Anfang November veröffentlichte GAMMA Auszüge aus dem internen Forum („Hard To Hate“) des „Freien Netzes“ (FN) und stellte eine umfangreiche Dokumentation ins Internet. Diese Auswertung zeigt, wie Aktivisten des „Freien Netzes“ unter Führung von Maik Scheffler, Tommy Naumann und Thomas Gerlach versuchen, eine „NS-Ersatzorganisation“ aufzubauen und dafür die NPD samt ihrer Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) ausnutzen.
Die Inhalte des Forums sind harter Tobak und reichen bis zu der „Anregung“, eine „Polizeiwache abzufackeln“ und einen „Polizisten abzustechen“. Solche Statements und mehr als 100 kritische Artikel in der Tagespresse brachten Scheffler als stellvertretenden Chef der Sachsen-NPD ebenso ins Rudern wie die Parteiführung um Holger Apfel.
Ein Scheffler, viele Meinungen
Unmittelbar nach der GAMMA-Veröffentlichung sagte Scheffler gegenüber der TAZ (06.11.), „zu einem Forum des Freien Netzes“ könne er „nichts sagen“. Schon tags darauf war es ihm wieder eingefallen: Auf der Website „Mauerblümchen“, dem von Patrick Fischer mitgestalteten Nachfolger des FN Chemnitz, kommentierte Scheffler, die Foreneinträge seien „durch Hacker nicht nur übernommen sondern auch modifiziert“ worden.
Die Fälschungsthese fiel bis Ende November einem Meinungswandel zum Opfer. Der Süddeutschen Zeitung (29.11.) sagte Scheffler, dass die veröffentlichten Forums-Zitate „völlig aus dem Zusammenhang gerissene Sachen“ seien – ihre Echtheit bestritt er aber nicht mehr. Nach konkreten Inhalten befragt, gab er gegenüber Spiegel TV (04.12.) zwar „keinen Kommentar“ ab. Das machte er aber zeitnah in einem Interview mit der Apfel-nahen Website „Deutschland Echo“ (03.12.) wett. Dort erläuterte Scheffler, die „interne Kommunikation“ sei durch das „Herausfiltern einiger Textpassagen“ in einem „völlig neuem Kontext an die Öffentlichkeit gebracht“ worden.
Mitnichten, denn etlichen Medien liegen komplette, „ungefilterte“ Forumskopien vor. Laut Scheffler habe „Hard To Hate“ aber sowieso nur drei Monate existiert und es sei keineswegs das Forum des „Freien Netzes“ gewesen. Das ist eine Schutzbehauptung. Und während Scheffler noch lavierte, hatten andere Protagonisten ihre Autorenschaft im von ihnen selbst so betitelten „FN-Forum“ schon eingestanden, einmal mehr in der irrigen Ansicht, „unter sich“ zu sein.
Was Schefflers Verhältnis zur Wahrheit angeht, braucht sie niemanden verwundern. „Sicherlich gehört zur Propaganda auch die Verdrehung bis hin zur Lüge“, schrieb er selbst im FN-Forum. Moralisch bereite ihm das „keinerlei Probleme“, setzte er auf Nachfrage hinzu.
