Das Verfahren gegen den Antifaschisten, dem im Rahmen einer
Auseinandersetzung mit Neonazis auf dem Herbrechtinger Stadtfest im Juli
2011 gefährliche Körperverletzung angehängt werden sollte, ist
eingestellt
worden. Was bleibt, sind knapp 1000 Euro Anwaltskosten sowie die
erneute Bestätigung der Gewissheit, dass der Staat im Kampf gegen Nazis
auch weiterhin als Gegner und nicht als potentieller Verbündeter
betrachtet werden muss.
Erfreulich war die Präsenz einer großen Anzahl von Sympathisanten aus linken Parteien und autonomer Antifa, die zum Prozess erschienen waren um dem Angeklagten den Rücken zu stärken. Ebenso sorgte ein
Vertreter der Presse für die Berichterstattung in den Lokalmedien. Ein ebenfalls anwesender Anhänger des Heidenheimer Staatsschutzes versuchte sich nach dem Prozess an Anquatschversuchen, wurde jedoch konsequent rechts liegen gelassen.
Das Herstellen von kritischer Öffentlichkeit hat unserer Einschätzung nach im vorliegenden Fall zum relativ günstigen Verlauf des Verfahrens beigetragen - so konnte deutlich gemacht werden, dass einer Aburteilung und Einschüchterung hinter verschlossenen Türen (wie sie im Verlauf der Repression nach dem 1.Mai 2009 leider einige Male erfolgte) ein Strich durch die Rechnung gemacht werden kann.
Der Prozess selbst gestaltete sich, wie bereits eine Einsicht in die Akten nahelegte, als groteske Konstruktion von Tatvorwürfen aufgrund politischer Voreingenommenheit der Ermittlungsbehörden. So
konnte bereits zu Beginn der Staatsanwalt auf die Frage des Verteidigers mit keiner vernünftigen Erklärung aufwarten, wieso er bis dato nur gegen den Antifa und nicht gegen die Nazi-Schläger Ermittlungen eingeleitet hatte.
Im folgenden wurde der Polizeibeamte Seeßle vernommen, der auf direkte Nachfrage nach der Erwähnung der "Hellenstein Ultras" im Polizeibericht darauf hinwies, dass ihm der Name des ersten "Geschädigten" in diesem Kontext bereits geläufig war (eine Einzelheit, die sich in der medialen Darstellung von "unbeteiligten
Passanten" leider nicht niederschlägt).
Von der Rechtslastigkeit eines Teils der Ultra-Gruppe, sowie der entsprechenden "Kraft durch Freude"-Symbolik wollte der Beamte allerdings generell nichts gewusst haben.
In der folgenden Vernehmung der "Geschädigten" wurde nun der fließende Übergang von "unpolitisch"-dummer Grundhaltung hin zur offenen Kumpanei mit Rechtsradikalen deutlich. So stellte der Zeuge aus Giengen a.d. Brenz klar, dass er selbst "weder rechts noch links" sei, aber offenkundig kein Problem mit Nazis habe "solang sie ihn mit ihren Parolen in Ruhe lassen". Die Dresdner Nazis seien ihm von einem Fußballspiel bekannt gewesen, weswegen er sich kurz mit ihnen unterhalten habe. Auf Nachfrage des Verteidigers räumte er ein, selbst nicht zu den "Hellenstein Ultras", allerdings zu ihrem "Umfeld" zu gehören. Auf die Frage nach Gesinnung und Auftreten der Gruppe folgte die bemerkenswerte Feststellung, dass
"die Rechten von uns natürlich rechte Buttons tragen".
Dem Angeklagten habe er nur das Pfefferspray entwenden wollen, da dieser "wild um sich sprühte". Sowohl gegenüber Staatsanwalt als auch Verteidiger räumte der Zeuge allerdings ein, dass der Angeklagte ihn durchaus für einen weiteren Angreifer halten musste, nachdem dieser sich im Verlauf der Auseinandersetzung 3-4 Dresdner Nazis gegenübersah die wild auf ihn einschlugen. Wieso der "Geschädigte" allerdings auf die Idee kam, einem Angegriffenen das einzige Mittel zu seiner Verteidigung abzunehmen, wurde bedauerlicherweise nicht ausreichend behandelt. So liegt die Vermutung nahe, dass für den "unpolitischen" Ultra angesichts des
Kampfes seiner Nazi-Freunde gegen einen Punker die Fronten relativ klar abgesteckt waren.
Nach der nichts neues bringenden Vernehmung des zweiten Zeugen einigte man sich einstimmig auf Einstellung, wobei der Staatsanwalt seinen wenig überzeugenden Vorschlag einer zusätzlichen Auflage
schnell wieder fallen ließ.
Es bleibt die Erkenntnis, dass politische Instinktlosigkeit und falsch verstandene Tolerenz faschistischen Übergriffen einen günstigen Boden bereiten - insbesondere im Rahmen der noch jungen Ultra-Szene in HDH wird hier eine bedenkliche Tendenz deutlich, der entgegengewirkt werden muss.
An die Adresse der "Geschädigten" und aller anderen sich in Nazi- Gesellschaft begebenden "unpolitischen" Zeitgenossen sei folgende Botschaft gerichtet: Wie man sich bettet, so liegt man, und wir werden niemandem das gute Gewissen hinterhertragen.
Das lächerliche Schauspiel der Strafverfolgungspraxis überrascht hingegen in einer Stadt, in der bereits das Auftauchen antifaschistischer Graffities auf dem Nachhauseweg bekannter Antifas zu Strafbescheiden führt, nicht im Geringsten. Nicht nur aufgrund der anfallenden erheblichen Anwaltskosten für den Angeklagten warnen wir davor, aufgrund des Ausgangs des Verfahrens dem Irrglauben der Rechtsstaatlichkeit auf den Leim zu gehen. Denn die auch von der öffentlichen Aufmerksamkeit abhängige Willkür der Strafverfolgung kennen wir zur Genüge.
Der Repression durch Polizei und Justiz muss - und kann - organisiert und solidarisch entgegengewirkt werden. Die staatlichen Verfolger setzen häufig, z.B. beim Versenden von Strafbescheiden (wie er auch dem Prozess gegen den Antifa vorausging) auf die Unerfahrenheit, Unkenntnis oder fehlende Konfliktbereitschaft der Beschuldigten. Rechtsbeugung und Rechtsbruch gehören zur Praxis von Polizei und Justiz dazu und verweisen auf den repressiven, paradoxen Charakter jeder "rechts"-staatlichen Herrschaft. Rechtliche Auseinandersetzungen sind immer auch politische.
Die Kontaktaufnahme zu antifaschistischen Ortsgruppen und Roter Hilfe muss daher in entsprechenden Fällen zur Selbstverständlichkeit und den aktiven Personen immer wieder vermittelt werden.
Lasst euch nicht einschüchtern - Solidarität ist eine Waffe!