Das theatrale Moment und Kommunikation gegen die Urteilsfabrik: Zum Prozess gegen Flughafenausbau-Gegner in Mainz
Am 5.Januar um 9 Uhr war die Verhandlung gegen einen Flughafenausbaugegner, wegen dem Vorwurf der Körperverletzung gegen einen Justizangestellten, angesetzt. Diese angebliche Körperverletzung soll nach einer Verhandlung eines offensiv geführten Prozesses gegen einen Aktivisten, der wegen einer Abseilaktion im Rahmen des Widerstands gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens vor Gericht stand, geschehen sein. Es soll bei einer Auseinandersetzung um Kreidemalereien zum Thema Flughafenausbau zu einem Tritt gekommen sein.
Also wurde am Morgen des 5. Januar 2012 zuerst die Treppe am 
Seiteneingang des Gerichtes wieder mit Kreide beschriftet und 
ausgedrückt, was von Fraport zu halten ist, bzw. mit welchen Begriffen 
die FRAPORT AG zu assoziieren ist: Von FLUGLÄRM, UMWELTSCHÄDEN und 
KLIMAWANDEL, bis zu ABSCHIEBUNGEN, BILLIGLÖHNEN und REPRESSION gegen 
Flughafenausbaugegner_innen.
Kommentiert wurde die Szenerie diesmal mit einem großen Spruch auf dem Gehweg: „IHR KRIEGT UNS NICHT KLEIN!“
Zudem wurde der Stellenwert von Gerichten in diesem Zusammenhang 
klargestellt: „Gerichte sind zum Essen da!“ Denn gerade zum Thema 
Flughafenausbau haben diese sich in der Vergangenheit für nichts 
nennenswert Anderes als nützlich erwiesen. Schließlich steht trotz 
Klagewelle gegen die Fraport AG die neue Landebahn Nordwest.
Ganz im Gegenteil. Die Rechtstaatsgläubigkeit so vieler und deren 
Vertrauen in die Gerichte und die Lokal- und Landespolitiker_innen hat 
u.a. einen breiten Widerstand verhindert! Viele Menschen meinten dadurch
 im Vorfeld nicht selbst aktiv werden zu müssen und ihre Verantwortung 
an die entsprechenden Institutionen delegiert zu haben statt 
eigenverantwortlich für ihre Gesundheit und ein gutes Leben einzutreten,
 würde sie schon vor negativen Auswirkungen des Ausbaus, oder vor dem 
Ausbau selbst bewahren. Doch jetzt ist allgemein offensichtlich, dass 
eintritt, wovor die Aktivist_innen gewarnt haben.
Lärm und Luftverpestung machen immer mehr Menschen krank. Und alle wissen: Das Ausmaß wird noch schlimmer.
Täglich begeht die Fraport AG Körperverletzung durch Lärm. Doch wenn die Bewohner der anliegenden Gemeinden mit einer geringeren Lebenserwartung rechnen müssen, scheint das als Kollateralschaden zu gelten.
Kurz vor neun wurde dann versucht  in einer Gruppe von mehr als 20 
Unterstützer_innen und dem Angeklagten den Gerichtssaal aufzusuchen, in 
dem die Verhandlung stattfinden sollte.
Das gestaltete sich allerdings schwierig, da Mitarbeiter_innen am 
Gericht kreative politische Aktionen wohl für so gefährlich halten, dass
 jede_r einzelne, der auch nur annähernd als Unterstützer_in (oder 
„Öffentlichkeit“) in diesem Fall zugeordnet wurde (Deutungsmacht hatten 
hier natürlich die Beamt_innen/Justizangestellten) sich bei Betreten des
 Gerichtsgebäudes einer Körperbetatschung aussetzen musste, um 
gefährliche Utensilien wie Konfetti, Luftschlangen oder Straßenmalkreide
 ausfindig zu machen und sicher zu stellen. Zudem wurden die Taschen, in
 denen Mensch seine privaten Sachen mit sich trug, durchsucht und von 
nahezu allen die Personalien festgestellt. Wer keinen Ausweis dabei 
hatte, kam gar nicht erst rein. 
Die ersten Zuschauer_innen hatten es dann bis viertel nach neun doch
 in den Gerichtssaal geschafft und konnten der bereits genervten 
Richterin ausrichten, dass der Angeklagte zwar bereits pünktlich am 
Gericht war, jedoch die Kontrollen am Eingang so zeitaufwändig wären, 
dass er noch nicht an die Reihe gekommen sei. Die Richterin vertrieb 
sich die Zeit, indem sie einen jugendlich wirkenden Menschen im 
Zuschauerbereich erzieherisch darauf hinzuweisen versuchte, dass es 
normalerweise üblich sei aufzustehen beim Eintreten „des Richters“ und 
keine Mützen im Gericht zu tragen. Das hätte, ihrer Ansicht nach, etwas 
mit Höflichkeit zu tun: „Wie in der Schule“, meinte sie, könne der junge
 Mensch hier was lernen.
