mass -, erkannte eine Frau ihn wieder: im Sommerurlaub war ihr der Zeltnachbar als „Simon von der Polizei“ vorgestellt worden.
„Simon Brenner“ versuchte, sie davon abzuhalten, doch sie informierte die AktivistInnen der KI am nächsten Morgen über seine wahre Identität.
Am Abend des 12. Dezember 2010 wurde der Spitzel damit konfrontiert, und der LKA-Beamte sah keinen Sinn darin, die offensichtliche Tatsache abzustreiten. Erstaunlich bereitwillig erzählte er zahlreiche Details seines Einsatzes - vermutlich eine bereits im Training vermittelte Vorgehensweise, um unbeschadet einer solchen bedrohlich wirkenden Situation zu entkommen.
Der Schnüffler berichtete, er habe in der Abteilung I540 („Verdeckte Ermittlungen Staatsschutz“) einen Crashkurs zum Spitzel absolviert, in dem er über linke Gruppen und deren Arbeit in der Region Heidelberg informiert worden sei. Eigentliches Einsatzziel sei die „Antifa-Szene“ gewesen, hauptsächlich die Antifaschistische Initiative Heidelberg, wobei es jedoch keine konkreten Straftaten als Anlass gegeben habe; vielmehr sei er zur Informationssammlung und Gefahrenprävention losgeschickt worden.
Über alle Menschen, deren volle Namen ihm bekannt wurden, legte der Verdeckte Ermittler nach seinen Angaben Personalakten an und verfasste im Zweiwochentakt Berichte in seinem LKA-Büro; außerdem habe er telefonischen Kontakt zum Heidelberger Staatsschutz unterhalten.
Befragt nach konkreten Einzeleinsätzen gab er an, das auffallend große Polizeiaufgebot samt Hundestaffel bei den Protesten gegen das militaristische und geschichtsrevisionistische „Heldengedenken“ veranlasst zu haben: er habe gehört, dass eine „Aktion“ von AntifaschistInnen geplant sei.
Diese „Aktion“ entpuppte sich dann als der trotzdem erfolgreiche Versuch, in „unauffälliger“ Kleidung durch die Sperren zu kommen und während der Veranstaltung Protesttransparente zu entrollen.
Nach diesem Abend verschwand „Simon Brenner“ für immer aus Heidelberg.
Linke Solidarität gegen staatliche Vertuschung
Für die AktivistInnen der Heidelberger Szene war die Erkenntnis ein Schock, insbesondere für jene, die ihn zu ihrem engsten Freundeskreis gezählt hatten. Ohnehin konnte hier nicht - wie bei anderen Repressionsschlägen - auf Erfahrungswerte aus anderen Fällen zurückgegriffen werden.
Doch sofort waren sich alle einig, dass die Enttarnung unmittelbar öffentlich gemacht werden musste, und zwar sowohl innerhalb der Szene, die ja in vielen Städten mit betroffen war, als auch in der breiten Öffentlichkeit - schließlich handelte es sich hier um einen rechtswidrigen Grundrechtseingriff in hunderten von Fällen, der sich gegen ein breites Spektrum von linken, aber auch bürgerlichen Gruppierungen gerichtet hatte.
Innerhalb der nächsten Tage folgten Pressemitteilungen der Roten Hilfe und der als Ziel benannten Antifaschistischen Initiative, es gab zahllose Presseerklärungen von betroffenen linksradikalen, studentischen und bürgerlichen Gruppen, etwa dem BUND.
Auf linksunten.indymedia wurden alle Details bekanntgemacht, die über den Einsatz und den Verdeckten Ermittler gesammelt werden konnten. Und tatsächlich reagierte nicht nur die linke Presse auf diesen skandalösen Repressionsschlag, sondern auch bürgerliche Medien.
Der Jahreswechsel war geprägt von Berichten über die Bespitzelung linker AktivistInnen.
Neben Artikeln in allen Tageszeitungen gab es vereinzelte Fernsehberichte, und vor allem linke Radios sendeten Dutzende von Interviews mit Betroffenen. Das CDU-geführte Innenministerium und alle beteiligten Polizeidienststellen stritten die Vorwürfe zunächst so gut wie möglich ab oder hüllten sich bei Anfragen in Schweigen.
