Es klang wie das Ende einer Geschichte als am 4. November 2011 zwei Männer im thüringischen Eisenach tot in einem brennenden Wohnmobil aufgefunden wurden. Doch was die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden und die Recherchen von Journalist_innen innerhalb weniger Tage zum Vorschein brachten, machte schnell deutlich: Der Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos wird in die Geschichtsbücher eingehen, denn, so weiß man heute, er markiert einen traurigen Höhepunkt neonazistischen Terrors in Deutschland und das Versagen der Sicherheitsorgane.
Nur wenige Stunden nachdem die zwei Männer erfolgreich eine Bank in Eisenach überfallen hatten und kurz darauf Mundlos erst Böhnhardt und dann sich selbst erschossen haben soll, explodierte knapp 200 Kilometer entfernt, im sächsischen Zwickau ein Wohnhaus. Die Polizei fahndete in diesem Zusammenhang nach einer Frau, die kurz zuvor das Gebäude verlassen hatte: Beate Zschäpe. Sie stellte sich wenige Tage später, in Begleitung eines Anwalts, der Polizei. Noch bevor Polizei und Medien über die Zusammenhänge von Eisenach und Zwickau berichteten, vermuteten Kenner_innen der Neonazi-Szene einen Bezug zwischen den zwei Tatorten. Ihr Verdacht: Bei den zwei Männern und der Frau könnte es sich um ein bekanntes, seit 1998 untergetauchtes Neonazi-Trio aus dem thüringischen Jena handeln. Sie sollten recht behalten.
Rückblick
Das Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe ist den Behörden ebenso wie lokalen Antifaschisten_innen in Thüringen seit Mitte der 1990er Jahre bekannt. Als im April 1996 ein Puppentorso mit einem so genannten gelben Judenstern und einem Schild mit der Aufschrift »Vorsicht, Bombe!« an einer Autobahnbrücke bei Jena gefunden wird, fällt der Verdacht schnell auf Uwe Böhnhardt, doch die Ermittlungen dauern Monate und so setzt sich die Spur der Anfänge des neonazistischen Terrors ungehindert fort. Ende 1996 und Anfang 1997 tauchen drei Briefbombenattrappen mit Hakenkreuzen bei einer Lokalzeitung, der Stadtverwaltung und der Polizeidirektion in Jena auf. Die Polizei ermittelte in der Jenaer Neonazi-Szene und ihrem Umfeld, konnte jedoch keine Ermittlungserfolge vorweisen und stellte Mitte 1997 das Verfahren ein. Kurze Zeit später, im September desselben Jahres, wurde vor dem Jenaer Theater ein mit einem Hakenkreuz bemalter Koffer mit brisantem Inhalt gefunden: Er enthielt eine mit zehn Gramm TNT versehene funktionstüchtige Bombe, die aufgrund einer fehlenden Batterie nicht zündfähig war. Nur drei Monate später stellte die Polizei erneut einen Hakenkreuz-Koffer sicher. Diesmal auf einem Friedhof an einem antifaschistischen Mahnmal. Jedoch ohne TNT, sondern mit einem gefüllten Benzinkanister. Nur zwei Wochen vor dem letzten Fund wurde Uwe Böhnhardt rechtskräftig zu einer Haftstrafeverurteilt, u.a. aufgrund des Puppentorsos von 1996. Antreten musste er seine Haftstrafe trotz Verurteilung nicht. Am 26. Januar 1998 durchsuchten Ermittler_innen die Wohnungen und Garagen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Da kein Haftbefehl vorlag und in den Wohnungen von Mundlos und Zschäpe keine belastenden Gegenstände gefunden wurden, die eine vorläufige Ingewahrsamnahme gerechtfertigt hätten, fand keine Verhaftung statt. Böhnhardt führte die Fahnder an diesem Tag zu einem Garagenkomplex und entfernte sich noch während der Durchsuchung, bei der 1,4 kg TNT und vier funktionsfähige Rohrbomben beschlagnahmt wurden, scheinbar problemlos vom Ort des Geschehens. Seit diesem Zeitpunkt war das Trio auf der Flucht. Trotz unzähliger Hinweise, intensiver Ermittlungen und der Tatsache, dass Teilen der Sicherheitsbehörden zwischenzeitlich die Aufenthaltsorte bekannt gewesen sein sollen, erfolgte keine Verhaftung. Letztlich wurde die Fahndung gegen die drei im Zusammenhang mit dem Sprengstofffund im Jahr 2003 eingestellt. Nach Böhnhardt wurde allerdings noch bis 2007 aufgrund der Verurteilung aus dem Jahr 1997 gefahndet – auch international.
