Burschenschafter hetzt gegen Nazi-Widerstandskämpfer

Erstveröffentlicht: 
11.04.2012

Neuer Eklat in der Deutschen Burschenschaft: Ein hoher Funktionär hetzt in einem Leserbrief gegen den Theologen Dietrich Bonhoeffer - und bezeichnet dessen Kampf gegen das NS-Regime als "Landesverrat". Dem Dachverband droht nun die nächste Zerreißprobe.

 

Schlechter könnte es für die Deutsche Burschenschaft (DB) kaum laufen, dem ältesten deutschen Dachverband der Verbindungsszene. Bald steht wieder der Burschentag an, das wichtigste Treffen der Burschenschafter, zu dem Vertreter aller Mitglieder nach Eisenach kommen. Und wieder sieht es so aus, als würden Rechtsextreme das öffentliche Bild prägen.

 

Schon im vergangenen Jahr endete der Burschentag im Eklat: Der Streit um einen "Ariernachweis" führte die DB mit ihren 120 Bünden und knapp 10.000 Verbandbrüdern nah an die Spaltung. Entzündet hatte sich die Auseinandersetzung an einem chinesischstämmigen Burschenschafter:Einigen Bundesbrüdern war er nicht deutsch genug. Es war ein Desaster für die Burschenschaften. Der Großteil der studentischen Verbindungsszene distanzierte sich, der Imageschaden war beträchtlich, selbst internationale Medien berichteten über den Rassismus in der DB.

Dieses Jahr sollte alles besser werden, doch wieder sieht es so aus, als würden Rechtsextreme in dem Verband den Ton angeben.

 

Wie bei dem Streit um den "Ariernachweis" liegt der Ursprung bei der "Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn". Ein prominenter Bursche dieses Bundes titulierte den Nazi-Widerstandskämpfer und Theologen Dietrich Bonhoeffer, der im KZ hingerichtet wurde, als "Landesverräter" - und zwar öffentlich.

 

In einem ausführlichen Leserbrief an die Mitgliedszeitung der Raczeks verteidigte der Bursche zudem die Hinrichtung Bonhoeffers: "Rein juristisch halte ich die Verurteilung für gerechtfertigt." Eine Verurteilung, die so zustande kam: Ein nicht zuständiges SS-Standgericht hatte Bonhoeffer in den Tod geschickt, ohne Verteidigung, ohne schriftliche Aufzeichnung, mit dem KZ-Kommandanten als Beisitzer. Bonhoeffer starb am Tag nach dem Urteil am Strang, wenige Tage vor Kriegsende.

 

 

Warum der Brief strafrechtliche Konsequenzen haben könnte

Der Leserbrief erschien im Herbst 2011 als Antwort auf einen Artikel, in dem Bonhoeffer als Vorbild für heutige Burschenschafter skizziert wurde - eine Einschätzung, der der Leserbriefschreiber vehement widerspricht: Bonhoeffer habe "politische und militärische Pläne vor allem den Briten" übermittelt und so den Tod Tausender deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg mitverschuldet. Schlussfolgerung: "Bonhoeffer war zweifelsfrei ein Landesverräter." Er habe nicht sehen wollen, dass es den Alliierten darum gegangen sei, "Deutschland nachhaltig zu schwächen, zu zerschlagen und zu dominieren, um es deutlich zu formulieren".

 

Experten sehen darin eine "abwegige Argumentationskette", wie es Joachim Perels formuliert, Professor für Politikwissenschaft in Hannover und renommierter Widerstandsforscher.

 

Der Brief könnte zudem strafrechtlich relevant sein. In ähnlichen Fällen verhängten bundesdeutsche Gerichte häufig Urteile wegen übler Nachrede und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Hubert Rottleuthner, Jura-Professor an der FU Berlin und Experte für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, erinnert der Leserbrief an den Präzedenzfall, der bereits 60 Jahre zurückliegt: Damals verurteilte das Landgericht Braunschweig den rechtsextremen Ex-Wehrmachtsgeneral Otto Ernst Remer zu einer Haftstrafe, nachdem er die Widerständler des 20. Juli 1944 als "Landesverräter" tituliert hatte. Ähnlich urteilen Richter bis heute, erst vor knapp drei Jahren musste ein CDU-Mann eine Geldstrafe zahlen, weil er Bonhoeffer ebenfalls als "ganz gewöhnlichen Landesverräter" bezeichnet hatte.