Gegen diese staatliche Vertuschungsstrategie mussten neue Mittel der Aufklärungsarbeit entwickelt werden. Und tatsächlich nahm eine solidarische Gruppe von HackerInnen die Sache selbst in die Hand und veröffentlichte zahllose Informationen über Simon Bromma, wie der LKA-Beamte in Wirklichkeit heißt.
Im Zuge dieser Recherchen wurden auch viele Details über seinen Einsatz aufgedeckt.
So konnte nachgewiesen werden, dass der Spitzel während seines fünftägigen Aufenthalts auf dem NoBorder-Camp in Brüssel 35 SMS an seinen „Führungsbeamten“ geschickt hatte, und auch zahlreiche weitere seiner Angaben konnten so verifiziert werden.
Ohnehin lief die Aufarbeitung des Einsatzes sehr solidarisch ab: in Heidelberg gelang es den betroffenen linken Gruppen, sich über alle bestehenden Unterschiede in der politischen Analyse und Praxis hinwegzusetzen und einen gemeinsamen solidarischen Umgang zu finden. Auch aus anderen Städten erfuhren die Betroffenen viel Unterstützung und reges Interesse an dem Fall.
An den Demos und Aktionen gegen den Spitzeleinsatz beteiligten sich viele linke AktivistInnen vor allem aus dem Südwesten.
Doch auch die Grünen und die SPD wollten sich das Thema nicht entgehen lassen und starteten in den folgenden Monaten mehrere Kleine Anfragen im baden-württembergischen Landtag.
Nun konnte sich das Innenministerium nicht mehr komplett um eine Antwort drücken und räumte am 13. Januar 2011 ein, dass es einen solchen Einsatz „gegen konkrete Zielpersonen aus der antifaschistischen/anarchistischen Szene und einzelne Kontaktpersonen dieser Zielpersonen“ gegeben habe.
Ob die mehreren hundert Betroffenen konkrete Zielpersonen, einzelne Kontaktpersonen oder bedauerliche massenhafte Kollateralschäden des menschenverachtenden Schnüffeleinsatzes waren, ließ der damalige CDU-Innenminister Rech offen. Trotzdem ging aus den knappen Antworten hervor, dass der Einsatz nicht auf der Basis der Strafprozessordnung stattgefunden hatte, sondern nach dem neuen baden-württembergischen Polizeigesetz.
Das bedeutete, dass es keine laufenden Ermittlungsverfahren gab, die zum Spitzeleinsatz geführt hatten (in diesen Fällen, also „zur Aufklärung von Straftaten“, gilt die StPO), sondern dass es eine rein präventive Maßnahme war: das Landespolizeigesetz sieht vor, dass Verdeckte ErmittlerInnen „zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ eingesetzt werden können.
Auch wenn das ein so dehnbarer Begriff ist, dass jeder Kaugummi neidisch werden könnte, mussten die Repressionsbehörden viel Fantasie aufbringen, um dann schließlich doch nur einen lächerlichen Anlass aus dem Hut zu zaubern: bei einer Hausdurchsuchung in einer alternativen WG im Kraichgau - 50 Kilometer von Heidelberg entfernt - waren einige Flaschen mit brennbarer Flüssigkeit im Keller gefunden worden.
Diese sollten nach Angaben eines Beschuldigten dem Schutz vor Nazis dienen, die das Haus und seine BewohnerInnen schon mehrfach angegriffen und bedroht hatten. Ein alter Treppenwitz in der Geschichte staatlicher Repression - „und zehn leere Flaschen Wein können schnell zehn Mollies sein“, besangen schon Ton Steine Scherben den polizeilichen Ideenreichtum bei der Konstruktion linker „Gewaltbereitschaft“.
Die Antwort auf die Frage, wie sich zwischen der WG im Kraichgau und der linken Szene in Heidelberg, in der der Spitzel eingesetzt war, eine Verbindung herstellen lässt, bleiben die Behörden weiterhin schuldig. Ebenso bleiben zahllose weitere Fragen, die der Innenminister entweder nur sehr knapp oder gar nicht beantwortete: „Aus Gründen der Geheimhaltung können weitergehende Informationen dazu nicht veröffentlicht werden“.
