Es scheint als sei mit dem Auftreten der Bewegung der Platzbesetzungen die Zeit stehengeblieben. Lauscht man den Stimmen der Krisenregimes, ergibt sich das Bild eines harten Aufpralls in scheinbar unerschöpflicher Zeitlupe. Lebt man auf, in und mit den Aktionen, dominiert der Gleichlauf der Tage in einem öffentlichen Raum unentwegter Privatisierungen. Verfolgt man die Entwicklung des gesellschaftlichen Interesses an ihrer Existenz, so zeigt sich eine ebenso abwartende wie großzügige Haltung. In dem Maße wie die Zeit vergeht wächst das Bedürfnis nach einem umfassenderen Selbstverständnis - auf der Nordhalbkugel, wo der Schwerpunkt der Aktionen liegt, nähert sich der Winter, und es bedarf nicht erst der Aussichten eines extremen Klimawandels um zu erkennen dass es erforderlich sein wird sich organisatorisch darauf einzustellen.
Besetzungsaktionen
 hat es bereits gegeben bevor es zu der neuerlichen Willensbildung kam 
damit die Finanzplätze dieser Erde aufzusuchen. Als Umweltaktivisten 
haben wir Wälder, Felder und Wiesen besetzt, die ökologisch irrsinnigen 
Investitionen zum Opfer fallen sollten. In urbanen Zusammenhängen besetzten 
wir Leerstandsarchitektur die von sozial unverträglichen Stadtplanungen 
bedroht war. Einige von uns haben dadurch Erfahrung mit der Organisation
 von Besetzungsaktionen gesammelt, die über Wochen, Monate und Jahre 
andauerten. In diesen offenen Räumen haben wir mit Naturmaterialien, 
Spenden und Überresten immer wieder eine Versorgung organisiert die 
jedem nach seinen Möglichkeiten und jeder nach ihren Bedürfnissen 
offenstand.
Oftmals war nicht der Mangel unser Problem sondern der Überfluß - der 
zyklische Überfluß einer Umwelt der Kärglichkeit mit sporadischen 
Einsprengseln der Fülle, der kompensatorische Überfluß gut gemeinter und
 schlecht kommunizierter Spenden, der logistisch-gewerbliche Überfluß 
einer zwischenmenschlich zerrütteten Wegwerfgesellschaft. Gibt es keine 
Knappheit oder Verwaltungsautorität die Sachzwänge auferlegt und 
Verteilungskämpfe provoziert, ist es allein die persönliche und 
gemeinschaftliche Selbstorganisationsfähigkeit welche Essen, Kleidung und Material
 davor bewahrt sich draußen im Lauf der Zeit in Müll zu verwandeln. Wenn
 alle auf den Überfluß zugreifen können, dann müssen auch alle die sich 
daran bedienen nach Wegen suchen an seiner Erhaltung mitzuwirken. Wird 
der Überfluß der brauchbaren Dinge so achtlos gefleddert wie ein 
kommerzielles Angebot, verwandelt er sich wie von selbst in einen 
Überfluß unbrauchbarer Dinge. Bringen die Menschen die immer wieder neu 
auf die Aktion kommen nicht die dafür nötige Intuition mit, sind die in 
der Selbstorganisation Erfahreneren gefordert vorzumachen wie es 
funktioniert.
Auch als wir mit unseren Besetzungen noch weit von den Finanzplätzen 
entfernt waren, fanden wir uns dort immer wieder mit Menschen 
konfrontiert deren Bedürfnisse vom kapitalistischen System derart 
vernachlässigt worden waren dass sie gar nichts mehr weiter als ihre 
allerunmittelbarsten Bedürfnisse vor Augen hatten - manche davon sind 
wieder gegangen, manche sind geblieben, mache davon haben sich im Lauf 
der Zeit weiterentwickelt, manche sind wiedergekommen. Manche haben mehr
 genommen, manche haben mehr gegeben. Manche haben trotz ihrer Situation
 die Umgangsformen der Manager und Spekulanten mitgebracht, manche 
gerade deswegen, manche nur ihre eigene Hilflosigkeit, manche haben sie 
bei uns abgelegt, manche wieder mitgenommen.
