Gorleben vor der Wende? "Die Bundesregierung agiert nach dem Prinzip legal, illegal, scheißegal.”

Gorleben Endlager

  

Mit einer Kundgebung und einem demonstrativen Rundgang um das umstrittene "Endlagerbergwerk" Gorleben läuteten Gorleben-Gegner das "Wendejahr 2012" ein. "1999 schon sollte nach den ursprünglichen Planungen im Salzstock Gorleben Atommüll eingelagert werden, wir konnten es zum Glück verhindern", sagte Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow – Dannenberg. Demonstrativ und argumentativ werde man sich auch in 2012 in die Atommülldebatte einmischen.

 

"In die Gorleben-Auseinandersetzung ist viel Bewegung gekommen, erstmals hat der Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) öffentlich eingestanden, dass in Gorleben nicht nur erkundet, sondern auch gebaut wird, ein völliger Stopp der Arbeiten unter Tage ist nur der erste überfällige Schritt, um 2012 zu einem Wendejahr in der verfahrenen Atommüllpolitik zu machen", sagte Ehmke.


An den vielen K.O.-Kriterien, die gegen Gorleben als Endlager sprechen, könne sich in den Bund-Länder-Gesprächen zum Thema Neustart der Endlagersuche niemand mehr vorbeimogeln, sind sich die Gorleben-Gegner sicher.


Das offizielle Eingeständnis, dass der Salzstock Gorleben in Teilen bereits zu einem nuklearen Endlager ausgebaut wurde, sorgt für Wirbel.  Röttgen hatte erstmalig eingestanden, was die Gorleben-Gegner schon immer behaupten: der Salzstock wird nicht nur erkundet, dort wird auch ein Endlager errichtet.

 

Röttgen hatte auf einer Pressekonferenz im Anschluss an das Bund-Länder-Treffen zu einem Neustart der Endlagersuche wörtlich gesagt: "…und dann ist die Frage, wie ist das Verhältnis von Erkundung zur Weiterführung des Bauwerks, die Fortführung des Bauwerkes ist eben relativ nah daran, dass dort ein Anschein entstehen könnte, dass über Untersuchungen hinaus sozusagen schon ein Endlager vorbereitet wird, das ist ausdrücklich benannt worden, und wird auch nicht prinzipiell bestritten (...)".* (Im anhängenden mp3 zu hören.)

 

Ein vergleichbares Eingeständnis findet sich nach Recherche der BI auch auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für den Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe (DBE), die mit den Arbeiten in Gorleben betraut wurde. Dort heißt es: "Insgesamt sind bisher etwa 7 km Strecken (ca. 234.000 m3 Hohlraum) aufgefahren sowie geologische und geotechnische Bohrungen mit einer Gesamtlänge von ca. 16.000 m hergestellt. Von den fünf ursprünglich geplanten Erkundungsbereichen im Nordost-Teil des Salzstockes ist bisher der Erkundungsbereich 1 (EB 1) sowie der schachtnahe Infrastrukturbereich (Werkstätten, Arbeits- und Lagerräume) fertig gestellt."

Die BI wirft Röttgen vor, geltendes Recht zu umgehen. "Der Bau eines Atommüllendlagers setzt ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren mit Anhörung der Öffentlichkeit voraus. Das hat nicht stattgefunden, stattdessen schafft der Bund, der laut Atomrecht für den Bau und Betrieb eines Endlagers zuständig ist, rechtswidrig Fakten", wirft Ehmke dem Bundesumweltminister vor.

 

Bewusst werde hier eine Lücke im Atomgesetz genutzt, denn im Unterschied zum Bau und Betrieb kerntechnischer Anlagen gibt es keinen Strafkatalog für die illegale Errichtung eines Endlagers, offensichtlich auch nicht für dessen Betrieb, wie das Beispiel Asse II gezeigt habe.

 

Schritt für Schritt werde jetzt die jahrzehntelange Täuschung der Öffentlichkeit zugegeben. Schon im Jahr 2009 hatte der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, im Interview mit der Frankfurter Rundschau eingeräumt, dass die Kosten für die Erkundung anderer Standorte lediglich 400 bis 500 Mio. Euro kosten würden (FR 6.06.09). In Gorleben wurden aber schon 1,6 Mrd. Euro verbaut.


Ehmke:  "Die Bundesregierung agiert nach dem Prinzip legal, illegal, scheißegal. Ein überfälliger erster Schritt ist ein totaler Baustopp, ein zweiter wird sein, einzugestehen, dass der Salzstock Gorleben nicht für ein Endlager geeignet ist."

