Chronik einer Behörde: Spitzel, Wanzen, Bomben

Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln
Erstveröffentlicht: 
28.01.2012

Die Chronique scandaleuse des Verfassungsschutzes seit 1950 zeigt vor allem eins: Er ist überflüssig und gehört schleunigst abgeschafft.

Diese Behörde – »this agency« – dürfe keine polizeilichen Befugnisse haben, schrieben die westalliierten Militärgouverneure in einem Brief vom April 1949 an den Parlamentarischen Rat in Bonn zu seinen Beratungen über das Grundgesetz. »This agency« – damit war eine Institution gemeint, welche die junge Republik gegen Gefahren aus dem kommunistischen Osten schützen sollte. So kam der Grundgesetz-Artikel 73 Ziffer 10 zustande, nach dem der Bundestag ein Gesetz beschließen konnte »zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz)«. 1950 wurde das Bundesverfassungsschutzgesetz beschlossen; es entstanden das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln und in jedem Bundesland ein entsprechendes Landesamt.

Und sofort begannen die Affären. Der Verfassungsschutz schlingerte von Katastrophe zu Katastrophe. Gleich 1953 gab es die Vulkan-Affäre. Es ging um Wirtschaftsspionage für die DDR. Aufgrund eines Dossiers des Verfassungsschutzes wurden in einer Operation mit dem Decknamen »Vulkan« über dreißig Verdächtige verhaftet, völlig zu Unrecht, wie sich bald herausstellte. Für einen von ihnen, einen Stahlkaufmann, kam die Rehabilitation indes zu spät: Er hatte sich in der Haft erhängt.

1954 die John-Affäre: Otto John, von den Engländern empfohlener und von den Militärgouverneuren ernannter erster Chef des Verfassungsschutzes – Bundeskanzler Adenauer konnte ihn nicht leiden –, floh in die DDR. Johns Motive wurden nie recht klar. Später, nach seiner Rückkehr in den Westen, behauptete er steif und fest, er sei entführt worden.

Sein Nachfolger in Köln, Hubert Schrübbers, wurde noch kurz vor der Pensionierung 1972 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, da seine Verwicklung in die Terrorjustiz des »Dritten Reichs« ruchbar geworden war.

1963 die Telefon-Affäre, aufgedeckt von der ZEIT: Das Kölner Amt verblüffte durch verfassungswidrige Telefon- und Briefkontrollen, auch von prominenten Politikern, sogar der CDU.

1968/69 die Urbach-Affäre: Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke besorgte Peter Urbach, V-Mann der Berliner Behörde und Agent Provocateur im Auftrag des Innensenators, den aufgebrachten Studenten Molotowcocktails – und die ersten Waffen für die 1969 entstehende Rote Armee Fraktion, RAF. Schließlich lieferte er sogar eine Bombe an eine wirre Berliner Terrortruppe für einen Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus; zum Glück versagte der Zünder, sonst hätte es eine Katastrophe mit vielen Toten gegeben. Über Urbach kannte die Polizei die Täter. Aber die Staatsanwaltschaft erhob keine Anklage, wohl weil Urbachs Rolle und die der Behörden sonst bekannt geworden wäre. Den V-Mann selbst schaffte man mit einer neuen Identität ins Ausland – einer der größten Skandale dieser Art in der Geschichte der Bundesrepublik.

Skandalös war auch die Rolle des Verfassungsschutzes beim sogenannten Radikalenerlass, den Bundeskanzler Willy Brandt 1972 mit den Ministerpräsidenten der Länder vereinbart hatte. 1,4 Millionen meist junge Bewerber für den öffentlichen Dienst wurden in der Folge auf ihre »Verfassungstreue« hin überprüft. Das Material besorgte der Verfassungsschutz, darunter Listen von Studenten, die für linke Gruppen bei Universitätswahlen kandidiert hatten; konservative Professoren arbeiteten gerne zu. Eine Atmosphäre von Gesinnungsschnüffelei und Einschüchterung breitete sich aus. Willy Brandt hat den »Radikalenerlass« später einen Fehler genannt.

Dann die Affäre Traube. 1977 wurde die Bundesrepublik aufgeschreckt durch eine Titelgeschichte des Spiegels: Verfassungsschutz bricht Verfassung. Lauschangriff auf Bürger T. – Atomstaat oder Rechtsstaat? Der Physiker Klaus Traube, Leiter eines Projekts der Firma Siemens für den Bau eines Atomkraftwerks vom Typ Schneller Brüter in Kalkar am Niederrhein, wurde verdächtigt, dass er möglicherweise radioaktives Material an Terroristen weitergeben könnte. Traube war befreundet mit einer linken Anwältin in Frankfurt, die Kontakte zur RAF hatte, und außerdem ist seine Mutter Mitglied der KPD gewesen. Das Kölner Bundesamt und das Innenministerium ließen Verfassungsschützer in sein Haus eindringen, man brachte Wanzen an und hörte ab. Zudem sorgten Amt und Ministerium dafür, dass Traube – gegen eine hohe Abfindung – von Siemens entlassen wurde. Am Ende erwiesen sich die Vorwürfe als absurd, und Innenminister Werner Maihofer (FDP) musste zurücktreten.

