In den letzten Tagen spitzte sich der bewaffnete Konflikt in Kolumbien noch einmal zu. Abwechselnd gab es sowohl in den pro-staatlichen als auch in den kritischen Medien Berichte über Kämpfe und Militäraktionen zwischen Staat und FARC-EP zum einen und die angekündigte einseitige Freilassung von kriegsgefangenen Soldaten und Polizisten durch die FARC-EP zum anderen. Hoffnung und Resignation, eine Lösung für den Konflikt zu finden, wechselten sich ab. Letzte Befürchtungen, die provokanten Militäraktionen der Regierung könnten die Freilassung gefährden, bestätigten sich nicht. Sowohl Guerilla als auch soziale Bewegungen hatten vermutet, die Regierung wolle absichtlich durch die Militäraktion den Prozess der Freilassung verhindern, um so die Glaubwürdigkeit und das zuletzt gestiegene Ansehen der Guerilla zu schädigen.
Am 21. März bombardierte die Armee als Reaktion auf einen zuvor getätigten Angriff durch die Aufständischen mit fünf Flugzeugen vom Typ „Super Tucano“ ein Camp der FARC-EP in Arauca (Nordöstliches Kolumbien), welches zur 10. Kampffront gehörte. Die 10. Kampffront ist eine der wichtigen und aktiven Fronten im östlichen Militärblock der FARC-EP in der strategisch und reich an Bodenschätzen gelegenen Region, die an Venezuela grenzt. Gemäß der Militärstrategie zur Aufstandsbekämpfung wurde das Camp zuerst um 1 Uhr in der Nacht bombardiert und später seilten sich 75 Soldaten einer Spezialeinheit, unterteilt in sechs kleine Einheiten, aus Hubschraubern ab. Hierbei fanden die Militärs 33 tote Guerilleros, zwei weitere wurden gefangengenommen.
Am 26. März erfolgte ein weiterer schwerer Angriff auf ein Camp der FARC-EP. Diesmal fand die Attacke im südlichen Meta statt, in einer Region, die seit Jahren von den FARC-EP kontrolliert wird. Um kurz vor 3 Uhr in der Nacht, wurde das Camp zuerst mit 10 Tonnen Bomben ausgelöscht und später durch 110 Spezialkräfte besetzt. Zu Gefechten kam es in der dschungelähnlichen und mit Canons durchzogenen Gegend nicht. Gefunden wurden im zerstörten Camp 34 tote Guerilleros und einige Verletzte, wobei zwei später noch verstorben sein sollen. Nach staatlichen Berichten soll sich in dem Camp zur Zeit des Angriffs eine Schulung für höhere Ränge in der politisch-militärischen Hierarchie befunden haben. Bei jenem Schlag gegen die 27. Kampffront der FARC-EP sollen so unter anderem der neue Kommandant dieser Front und weitere höhere Ränge von Kampffronten und mobilen Einheiten getötet worden sein.
In den FARC-EP gibt es den Anspruch, alle Guerilleros durch Kurse zu bilden. Diese umfassen Unterricht zum Lesen und Schreiben, aber auch politisch-militärische Kaderbildung. Viele einfache Guerilleros vom Land haben nie Lesen und Schreiben gelernt und werden im Laufe der Guerillazeit unterrichtet. Für die politisch-militärisch hohen Ränge werden aber immer wieder Spezialkurse initiiert, die unter anderem durch die mobile Kaderschule „Isaías Pardo“, benannt nach einem Mitgründer der FARC in den 60iger Jahren, durchgeführt werden. Diese in den späten 90iger Jahren gegründete Kaderschule zieht so zu den verschiedenen Kampffronten und Einheiten, um Kommandanten und andere Ränge zu schulen.
Für die FARC-EP waren die beiden Angriffe die schwersten Schläge der letzten Jahre. Seit der Aufreibung und Vernichtung der 500 Mann starken Einheit von Ciro Trujillo durch das Militär in der zentralkolumbianischen Region Quindío im Jahr 1966, wurden nie mehr als 30 Guerilleros in einer Militäraktion und fast 70 in nur fünf Tagen getötet. Der bisher schwerste Angriff fand im September 2010 bei einer Bombardierung eines Camps in Putumayo, an der Grenze zu Ekuador, statt, hierbei wurden 27 Guerilleros getötet. Nicht vergessen werden sollen die Angriffe des Militärs im Jahr 2008 und die Tötung von Mono Jojoy 2010 und Alfonso Cano im Jahr 2011. Der militärische Ostblock der FARC-EP muss, obwohl kommandierende Ränge innerhalb der Guerilla schnell ersetzt werden sollen, nun eine Neuorganisierung vorantreiben und wird dadurch voraussichtlich erheblich geschwächt werden.