 

Die Anti-Atom-Bewegung erlebt einen Höhenflug. Wie immer war es die Gegenseite, die der ältesten sozialen Bewegung in Deutschland die Argumente lieferte: Die Havarie der beiden Endlager auf deutschen Boden, Morsleben und Asse II, die Laufzeitverlängerung der schwarz-gelben Bundesregierung und die Möglichkeit, den Gründen für die Wahl Gorlebens als Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum vor fast 35 Jahren durch Akteneinsicht auf die Spur zu kommen, heizten den Protest an, konstatierte die BI.


"Am Ende hat die Nuklear-Katastrophe von Fukushima und der Massenprotest gegen die Atomkraft entscheidend zum – wenn auch nur halbherzigen – Atomausstieg beigetragen. In schwierigen Zeiten aber überdauerte der Protest wegen der Beharrlichkeit und lebendigen Protestkultur im Wendland, darauf bauen wir auch in 2012", so Ehmke.

 

Schon vor dem Treck nach Berlin vor zwei Jahren sei deutlich geworden, dass Gorleben und Asse II für das Atommülldilemma schlechthin stünden. "Gorleben ist aber auch synonym für eine Industriepolitik der 70er Jahre, die Bürger überregelte, um mit juristischen Tricks einen Entsorgungsnachweis zu fabrizieren. Der Schwindel, dass in Gorleben der Salzstock erkundet wird, ist jetzt aufgeflogen, dort wird gebaut, aber nicht mehr lange", prophezeite Ehmke.

 

"Ein erkennbar ungeeigneter Standort wie Gorleben muss aufgegeben werden, wir brauchen keinen weiteren faulen Kompromiss wie beim Atomausstieg light à la Schwarz-Gelb." 


Vor allem müssten die vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben, mit der Röttgen (CDU) eine tendenziöse Eignungsaussage pro Gorleben vorbereitet, und der Ausbau in Gorleben abgebrochen werden. "Solange nicht einmal diese Schritte eingeleitet werden, glauben wir trotz des Geredes um einen angeblichen Neustart der Endlagersuche kein Wort", schreibt die BI.

 

 

Noch nicht im Amt, aber schon im Fettnäpfchen

 

Schon vor seinem Amtsantritt als niedersächsischer Umweltminister sorgte Stefan Birkner aus Sicht der BI für einen ersten großen Aufreger: "Er ist gleich
ins Fettnäpfchen getreten."

 

Der FDP-Politiker bekräftigte im Interview mit Deutschlandradio Kultur seine politische Absicht, an Gorleben als möglichen Endlagerstandort festzuhalten. "Birkner ignoriert die wissenschaftlichen Einwände, die gegen Gorleben als Endlagerstandort sprechen, die sich in den über 30 Jahren seit der Standortbenennung bewahrheitet bzw. aus der sogenannten Erkundung zusätzlich ergeben haben. Ergebnisoffen wurde Gorleben noch nie erkundet, dort wurde gebaut, und zwar ohne das vorgeschriebene atomrechtliche Genehmigungsverfahren", bekräftigt Ehmke. 

 

Gorleben gehöre in erster Linie aus geologischen Gründen auf den Misthaufen der Nukleargeschichte.** Birkner liege auch falsch, wenn er der SPD vorwerfe, aus politischen Gründen Gorleben beenden zu wollen. "Politische Defizite wie die fehlenden Klagerechte der Bevölkerung sind nur die Würze", so Ehmke.

 

 

Wolfgang Ehmke 0170 510 56 06 oder - weil Funkloch - 05863 98 30 76 

 

 

Juristischer Erfolg gegen CDU-Abgeordnete

Wieder wurde ein Gorleben-kritischer Wissenschaftler diffamiert

 

Die niedersächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten Reinhard Grindel und Eckhardt Pols sind mit ihrem Versuch, durch diffamierende Äußerungen den Ruf des Berliner Endlagerexperten Dr. Ulrich Kleemann zu beschädigen, gescheitert.

 

Gegen Grindel hat das Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung erlassen. Pols unterzeichnete nach Abmahnung durch die Anwälte Kleemanns eine Unterlassungserklärung.

 

Kleemann hat kürzlich mit einer Gorleben-kritischen Studie für Aufsehen gesorgt. In seiner Literaturrecherche im Auftrag der Rechtshilfe Gorleben kommt der Geologe und ehemalige Fachbereichsleiter im Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) zu dem Schluss, dass der Salzstock Gorleben nicht einmal die Mindestkriterien für ein Atomendlager erfüllt.

 

Nach Veröffentlichung seiner Expertise wurde Kleemann von diversen CDU-Politikern durch Falschbehauptungen persönlich heftig attackiert. So verbreitete Grindel in einer Pressemitteilung, Kleemann  habe das BfS verlassen, „weil er als führender Mitarbeiter der bundeseigenen Gesellschaft Asse GmbH  die Probleme im dortigen Endlager nicht in den Griff bekommen“ habe.

