Auf dem rechten Auge blind.

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Interview mit der Antifa Jugendaktion Kreuzberg (ajak) zur Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrund.

Das Interview wird geführt von der Politik-Plattform für Jugendliche "Du hast die Macht!" (DHDM). Mehr Infos:  http://www.duhastdiemacht.de/
Die AJAK ist die Antifaschistische Jugendaktion Kreuzberg. Die Jugendlichen der AJAK wollen gemeinsam auf die Missstände in der Gesellschaft aufmerksam machen und verstehen sich als antifaschistische, antikapitalistische Jugendgruppe. Sie organisieren Demonstrationen gegen rechte Gewalt und fordern ein Umdenken in der Gesellschaft. Mehr Infos und eine ausführlichere Version des vorliegenden Interviews:  http://ajak.blogsport.eu/


DHDM: Seit einigen Monaten wird in Deutschland heiß diskutiert. Das Bekanntwerden der Zwickauer Terrorzelle und ihrer rechtsextremistisch orientierten brutalen Morde erschüttern ganz Deutschland. Wir haben darüber berichtet. Doch was sollte gegen die sogenannte NSU getan werden? Wir sprachen mit der AJAK (Antifa Jugendaktion Kreuzberg). Warum die NPD verboten werden sollte und wie rechtsextremer Terror bekämpft werden kann, erfahrt ihr hier.

DHDM: Wart ihr überrascht, als ihr von den Ausmaßen des organisierten, rechtsextremen Verbrechens erfahren habt?

AJAK: Wir waren vom Ausmaß der Nazimorde schon überrascht. Allerdings finden wir es nicht verwunderlich, dass Nazis skrupellos Menschen ermorden. Wir denken, dass das ein zentraler Bestandteil von Naziideologie ist – friedliche Nazis gibt es nicht. Selbst wenn sich einzelne Rechte, aktuell z.B. die NPD, von den Gewalttaten offiziell distanzieren, vertreten sie ein Gedankengut, das in der Endkonsequenz zu Morden führt.
Oder anders gesagt: Wenn die NPD an der Macht wäre, würde auch sie gewalttätig gegen Menschen vorgehen, sie diskriminieren, abschieben und auch töten. Denn die rechte Ideologie konstruiert „Rassen“ und Völker und sieht von ihnen den "deutschen Volkskörper" bedroht. Die logische Konsequenz aus diesem Denken ist nichts anderes als die Auslöschung dieser Menschen. Was uns allerdings überrascht und erschreckt hat, ist die Tatsache, dass Nazis im 21. Jahrhundert unbemerkt über Jahre hinweg Attentate verüben können, ohne das Behörden, die demokratische Zivilgesellschaft oder unabhängige Antifaschist*innen das bemerken.

DHDM: Wer hat versagt? Die Politik, die Sicherheitsbehörden, die allgemeine Gesellschaft?

AJAK: Wahrscheinlich ist es müßig, eine*n einzige*n Schuldige*n ausmachen zu wollen – sowohl Politiker*innen als auch Journalist*innen und weite Teile der Zivilgesellschaft verschließen seit Jahren die Augen vor Nazimorden.
In den letzten 20 Jahren sind 182 Menschen (nach einer Aktuellen Studie der Amadeu-Antonio-Stiftung) an den Folgen rechter Gewalttaten gestorben, wobei nicht außer Acht gelassen werden darf, dass es hierbei auch noch eine Dunkelziffer gibt. Wer das nicht gesehen hat, muss auf dem rechten Auge blind gewesen sein.
Ein besonderer Vorwurf geht jedoch natürlich an die Sicherheitsbehörden, den Verfassungsschutz etc. Die drei NSU-Mitglieder waren den Behörden schließlich nicht unbekannt, sondern waren im Gegenteil schon in den 90er Jahren durch Morddrohungen gegen Linke, Journalist*innen und Gewerkschafter*innen aufgefallen. Erst nachdem bei ihnen 1,4kg Sprengstoff gefunden wurden, sahen sie sich gezwungen unterzutauchen.
Gelinde gesagt halten wir es für unwahrscheinlich, dass polizeilich gesuchte Menschen im heutigen Deutschland unbemerkt über Jahre untertauchen können. Der deutsche Staat verfügt über modernste Überwachungstechniken und wer nicht ins Ausland flieht, der*die wird von den deutschen Behörden früher oder später gefunden. Wer sich mit linker Politik beschäftigt, weiß wahrscheinlich besser als viele andere, über wie viele Möglichkeiten der Verfassungsschutz und die Polizei verfügen, um Menschen auszuspionieren oder aufzuspüren. Daher ist für uns die einzige Erklärung für das Versagen der deutschen Behörden, dass diese den Feind längst woanders ausgemacht haben.
Die Repression, mit der die linke Szene seit langem konfrontiert wird, zeigt, dass der Staat sich eher darauf konzentriert, linksradikale Politik zu erschweren. Vor allem der Versuch von Leuten um Kristina Schröder, linke und rechte Politik gleichzusetzen, erscheint im Licht der Anschläge der NSU lächerlich – wenn es nicht so ernst wäre.

