Der Nazi-Terror und die Geheimdienste
Die staatlichen Repräsentanten zeigten sich nach dem zufälligen Auffl iegen des Neonazitrios tief betroffen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte, »der Rechtsterrorismus ist eine Schande für Deutschland« und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) entschuldigte sich bei den Angehörigen für die falschen Ermittlungen gegen die Opfer. Und sie dürften weiter fassungslos sein – über ihre Beobachtungs- und Verfolgungsorgane.
Kurz vor Jahresende wurde ein geheim gehaltener Untersuchungsbericht des »Bundesamts für Verfassungsschutz« (VS) bekannt. Was schon Kritiker dieser Behörden befürchteten, scheint sich zu bewahrheiten: Der VS und die V-Männer wussten vieles und handelten nicht. Seit dem ersten Novemberwochenende 2011, als Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Eisenach in ihrem Wohnmobil starben und Beate Zschäpe in Zwickau ihre Wohnung sprengte, wurden immer wieder Verflechtungen und Verfehlungen des VS bekannt – vor allem des Thüringer Amtes. Über dreizehn Jahre scheint das Trio ungestört mindestens zehn Morde, vierzehn Banküberfälle und mehrere Sprengstoffanschläge verübt zu haben – geplanter Terror von einer neonazistischen Gruppe, mitgetragen durch ein Netzwerk von NPD- und Kameradschafts-Anhängern, in der Anfangsphase wohl auch unter Beobachtung des VS. Dem Bericht nach hatte das Amt schon 1999 verlässliche Hinweise, dass das Trio sich im Raum Chemnitz versteckt hielt und bewaffnete Überfälle plante. Bis 2001 soll der VS genau über die Aktivitäten informiert gewesen sein. Ein Jahr zuvor hatte das Trio mit den geplanten Morden begonnen.
Die Frage, wer für die Morde mit verantwortlich ist, dürfte neu gestellt werden. Fragen scheinen sich die Sicherheitsbehörden in der Öffentlichkeit aber nicht so gern stellen zu wollen. Der Bericht, bewusst geheim gehalten, legt dies nahe, die Maßnahmen, die schon ergriffen wurden, auch. Lange sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nichts, während in Medien und Politik schon die Diskussion über mögliche Verfehlungen und Verstrickungen von VS-Ämtern lief. Selbst die Union wurde nervös. Knapp räumte später ihr Minister ein, dass »einige Behörden kläglich versagt« haben. Der Chef des »Bundesamtes für Verfassungsschutz«, Heinz Fromm, bekannte denn auch, die Mordserie sei »eine Niederlage für die Sicherheitsbehörden«. Wussten diese schon damals im November, was im Dezember bekannt wurde? Dem langen Schweigen folgte vom Bundesinnenminister ein weit reichender Maßnahmenkatalog.
Eine Fehleranalyse der Ämter und Behörden durch die zuständigen Stellen wurde in der Öffentlichkeit jedoch unterlassen. Für die Zuständigen schien eine Analyse, um nötige Konsequenzen zu ziehen, irrelevant. Vielmehr nutzte Friedrich die öffentliche Betroffenheit, um die angestrebten Sicherheitsverschärfungen zügig durchzusetzen – die weitere Aufhebung der Trennung von Verfassungsschutz- und Polizeiarbeit. Das Trio wird zum Alibi, um die Konsequenzen aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus auszuhebeln.
Die staatlichen Daten über die rechte Szene werden in dem neugegründeten »Gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus« verbunden. Eine Ausdehnung der Vorratsdatenspeicherung wird weiter verfolgt. Einem Abzug der V-Leute ist der Minister aber nicht zugeneigt.
Nach dem Untersuchungsbericht, der bis zum Redaktionsschluss von DRR nur fragmentarisch öffentlich war, wären andere Maßnahmen dringend geboten: die vollständige Überprüfung der Rolle der Ämter und Behörden und ihrer V-Leute. Umso nötiger, da die Informationen nahe legen, dass auch nach dem Ausscheiden des früheren Thüringer VS-Chefs Helmut Roewer im Jahr 2000 das Amt verstrickt zu sein scheint. Bisher schoben die Zuständigen gerne alle Verantwortung dem als exzentrisch geltenden Roewer zu, der wegen Skandalen suspendiert wurde.
Der Bericht bestätigt aber auch, was KritikerInnen schon lange befürchten: Eine demokratische Kontrolle der staatlichen Geheimdienste, etwa durch die Parlamente, scheint nicht möglich. In Deutschland nichts Neues. Die Ämter bleiben sich treu. Bei der Aufarbeitung von Verbindungen zwischen VS und Rechtsextremismus wird selten selbst das, was bekannt ist, bestätigt. Lieber Spekulationen aufkommen lassen, als Fakten zu schaffen, die Konsequenzen bedingen.
Ab dem neuen Jahr bemüht sich Barbara John als Ombudsfrau um die Opfer und Opferangehörigen der »Zwickauer Zelle«. Friedrich unterstützt die Hilfe. Vor Neujahr sprach er aber auch schon wieder mehr vom Kampf gegen den Extremismus als vom Kampf gegen den Rechtsextremismus. Nur kurz war auch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) etwas leiser. Längst tönt sie wieder, Kritik an der »Extremismusklausel« sei als Bedingung für eine Projektförderung »unverständlich«. »Man kann Extremismus nicht mit Extremisten bekämpfen«, betonte sie im November bei der Bundestagsdebatte zum Thema »Kampf gegen den Rechtsextremismus«.
Die ideologische Sicht des Extremismuskonzeptes verzehrt weiterhin die politische Wahrnehmung. Eine Wahrnehmung des Rechtsextremismus, die den Handlungswillen der militanten Szene nicht wahrhaben will, den Vernetzungen des illegalen Spektrums kaum entgegenwirkt und Waffen- und Sprengstofffunde als Narretei und Spleen einordnet. Neonazis hätten eben eine Affinität zu Waffen, hieß es von manch staatlicher Stelle –. Affinitäten, die zu Aktionen führten. In den Jahren von 1989 bis 2011 starben, nach einer Studie der »Amadeu Antonio Stiftung« mindestens 182 Menschen durch rechte Gewalt.