Der Tod ist ein Meister aus Deutschland
 Aufruf zur antifaschistischen Demonstration am 28. Januar 2012 in Hamburg
 Was sich in Deutschland abspielt, ist unerträglich. Dreizehn Jahre lang
 konnten drei Thüringer Nazis ungestört durch die Republik reisen, 
Banken überfallen, Sprengstoff-Attentate
 verüben und Menschen ermorden. Ihre Opfer waren Enver Şimşek, 
Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, 
İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und 
die Polizistin Michèle Kiesewetter.
Die Morde der Terrorzelle 
„Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) wurden nur durch einen 
Zufallsfund nach dem Tod der beiden Nazis Böhnhardt und Mundlos im 
November 2011 aufgedeckt. Seitdem erfährt die Öffentlichkeit 
stückchenweise grauenhafte Details über die gezielte Hinrichtung von 
Migranten in ihren Geschäften, eine Nagelbombe in Köln-Mülheim und 
andere Anschläge eines Netzwerkes, von dem bisher nicht einmal abzusehen
 ist, wer ihm außer Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt noch 
angehört. Das ganze Ausmaß des Terrors ist noch nicht ersichtlich – 
möglicherweise steckt die Gruppe auch hinter einer Serie von 
Brandanschlägen in Völkingen und einem antisemitischen Bombenanschlag in
 Düsseldorf-Wehrhahn.
  
 Erschreckend ist in diesem Kontext auch 
das Verhalten der deutschen Sicherheitsbehörden, für das Worte wie 
„Versagen“ offensichtlich zu harmlos sind. Bereits jetzt liegt offen zu 
Tage, dass die Behörden tief in den Terror des NSU verstrickt waren. 
Zudem wussten offenbar weite Teile der rechtsradikalen Szene nicht nur 
von der Mordserie, sondern auch, wer dahintersteckte. Erst kürzlich 
räumte der Verfassungsschutz in einem geheimen Untersuchungsbericht ein,
 mindestens bis zum Jahr 2000, über den Aufenthaltsort und den 
kriminellen Aktivitäten der NSU informiert gewesen zu sein. Es ist daher
 kaum vorstellbar, dass die Sicherheitsbehörden wirklich erst jetzt 
erfuhren, dass es im Untergrund eine Gruppe mordender Nazis gab. Es ist 
also nicht nur so, dass deutsche Sicherheitsbehörden „auf dem rechten 
Auge blind“ sind, es ist viel schlimmer: Die Grenzen zwischen 
Verfassungsschutz und militanter Naziszene verlaufen in manchen Gegenden
 dieses Landes scheinbar fließend. Insbesondere dort, wo die vom 
Verfassungsschutz eingesetzten V-Leute nicht nur keine brauchbaren 
Informationen zu der untergetauchten Nazi-Terrorgruppe lieferten, 
sondern mit Hilfe der staatlichen Zuwendungen maßgeblich am Aufbau von 
Nazistrukturen beteiligt waren, wie beispielweise in Thüringen.
   
 Helmut Roewer, ehemaliger Präsident des Verfassungsschutz in Thüringen,
 schreibt heute für den antisemitischen und geschichtsrevisionistische n
 Ares-Verlag. Unter seiner Präsidentschaft konnten Mundlos, Zschäpe und 
Böhnhardt unbehelligt abtauchen. In diesem Zusammenhang darf nicht 
vergessen werden, dass es überzeugte Nazis und SS-Leute waren, die nach 
1945 die deutschen Geheimdienste aufgebaut haben. In dieser Tradition 
kommt die Gefahr aus Sicht von BKA, Verfassungsschutz und BND bis heute 
nicht von rechts, sondern von links. Ein neuer Ausdruck dessen ist die 
Extremismusformel die linke bzw. linksradikale Politik mit 
rechtsradikaler Gewalt gleichsetzt und beiden die "demokratische Mitte" 
gegenüberstellt. Ausgeblendet wird hierbei nicht nur der Unterschied 
zwischen faschistischer Gewalt und dem emanzipatorischen Kampf um 
bessere Verhältnisse, sondern auch die tiefe Verankerung 
menschenverachtender Ideologien, wie Rassismus, Antiziganismus und 
Antisemitismus, sowie weitere Formen gesellschaftlicher Ausgrenzung und 
Diskriminierung, in der Gesamtgesellschaft.
 
