Vierte Veranstaltung der Veranstaltungsreihe "Kapitalismus und Krise", organisiert von der Gruppe [c²] in Kooperation mit dem Krisenbündnis Mainz / Wiesbaden anlässlich des "european day of action against capitalism - M31".
"Aufstände, Rassismus und die Krise des Kapitalismus"
Vortrag & Buchvorstellung mit Moritz Altenried
Der Ausnahmezustand in England im Sommer 2011 hat Fragen gestellt, auf
die bisher wenig überzeugende Antworten gefunden wurden. Die Versuche
der Regierung, die Riots als „Kriminalität“ zu depolitisieren, wirken
verzweifelt und bieten keine überzeugenden Erklärungen für die
schwersten sozialen Unruhen seit mindestens 20 Jahren.
Der Vortrag
interveniert in diese Debatte und arbeitet den politischen Charakter der
Geschehnisse heraus. Wenn die Aufstände einen Ausnahmezustand
darstellen, dann in dem Sinne, dass die revoltierenden Jugendlichen
einen alltäglichen Ausnahmezustand sichtbar gemacht und teilweise
umgekehrt haben. Dies ist der tägliche Ausnahmezustand, den die
kapitalistische Gesellschaft für immer größere soziale Gruppen darstellt
und der, so der italienische Philosoph Giorgio Agamben, konstitutiv für
moderne Gesellschaften ist. Durch soziale Marginalisierung und
Perspektivlosigkeit sowie Diskriminierung wird vielen die
gesellschaftliche Teilhabe verweigert und klar gemacht, dass sie nicht
Teil der neoliberalen „Big Society“ sind. Die Unruhen sind als Antwort
darauf zu verstehen. Allerdings macht es die teilweise wahllose und
oftmals (selbst-)zerstörerische Gewalt oft auch für die Linke schwierig,
dies als eine explizit politische Antwort zu sehen. Das hat auch mit
der fast vollständigen Verweigerung politischer Kommunikation seitens
der revoltierenden Jugendlichen zu tun, die sich etwa in der Abwesenheit
politischer Forderungen oder den Angriffen auf Journalist_innen und
Übertragungswagen der Fernsehanstalten äußert. Diese Verweigerung
politischer Signifikation ist Ausdruck tiefgreifender Subalternisierung
und einer Krise des Politischen im Neoliberalismus. Gleichzeitig
erschwert dies die Interpretation innerhalb vorgefertigter politischer
Deutungsrahmen und verlangt eine komplexe Analyse.
Die vier Tage der
Unruhen dienen als Ausgangspunkte, um mehrere Aspekte politisch und
theoretisch zu vertiefen. Zu diesen gehören alltäglicher Rassismus,
Polizeigewalt und Widerstand im urbanen Kontext. Darüber hinaus geht es
um das Phänomen der Plünderungen im Spannungsfeld zwischen Konsum und
(Wieder-)Aneignung. Die Verweigerung politischer Kommunikation, aber
auch die Form eines deterritorialisierten Aufstandes ohne Zentrum und
mit ausschließlich vertikaler Kommunikation über soziale Netzwerke
stellen Fragen nach neuen Formen von Macht und Widerstand im
gegenwärtigen Kapitalismus. Abschließend wird der politisch-moralische
„fightback“ der Regierung zwischen Repression und biopolitischer
Bevölkerungspolitik analysiert.
Der Vortrag zielt damit nicht auf
eine umfassende Chronologie der Ereignisse, sondern liefert eine
theoretische Analyse mit dem zentralen Ziel, den originär politischen
Charakter der sozialen Unruhen herauszuarbeiten und eine kritische
Auseinandersetzung mit den Aufständen – auch über den englischen Kontext
hinaus – anzustoßen.
Der Autor: Moritz Altenried ist Politik-
und Kulturwissenschaftler und lebt in London und Berlin. Seine
Interessen und Forschungsschwerpunkte umfassen Cultural and Social
Theory, insbesondere post-strukturalistische und post-koloniale Ansätze,
Rassismus, (Bio-)Macht, Theorien der Differenz und
Repräsentationskritik sowie Politische Ökonomie. Darüber hinaus ist er
in bildungspolitischen und antikapitalistischen Zusammenhängen aktiv und
in den Kämpfen gegen Kürzungen in Bildungs- und Sozialbereich in
England engagiert.
13. März / 19.00 Uhr / Café Klatsch (Wiesbaden)
Links:
http:// cquadrat.tumblr.com/
http://march31.net/
http:// krisenbuendnis.blogsport.eu /