Deutsche Zielfahnder orteten Mitglieder der Gruppe nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im September 1998 im ungarischen Budapest und im August 2000 in Bulgarien. Nach Informationen anderer Medien sind Fahnder auch auf Spuren in die Schweiz gestoßen. Demnach soll sich das Trio seit seinem Untertauchen wiederholt dort aufgehalten haben und dabei offensichtlich auch von Schweizer Neonazis unterstützt worden sein. Aus Sicherheitskreisen hieß es zudem, dass es knapp 100 anonyme Hinweise auf Ungarn gab und etwas später einige auf Südafrika. Das BKA sei einem Hinweis in Südafrika ergebnislos nachgegangen. Man muss allerdings keine ausgewiesene Szenekennerin sein, um im Falle eines Aufenthalts des Trios in Südafrika Claus Nordbruch als eine erfolgversprechende Spur bezeichnen zu können. Der extrem rechte Autor kommt ursprünglich aus Deutschland und lebt seit 1986 in Pretoria in Südafrika. Nordbruch war im September 1999 als Referent in Jena beim Thüringer Heimatschutz (THS). 2000 gab er dem deutschsprachigen Neonazi-Fanzine »Blood & Honour« ein Interview, in dem er zum Besuch seiner Farm in Südafrika einlud und öffentlich zum Gebrauch von Waffen aufrief: »Zur Verteidigung und zum Nahkampf empfehle ich eine 12er Repetierschrotflinte, den Colt Python. 357 Magnum, die Heckler & Koch MP5. Für die Jagd hat sich ein halbautomatischer Karabiner 308 oder 30.06 bewährt und wenn's ganz massiv kommt, ist das Sturmgewehr R 5 überaus nützlich.« Mehrere Thüringer Neonazis sollen sich laut Medienberichten im Jahr 2000 auf seiner Farm in Südafrika aufgehalten haben. Ob Nordbruch in diesem Zusammenhang überprüft wurde, ist bisher nicht bekannt.
»Taten statt Worte«
Eine Woche dauerte es, bis das Ausmaß der Taten des Trios bekannt wurde. In den Trümmern des Zwickauer Wohnhauses und dem Wohnmobil in Eisenach fand die Polizei gleich mehrere Schusswaffen, die zu bisher ungeklärten Mordtaten führten. So wurde die Tatwaffe für eine Mordserie an neun migrantischen Kleinunternehmern gefunden, die zwischen 2000 und 2006 von Hamburg bis München hingerichtet wurden. Jahrelang tappten die Ermittler im Dunkeln und suchten die Täter nicht in Neonazi-Kreisen, sondern innerhalb der migrantischen Community. Auch der Fall der 2007 erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter und ihres schwerverletzten Kollegen scheint mit dem Auffliegen der Terrorzelle geklärt. Ebenso geht ein Anschlag aus dem Jahr 2004 auf das Konto der Neonazis. Damals explodierte in einer überwiegend von Migrant_innen bewohnten Straße in Köln eine Nagelbombe und verletzte 22 Menschen zum Teil schwer.
»Taten statt Worte« schrieb die NSU in einer zu Propagandazwecken gefertigten DVD hierzu. Diese professionell hergestellte DVD wurde aus Sequenzen der Trickfilmserie »Der rosarote Panther«, aus Ausschnitten der Fernsehberichterstattung zur Mordserie, aber auch aus eigenen Tatort-Fotos zusammengestellt. Mehrere Bilder werden hier zur Schau gestellt, bei denen Fotos der Leichen ihrer Opfer zu sehen sind. Das AIB hat sich bewusst entschieden, keine Sequenzen dieses Films abzudrucken, um diese blutige und menschenverachtende Propaganda auf Kosten der Opfer und ihrer Angehörigen nicht weiter zu reproduzieren. Eine weitere Szene zeigt eine Nagelbombe, wie sie beim Anschlag in Köln benutzt wurde. Diese DVD war noch kurz vor dem Auffliegen der NSU-Zelle erstmals an einige migrantische und linke Parteiadressen verschickt worden. Möglicherweise war eine noch größere Verschickungsaktion geplant. Die Ermittlungsbehörden fanden rund 10.000 entsprechende Adressen in der ausgebrannten NSU-Wohnung.