 Auch wenn wir vom 
Ausmaß des Terrors und vom Ausmaß der Mittäterschaft des Staates 
entsetzt sind: Im Gegensatz zu Behörden, Politik und weiten Teilen der 
Öffentlichkeit sind wir als Antifaschist_innen von den Taten des NSU 
nicht ernsthaft überrascht. Wer wissen wollte, dass es in Deutschland 
mordende Nazis gibt, wusste es längst. Nicht nur die Pogrome von 
Hoyerswerda, Solingen und Rostock-  Lichtenhagen machten diese 
Erkenntnis unumgänglich, sondern auch die Zahl von über 180 Todesopfern 
nationalsozialistischer Gewalt seit 1990. Netzwerke gewaltbereiter 
Kameradschaften, die „Wehrsportgruppe Hoffmann“, „national befreite 
Zonen“, Anschläge wie der auf das Oktoberfest von 1980, Waffen- und 
Sprengstofffunde im ganzen Land: Die Überraschung über die scheinbar 
plötzlich einsetzende Nazigewalt ist nur durch Heuchelei oder gut 
funktionierende Verdrängung zu erklären. Sie zeigt wieder einmal, wie 
wenig begriffen wird, dass die nationalsozialistische Weltsicht von 
selbst zu Gewalt und Vernichtung drängt – und wie hoch die Bereitschaft 
von Staat und deutscher Öffentlichkeit ist, die Gefahr von rechts zu 
leugnen, herunterzuspielen und zu verharmlosen. Es ist nicht nur so, 
dass in Deutschland niemand etwas über Nazis wissen will – es sei denn, 
um sich von ihnen als bessere Deutsche abzugrenzen – und 
Antifaschisten_innen als Störenfriede und Nestbeschmutzer_innen 
wahrgenommen werden. Sondern, große Teile dieser Gesellschaft teilen 
auch die menschenverachtenden Ansichten der Nazis: Der Staat schiebt – 
auf Grundlage einer völkischen/rassistischen Definition von Deutschen – 
Menschen ab, große Teile der deutsche Bevölkerung teilen antisemitische 
Ressentiments und die Angst vor „Überfremdung“, die Bücher eines 
Rassisten wie Thilo Sarrazin werden zu Bestsellern.
  
 Auch 
während der Mordserie des NSU wurde das  völkisch/rassistische 
Selbstverständnis  der deutschen Gesellschaft deutlich: Hinweise von 
Angehörigen und Freund_innen der Opfer auf einen rechtsradikalen 
Hintergrund der Taten wurden ignoriert, ein Profiler der Münchner 
Polizei, der früh auf die Möglichkeit eines rechtsradikalen 
Hintergrundes der Taten hingewiesen hatte, wurde zum Schweigen gebracht.
 Die Schuld wurde stattdessen bei den Opfern und ihrer angeblichen 
Verstrickung in „mafiöse Strukturen“ gesucht. Hinweise, die auf Nazis 
hindeuteten, wurden systematisch fallengelassen. Die Medien schrieben 
derweil in rassistischer Art und Weise von „Dönermorden“.
  
 
Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und völkischer Nationalismus 
sind Alltag in Deutschland. In dem Land, das nach Auschwitz schlichtweg 
hätte aufgelöst werden müssen, wird bis heute über die Täter_innen von 
gestern und die Täter_innen von heute geschwiegen. Und jede_r Nazi kann 
in dem Bewusstsein handeln: Wir schreien das raus, was andere denken. So
 erklärt sich auch, dass es trotz der schrecklichen Taten des NSU bisher
 kaum langanhaltende und ernsthafte öffentliche Empörung über die 
rassistischen Morde und die Verstrickung der Behörden gibt. Ebenso wenig
 gibt es den politischen Druck, alle Vorgänge lückenlos aufzuklären, 
vermochten die Sensationsberichte der ersten Wochen aufzubauen. Wir 
befürchten daher, dass die nun herrschende, unerträgliche Ruhe es den 
deutschen Behörden ermöglichen wird, die eigene Verstrickung in den 
Naziterror zu vertuschen.
 Deshalb gehen wir am 28. Januar auf die 
Straße, um unser Entsetzen über die Nazimorde, unsere Trauer um die 
Opfer und unseren Hass auf die deutschen Verhältnisse auf die Straße zu 
tragen. Wir wissen, dass unsere Forderung nach demokratischer Aufklärung
 des NSU-Skandals und einer konsequenten Bekämpfung von Nazis und 
anderen Nationalist_innen bei den derzeitigen Verhältnissen kaum Erfolg 
haben wird. Das völkische Selbstverständnis dieser Gesellschaft werden 
wir auch mit dieser Demo nicht kippen können. Aber das wird uns nicht 
davon abhalten, lautstark darauf aufmerksam zu machen, dass nicht alle 
in diesem Scheißland ruhig bleiben. Wir wollen die derzeitige Ruhe 
stören. Wir sagen nicht nur den Nazis, sondern diesem Staat und der 
ganzen Gesellschaft den Kampf an.
 
  Wir fordern:
 -	Ein würdiges Gedenken an die Opfer des Naziterrors und Entschädigungen für ihre Freund_innen und Familien
 -	Solidarität mit allen Opfern rassistischer, antisemitischer und antiziganistischer Gewalt
 -	Die unabhängige Aufklärung aller Taten der NSU sowie die Offenlegung 
der Verstrickung des Verfassungsschutzes und anderen Geheimdiensten 
unter internationaler Beteiligung
 -	Einbeziehung der Angehörigen in die Aufklärungsarbeit
 -	Ersatzlose Schließung aller Einrichtungen des Verfassungsschutzes 
 -	Die endgültige Abschaffung Deutschlands
 
 Kein Fußbreit den Nazis! Nie wieder Deutschland!
 
 Weitere Infos unter:
 http:// dertodisteinmeisteraus.de/