Diese Angriffe reihen sich ein in eine Intensivierung des bewaffneten Konflikts in den letzten Jahren. Mit dem „Plan Colombia“ wurde Ende der 90iger Jahre die Initiative für Militärprogramme zur Bekämpfung der Guerilla geschaffen, die nun ausschließlich auf dem militärischen Weg erfolgen sollte. Nicht von ungefähr kommt aktuell die Forderung der kolumbianischen Regierung an die USA, weitere Flugzeuge und Soldaten mit Kampferfahrungen aus Irak und Afghanistan nach Kolumbien zu senden. Zunehmend suchen die kolumbianischen Militärs durch Infiltration an Informationen zu kommen, durch Bombardierungen die Hauptgefahr auszuschalten und durch anschließende Bodeneinsätze die Camps der FARC-EP einzunehmen.
Zeitgleich gab es in den zurückliegenden Jahren seitens der FARC-EP immer wieder den Versuch, den Konflikt politisch zu lösen. Als ein Versuch gilt zum Beispiel die Idee, einen Austausch von Kriegsgefangenen mit der Regierung durchzuführen. Immerhin sitzen Hunderte Guerilleros in den kolumbianischen Gefängnissen. Doch was in Israel und anderen Ländern möglich ist, bleibt in Kolumbien nur ein ferner Traum. Als Geste zur Bekräftigung des politischen Willens, führten die FARC-EP mehrmals einseitige Freilassungen von staatlichen Sicherheitskräften durch, die sich als Kriegsgefangene in ihren Händen befunden hatten. Ein Höhepunkt in der auf die Regierung zugehenden Entwicklung ist nun die Ankündigung, auf Entführungen zur Geldeinnahme bei Millionären zu verzichten und die erfolgte Freilassung der letzten 10 Kriegsgefangenen.
Zynischer Weise vom selben Flughafen in Villavicencio (Meta), von dem aus der Angriff auf das Camp der FARC-EP vor wenigen Tagen erfolgte, startete ein Hubschrauber des Internationalen Roten Kreuzes mit der Ex-Senatorin Piedad Córdoba an Bord. Diese hatte die Koordinaten für den Treffpunkt mit der Guerilla. Ziel war ein Dorf mit Namen Mocuare, gelegen am Fluss Guaviare zwischen den Departements Meta und Guaviare. Geflogen wurde der Hubschrauber von brasilianischen Piloten, mit dabei zwei Personen des Internationalen Roten Kreuz und ein Mitglied der Friedensorganisation „Kolumbianerinnen und Kolumbianer für den Frieden“, um die Neutralität zu wahren. Brasilien hatte früh seine Unterstützung angeboten. Ein weiterer Hubschrauber verblieb am Flughafen und sollte nur für Notfälle eingesetzt werden. Nur kurze Zeit verblieben die ehemaligen Gefangenen auf dem Flughafen, trafen auf ihre Familien, wurden ärztlich untersucht und flogen weiter nach Bogotá, wo weitere Untersuchungen erfolgen sollen.
Mit der Freilassung der vier Soldaten und sechs Polizisten versuchen die FARC-EP erneut, sich national und international Gehör zu verschaffen. Damit haben die FARC-EP erneut den ersten Schritt auf die Regierung unter Präsident Santos gemacht und erwarten nun eine Antwort, die sich in einen Dialog ausdrücken sollte. Bisher hat die Regierung aber jeden Kontakt und Dialog mit der Guerilla abgelehnt und die Aufrüstung vorangetrieben. In einem Dialog würde es zum einen um die Anerkennung der Guerilla als einen politischen Akteur gehen, davor scheut die Regierung jedoch. Zum anderen haben die FARC-EP mehrmals bekräftigt, dass sie die Anerkennung der politischen Gefangenen als politische Gefangene fordern, die Regierung behandelt sie jedoch als gewöhnliche Gefangene und Kriminelle in unzumutbaren Zuständen. Außerdem wurden Besuche von Menschenrechtsorganisationen in den Gefängnissen verweigert.
In einer Botschaft der FARC-EP vom Montag (02.04.), die im Zuge der Freilassung der 10 Kriegsgefangenen veröffentlicht wurde, erklären die Aufständischen wiederum ihr Interesse für einen politischen Dialog mit der Regierung und bekräftigen die Beendigung von Entführungen. Nun liege es an der kolumbianischen Zivilgesellschaft und an der Regierung, die nächsten Schritte zu tun. Präsident Santos sagte nur kurz: „Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber es ist nicht ausreichend.“