Zu dieser Zeit forderten auch SPD und Grüne eine sofortige Aufklärung des Heidelberger Spitzelskandals und gaben regelmäßig Statements gegenüber der Presse ab - schließlich war es beste Wahlkampfzeit.
Tatsächlich gewannen die beiden Parteien die Landtagswahl im Frühjahr 2011, doch sind, wie zu erwarten war, die Wahlkampfversprechen wie Seifenblasen geplatzt. Anstatt einer CDU-geführten Vertuschungsstrategie mauert nun eben eine grün-rote Landesregierung, die sich noch nicht einmal mit lästigen Fragen der Opposition herumärgern muss.
Das Innenministerium unter Reinhold Gall (SPD) hat offenbar mit dem Amtseid gleich auch ein Schweigegelübde abgelegt und blockiert die Aufklärung ganz in der Tradition seines CDU-Vorgängers.
Spitzel als neues Repressionsprogramm?
Der Fall des LKA-Spitzels in Heidelberg steht dabei keineswegs isoliert, wie es auf den ersten Blick wirken mag. Schon nach wenigen Wochen wurde den Betroffenen die Information zugespielt, dass noch zwei weitere Verdeckte ErmittlerInnen in Heidelberg aktiv seien.
Der Innenpolitische Sprecher der Grünen aus dem benachbarten Weinheim, Uli Sckerl, zeigte sich phasenweise recht engagiert und ließ im Sommer 2011 nach „Hinterzimmergesprächen“ verlauten, dass die beiden übrigen Spitzel abgezogen seien. Im Herbst hatte er neue „verlässliche Informationen“ und erklärte, die beiden hätte es nie gegeben.
Doch das Problem beschränkt sich nicht auf Heidelberg und auch nicht auf die BRD: etwa zeitgleich mit der Enttarnung von Simon Bromma ging der Fall des britischen Spitzels Mark Kennedy durch die Presse, der als „Mark Stone“ international im Einsatz gewesen war, darunter auch beim G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm sowie regelmäßig in Berlin.
In den Folgemonaten wurden weitere britische Spitzel bekannt. Ebenso war im Zuge des österreichischen Tierrechtsprozesses der Einsatz der Verdeckten Ermittlerin „Danielle Durand“ offengelegt worden, deren Einsatzberichte als Beweismaterial gegen die Angeklagten dienten.
Auch in der BRD sind aller Wahrscheinlichkeit nach weitere Spitzel im Einsatz. Die staatlichen Stellen schweigen sich auf entsprechende Anfragen dermaßen offensiv aus, dass ein anderer Schluss kaum denkbar ist. Schließlich erklärte das Innenministerium die Geheimhaltung unter anderem damit, zu befürchten sei eine „nachhaltige Beeinträchtigung der Zusammenarbeit mit anderen (…) VE-Dienststellen aus anderen Bundesländern und dem Ausland, denn Kontakte würden offenbart“.
Tatsächlich gibt es eine rege Zusammenarbeit zwischen den Polizeien der verschiedenen EU-Staaten. So bilden sich beispielsweise auf der Basis eines EU-Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen regelmäßig „Gemeinsame Ermittlungsgruppen“, die international Maßnahmen abstimmen; auch verdeckte Einsätze sind dabei aufgeführt.
Hintergrund dieser verstärkten, auch grenzüberschreitenden Bespitzelung ist die international inszenierte staatliche Paranoia vor „Radikalisierung“ und „Extremismus“, die als ideologische Waffe jeden linken Widerstand diffamieren und ihn durch die Gleichsetzung mit Nazis disqualifizieren soll.
