Aussteiger Benneckenstein

Erstveröffentlicht: 
29.03.2012

Wie ein Neonazi den Absprung schaffte - Raus aus der rechten Szene

 

Ex-Neonazi Felix Benneckenstein hat es dank einer privaten Organisation geschafft, aus der Szene auszusteigen. Ein Gefängnisaufenthalt zusammen mit Abschiebehäftlingen brachte ihn zum Nachdenken. Jetzt will er andere beim Aussteigen unterstützen.

 

Von Bernd Kastner

Rückblickend war es die Begegnung mit den Ausländern. Reden konnte er kaum mit ihnen, keiner sprach so recht die Sprache des anderen. Aber Felix Benneckenstein hat sie gesehen und wahrgenommen, die Asylbewerber, die eingesperrt waren, obwohl sie nichts verbrochen hatten. Nur, um sie schnell und sicher abzuschieben, Flüchtlinge, die man nicht haben will in Deutschland.

 

Benneckenstein war Anfang 20 und saß selber in Stadelheim. Dort traf er auf die Abschiebehäftlinge. Mit denen machte man, was er und seine Kameraden sich all die Jahre gewünscht hatten: rauswerfen aus Deutschland. Der junge Neonazi hätte also zufrieden sein können. Stattdessen regte sich sein Gerechtigkeitsgefühl, weil die Leute ja nichts verbrochen hatten. Er kam ins Nachdenken, langsam und leise.

 

Heute ist dieser junge Mann 25 und ein Aussteiger. Mit anderen hat er einen Verein gegründet, der sich am Mittwoch der Öffentlichkeit vorstellte, die Aussteigerhilfe Bayern. So etwas gab es noch nicht im Freistaat. Der Verein will jene begleiten, denen Zweifel an ihrer Ideologie kommen. Er will Hilfe zur Selbsthilfe bieten und den Weg vom Rand zurück in die Mitte der Gesellschaft weisen.

 

Bislang gibt es so ein Angebot nur vom Innenministerium, Verfassungsschützer betreuen die Klienten. Doch die Hemmschwelle für einen Noch-Neonazi, sich regelmäßig mit einem Beamten zu treffen, dürfte höher sein, als sich an Leute zu wenden, die den Weg selbst gegangen sind und authentisch von ihren Erfahrungen berichten.

 

Aussteiger-Verein für Bayern

 

"Ich möchte wieder Teil der Gesellschaft werden", hat sich Benneckenstein gesagt, das war vor ungefähr zwei Jahren. Dabei war er wer in seiner "Gesellschaft". Als Liedermacher tourte er jahrelang durch die Lande, "Flex" nannte er sich. Aus Erding stammt Benneckenstein, wie er erzählt, mit 14 oder 15 geriet er in die Szene.

 

Später gründete er seine eigene Kameradschaft, lernte als Redner und Ordner das Milieu kennen, gab selbst auch Schulungen. Irgendwann zog es ihn nach Dortmund, das auf extrem Rechte große Anziehungskraft ausübt. Als Neonazis dort einem Aussteiger die Tür eintraten, sei ihm das auch schon aufgestoßen. Doch wenig später kam seine CD raus und "Flex" wurde gefeiert.

 

Bis er wieder im Knast saß, nach einer Schlägerei mit einem Gesinnungsgenossen, und er sich entscheiden musste: Schweigen oder gegen den "Kameraden" aussagen? Er entschied sich, mit der Polizei zu sprechen, wohlwissend, dass dies ein Wendepunkt ist. Mit Hilfe von Exit, der privat organisierten Aussteiger-Initiative aus Berlin, schaffte er den Absprung.

 

Und mit Hilfe von Exit gründete er den Aussteiger-Verein für Bayern. Mit dabei ist seine Freundin, die ebenfalls eine braune Vergangenheit hat. Mit dabei ist auch jener Aktivist der Piratenpartei aus Freising, der seinen Piraten-Vorstandsposten räumen musste, nachdem frühere Kameraden seine braune NPD-Vergangenheit publik gemacht hatten.

 

Während seit Bekanntwerden der Neonazi-Mordserie der Rechtsextremismus die politische Debatte beherrscht, Politiker Prävention propagieren und das Verbot der NPD sowieso, thematisiert kaum jemand die Frage, wie man Neonazis zurückholen kann.

 

Signal an die Rechten

 

Bernd Wagner, der 2000 Exit gründete, ist seit Jahren auf genau diesem Gebiet aktiv, versucht, nach und nach einen bundesweit einheitlichen Standard in der Aussteigerhilfe zu etablieren, politisch, sozial, pädagogisch. Bislang koche jedes Bundesland noch sein eigenes Süppchen.

 

"Wichtig ist der eigene Entschluss", sagt Wagner. Interessierte, Zweifelnde müssten von sich aus kommen. Die Exit-Leute, sagt Wagner, würden den Neonazis nicht hinterherrennen und sie zum Umdenken überreden, die Aussteigerhilfe Bayern will das auch nicht. Aber Wagner plädiert für eine kritische Kommunikation. Ja, man sollte mit ihnen diskutieren, nicht in der Erwartung, sie nach einer Stunde bekehrt zu haben. Aber als Signal an die Rechten: Wir nehmen euch wieder auf, wenn ihr umdenkt. Wir reichen euch die Hand.

 

"Das appelliert an den Verstand", sagt Wagner. Und beim ein oder anderen Extremisten bleibe was hängen, setze das Nachdenken ein. Das reine Ausgrenzen bringe nichts. Hass auf die Nazis erst recht nicht, so verständlich und naheliegend dieses Gefühl auch sein mag. Hass aber schweiße die Szene eher zusammen, aus ihm zögen viele Rechte ihre Energie. Und so versteht auch Martin Becher, Chef des Bündnisses für Toleranz, den neuen Verein als "Signal der Versöhnung": Man bekämpfe Taten und Einstellungen, aber keine Menschen.

 

Dennoch wird Benneckensteins Initiative in der Szene erst mal Aufruhr auslösen, das macht Fabian Wichmann von Exit klar. "Die brodeln. Die wissen nicht, was los ist. Warum macht der das?" Die Aussteiger müssten damit rechnen, als "Volksverräter" beschimpft zu werden, auch Aggression gegen sie sei nicht auszuschließen. Der Gang in die Öffentlichkeit sei also riskant, zugleich aber auch ein gewisser Schutz.

 

Wer raus will aus der Szene und Unterstützung sucht beim neuen Aussteiger-Verein, muss sich auf Fragen einstellen, sagt Vorsitzender Benneckenstein. Die Ex-Nazis wollen mit den künftigen Ex-Nazis über deren politische Einstellung reden. Sie wollen wissen, wie er oder sie es mit der Demokratie hält und der Würde des Menschen. "Einfach nicht mehr aktiv zu sein reicht nicht", sagt Benneckenstein. Ein Aussteiger müsse sich von allem trennen, von den alten Gedanken, von alten Tätowierungen und vom alten Material. Zunächst aber will der Verein, dass bei den Zweiflern in der Szene diese Botschaft ankommt: "Da gibt es Menschen, die mit uns reden."