 

 

Der Autor des Briefes hat eine braune Karriere hinter sich

Verfasser des Leserbriefs ist nicht irgendein Burschenschafter, sondern einer der einflussreichsten Funktionäre aus der Führungsriege des Dachverbands: Norbert Weidner, Vorstandsmitglied sowohl der Raczeks als auch der DB. Als Chefredakteur der "Burschenschaftlichen Blätter" bestimmt er die Ausrichtung der auflagenstarken Zeitschrift des Dachverbands, nebenbei mit zurzeit 23.000 Euro im Jahr mit Abstand das bestbezahlte Amt, das die DB zu vergeben hat.

 

Weidner hat eine durchaus einschlägige Vergangenheit, ein Blick in die Zeitungsarchive offenbart seine rechte Karriere. Es setzt sich das Bild eines Mannes zusammen, der in zahlreichen rechtsextremen Organisationen aktiv war, die mittlerweile verboten sind.

 

Mit 15 Jahren stößt Weidner demnach zur rechtsextremen Wiking-Jugend. In den folgenden sieben Jahren steigt er auf zu einem der führenden Köpfe der militanten Neonazi-Szene und zum Funktionär der Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP). Als im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen die Asylbewerberheime brennen, reist Weidner aus Bonn an und gibt Interviews. Kurz darauf entwickelt er maßgeblich die "Anti-Antifa" mit: ein Konzept, mit dem echte und vermeintliche Gegner ausgespäht und ihre Personendaten in einschlägigen Postillen veröffentlicht werden - ein kaum verhohlener Aufruf zur Gewalt.

 

Zu dieser Zeit berichtet die "taz" von einer Kooperation verschiedenster rechter Bewegungen im Köln-Bonner Raum. Demnach arbeiteten in der "Initaitive Gesamtdeutschland" unter anderem die NPD, die DVU oder die Wiking-Jugend zusammen - sowie die FAP und Burschenschaften. Als die FAP im Februar 1995 verboten wird, fungiert Weidner als Landesgeschäftsführer in Nordrhein-Westfalen und vernichtet in der Nacht vor dem Verbot eilig wichtige Belege. Kurz darauf verlässt er die militante Neonazi-Szene - legt aber in mehreren Interviews Wert darauf, er sei nicht ausgestiegen, sondern habe sich lediglich zurückgezogen.

 

Laut Antifa-Publikationen bekleidete Weidner noch bis März 1996 das Amt des Kassenwarts in der Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene (HNG) - eine Organisation, die inhaftierte Rechtsextreme betreute. Auch sie wurde im September 2011 verboten. Nach seinem Rückzug vom militanten Neonazismus studierte er - und wurde 1999 Burschenschafter bei den Raczeks. Im gleichen Jahr trat er laut eigener Aussage der FDP bei.

Schriftlich gestellte Fragen nach seinen Mitgliedschaften bei HNG und FDP beantwortet Weidner ebenso wenig wie die nach der Urheberschaft des Leserbriefs, einen telefonischen Kontaktversuch bricht er umgehend ab. Dabei wird es zurzeit auch intern ungemütlicher für ihn: Für den gemäßigten Flügel der Deutschen Burschenschaft ist Weidner ohnehin seit längerem ein Ärgernis, wie interne Dokumente belegen.

 

Nach dem Eklat um den "Ariernachweis" haben sich zudem die liberaleren Bünde inzwischen in der "Initiative Burschenschaftliche Zukunft" (IBZ) zusammengeschlossen, um den Rechtsextremen entgegenzutreten. Und der chinesischstämmige Bursche, an dem sich der Streit um die Aufnahmekriterien im vergangenen Jahr entzündete, will auf dem Burschentag Ende Mai gar für ein Vorstandsamt im Dachverband kandidieren - für die rechtsextremen Bünde wäre sein Erfolg der Worst Case. Es deutet zurzeit wenig darauf hin, dass der Burschentag in diesem Jahr harmonischer verlaufen wird als der im Jahr 2011.