In Anbetracht des hohen Aufwands und des nicht unerheblichen Entdeckungsrisikos (z.B. eigene Tatortfotos) für diese DVD-Produktion erscheint es plausibel, dass die DVD ein Kernstück des NSU-Terrors darstellt. Es hätte einen massiven Einfluss auf das gesellschaftliche Klima und auf das Lebensgefühl von Migrant_innen in Deutschland gehabt, wenn diese oder weitere DVDs der NSU in Deutschland kursiert wären – mit dem Wissen, dass die Sicherheitsbehörden nicht in der Lage oder gewillt waren, die rassistischen Täter zu stoppen.
UnterstützerInnenumfeld
Rund 20 Personen soll das UnterstützerInnenumfeld des NSU umfassen, das neben Waffen, auch Bahncards und Ausweise organisiert oder zur Verfügung gestellt haben soll. Die bisher in diesem Zusammenhang verhaften, sind André Eminger ausJohanngeorgenstadt (vgl. S. 20), sowie Holger Gerlach und Ralf Wohlleben aus Jena. Die beiden Letztgenannten gehörten in den 1990er Jahren gemeinsam mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe der elitären »Kameradschaft Jena« an, deren innerer Kreis aus nur rund drei weiteren Mitgliedern bestand. Während Holger Gerlach Ende der 1990er Jahre nach Niedersachsen zog und sich dort in der Kameradschaftszene engagierte, blieb Wohlleben in Jena und wurde zu einem der führenden Neonazi-Kader in Thüringen, der lange Zeit als Bindeglied zwischen der NPD (wo er im Landesvorstand aktiv war) und den »Freien Kräften« galt.
Das Netzwerk der »Kameradschaft Jena« wuchs in der Mitte der 1990er Jahre mit der Gründung des »Thüringer Heimatschutzes« (THS). Unter diesem Namen traten Thüringer Neonazis erstmals in den Jahren 1996 bis 1997 auf. Der THS gilt als Nachfolger der bereits Jahre zuvor gegründeten »Anti-Antifa Ostthüringen«. Vor allem in den Städten Jena, Gera, Saalfeld, Rudolstadt und Eisenach war das Netzwerk besonders aktiv und konnte mit rund 160 AnhängerInnen im gesamten Freistaat Aktionen und Demonstrationen durchführen. Viele THS-Funktionäre waren Mitglieder in der NPD und JN und besetzten wichtige Positionen auf landes- und kommunaler Ebene. Auf der einen Seite war das Neonazi-Netzwerk für die Verhältnisse in der damaligen Szene hervorragend organisiert und galt als Musterbeispiel für die Funktionsweise einer freien Kameradschaftsstruktur. Auf der anderen Seite wurde 2001 bekannt, dass der THS auch eine der am besten durch den Verfassungsschutz überwachten Strukturen darstellte. So enthüllten lokale Medien, dass der Gründer und Chef des THS, der Neonazi Tino Brandt, als V-Mann für den Geheimdienst arbeitetet. Brandte räumte nur wenige Tage nach seiner Enttarnung gegenüber dem SPIEGEL ein, seit 1994 für die Behörde gearbeitet zu haben. Dabei habe er einen Großteil des Geldes, für die knapp sieben Jahre, rund 200.000 DM, zur Finanzierung der Szene eingesetzt.
»Führerloser Widerstand«
Das Neonazi-Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe agierte scheinbar nach dem Konzept des »führerlosen Widerstands«, über den in der damaligen Szene intensiv debattiert wurde. Diese Form der Organisierung, wurde nicht nur in den USA durch die Organisation »White Aryan Resistance« propagiert. Auch in Europa gab es mit der zum Musiknetzwerk »Blood & Honour« gehörenden Gruppierung »Combat 18« eine Organisation, die mit Waffengewalt die bestehenden Verhältnisse kippen wollte. Die englischsprachigen Schriften von »Combat 18«, die neben Anleitungen zum Bau von Bomben und Namenslisten von politischen Gegner_innen, auch Handlungsempfehlungen zum Aufbau von Terror-Zellen enthielten, kursierten in der gesamten deutschen Neonazi-Szene. Neben den Anleitungen von »Combat 18« kursierten auch Schriften der »White Wolves«, einer britischen Splittergruppe der Organisation. In den Papieren wird den »Aktivisten« empfohlen, den »Rassenkrieg« durch Anschläge gegen Migrant_innen zu starten und in kleinen, überschaubaren Zellen zu agieren. Überhaupt scheinen die damaligen »Blood & Honour«-Strukturen eine nicht unbedeutende Rolle bei der Sozialisation und Unterstützung des Trios gespielt zu haben. So sollen Böhnhardt und Mundlos, nicht nur Mitte der 1990er Jahre bereits Konzerte für die Organisation veranstaltet haben. Durch einen V-Mann in Brandenburg und durch Telekommunikationsüberwachung, sollen die Behörden zwischen 1998 und 2000 Hinweise gesammelt haben, dass ein Kader des Musiknetzwerks mit Geld aus Konzerteinnahmen, Waffen für das Trio im Untergrund organisieren sollte.