 

Inzwischen wurde ihm im Rahmen einer einstweiligen Verfügung vom Landgericht Berlin untersagt, diese Behauptung weiter aufzustellen.

 

Zuvor hatte sein niedersächsischer Fraktionskollege Pols nach Abmahnung durch eine von Kleemann beauftragte Kanzlei bereits eine Unterlassungserklärung unterzeichnet. Danach darf er nicht mehr behaupten, Kleemann sei „im Frühjahr 2010 plötzlich vom BfS-Präsidenten König entlassen worden“.

 

Tatsächlich hatte Kleemann seine Funktion als Fachbereichsleiter im BfS nämlich selbst gekündigt, weil er nicht bereit war, den Beschluss der Bundesregierung zur Weitererkundung des Salzstockes Gorleben mitzutragen.

 

Dazu erklärt Asta von Oppen von der Rechtshilfe Gorleben: „Anscheinend haben die Gorleben-Befürworter aus den letzten 35 Jahren nichts gelernt. Statt sich mit den Inhalten der Kleemann-Studie sachlich auseinanderzusetzen, wird offenkundig versucht, das Ansehen des Endlagerexperten durch Falschbehauptungen zu beschädigen.

 

"Dieses Muster ist uns altbekannt. Renommierte Wissenschaftler, die den Standort Gorleben in Frage stellen, wurden in den letzten dreißig Jahren immer wieder öffentlich verunglimpft und kaltgestellt. Prominente Beispiele sind die Professoren Grimmel und Duphorn.“

 

Dazu passt auch die Reaktion des Bundesamts für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), die von Kleemann wegen ihrer mangelhaften Aufbereitung der Erkundungsergebnisse scharf kritisiert wurde. So qualifizierte der zuständige BGR-Abteilungsleiter Volkmar Bräuer die Expertise geradezu reflexartig als „zweifelhafte Studie“ ab, bevor er sie überhaupt zu Gesicht bekommen hatte.

 

 

Kleemann selbst sagt: „Es ist bedauerlich, dass man sich juristisch gegen ehrabschneidende Behauptungen wehren muss, nur weil man sich kritisch zur Eignung Gorlebens geäußert hat. Bisher habe ich noch keine fachlichen Argumente gegen meine Expertise gehört. Ich halte es für dringend erforderlich, dass endlich offen fachlich-wissenschaftlich über die Geologie des Salzstocks Gorleben diskutiert werden kann, ohne diffamiert zu werden.“

 

(Der Beschluss des Landgerichts Berlin gegen Grindel erging am 20.12.2011 im schriftlichen Eilverfahren unter dem Az. 27 O 822/11. Gegen die Entscheidung sind Rechtsmittel möglich.) Kontakt: Asta von Oppen: 0160 95856906 , RECHTSHILFE GORLEBEN, 29471 Gartow | Hauptstraße 6| Tel.: +49 5846 1208, E-Mail: rechtshilfegruppe@online.de | www.rechtshilfe-gorleben.de

 

 

Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow - Dannenberg e.V.
Rosenstr. 20
29439 Lüchow
Büro: Tel: 05841-4684  Fax: -3197
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*Quelle:  Audiomitschnitt der Internet-live-Übertragung (MP3, 16 MB). Eine weitere Passage, die belegt, dass in Gorleben gebaut wird, beginnt bei 5:15. Bei 5:30 kommt Herr Röttgen zum Punkt: …dass ich angewiesen habe, dass es ab sofort, ich weiß nicht wann die Anweisung erfolgt ist, zwei Wochen ist es her, so, um die Zeit nach dem letzten Gespräch, ziemlich unmittelbar danach, dass es keine weiteren Streckenauffahrungen gibt, bis wir zu einer Entscheidung gekommen sind, dass es also keinen weiteren Ausbau des untertägigen Bauwerkes gibt…

 

**Der Salzstock hat Wasserkontakt. Auf einer Fläche von 7, 5 Quadratkilometern fehlt eine Tonschicht, das Deckgebirge hat deshalb keine Abschirmwirkung. Ursprünglich wurde aber davon ausgegangen, dass aus Sicherheitsgründen zwei geologische Barrieren vorhanden sein müssen, um den Austritt von Radionukleiden zu verhindern. Im Salzstock gibt es Gaseinschlüsse, vermutlich liegt unter dem Salzstock auch ein Gasfeld. Eine tiefe wasserführende Rinne ragt ins Salz hinein, sie ist bei der letzten Eiszeit entstanden. 

 

  • Roettgen quote