Dass das Ritual des Aufstehens im Gerichtssaal eher etwas mit ritueller 
Festigung von Hierarchien durch die damit ausgedrückte Unterwerfung die 
Autorität „des erkennenden Richters“ zu tun hätte, wie früher das 
Aufstehen vor dem Lehrer die Unterwerfung unter seine Autorität 
bedeutete (der hätte einen sonst ja auch mit dem Rohrstock gezüchtigt), 
erläuterte sie dabei nicht.
Dabei duzte sie die angesprochene Person anfangs ganz 
selbstverständlich, was auf Protest der weiteren Zuschauer_innen stieß. 
Die Richterin rechtfertigte ihre Ausdrucksweise damit, dass die Person 
„so klein“ sei.
Der Angeklagte brauchte noch einige Zeit durch die Kontrollen, was die Richterin veranlasste die fortschreitende Zeit mit weiteren Kinder-diskriminierenden Äußerungen und Erziehungsversuchen des Publikums zu verbringen. Sie verließ den Saal häufiger um in Erfahrung zu bringen, warum das denn so lange dauere, und beschloss sich schließlich selbst auf die Suche nach dem Angeklagten zu machen. Sie fand ihn dann auch beim durchsucht werden durch die Justizangestellten in der Eingangskontrolle. Beim Zurückkehren in den Saal bestand sie in erzieherischer Strenge erneut darauf, dass sich das Publikum erheben solle – das dritte Mal an diesem Morgen. Aufstehen –setzen, aufstehen – setzen, aufstehen – setzen. Ein erhellendes Beispiel der Antiquiertheit von Gerichten, in dem offensichtlich wird, wie wertkonservativ und stur in die Vergangenheit gerichtet das in vielen Bevölkerungsschichten nahezu religiös verehrte Konzept der Gerichte doch ist.
Nun betrat der Angeklagte den Saal. Auf der Bühne, die sonst nur dem Schauspiel des Zelebrierens des Rechtsstaates und seiner „erkennenden Richter“_innen dient (und den damit verbundenen klaren Hierarchien und Herrschaftsausübungen), unternahm er direkt erste Schritte gegen den „Straf-Bazillus“ in diesem Gebäude. U.a. durch das Einwickeln seines zugewiesenen Stuhles in eine spezielle Folie als notwendige Schutzmaßnahme, ergriff er die ersten Maßnahmen um einer Infektion zu entgehen. Während er seine benötigten Utensilien auf dem Tisch vor sich noch aufbaute, musste er die Richterin schon darauf hinweisen, dass er sich in diesem Fall selbst verteidigen werde, da diese nun drängelte endlich anzufangen.
Er verlangte nach Erklärungen der Situation und wollte klarstellen, dass er Juristensprache ablehne, da diese nicht zur Kommunikation zwischen Menschen da sei, sondern um Menschen zu verwalten.
Die Richterin ließ sich aber nicht abbringen von ihrem Vorhaben den Angeklagten in einer bestimmten Zeit ökonomisch abgeurteilt zu haben und versuchte wieder Tempo in den Ablauf des Prozesses zu bekommen. Doch sie konnte nicht verhindern, dass weiterhin grundsätzliche Fragen aufgeworfen wurden. Der Angeklagte lehnte bei der Personalienfeststellung das Konzept der ständigen, zweifelsfreien Identifizierbarkeit durch ein Leben lang feststehende Namen ab. Er wolle sich nicht auf die Identifizierbarkeit für Verwaltungszwecke reduzieren lassen, sondern als Mensch wahrgenommen werden.
Auch ihre Versuche das Ganze versöhnlich-autoritär zu entschärfen, scheiterten, als sie meinte in ihrer Dienstzeit nicht mit dem Angeklagten über Philosophisches diskutieren zu können, privat dafür aber gerne zur Verfügung stehen würde.
Die Aufrechterhaltung einer gewissen Rest-Ordnung im Ablauf der Verhandlung und im Gerichtssaal wurde für sie zunehmend schwerer, da auch die Zuschauer_innen immer energischer versuchten, sich in das Geschehen kommunikativ mit einzubringen.
„Sie sind ein Kind, Sie haben still zu sein!“, gab es da als Reaktion der Richterin zu hören, indem sie den Faden zu den zu Beginn fallen gelassenen Kinder-diskriminierenden Äußerungen wieder aufnahm, um ihre Autorität doch noch irgendwie klar zu stellen.
