Rechtsextremismus
Rechtsextremismus - ein ostdeutsches Phänomen? Nein. Auch in Baden-Württemberg gibt es eine aktive Neonazi-Szene. Der Fall des mutmaßlichen Bombenbastlers aus Weil am Rhein ist ein Beispiel von vielen.
Rechtsradikalismus und braunes Gedankengut werden in Deutschland gerne auf die neuen Bundesländer abgeschoben. Doch auch in Baden-Württemberg gibt es eine aktive rechte Szene. Die Bandbreite reicht von einem rechtsradikalen Bombenbastler über Hakenkreuzschmierereien bis hin zu Überfällen auf linke Aktivisten. Die Strafverfolgung gestaltet sich oft schwierig.
Antifa leistet Ermittlungsarbeit
Zwei Jahre ist es her, da wurde in Weil am Rhein der "Stützpunktleiter" der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" festgenommen. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung im August 2009 wurde Material gefunden, das für den Bau einer lebensgefährlichen Bombe geeignet war. Die Polizei beschlagnahmte bei Thomas B., damals 22 Jahre alt, rund 22 Kilogramm chemische Substanzen, Zündschnüre, Bauteile für Fernzünder, eine Anleitung zum Bau von Rohrbomben, Gaspistolen und ein Schweizer Sturmgewehr. Bundesweit wurde zuvor bei Neonazis noch nie so viel Sprengstoff beschlagnahmt. Wie im Falle des Trios aus Zwickau waren auch im Fall Weil am Rhein die Ermittler mit ihren Informationen nicht auf dem aktuellen Stand. Enttarnt wurde der mutmaßliche Bombenbastler nicht von Polizei oder Verfassungsschutz, sondern von der "Autonomen Antifa" in Freiburg. Aus den E-Mails des Altenpflegerazubis ging hervor, dass ein Teil der Chemikalien von einem NPD-Gesinnungskameraden besorgt wurde und das linksautonome Kulturzentrum KTS in Freiburg ausgespäht wurde, vermutlich als Ziel des Anschlags. Sprengstoffexperten der Polizei sagten, die Bombe wäre in wenigen Stunden einsatzbereit gewesen.
Immer wieder kommt es in Südbaden zu rechtsextremen Aktionen gegen Ausländer. An der Moschee der türkisch-islamischen Gemeinde in Rheinfelden (Kreis Lörrach) wurden im Mai und im November 2010 Fenster eingeworfen, beim ersten Mal wurde ein Hakenkreuz an die Hauswand geschmiert. Im März 2011 wurde einer der mutmaßlichen Täter zufällig verhaftet, nachdem eine Neonazi-Party in Rheinfelden-Herten in einer Prügelei geendet hatte. Der 20-Jährige kam in Untersuchungshaft, wurde dann aber frei gelassen, Anklage wurde bisher noch nicht erhoben.
15 Neonazis schlugen mit Schneeschaufeln und Fäusten zu
Rechte Gewalt richtet sich auch gegen die linke Szene im Land. Am 1. Oktober dieses Jahres fuhr ein bekannter Neonazi aus Offenburg auf einem Parkplatz an der Autobahn A5 bei Riegel einen Antifaschisten an, der zusammen mit anderen einen "Schleusungspunkt" für eine Neonazi-Fete am Kaiserstuhl beobachtete. Der Angefahrene erlitt schwere Verletzungen. Ob es sich um einen gezielten Tötungsversuch handelte oder um Notwehr oder eine Panikreaktion, hat die Kriminalpolizei Emmendingen bislang nicht klären können. Die Ermittlungen laufen noch, weil Zeugen sich bislang geweigert haben, auszusagen.
Wer nach den Rechten im Land sucht, stößt zwangsläufig auch auf
Langenau. Die Kleinstadt einige Kilometer nördlich von Ulm ist seit
Jahren Treffpunkt von Neonazis. Die Liste blutiger Auseinandersetzungen
dort ist stattlich. Bekannt ist vor allem ein Überfall im Januar 2007.
Damals betrat ein maskierter Unbekannter ein Lokal, in dem sich linke
Aktivisten versammelt hatten. Er provozierte und zeigte den Hitlergruß.
So gelang es ihm, die Gäste auf die Straße zu locken. Dort wurden sie
von etwa 15 maskierten Neonazis überfallen, sie schlugen mit
Schneeschaufeln und Fäusten zu. Als die Polizei eintraf, waren die
Angreifer über alle Berge. In Langenau, das ist ein offenes Geheimnis,
leben mehrere Altnazis, die ihre Enkel im Geiste mit Geld versorgen und
Rückzugsmöglichkeiten bieten.
Schwer tut sich die Polizei auch entlang der Grenzflüsse Donau und
Iller, wo die Rechten die Staatengrenze nach Bayern oft und fröhlich
wechseln. So konnte Anfang des Jahrtausends der Marktflecken Senden,
weit entfernt von Stuttgart und München, zu einem Zentrum der NPD
werden. Ein Gartenmarktverkäufer veranstaltete in der 22
000-Einwohner-Stadt eine ganze Reihe von Veranstaltungen und
Aufmärschen, die überregionale Sogwirkung entwickelten. Bald war der
rechtsradikale Barde Frank Rennicke da, dann der Schweizer
Auschwitz-Leugner Bernhard Schaub, selbstverständlich auch der erst
kürzlich als NPD-Parteichef abgelöste Udo Voigt.
Bis zu 350 Besucher bei rechten Konzerten in Söllingen
Ein Zentrum der Szene befindet ist auch in Rheinmünster-Söllingen im Kreis Rastatt. Zu Konzerten rechtsradikaler Bands in einer Gaststätte kommen regelmäßig bis zu 350 Besucher. "Bei Konzerten waren Nummernschilder aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz oder Bayern zu sehen, aber auch aus dem norddeutschen Raum, Frankreich und Österreich", sagt Hubertus Stollmaier, Sprecher der lokalen Aktionsgemeinschaft gegen Rassismus. Vor einigen Wochen wurde das Mietverhältnis des Pächters mit den Konzertveranstaltern gekündigt.
In Mannheim trat die rechte Szene zuletzt vor allem in Erscheinung, wenn
die braune Prominenz – der Holocaust-Leugner Ernst Zündel oder der
rechtsextreme Politiker Günther Deckert – vor Gericht stand und die
Gesinnungsgenossen als lautstarke Zuschauer im Landgericht auftauchten.
In der traditionellen Arbeiterstadt und SPD-Hochburg hat es die rechte
Szene offenbar schwerer als andernorts.
In Heilbronn fand eine Demonstration von Rechtsextremisten am 1. Mai
dieses Jahres gegen eine angebliche "Fremdarbeiterinvasion" statt. Dazu
reisten 760 gleichgesinnte Kameraden aus Baden-Württemberg,
Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Bayern meist in Bussen und Zügen an.
Zu den Teilnehmern gehörten ebenso Gruppen aus Thüringen. Der Zug der
Rechtsextremisten führte direkt am Festplatz Theresienwiese vorbei –
dort wurde am 25. April 2007 die Bereitschaftspolizistin Michèle
Kiesewetter in ihrem Streifenwagen von der Terrorgruppe
Nationalsozialistischer Untergrund erschossen.