Verfasst von Oliver Cruzcampo
10.000 Personen beteiligten sich an den Gegenprotesten zum Neonazi-„Trauermarsch“, der heute in Magdeburg stattfand. Trotzdem konnten die Rechtsextremen weitestgehend ungestört durch die Stadt ziehen. Die Befürchtungen, dass Magdeburg zu einer Ersatzveranstaltung für Dresden wird, scheinen sich zu bestätigen.
Blauer Himmel, keine Wolke am Himmel. Die Voraussetzungen, um möglichst viele Personen zur Teilnahme an den Gegendemonstrationen zu bewegen, stimmten. Und so strömten im Laufe des Tages laut offiziellen Polizeiangaben dann auch 10.000 Menschen in die Innenstadt, um vor allem der „Meile der Demokratie“ einen Besuch abzustatten.
Christine Böckmann, Koordinatorin dieser Meile zeigt sich mit dem Ergebnis dann auch „höchst zufrieden“. Die Teilnehmerzahl hat sich gegenüber dem Vorjahr annähernd verdoppelt. 170 Initiativen waren auf dem Breiten Weg in der Magdeburger Innenstadt, um Gesicht zu zeigen gegen den alljährlichen Neonazi-Aufmarsch. Sogar Polit-Prominenz war in der Landeshauptstadt vor Ort: SPD-Chef Sigmar Gabriel, Grünen-Bundeschefin Claudia Roth und die Chefin der Linken, Gesine Lötzsch.
Auch die Polizei zeigte sich am frühen Abend mit dem Verlauf des Tages durchaus zufrieden. Das Ziel, ein Aufeinandertreffen des rechten und linken Lagers zu verhindern, wurde erreicht. Insgesamt gab es drei Blockaden, die jedoch aufgrund der geringen Zahl an Unterstützern relativ schnell geräumt werden konnten. 15 Personen würden vorübergehend in Gewahrsam genommen, bis auf einige Tränengas-Einsätze kam es zu keinen ernsthaften Verletzungen.
Scheinbar heile Welt in Magdeburg. Auch die wenigen Medien, die über das heutige Geschehen berichten, scheinen dies so zu sehen. Die „Mitteldeutsche Zeitung“ kommt gar mit dem irreführenden Titel „Aufmarsch von Rechtsextremisten blockiert“ daher.
Doch eine Seite wurde übersehen – die rechte. Denn die kann sich ebenfalls mit auf das Siegerpodest stellen. 1.200 Neonazis marschierten heute durch die Landeshauptstadt, mehr als je zuvor. Bis auf wenige – durch Blockaden verursachte – Zwangspausen können die Rechtsextremen ihre Veranstaltung klar als Erfolg verbuchen.
Kontinuierlich wächst die Zahl der Geschichtsklitterer, die sich auf den Weg nach Magdeburg machen. Noch vor wenigen Jahren zogen nur einige Dutzend Neonazis durch die Straßen, im letzten Jahr erreichten sie dann den vierstelligen Bereich.
In gut vier Wochen soll es dann in Dresden weitergehen. Doch dort zeichnet sich möglicherweise eine Kehrtwende ab. Der Verfassungsschutz rechnet mit weniger Teilnehmern aus dem rechtsextremen Spektrum. Gegenüber der „Sächsischen Zeitung“ spricht das Landesamt von einer „geringeren Dimension als am 19. Februar 2011“.
Maßgeblich verantwortlich für die Organisation und Durchführung des „Trauermarsches“ in Magdeburg ist Andy Knape, seit einigen Wochen Bundesvorstandsmitglied der NPD und Landesvorsitzender der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“. Ansonsten befanden sich unter den Teilnehmern nur wenige NPD-Funktionäre.
Michael Grunzel, Pressesprecher des NPD-Landesverbandes Sachsen-Anhalt, machte gleich zu Beginn des Aufmarsches die ersten Aufnahmen für das Fotoalbum. Michael Schäfer, Vorsitzender der „Jungen Nationaldemokraten“, war ebenfalls vor Ort, reihte sich jedoch nur unauffällig in den Zug ein.
Die breite Masse waren parteifreie Kräfte aus Mitteldeutschland. Etliche Kameradschaften, die ihre Banner stolz vor sich hertrugen kamen aus Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Niedersachsen.
Mit Widerstand wurden die 1.200 Rechtsextremen kaum konfrontiert. Auf Höhe der Universität kam es kurzzeitig zum „Feindkontakt“, einige Rauchbomben und Feuerwerkskörper landeten in den Reihen der Neonazis. Die „Meile der Demokratie“ und deren Teilnehmer waren nicht in Sichtweite des Aufzuges, auch die laut Polizeiangaben 700 Anhänger des linken Lagers konnten sich nur vereinzelt bis an den Aufmarsch durchkämpfen. Ein rechtsextremer Teilnehmer zieht bereits ein äußerst positives Fazit: „Wir sind maschiert (sic!) und es gab kaum nennenswerte Störungen.“ Auch die Stimmung sei „ausgesprochen gut“ gewesen.
Spätestens seit diesem Wochenende dürfte klar sein, dass sich Magdeburg zu einer attraktiven Alternative zu Dresden entwickelt hat. Seit Längerem grübelt die rechte Szene, wie man sicherstellen kann, ungestört durch die sächsische Stadt ziehen zu können. Eine Antwort wurde bisher nicht gefunden. Vielleicht braucht es die aber gar nicht.
2012 werden sich noch mehr Neonazis in den Zug nach Magdeburg setzen.