Die staatliche Hetze beschränkt sich nicht auf die Medienarbeit, sondern äußert sich auch in handfesten Repressionsstrategien. Beispielhaft dafür ist das EU-Polizeiprojekt CoPPra (Community Policing Preventing Radicalism & Terrorism) zu nennen, in dem ein gemeinsames Vorgehen gegen „Radikale“ entwickelt und die besten Maßnahmen der EU-Länder an die anderen Staaten vermittelt werden. Dahinter steht die Vorstellung einer „Radikalisierungspyramide“, an deren Sockel sich die „unglücklichen Menschen der Gesellschaft“ befinden, die auf ihrer Suche nach Gerechtigkeit immer wieder frustriert werden und sich deshalb in radikalen Gruppen organisieren, um schließlich unweigerlich an der Pyramidenspitze als „TerroristInnen“ zu enden.
Diese staatliche Wahnvorstellung ist nicht nur die Grundlage für „Präventionsarbeit“ wie die berüchtigten „Andi“-Comics des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, die Jugendliche von „extremistischen“ Gruppen fernhalten sollen, wobei Linke, Nazis und islamistische Gruppen großzügig in einen Topf geworfen werden. Sie ist zugleich der ideologische Hintergrund von Spitzeleinsätzen, die Ansätze einer drohenden „Radikalisierung“ aufspüren und den Schritt in den „Terrorismus“ verhindern sollen.
Juristisches Vorgehen gegen den Spitzeleinsatz
Um trotz der staatlichen Vertuschungspolitik weitere Informationen zu bekommen, haben im Sommer 2011 sieben Betroffene eine Feststellungsklage eingereicht, um die grundsätzliche Unrechtmäßigkeit des Spitzeleinsatzes gerichtlich feststellen zu lassen.
Anhand von verschiedenen massiven Grundrechtseingriffen, denen die KlägerInnen ausgesetzt waren, wollen sie einerseits einen Einblick in die über die Szene gesammelten Daten und das Ausmaß der Ausspähung bekommen und andererseits durch einen gerichtlichen Sieg weitere derartige Einsätze in Zukunft unterbinden.
Doch die Betroffenen brauchen einen langen Atem: da sich das Verfahren über viele Instanzen ziehen wird, kann es bis zu zehn Jahre dauern, bis der Fall abschließend entschieden ist.
Einer der Kläger wurde inzwischen darüber informiert, zu den vier offiziellen „Ziel- und Kontaktpersonen“ zu gehören, eine weitere wird als „unvermeidlich betroffen“ eingestuft; die anderen haben sich nach staatlicher Sicht die umfassende Durchleuchtung ihres Lebens nur eingebildet.
Selbstverständlich ist den KlägerInnen dabei bewusst, dass es durchaus problematisch ist, auf diese Art staatliche Institutionen anzurufen; gleichzeitig kann aber auch die punktuelle Konkurrenz zwischen Justiz und Polizei ausgenutzt werden, wie sich schon jetzt abzeichnet: so hat das Innenministerium auf Antrag der Heidelberger Polizei weite Teile der Akten „aus Geheimhaltungsgründen“ gesperrt. Unzugänglich sind damit die Einsatzberichte Simon Brommas sowie behördeninterne Schreiben aus der Zeit nach der Enttarnung.
Als Begründung der im Dezember 2011 verhängten Sperrung führte das Innenministerium an, dass sich nach dem Bekanntwerden der Akteninhalte die Szene künftig besser vor Spitzeleinsätzen schützen könnte und dass - das ist der Gipfel der Frechheit - „die Veröffentlichung der VE-Berichte eine erneute Emotionalisierung der Szene hervorrufen würde“.
Kurzum: weil der Skandal so skandalös und rechtswidrig ist, dass ein öffentlicher Aufschrei garantiert wäre, darf nicht einmal das Gericht die Details kennen, wenn es über die Rechtmäßigkeit befinden soll.
Die wenigen Akten, die dem Gericht und den KlägerInnen vorgelegt wurden, sind durch ausführliche Schwärzungen, die teilweise fast 80 Prozent der Seiten umfassen, zensiert. Bei diesen Unterlagen handelt es sich um den ersten Antrag auf einen Spitzeleinsatz sowie die entsprechenden Verlängerungsanträge, die die Heidelberger Polizeidirektion unter Bernd Fuchs verfasst hat.
Jeweils beigelegt sind einige „Erkenntnisse“ über die örtliche linke Szene und die vier Ziel- und Kontaktpersonen.