Ein weiterer Hinweis ist das »Fest der Völker«, ein internationales Rechtsrock-Event, das seit 2005 über mehrere Jahre in Thüringen stattfand. Dort traten regelmäßig Redner und Bands aus dem »Blood & Honour«-Milieu aus ganz Europa auf, auch aus Skandinavien und Osteuropa, wo sich das Trio zwischenzeitlich aufgehalten haben soll. Als Organisatoren traten vor allem zwei ehemalige Kader der »Kameradschaft Jena« auf. Einer von ihnen ist der inhaftierte Ralf Wohlleben.
Viele Fragen bleiben unbeantwortet
Weltweit berichten Medien über die Taten und Strukturen des »Nationalsozialistischen Untergrunds« und die Behörden präsentieren nahezu täglich neue Ermittlungsergebnisse. Doch viele Fragen bleiben offen. So ist die Rolle des Verfassungsschutzes und seiner V-Leute noch immer undurchsichtig und wird wohl nie abschließend geklärt werden können, da Akten vernichtet worden sein sollen und sich verschiedene Landesbehörden gegenseitig die Schuld zuschieben. Ebenso ungeklärt ist der Zeitraum zwischen Sommer 2007 und September 2011. Was machte das Trio in dieser Zeit?
Einer entscheidenden Frage sind die FahnderInnen derzeit auf der Spur: Gibt es womöglich weitere Zellen in Deutschland? So soll es in Deutschland rund 160 untergetauchte Neonazis geben, deren Verbleib nie geklärt werden konnte. Unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtete die »tageszeitung« (taz) im Dezember 2011, dass ein Teil dieser Untergetauchten nicht gefährlich sei. Inwieweit man dieser Einschätzung glauben schenken kann, ist fraglich, zeigt der aktuelle Fall doch, dass man sich auf die Analyse und Ermittlungen der Sicherheitsbehörden nicht verlassen kann.
Ralf Wohlleben
Am 30. November 2011 wurde der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben (36) in Jena als NSU-Unterstützer verhaftet. Einige Tage zuvor war bereits seine Wohnung durchsucht worden. Nach den bisherigen Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft stand er bereits in den 1990er Jahren in enger Verbindung zu den drei Mitgliedern des »NSU« und soll diese bei ihrer Flucht im Jahr 1998 und in der Folge finanziell unterstützt haben. Zudem vermittelte er den Kontakt zwischen den »NSU«-Mitgliedern und dem weiteren NSU-Helfer Holger Gerlach, der ihnen Geld und Ausweisdokumente überließ. Aufgrund seiner anhaltenden Verbindung zu der unter falscher Identität lebenden NSU-Gruppe wusste er von ihren terroristischen Straftaten. Wohlleben ist laut BAW dringend verdächtig, dem »NSU« 2001 oder 2002 eine Schusswaffe nebst Munition verschafft zu haben. Er soll Waffe und Munition einem Kurier übergeben haben, der sie in seinem Auftrag zu den »NSU«-Mitgliedern nach Zwickau brachte. Nach SPIEGEL-Informationen soll Holger Gerlach dieser Kurier gewesen sein. Dabei nahm Wohlleben billigend in Kauf, dass die Schusswaffe für rechtsextremistische Morde verwendet werden könnte, heißt es in einer Mitteilung des Generalbundesanwalts. Wohlleben stammt aus der selben Neonaziclique wie das NSU-Trio in Jena. Gemeinsam mit Holger Gerlach und André Kapke waren sie in der »Kameradschaft Jena« und im »Thüringer Heimatschutz« aktiv. Wohlleben machte Karriere in der NPD: Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Jena, regionaler NPD-Pressesprecher und schließlich Landesvize der NPD in Thüringen. Im März 2000 wurde er mit André Kapke wegen gefährlicher Körperverletzung und Nötigung verurteilt (Vgl. AIB #47). 2002 pachtete er zusammen mit Kapke und dem Neonazi-Liedermacher Maximilian Lemke die Gaststätte »Zum Löwen« in Jena/Alt-Lobeda – das sogenannte »Braune Haus« (vgl. AIB #59). Wohlleben arbeitete als selbständiger Gestalter von Internetseiten und war u.a. über seinen Server »Netzspeicher24« innerhalb der Neonaziszene als entsprechender Anbieter bekannt.