Unbehagen mit dem „Narrensaum“
Neben Scheffler äußerten sich auch seine Dienstherren. Der erste Anpfiff kam vom neuen Apfel-Vize Udo Pastörs. In einem Interview mit der Website „Mupinfo“ (14.11.), die von David Petereit betrieben wird und der NPD-Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern nahe steht, sprach Pastörs etwas kryptisch den „Narrensaum“ in der Partei an: „überall da, wo eine gewisse Grenze überschritten wird, kann und wird es zukünftig keine Duldung geben. Unwürdiges ‚NS-Gekasper‘ ist eine Musik, die niemand hören will.“
Ins gleiche Horn stieß Apfel in einem Interview mit der Parteizeitung „Deutsche Stimme“ (19.12.), wo er betonte, die NPD lasse sich „nicht auf der Nase herumtanzen“, notfalls müsse man sich „auch mal von Leuten trennen, die die NPD nur instrumentalisieren oder Politik mit einem Abenteuerspielplatz verwechseln. […] Ein zu laxer Umgang mit feindlich gesonnenen Kräften ist aber weder für die NPD noch für alle konstruktiv ausgerichteten freien Kameraden förderlich.“
Apfel nahm Scheffler dennoch namentlich in Schutz, rühmte ihn gar ob seiner „konstruktiven“ Zusammenarbeit:
„Ein Maik Scheffler, der noch vor wenigen Jahren der NPD ablehnend gegenüberstand, ist heute nicht nur NPD-Aktivist mit ‚Alibi-Funktion‘ – er ist Stadtrat, Kreisvorsitzender, stellv. Landeschef. […] Ich frage nicht nach dem Gestern, sondern, was jemand heute für sein Land leisten will. Ich reiche allen konstruktiven Aktivisten die Hand und lade sie gern zum Gespräch ein – auch und gerade die, die noch in kritischer Distanz stehen!“
Eine seltsame Rückendeckung. Und genau dieses Zitat gehört zu einer eingeübten Choreografie. Dem „Deutsche Stimme“-Blog „DS-Aktuell“ gab Apfel nämlich schon vor den belastenden Forums-Veröffentlichungen ein Interview (20.10.) – inklusive Anbiederung an das „Freie Netz“. Damals verwendete Apfel einen all zu bekannten Textbaustein:
„Ein Maik Scheffler beispielsweise, der noch vor wenigen Jahren einer Sachsen-NPD unter Jürgen Schön mit größtmöglicher Distanz gegenüberstand, ist heute nicht nur NPD-Aktivist mit ‚Alibi-Funktion‘ – er ist NPD-Kreisvorsitzender von Nordsachsen, Stadtrat in Delitzsch, Landesorganisationsleiter und inzwischen auch stellvertretender Landesvorsitzender. […] Ich frage nicht, was gestern war, sondern danach, was jemand bereit ist, heute und morgen für sein Land zu leisten. In diesem Sinne reiche ich allen konstruktiven freien Aktivisten die Hand und lade sie zum offenen Gespräch ein – auch und gerade die, die heute noch in kritischer Distanz stehen!“
Inszenierte Eintracht
Was davon ist ernst gemeint? Die Partei spielt über ihre verschiedenen Medien eine Eintracht vor, die es so nicht gibt. Das „Freie Netz Süd“ (02.12.) teilte deshalb schon einen Hieb gegen die NPD aus, sprach – ohne den konkreten Anlass zu nennen – von „hektisch-planlosen Repressionswellen innerhalb der eigenen Partei“. Diese betreibt Schadensbegrenzung und dichtet Scheffler und Co. durch ständige Wiederholung einen guten Leumund an. Im Gegenzug, so das naheliegende Kalkül, soll das Bündnis mit dem „Freien Netz“ um jeden Preis aufrecht erhalten werden – gerade jetzt, wo die Partei personell umstrukturiert wird.
Apfels Nachfolger im sächsischen Landesverband, Mario Löffler, ist bei den „Freien“ nämlich nicht wohl gelitten. „Von nationalistischen Personen außerhalb der Partei hält das ehemalige CDU-Mitglied Löffler nicht viel“, warnte das „FN Zwickau“ (06.12.). Der Aufsteiger aus dem Erzgebirge hat sich dazu schon bei „Deutschland Echo“ (02.01.) geäußert – und wiederholt Pastörs und Apfels Anmahnung der Parteidisziplin, „um nicht zu gefährden, was mühsam aufgebaut worden ist.“
Und genau da liegt der braune Hase im Pfeffer. In Sachsen ist die NPD weiterhin auf das „Freie Netz“ und die von ihm stark beeinflussten „Jungen Nationaldemokraten“ angewiesen, mit Scheffler steht und fällt die JN. Wenn aber Funktionäre der Partei, etwa jener Maik Scheffler oder Tommy Naumann, „aggressiv-kämpferisch“ auftreten, wie sie es im FN-Forum sogar schriftlich festgehalten haben, ist das ein mögliches Verbotsargument gegen die NPD.
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Aus dem Inhalt der neuen Ausgabe:
- Willkommen und Abschied: Neue Nazitreffs in Leipzig
- Rechtspopulismus: “Pro Sachsen” will in den Landtag
- Narrensaum: NPD und “Freies Netz” in der Bredouille
- Die Provinz: Zwischen Rechtsrock und Brandstiftung
- Sachsen und seine Nazis: Der gewöhnliche Untergrund
Video-Jahresrückblick 2011 aus Leipzig von FreundInnen von Fence off: