Strategiepapier zu den Insurrectiondays in Berlin

Insurrection Days

Nach dem Aufruf zu den Insurrection Days (ID) und der Aufforderung diesen breit zu diskutieren, gab es schon einiges an Resonanz. Auch wir haben viel darüber diskutiert. Über den Aufruf, über die Kritiken die kamen, über den Sinn der ID an sich und auch über die Namensgebung. Was wir als größtes „Problem“ sehen, ist das aus dem Aufruf nicht so ganz hervorgeht, was das Ziel ist, bzw. was erreicht werden soll. Prinzipiell ist das strategische Ziel für uns schon einleuchtend, wir wissen allerdings nicht, ob sich das auch mit den Überlegungen der Aufrufverfasser_innen deckt. Deshalb legen wir einfach mal ein paar Überlegungen zum strategischen Konzept der ID dar.

 

Im Aufruf wird gesagt, dass mit den ID eine Plattform geschaffen werden soll, auf der sich Menschen vernetzen können. Egal welches „Großevent“, da wo viele Menschen mit einem Ziel oder zumindest zu einem Thema zusammenkommen, findet immer ein Austausch statt. Gerade kleinere Gruppen aus kleinen Dörfern haben oft das Problem, Debatten nur im personell beschränkten Rahmen führen zu können. Dasselbe lässt sich jedoch auch in Berlin erkennen. Ein Austausch verschiedener politischer Gruppen zu einem Thema findet nur selten statt. Stattdessen gibt es viele Einzeldiskussionen die meist aber nicht in der „Szeneöffentlichkeit“ publik werden. Plattformen wie die ID können hier als Schnittpunkt dienen. Hier kommen viele Menschen zusammen an einen Ort und zu einem Thema, woraus sich automatisch Diskussionen und somit ein Austausch ergibt.

Als zweites Ziel wird dazu aufgerufen: „...ein Klima der Unsicherheit und Verlustängste für die staatliche und gesellschaftliche Obrigkeit zu erzeugen, bzw. das Normengefüge von Staat und gesellschaftlichen Autoritäten zu erschüttern und somit das Gewaltmonopol in Frage [zu] stellen. ...“

Hochgesteckte Ziele könnte mensch jetzt spotten jedoch dient ein Aufruf erstmal zu nicht mehr als der Mobilisierung und dem Erklären von Zielen. Das heißt ja nicht, dass mensch denkt:“wir machen jetzt mal ID und dann kacken die da oben sich so richtig ein“.

 

Wenn eine so marginale Bewegung (wenn wir das überhaupt so nennen können) wie in Deutschland einen Systemsturz herbeiführen möchte kann dieser sicher nicht in einer offenen Feldschlacht errungen werden. Das sollte allen klar sein. Was jedoch überhaupt nicht klar ist: wie können wir unsere Ziele erreichen? Dazu gibt es hunderte von Theorien und weit mehr Kritiken an diesen.

Eine Zuspizung der Verhältnisse, die im Aufstand der Masse der Bevölkerung gegen die herrschende Regierung und, im Idealfall, der Selbstorganisation als „Gegenmodell“ gipfelt ist eine Möglichkeit.

Die Gesellschaftsanalyse des ID-Aufrufs kommt zu dem Schluss, das die sozialen Verhältnisse hier in Deutschland bei weitem nicht so schlecht sind, dass sich ein Großteil der Bevölkerung ernsthaft gegen „die Obrigkeit“ auflehnt. Und gibt zu bedenken, dass viele als Ausweg aus der privaten Misere eher den sozialen Aufstieg innerhalb des Systems als eine Änderung dessen sehen. Dieser Analyse können wir uns nur anschließen (was nicht heißt, dass das zwangsweise das einzig Richtige ist). Mit dieser Erkentnis allein ist jedoch noch kein Blumentopf zu gewinnen denn eine Analyse des „Istzustandes“ ist nur die halbe Miete.

Mindestens genauso wichtig ist, darauf aufbauend zu überlegen, was können wir nun machen um die bestehende Ordnung trotzdem aufzubrechen?

Eine solche Mobilisierung führt (so zumindest der Plan denken wir) zu einer Konzentration von Aktionen gegen die herrschenden Verhältnisse, personalisiert in der Auswahl der jeweiligen Ziele.

Somit kommt es zwangsweise zu einer größeren Aufmerksamkeit (ein brennendes Auto kann mensch vertuschen, hunderte brennende Autos dagegen fallen definitiv jedem_r auf) innerhalb der Restbevölkerung. Diese Aufmerksamkeit muss deshalb noch lange nicht mit Solidarisierung einher gehen, das ist uns klar (und macht uns traurig). Tatsache ist aber: Dass wenn wenigstens ein Teil der Aktionen auch vermittelt wird, eine breitere Öffentlichkeit für unsere Inhalte geschaffen werden kann. Hierfür ist es natürlich wichtig der Vermittlung unserer Aktionen eine große Aufmerksamkeit zu widmen.

Im Idealfall können wir es sogar schaffen einen Druck zu erzeugen, der den Staat in Zugzwang versetzt, sodass Repression und „Rechtsbrüche“ für jede_n sichtbar werden und damit weiter Stimmung in der Bevölkerung gegen den Staat gemacht werden kann.

Wenn wir das schaffen sollten, die Initiative zu erlangen, dann ist es natürlich wichtig, diese nicht mehr aus der Hand zu geben und nicht den Druck mit „Ende“ der ID wieder sinken zu lassen. Obwohl die ID ja klar sagen „Immer! Überall!“ kann hier ein strategisches Problem auftreten.