Nach mehrfach fehlgeschlagenen Versuchen den Strafbefehl zu verlesen, drohte die Staatsanwältin dem Angeklagten mit Ordnungsgeld, wenn er sie nochmals unterbrechen sollte. Der jedoch ließ sich nicht beirren und entgegnete, dass der Prozess, nur weil die Richterin und die Staatsanwältin einen durch sie bestimmten Ablauf gewohnt seien, das noch lange nicht so stattfinden müsse. Der Versuch den Angeklagten in vorgesehener Zeit abzuurteilen, wurde in seiner Realisierbarkeit immer unwahrscheinlicher, da sich der Angeklagte nicht einschüchtern ließ und auf seinen Rechten bestand.
Die Staatsanwältin konnte das formell korrekte Beantragen einer Emo-Runde durch den Angeklagten nicht abwenden. Schon zum Verlesen des Strafbefehls stehend, verharrte sie wie paralysiert und ließ sich vom Angeklagten die ausführliche Begründung für den Antrag vorlesen. Auch das Beharren darauf, dass der Emo-Runden-Antrag nicht durchginge, weil sich an die StPO gehalten werden müsse, brachte nicht mehr viel. So versuchte sie das Verhalten von Angeklagtem und Publikum zu entpolitisieren, indem sie erklärte die Sitzung sei keine Faschings-Sitzung.
Nach dem Verlesen des Strafbefehls hatte Richterin endgültig keine Lust mehr. Mit der Einsicht, dass sie hier nicht weiterkomme und der Bestätigung dieser Einschätzung durch die Staatsanwältin beendete sie die Sitzung und setzte die Verhandlung ab. Sie beschloss einen neuen Termin anzusetzen und sich vorher noch einmal gründlich zu überlegen, wie das Ganze denn weitergehen könne. „Richter sind auch nur Menschen“ merkte sie noch an, bevor sie den Saal verließ, ohne darauf zu achten, ob dabei irgendwer aufsteht.
An dieser Stelle ist klar zu stellen, dass die Richterin in diesem 
Verfahren kein einziges Mal als Mensch Ziel der Kritik war, sondern ihr 
Handeln in ihrer Rolle.
Die Richterin wurde in ihrer Rolle und Funktion und als Richterin kritisiert, nicht als Mensch angegriffen!
„Dass aber die Gerichte beauftragt sind, nach oft fragwürdigen Gesetzen zu urteilen und zwar häufig als politisches Sanktionsmittel und ohne mit den menschlichen Folgen konfrontiert zu sein, wird allgemein für völlig normal genommen.“ kommentierte ein Zuschauer diese Bemerkung der Richterin.
Als sie ihre Robe abgelegt hatte, versuchte sie ein letztes Mal den Saal vorm totalen Chaos zu bewahren, indem sie Aktivist_innen davon zu überzeugen versuchte, nicht auf dem Platz der Staatsanwältin (die bereits türknallend den Rückzug aus dem Saal ergriffen hatte) Gericht zu spielen. Als sich schließlich auch mehrere Justizwachtmeister einmischten, verwandelte sich der Gerichtssaal in einen Abenteuer-Spielplatz. Fantasie und Kreativität übernahmen den Raum: Die Angeklagten-Bank wurde zu einem Schiff und das Saal-Mikro wurde gesangstechnisch auf seine Nutzbarkeit überprüft.
Die Richterin wünschte allen Beteiligten viel Spaß beim Erwachsenwerden und verließ endgültig den Spielplatz Gerichtssaal.
Fazit:
„Strafandrohung ist staatlicher Terror. Terror soll Angst erzeugen. Angst wird durch Handlungskompetenz überwunden. Menschenwürde und das tatsächliche freie Äußern von Meinungen sind Strategien gegen staatlichen Terror.“(…) „Solidarität und subversiver Einfallsreichtum, sind die Gegenmittel.“
So wurde die Strategie der offensiven Prozessführung in einem Aufruf zum Prozess beworben.
Der Prozessverlauf bis hierhin ist somit als Erfolg zu werten: Im 
Mittelpunkt stand die Kommunikation von Mensch zu Mensch, statt dem 
grauen Gerichtsalltag in der Straf-Urteils-Fabrik.
Durch das Aufbrechen des normalen Gerichtsprozessablaufes und der 
einfallsreichen Varianten verschiedener Kommunikationsweisen entstand 
ein Moment, in dem Streitkultur stattfand, statt strikten Hierarchien 
zwischen Roben-, Uniformträger_innen und allen anderen Beteiligten.
Das alles durch Begegnen von Repression mit Kreativität und dem Nutzen 
theatraler bis kabarettistischer Elemente. So wurde es hier möglich 
grundlegende, unhinterfragte Strukturen der Herrschaftssicherung zu 
unterlaufen, zu blockieren und sie einen kurzen Moment lang umzuwandeln 
in eine Annäherung an Kommunikation zwischen Menschen.

