erstens. Nachdem im November 2011 bekannt wurde, dass ein Netzwerk von Nazis jahrelang Menschen ermorden, Banken überfallen und mitten in Deutschland untertauchen konnte, war die öffentliche Empörung groß. Doch so gut Menschen- und Lichterketten, Konzerte und Erklärungen auch gemeint sein mögen, sie helfen weder den Betroffenen noch verhindern sie rassistische Übergriffe und Morde. Solange eine rassistische Grundstimmung dazu führt, dass eine Mordserie über Jahre als "Dönermorde" durch die mediale Berichterstattung geistern kann und solange es wahrscheinlicher scheint, dass die Ermordeten Streitigkeiten in einem "kriminellen Milieu" zum Opfer gefallen sind, als dass Nazis ihr mörderisches Versprechen in die Tat umgesetzt haben, solange können öffentliche Anteilnahmen und Versprechungen nicht gut, sondern nur gut gemeint sein. Sie dienen leider bloß dazu, das eigene Gewissen zu beruhigen, sowie das Image einer Stadt, einer Region, letztlich Deutschlands aufzupolieren und zum Normalbetrieb zurückzufinden.
zweitens.
Wer Nazis und ihre Einstellungen als Problem 
ausgemacht hat und ernsthaft gegen diese vorgehen will, sollte sich 
darüber im Klaren sein, dass diese nicht ohne die sie umgebende 
Gesellschaft denkbar sind. Deshalb muss eine kritische Haltung gegenüber
 Nazis, mit einer kritischen Haltung gegenüber dieser Gesellschaft 
einhergehen. Ein konsequenter und angemessener Umgang mit den Morden 
durch den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) erfordert somit, 
die verantwortlichen Ermittlungsbehörden und die Verfassungsschutzämter 
in ihrer Praxis und, der ihnen zugrunde liegenden politischen Motivation
 in Frage zu stellen. Stattdessen sollen die zuständigen Behörden und 
Ämter neue, "effektivere" Instrumente an die Hand bekommen, wie die 
derzeit völlig unkritisch diskutierte, zentrale "Extremisten-Datei". 
Dass im gleichen Atemzug nur von Pannen oder Versäumnissen der 
zuständigen Ermittler_innen gesprochen wird, ist nicht nur 
verharmlosend. Vielmehr werden die mindestens zehn Opfer des NSU zu 
bloßen Kollateralschäden eines perfiden Spiels zwischen 
Verfassungsschutzämtern und einen Milieu von mordwilligen Rassist_innen 
degradiert.
Ein Blick auf die zahlreichen VS-Skandale der letzten Jahrzehnte lässt 
erahnen, wie ein Geheimdienst funktioniert, der außerhalb jedweder 
demokratischer Kontrolle agiert. Nicht nur in Thüringen wurde die 
Naziszene für die lächerlichen Informationen ihrer V-Männer üppig 
entlohnt und so der Aufbau nachhaltiger Strukturen subventioniert. Nicht
 nur in Thüringen sehen die Verfassungsschutzämter ihre Aufgabe neben 
der Beschaffung von Informationen ebenfalls darin, ihre Quellen vor dem 
Zugriff durch die Polizei zu schützen und deren Rolle in der Szene 
dadurch zu stärken. Dazu bedarf es keiner Verschwörung, es reicht 
vollkommen aus, dass an vielen Stellen innerhalb dieser Behörden 
Menschen arbeiten, die den kollegialen Umgang mit Nazis schätzen oder 
denen es zumindest egal ist. Damit scheinen die Schlapphüte auch davon 
zu kommen, denn ganz im Stile der "sächsischen Demokratie" werden alle 
öffentlichen Aufklärungsversuche, wie beispielsweise ein 
Untersuchungsausschuss, bisher von der konservativ-autoritären Mehrheit 
im Parlament blockiert. Die mediale Aufmerksamkeit, die solchen 
"Enthüllungen" gerade zukommt, wird nur von kurzer Dauer sein − der 
Kreis derjenigen, die eine fundamentale Kritik an der geheimdienstlichen
 Praxis stark machen, wird schon bald wieder überschaubar und damit 
leicht als "extremistisch" zu denunzieren sein.
drittens.
Aus der antikommunistischen Entstehungsgeschichte
 des VS und all seinen Aktivitäten bis heute lässt sich ohne weiteres 
ablesen, dass diese Behörde ihre Feinde "links" sieht.
Selbst wenn einige Nazis für die Taten des NSU verurteilt, einige 
V-Leute "abgeschaltet" und einige Beamt_innen ihre Jobs bei VS, LKA und 
BKA verlieren werden − am Grundproblem ändert dies nichts. Um 
Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, werden wohl auch in Zukunft fleißig
 weiter Daten über vermeintliche "Extremisten" gesammelt und 
"Demokratieerklärungen" verlangt, anstatt sich ernsthaft mit Nazis und 
den Zuständen, in denen sie so leicht agieren können, auseinander zu 
setzen. Die Diffamierung, die den Opfern statt einer Aufklärung 
zuteilwurde, wird weiterhin Bestand haben, die Betroffenen werden wohl 
auch zukünftig nicht ernst genommen.
