Zwischen Volksverhetzung und NPD-Parteitag

NPD-Kundgebung in Northeim: Marco Borrmann (links) spricht. Die thüringische Landesfahne weht im Vordergrund (rechts).
Erstveröffentlicht: 
18.11.2011

NPD-Parteitag in Northeim, Holocaustleugnung eines Göttinger Medizinstudenten im Internet, Konzerte von rechten Bands, Sitze in mehreren Kommunalparlamenten – Neonazis und Rechtsextreme sind im laufenden Jahr auch in Südniedersachsen in Erscheinung getreten. Allerdings, so urteilt Hans-Hugo Heimgärtner, Sprecher der Göttinger Staatsanwaltschaft, seien „kaum“ Straftaten zu verzeichnen gewesen.

Göttingen. „Da ist kaum noch was zu erkennen. Die halten sich sehr zurück“, sagt er. Die „meist jungen“ Rechtsradikalen seien besonders in den Kreisen Northeim und Osterode aktiv. Auch wenn keine Straftaten zu verzeichnen gewesen seien: „Die Nazis im Vorharz sind nicht ohne“, urteilt Heimgärtner.

Der niedersächsische Verfassungsschutz schätzt, dass in den Kreisen Göttingen, Northeim und Osterode rund 60 Personen der neonazistischen Szene zuzurechnen sind. „Wobei zumindest die Skinheadszene in Einbeck mit 20 bis 25 Personen als gewaltbejahend einzustufen ist“, sagt Verfassungsschutzsprecherin Anke Klein dem Tageblatt. Mit der Inhaftierung des früheren „Kameradschaftsführers“ hätten sich, so Klein, auch die Strukturen der ehemaligen Kameradschaft Einbeck aufgelöst. „Dies könnte sich ändern, wenn sich wieder eine geeignete Führungsfigur herauskristallisiert, weil das Personenpotenzial noch vorhanden ist“, erläutert Klein.

Thorsten Heise, einer der ehemals führenden Köpfe der südniedersächsischen Neonaziszene und Bindeglied zwischen Kameradschaften und der NPD, hat von seiner thüringischen Wahlheimat Fretterode nach Einschätzung des Verfassungsschutzes „weiterhin einen steuernden Einfluss“ auf die südniedersächsische Neonaziszene. Das Heise-Domizil sei bei „Kameradschaftsabenden“ und anderen Veranstaltungen Treffpunkt für Rechtsextremisten aus Niedersachsen, Thüringen und Hessen. Der Begriff „Kameradschaft Dreiländereck“ finde Verwendung. Derzeit liegen dem Verfassungsschutz keine Erkenntnisse darüber vor, ob der Komplize des Neonazis-Terroristen-Trios aus Zwickau, Holger G., Kontakte zur südniedersächsischen Neonaziszene hat. Da G. aber 1999 Gast bei Heises Hochzeit war, „dürfte er auch Kontakt zu Neonazis aus Südniedersachsen“ gehabt haben. „Erkenntnisse über gemeinsame politische, rechtsextremistische Aktivitäten liegen nicht vor“, sagt Klein.

Inzwischen hat die Landtagsfraktion der Grünen gefordert, „mögliche Verbindungen des bekannten Neonazis“ Heise zum niedersächsischen Verfassungsschutz oder den Behörden anderer Bundesländer zu überprüfen. Die dahingehenden Spekulationen aufgrund „auffallend milder“ Gerichtsurteile gegen Heise erschienen jetzt in einem neuen Licht, heißt es in einer Mitteilung.

„Sehr gute Kontakte“ zur Neonaziszene bescheinigt der Verfassungsschutz dem Vorsitzenden des NPD-Unterbezirks Göttingen und Mitglied des NPD-Landesvorstandes, Marco Borrmann. Der hatte am 11. Juni eine NPD-Kundgebung in Northeim angemeldet, an der knapp 60 Personen teilnahmen. Klein folgert: „Unter den Kundgebungsteilnehmern dürften daher auch Neonazis gewesen sein.“ Borrmann sitzt seit der Kommunalwahl im September im Kreistag von Osterode und im Stadtrat von Herzberg. Er arbeitet nach einem Gerichtsstreit über seine Anstellung als Schulassistent an einem Göttinger Gymnasium bei der Landesstraßenverwaltung in Göttingen.

Mindestens zwei vermeintliche rechtsextreme Straftaten haben die Staatsanwaltschaft Göttingen im laufenden Jahr beschäftigt. Die Ermittlungen zur Brandstiftung auf ein Haus am Södderich bei Waake ist inzwischen eingestellt worden. Trotz Hakenkreuzschmierereien am Brandort sei kein politischer Hintergrund erkennbar gewesen, sagt Heimgärtner. Es habe weder ein Bekennerschreiben noch -anrufe gegeben. Ein Täter konnte nicht ermittelt werden. Gegen einen Göttinger Medizinstudenten, der im Februar von der Göttinger Antifa als Neonazi geoutet wurde, hat die Staatsanwaltschaft inzwischen Anklage wegen Volksverhetzung erhoben. Der Student hatte in mehreren Beiträgen im rechten Internetforum Thiazi den Holocaust geleugnet. Ein Prozesstermin steht noch nicht fest.