Ein anderer Aspekt den wir sehen ist, dass es durchaus Wut und Verachtung für die herrschenden Verhältnisse in Teilen der Bevölkerung gibt. Diese Wut kommt jedoch nicht oder sehr unspezifisch zum Ausbruch und richtet sich wenn, dann meist nicht gegen sinvolle Ziele, sondern entlädt sich in blinder Gewalt. Wir glauben, dass es möglich ist, durch kontinuierliche Präsenz von angegriffenen Zielen in der öffentlichen Wahrnehmung, diese Gewalt zu kanalisieren und somit unseren Widerstand in die breite Masse zu tragen. Zusätzlich sollten Partizipationsangebote für bestehende alternative und auch bürgerliche, emanzipatorische Bewegungen geschaffen werden, um unsere Ziele breiter in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Dadurch kann auch eine Solidarisierung seitens bürgerlicherer Arrangements mit militanter Praxis erreicht werden, wenn die Notwendigkeit dann in engerer Zusammenarbeit dargelegt werden kann und gleichzeitig die Monopolstellung des Staates in Sachen Gewaltanwendung aufgezeigt wird. So etwas setzt natürlich voraus, dass der Kontakt zu bürgerlichen Bewegungen wie Occupy oder Anti-HarzIV sowie auch in „prekarisierte Milieus“ (wie es die No Justice No Peace-Kampagne in Berlin vorgemacht hat) auch gesucht wird.

Auch in der eigenen Szene können mit einem Projekt wie den ID positive Auswirkungen erreicht werden. Die Vernetzungsplattform ID wurde bereits angesprochen, doch auch darüber hinaus macht es Sinn. So dürfte eine breite Beteiligung an den ID ein Gefühl der Stärke vermitteln und einer autonomen Bewegung neues Selbstvertrauen geben.

 

Berlin bietet für ein solches Projekt zum Einen gute Voraussetzungen, da in Berlin eine gute Infrastruktur mit vielen Projekten und Infoshops besteht, da die Szene in Berlin generell recht stark ist (verglichen mit anderen Gebieten in Dt.) und Repressionsstrukturen mit dem Polizeibericht auch für auswertige Menschen zumindest im Ansatz nachvollzogen werden können. Relativ großes Nachtleben und gutes Terrain (abgesehen von der Spree und daraus folgender Brückenabhängigkeit) gestatten eine akzeptable Bewegungsfreiheit im „urban nightlive“. Andererseits darf auch nicht vergessen werden, dass Berliner Bullen über sehr viel Erfahrung im Umgang mit direkten Aktionen verfügen und sie von knapp 1800 Beamten der Bundespolizei im Kampf für die Neustrukturierung der Stadt, und das damit einhergehende Verdrängen sozial Benachteiligter unterstützt werden.

Berlin bietet zudem jede Menge Ziele. Viele große Unternehmen aus Rüstung, Atomindustrie Knastsystem und sonstwelcher Scheiße besitzen Werke oder Vertretungen in Berlin (Vattenfall, Siemens, SAP, Mercedes ... um nur einige zu nennen). Auch an Banken, Jobcentern und Ministerien bietet Berlin eine große Auswahl. Dazu kommt, dass das Verbrennen von teuren Autos (wenn auch kontrovers diskutierbar) in Berlin als Form des Widerstands gegen Gentrification breite Annerkennung findet.

Schön wäre es natürlich, wenn wir es schaffen könnten, die Stadt weitgehend lahm zu legen. Dafür wären GAS; WASSER/ABWASSER; STROM; VERKEHR; TELEKOMMUNIKATION die Ziele der Wahl um die Infrastruktur weitgehend auszuschalten.

Wenn nun z.B. ein Generalstreik unterstützt werden sollte, wäre es taktisch sinnvoll für diesen Tag dafür zu sorgen, dass auch wirklich niemensch zur Arbeit kommt.

 

Zuletzt bleibt uns noch auf den 1. Mai einzugehen. Da wir davon ausgehen, dass das Datum für die ID nicht zufällig bis zum 1.Mai gewählt ist, sehen wir hier eine Möglichkeit die festgefahrene Eventstrategie des 1. Mai in Berlin aufzubrechen. Viele Menschen haben nun Grund genug um ein paar Tage vorher schon nach Berlin zu kommen und sich mit Stadt und Bullen vertraut zu machen. Dies kann dazu beitragen den 1. Mai ein wenig zu dezentralisieren und dadurch die alljährlichen Massenfestnahmen eventuell zu verhindern. Das die Bullen jedes Jahr mehr Erfolge am 1. Mai aufweisen ist leider keine reine Propaganda. Sie wissen ja wann und wo es knallen soll und können sich ganz gemütlich darauf vorbereiten. Das ihnen bis jetzt immer noch „geholfen“ wurde, in dem zur Walpurgisnacht in den Kessel mobilisiert wurde um dann Besoffene Steine werfen und festnehmen zu lassen kann dieses Jahr vielleicht anders laufen. Auch für den 1.Mai selber sollte es vielleicht langsam an der Zeit sein von 18h Kotti weg zu kommen (meinen jetzt nicht das 19h Görlie besser ist). Denn wenn wir nur auf Masse setzen werden wir nur wenig Erfolg haben. Da uns die Bullen zahlenmäßig und Ausrüstungsmäßig überlegen sein werden haben wir ihnen als statische Demo nach ihren Regeln nicht viel entgegen zu setzen. Überraschung und Mobilität sollten unsere taktischen Vorteile sein. Das rituelle 36-Kiezzerlegen am Abend kann auch ruhig nach Zehlendorf auf den 2.Mai verlegt werden.

Grundsätzlich bedeuten Insurrection Days aber nicht nur strafrechtlich relevante Akte zu begehen. Sowohl um in das Bewußtsein der Menschen einzubrechen als auch um den Motor der Stadt Berlin zum Kotzen zu bringen, gibt es viele Mittel, die nicht kriminalisierbar sind.