Mordprozess. Von Frederike Poggel
Rechtsradikale Brutalos, die laut Staatsanwalt aus „dumpfer ausländerfeindlicher Gesinnung heraus“ eine Gartenhütte mit Menschen darin anzünden, stellt man sich anders vor. Da sitzt der dünne Sohn eines Kripobeamten, 21 Jahre jung, auf der Anklagebank und versinkt fast in dem Kapuzenpulli, nervös umfassen seine Finger die Knöchel. Hinter ihm in Saal 18 des Landgerichts Stuttgart sitzt sein Kumpel, auch er zurückhaltend, findet leise Töne. Auf den beiden Glatzköpfen von einst wächst wieder ein borstiger Igelschnitt. „Ich bin mit der rechten Szene aufgewachsen“, sagt der 22-jährige Freund mit Hakenkreuz-Tattoo auf dem rechten Unterarm in breitem Schwäbisch. Und auf die Frage des Richters, wie er das heute sehe, antwortet er: „Anderscht.“
Vielleicht hatten die mittlerweile acht Monate U-Haft in Stammheim, wo Rechtsradikale von den vielen Mitinsassen unterschiedlicher Herkunft nicht gut gelitten sind, eine Wirkung. Von einer „Abreibung unter der Dusche“ erzählt der Polizistensohn. Doch bevor der unehrenhaft entlassene Fallschirmjäger und der Maurergeselle, der in Haft Vater wurde, an einer besseren Zukunft basteln können, müssen sie sich der Vergangenheit stellen. Seit Montag dieser Woche stehen sie vor Gericht.
Fünffachen versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung wirft die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihnen vor. Die 3. Kammer des Landgerichts eröffnet das Verfahren allerdings davon abweichend: die Richter sehen lediglich dreifachen versuchten Mord. Denn zwei der fünf Männer, die sich in der Nacht auf den 10. April 2011 zum Schluss alle in der brennenden Gartenlaube in Winterbach im Rems-Murr-Kreis befunden hätten, seien – verletzt durch Schläge und Tritte der Angreifer – erst nachträglich in die Hütte geflüchtet.
Der Verschlag mitten in den Streuobstwiesen brannte völlig aus, die Freunde türkischer und italienischer Nationalität entkamen dem Feuer mit Rauchvergiftungen. Entzündet worden war es laut Staatsanwalt von dem 21-jährigen Angeklagten, der einen Ast in das Lagerfeuer vor der Laube gehalten und die Hütte mit dem brennenden Stock entflammt habe.
„Kommt raus, ihr Scheißkanaken, wir machen euch fertig“, soll die einschüchternde Gruppe von bis zu 15 Rechtsradikalen zuvor gerufen haben. Sie feierten eigentlich auf dem Nachbargrundstück einen Geburtstag mit mehr als 50 weiteren Personen, die laut Anklage vorwiegend der rechten Szene angehören. Angetrunken von Bier und Pfefferminzlikör, waren sie aber offenbar in einen Streit mit der Gruppe von Migranten geraten, die sich nebenan zum Grillen getroffen hatte. Von angeblich beschädigten Autos, gegenseitigen Beschimpfungen und Faustschlägen ist die Rede, bis die Rechten „Sieg Heil“ und „Heil Hitler“ grölend zur Verfolgung ansetzten.
So erzählen es die Angeklagten, die als einzige zugeben, in jener Nacht an der Gartenhütte gewesen zu sein – und die deswegen bisher auch als einzige vor Gericht stehen. Doch beide bestreiten, die Laube angezündet zu haben. „Wir sind zu der Hütte hin, aber da war niemand. Deswegen sind wir runter zum Feldweg“, sagen beide. Erst als sie hörten, wie ihre Bekannten oben rechte Parolen grölten, seien sie zum Tatort zurückgekehrt. Da habe die Hütte aber bereits gebrannt. Nur: wer hat den Brand gelegt? Und wer aus der Gang hat die mutmaßlichen Opfer nahe der Hütte verprügelt? „Das weiß ich wirklich nicht.“
Zwar wird gegen Dutzende weitere Verdächtige ebenfalls ermittelt, doch bisher wurde zumindest keiner von ihnen festgenommen. Nähere Angaben macht die Staatsanwaltschaft im laufenden Verfahren nicht. Der erste Verhandlungstag zeigt aber: die Beweislage ist nicht gerade üppig.
„Es ist sehr schwierig zu sagen, wann welche Person sich wo aufgehalten hat“, sagt der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen. „Aber sicher ist, wann welcher Notruf einging.“ Und wie lange die Angeklagten wohl gebraucht haben, um vom Feldweg wieder hoch zur Hütte zu laufen. Also hangeln sich die Ermittler an diesen Zeiten entlang. Mit dem Ergebnis, dass sie die Brandlegung auf anderthalb Minuten eingrenzen können: „Genau die Zeit, in der Sie wieder oben eingetroffen sein müssen.“
Dreimal riefen die Verfolgten in besagter Nacht bei der Polizei an. Der letzte Anruf ging um 1.50 Uhr ein: „Unser Haus brennt!“ Die Panik in den gehetzten Stimmen, die Angst, die sie ausgestanden haben müssen – „die Mitschnitte sind sehr eindrücklich“, sagt der Rechtsanwalt Walter Martinek, der mehrere der sechs Nebenkläger vertritt. Ihre Aussagen werden am Verhandlungstag am Mittwoch erwartet.
Auch wenn sie die Angeklagten nicht als Brandstifter identifizieren können, drohen den jungen Männern lange Haftstrafen ohne Bewährung. Denn abgesehen von den Mordvorwürfen besteht vor allem der dringende Tatverdacht der gefährlichen Körperverletzung. Richter Holzhausen: „Ihre Einlassungen könnte man so deuten, dass Sie sich daran beteiligen wollten.“