Dass die staatlichen Behörden nicht per se unfähig und untätig sind, was
 die Ausschöpfung der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel betrifft, 
zeigt sich auch an ihrem eifrigen Engagement gegen Antifaschist_innen. 
So wurden im Umfeld des 13. und 19. Februar 2011 hunderttausende 
Telefondaten von vermeintlichen und tatsächlichen Nazigegner_innen durch
 sächsische Behörden gespeichert und ausgewertet. Vor wenigen Wochen kam
 es darüber hinaus zu ersten Verurteilungen von Blockierer_innen des 
Naziaufmarsches am 19. Februar 2011. In diesem Zusammenhang, aber auch 
resultierend aus der fadenscheinigen Konstruktion krimineller 
Vereinigungen nach §129 StGB, fanden zahlreiche Hausdurchsuchungen und 
Überwachungen in der gesamten Republik statt. Gleichzeitig wird das 
Gespenst eines neuen Linksterrorismus herbeigeredet und die Forderung 
laut, nun endlich den linken die gleiche Aufmerksamkeit zuteilwerden zu 
lassen wie den rechten "Extremisten". Dass hier ausgerechnet der 
Verfassungsschutz, also jene Behörde, die maßgeblich zum Aufbau der 
Naziszene beigetragen hat, mit ihrem Modell des "politischen 
Extremismus" die Deutungshoheit erlangt hat, sollte eigentlich 
aufhorchen lassen. Nach der Logik dieser Extremismustheorie muss der 
Verfassungsstaat und seine "freiheitlich-demokratische Grundordnung" 
gegen jene verteidigt werden, die sich jenseits einer wie auch immer für
 moralisch gut befundenen "demokratischen Mitte" bewegen. Linker und 
rechter "Extremismus" werden so, verbildlicht durch die Form eines 
Hufeisens, gleichgesetzt. Mit der Erklärung nazistischer und 
menschenfeindlicher Ideologien zu Randphänomenen wird auch eine 
notwendige Kritik an alltäglichem Rassismus und anderen 
Diskriminierungen in eben jener "Mitte der Gesellschaft" delegitimiert 
und als extremistisch gebrandmarkt. Sachsens Staatsminister des Inneren 
Markus Ulbig treibt diese Logik der Gleichsetzung auf die Spitze, wenn 
er in einer Video-Botschaft die Bevölkerung mahnt, dass "Antifaschismus 
nicht die richtige Antwort" auf rassistische Morde sei. Dass solcher 
Unfug nicht nur dummes Gerede eines Innenministers ist, sondern in 
Sachsen bereits Realität, zeigt sich am Beispiel Limbach-Oberfrohna. 
Dort müssen sich Menschen, die der rechten Hegemonie im ländlichen 
Sachsen zumindest antifaschistische Akzente entgegen zu setzen 
versuchen, nicht nur gegen gewalttätige Nazis wehren, sondern auch gegen
 Kriminalisierungsversuche durch Polizei und Verwaltung. Dass Ublig die 
zaghaften Fortschritte nun für sich und sein Klientel reklamieren will, 
ist mehr als zynisch. Aber solche Widersprüche lassen diejenigen, die 
Demokratie per Geschäftsordnung umsetzen wollen ebenso kalt, wie die 
Opfer derer, die ihr mörderisches Versprechen − Rassismus − in die Tat 
umsetzen. Dies alles erscheint ihnen nur als Kollateralschaden, um 
"Sicherheit" und ein gutes Image zu erhalten.
viertens.
Wenn Nazigegner_innen diffamiert und 
kriminalisiert werden, während Nazis ungestraft und mit staatlicher 
Unterstützung jahrelang morden können, muss die Abschaffung der 
Verfassungsschutzämter und konsequenter Antifaschismus, im Zweifel gegen
 den Willen staatlicher Stellen, die Antwort sein. Wenn die Grenzen des 
staatlich Geduldeten überschritten werden müssen, um Menschen effektiv 
vor dem Zugriff durch Rassist_innen und Antisemit_innen zu schützen, 
dann werden wir das tun. Denn ein Staat der die Nazis unterstützt, die 
Bedrohung durch sie kleinredet und Antifaschist_innen bei jeder 
Gelegenheit Steine in den Weg legt − so ein Staat muss damit rechnen, 
dass diese Steine auch aufgehoben werden. Dass es bei der ganzen 
Propaganda der "Extremistengegner" nicht um den Schutz der Einzelnen vor
 körperlicher Unversehrtheit geht, das hat die Realität bewiesen − es 
ist an uns zu beweisen, dass wir diese Realität nicht akzeptieren.
Deshalb fordern wir als erste notwendige Schritte:
Ein Bündnis antisächsischer Extrem_ist_innen Januar, 2012