Dabei handelt es sich um eine Sammlung von polizeilichen Gemeinplätzen über die vermeintliche Gefährlichkeit und Bedrohlichkeit der linken Szene überall und eben auch in Heidelberg, was darauf schließen lässt, dass der Polizeichef unter zumindest leichter Paranoia leidet oder von nächtlichen Alpträumen geplagt wird. Aber irgendwie muss er ja die zu befürchtenden „schwerwiegenden Straftaten“ herbeikonstruieren, die die Voraussetzung eines Spitzeleinsatzes darstellen.
Die „Vorwürfe“ gegen die vier offiziell anvisierten AktivistInnen sind eine Aufzählung ihrer vergangenen Demobesuche und eingestellter Ermittlungsverfahren, beispielsweise wegen übler Nachrede, Hausfriedensbruchs oder Verstößen gegen das Versammlungsgesetz.
Von konkreten Straftaten, mit denen in nächster Zeit zu rechnen ist, ist nirgends die Rede, geschweige denn von schwerwiegenden Straftaten.
Stattdessen wird den vier AktivistInnen „sog. Demonstrations-Tourismus“ vorgeworfen und gemutmaßt, sie seien von „Widerstandsaktionen im Zusammenhang mit Castor-Transporten und von den Auseinandersetzungen im Bereich Antifaschismus und Globalisierung überzeugt, so dass davon auszugehen ist, dass [geschwärzt] auch bei künftigen Aktionen in diesem Zusammenhang polizeilich in Erscheinung treten“ würden.
Die polizeiliche Befürchtung, mit der dieser Einsatz beantragt (und bewilligt!) wurde, ist also die, dass die vier ganz Schlimmen auch künftig gegen Unterdrückung und Ausbeutung auf die Straße gehen werden und von Grundrechten wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit Gebrauch machen könnten.
Auch im Heidelberger Fall zeigt sich die EU-Ideologie des überall befürchteten „Terrorismus“ und der damit begründeten staatlichen Sammelwut von Informationen über alle Lebensbereiche möglichst aller politisch aktiven Menschen.
Ganz im Sinne von CoPPra heißt es im Spitzelantrag von Bernd Fuchs: „Insbesondere sollen durch den Einsatz Verdeckter Ermittler das militante linksextremistische Spektrum im Bereich Heidelberg/Rhein-Neckar-Kreis weiter aufgehellt [geschwärzt] werden. Mit Hilfe dieser Informationen soll es insbesondere ermöglicht werden, das Gefahrenpotenzial einzuschätzen, um gegebenenfalls rechtzeitig geeignete polizeiliche Maßnahmen einleiten zu können, bevorstehende Straftaten mit erheblicher Bedeutung durch geeignete polizeiliche Präventionsmaßnahmen zu verhindern, [geschwärzt] und gegen sich bildende terroristische Vereinigungen rechtzeitig einzuschreiten.“ Kurzum: zwar haben wir keine Ahnung, was in Heidelberg vor sich geht und ob sich da irgendwas Bedrohliches tun könnte, aber genau deshalb brauchen wir dringend Verdeckte ErmittlerInnen.
Und wie weiter?
Für die kommenden Monate steht zum einen die Klage gegen die Sperrerklärung an, die eine weitere Verzögerung des juristischen Vorgehens bedeutet, aber hoffentlich in eine umfassendere Akteneinsicht mündet.
Zum anderen ist es den KlägerInnen, die vom Arbeitskreis Spitzelklage unterstützt werden, wichtig, durch Pressearbeit und Vorträge im ganzen Bundesgebiet den Spitzeleinsatz und den Prozess bekannt zu machen - gerne auch in eurer Stadt.
Gemeinsam gegen staatliche Überwachung!
Gib Spitzeln keine Chance!
Silke vom AK Spitzelklage
Anmerkung:
vgl.: Gestatten: „Simon Brenner“ – der Spitzel, nicht der Romanheld, Artikel von Sören Weber, in: GWR 356, Februar 2011, S. 5
Mehr Infos unter: http://spitzelklage.blogsport.de