1985 die Affäre Tiedge: Hansjoachim Tiedge war in Köln zuständig für die Abwehr der DDR-Spionage. Er hatte psychische Probleme und hohe Schulden, konnte den Tod seiner Frau nicht verkraften und trank. Er verlor den Kopf und setzte sich in die DDR ab. Er verriet alles, was er über die Spionage gegen die DDR wusste, sodass dortige Agenten des Verfassungsschutzes enttarnt und zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Der Präsident des Amtes, Herbert Hellenbroich, der von Tiedges Problemen gewusst hatte, trat zurück.

Ein Jahr später folgte die Affäre um das Celler Loch. Es wurde bekannt, dass der niedersächsische Verfassungsschutz 1978 ein Loch in die Mauer der Celler Justizvollzugsanstalt hatte sprengen lassen, um die versuchte Befreiung eines RAF-Gefangenen vorzutäuschen. In dessen Zelle hatten Verfassungsschutzmitarbeiter vorher Ausbruchswerkzeug geschmuggelt. Die Aktion war wohl geplant worden, um einen V-Mann in die RAF zu bringen.

1989/90 fiel die Mauer und dann die DDR. Die DDR-Spezialisten im Kölner Bundesamt hatten das nicht vorhergesehen – genauso wenig übrigens wie der noch größere Geheimdienst (mit Polizeigewalt) der DDR, das Ministerium für Staatssicherheit.

Damals wurde durch die Presse bekannt, dass es in der Bundesrepublik eine von Ost-Berlin gesteuerte Terrortruppe von DKP-Mitgliedern gegeben hatte, die im Falle eines Konflikts mit dem Warschauer Pakt Sabotageanschläge ausführen sollten. Unglaublich: Da hatte der Verfassungsschutz vierzig Jahre lang die westdeutschen Kommunisten beobachtet, jedem Briefträger mit DKP-Parteibuch hinterhergeschnüffelt – und nichts gemerkt.

Wiederum ein Jahr später, 1991, endete ein besonders bizarrer und langwieriger Skandal, der Skandal um den Schmücker-Prozess. Der Berliner Student Ulrich Schmücker war zunächst Mitglied der Untergrundorganisation Bewegung 2. Juni, wurde deswegen verurteilt, vorzeitig entlassen und spionierte als V-Mann des Verfassungsschutzes unter falschem Namen die linke Szene aus. 1974 wurde er im Berliner Grunewald erschossen aufgefunden. Kurz zuvor hatte der Verfassungsschutz ihn noch beobachtet und sich dann zurückgezogen. Die Tatwaffe, eine Pistole, landete im Panzerschrank der Berliner Behörde.

1976 begann der Prozess wegen Mordes gegen sechs Angeklagte. Er wurde mit 15 Jahren der längste in der Geschichte der Bundesrepublik, immer wieder behindert durch den Verfassungsschutz. Die Pistole blieb im Schrank, Zeugen erhielten Aussageverbot, und die Verteidiger wurden überwacht. 1991 stellte man das Verfahren ein mit der Begründung, das Landesamt für Verfassungsschutz habe bei der Tat mitgewirkt und auf den Prozess eingewirkt. Das Ganze war, wie Heribert Prantl kürzlich in der Süddeutschen Zeitung schrieb, das Werk eines »außer Rand und Band geratenen Geheimdienstes«.

2011 nun wurde die Skandalserie fortgesetzt durch den thüringischen Verfassungsschutz. Zehn Jahre lang beobachtete er die Rechtsextremen, beobachtete, wie mindestens drei Neonazis untertauchten, unterstützte die Szene offensichtlich noch mit Geld – und hat, nach bisherigem Erkenntnisstand, nicht bemerkt, dass die drei mithilfe von Gesinnungsfreunden eine Terrorzelle gründeten und zehn Menschen ermordeten, außerdem noch etliche andere schwere Verbrechen begingen. Dieser ungeheuerliche Skandal – wahrlich der einsame Höhepunkt in der unendlichen Chronique scandaleuse des Verfassungsschutzes seit 1950 – soll nun aufgeklärt werden durch einen in Thüringen eingesetzten Ausschuss und einen Untersuchungsausschuss des Bundestages. Aber reicht das?

Wäre es nicht besser, Rechts- und Finanzausschuss des Parlaments untersuchten einmal, ob eine Behörde zum Schutz der Verfassung überhaupt noch notwendig ist? Immerhin kostet das Bundesamt die Bürger jährlich an die 200 Millionen Euro, dazu kommen die Millionenetats der einzelnen Landesämter.

Die Bundesrepublik ist eine professionelle Demokratie, und die kommunistische Bedrohung aus dem Osten selbst in Gestalt Gregor Gysis, der vom Verfassungsschutz nach wie vor observiert wird, erscheint nicht mehr staatsgefährdend. Diese Demokratie bleibt durch ihre freie Presse gut geschützt, für unsere Sicherheit sorgt die Polizei und für die verfassungsmäßige Ordnung das Verfassungsgericht. Er jedenfalls, bekannte schon Helmut Kohl, der Kanzler der Einheit, habe this agency nie benötigt.