DHDM: Ist es möglich die Gefahr von Rechts zu bekämpfen? Und wenn ja, wie?

AJAK: Wir denken, dass Nazis keine dummen fehlgeleiteten Jugendlichen sind, die nur in die Gesellschaftsform integriert werden müssen. Denn Naziideologie ist nichts weiter als eine Konsequenz unserer Gesellschaft.
Im Kapitalismus sind die Menschen dazu gezwungen ihre Ellenbogen auszufahren und in ständiger Konkurrenz gegen alle anderen zu kämpfen. Außerdem ist die heutige Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung so komplex und undurchsichtig geworden, dass sie sich nach einfachen Erklärungen und klaren „Schuldigen“ für die Übel der Welt sehnen. Die, so zu verwirrten Einzelkämpfer*innen gemachten Menschen, sehen zwar oft, dass vieles auf der Welt nicht gut läuft, wissen aber nicht damit umzugehen. Daraus entwickelt sich das Bedürfnis, sich einer möglichst starken Gruppe, z.B. einer Nation, zuzuordnen, Feindbilder zu konstruieren und sich Autoritäten zu unterwerfen – dieses Bedürfnis kann mit Ideologien wie Faschismus oder Nationalismus bestens befriedigt werden.
Daher denken wir, dass eine Kritik an Nazis immer Hand in Hand gehen muss mit einer generellen und radikalen Kritik an unserer Gesellschaftsordnung. Nur wer versucht zu verstehen, dass diese Welt auf allen Ebenen herrschaftlich organisiert ist, kann auch verstehen, wie und warum sich faschistische Ideologien durchsetzen können.
Trotzdem ist es natürlich wichtig, sich konkret im Hier und Jetzt gegen Nazis zu engagieren. Radikale Antifaschist*innen versuchen den Kampf gegen Nazis mit der Kritik an Staat, Nation und Kapitalismus zu verbinden. Nicht nur an den Anschlägen der NSU hat man deutlich gesehen, dass Antifaschismus kein Verbrechen, sondern richtig und mehr als notwendig ist. Darum ist es für den Kampf gegen rechts wichtig, linke und antifaschistische Projekte zu unterstützen und sie nicht zu kriminalisieren. Wir denken, dass linksradikale Theorie und Praxis und die Organisation, z.B. in Antifagruppen, die beste Möglichkeit ist, gegen Nazis vorzugehen.

DHDM: Haltet ihr ein Verbot der NPD für sinnvoll?

AJAK: Die NPD bietet der Naziszene eine wichtige Form der Organisation und auch der Finanzierung. Wenn sie verboten würde, wären die Nazis erstmal sehr geschwächt, darum befürworten wir ein Verbot der NPD. Andererseits wissen wir alle, dass Denken sich nicht verbieten lässt und, dass es auch nach einem NPD-Verbot Nazis geben wird.
Jedes Mal, wenn Nazis Gesetze brechen und Gewalttaten ausüben, wird sofort nur nach einem NPD-Verbot geschrien. Dabei denken wir, dass damit das Problem nicht zu lösen ist. Ein Verbot würde der Politik und der Zivilgesellschaft vielleicht das Gefühl geben endlich mal einen richtigen Sieg errungen und was tolles gegen Nazis gemacht zu haben. Aber letztlich haben diese Menschen nach wie vor nicht erkannt, dass rechte Ideologie zusammenhängt mit Kapitalismus und anderen Herrschaftsverhältnissen.
Durch ein Verbot der NPD werden Nazis nicht aussterben. Sie werden vielleicht weniger sichtbar, ihnen werden ein paar neue Steine in den Weg gelegt und sie werden sich sicher ärgern, und das ist alles sehr gut. Aber radikale Praxis, die wirklich die Wurzeln von rechtem Gedankengut angreifen will, sieht anders aus.