Selbst weit draussen im Land, wo die geballte Kaufkraft der Metropole 
nur noch ein fernes Dröhnen im Wind ist, kamen all die denen sonst keine
 Alternative gelassen wurde auf unsere Aktionen, und diejenigen von uns 
welche dort tätig waren weil es uns um mehr ging als unsere 
unmittelbaren Bedürfnisse lernten dass sich die Liste der vom Aussterben
 bedrohten Arten wieder einmal um eine erweitert hatte - uns selbst. Das
 ist auch der Grund weshalb wir den Entschluß fassten an der 
unverhofften Bewegung aus dem Inneren der berstenden Zivilisation 
teilzuhaben - um uns den öffentlichen Raum nicht mehr nur dort 
zurückzunehmen wo das Regime bislang verschonte Räume zu ergreifen 
versucht, sondern dort wo der Kapitalismus die nach seinem Bild 
geschaffenen Räume allseitig durchdringt.
Als wir auf unseren vergangenen Besetzungsaktionen die Frage wälzten ob 
wir jemals eine Massenbewegung erleben könnten, wussten wir ganz genau 
was es bedeuten würde nicht darum zu kämpfen. Wir dachten wir dass wir 
gewinnen oder verlieren könnten, aber nicht dass es zu einer Art Patt 
kommen sollte: Dass wir die besetzten Naturräume verlieren, aber die 
leerstehenden Herzen der Menschen gewinnen würden. Unsere Häuser wurden 
zerstört, unsere Projekte erdrückt, unsere Wälder gerodet, unsere 
Landschaften verwüstet, aber die unermeßlichen Kosten für die 
Durchführung und Verschleierung dieser monströsen Untaten haben das 
kapitalistische System tief genug in die Krise getrieben dass dadurch 
unsere Aktionsform an den Orten von denen diese ausgingen zum 
Allgemeingut wurde. 
Es ist absolut kein Zufall dass gerade diese Orte, die leeren 
Marktplätze der Börsen und die überfüllten Parks der Bankenviertel, 
schon immer die Sammelpunkte derjenigen waren die der Kapitalismus aus 
ihrer eigenen Existenz vertrieben hat. Gäbe es eine 
wirtschaftlich-gewinnbringende Abhilfe für Obdachlosigkeit, dann würde 
sich uns diese Frage nicht stellen. Doch unsere alltäglichen 
Wahrnehmungen sind andere: Der öffentliche Raum ist eine geschlossene 
Gesellschaft. Selbst dort wo Platz genug ist konfliktfrei ein Zelt 
aufzuschlagen nötigt die mangelnde Rechtssicherheit dazu die 
Sichtbarkeit zu meiden. Das Gesetz ist mit langer Hand und kurzem 
Verstand so gemacht, dass die einzige Möglichkeit sich in allen Punkten 
daran zu halten darin bestünde sich in Luft aufzulösen.
Und dennoch hat die neue Bewegung bereits jetzt Tatsachen geschaffen: Wo
 immer sie auf unmittelbare Repression stößt, eröffnet die Analyse der 
objektiven wirtschaftlichen Lage sogleich wieder emanzipatorische 
Perspektiven - freigelegt werden dabei die brüchigen Fundamente einer 
Ordnung welche nur noch ein anderes Wort für aussichtslose 
Elendsverwaltung ist. Wer gesetzliche Unterstützungsanbote praktischer 
oder finanzieller Art nutzen möchte, muss feststellen dass dabei seine 
Freiheitsrechte verloren gehen, sei es durch die gestohlene Zeit bei der
 Entgegennahme von Tagegeldern, durch den total ausgehebelten 
Datenschutz gegenüber staatlichen Behörden, oder durch den Verlust der 
Unschuldsvermutung bei der Begegnung mit der Polizei auf der Straße. 
Dieser Zustand der Entrechtung ist oftmals so alt, dass seine Ursachen 
im Dunst der Geschichte verborgen bleiben, und es nahezu unmöglich 
scheint sich vorzustellen dass es einst anders gewesen sein muss. Mit 
der Enstehung des kapitalistischen Kontroll- und Überwachungsstaates 
wurde die ursprüngliche Freizügigkeit der Menschen so sehr 
eingeschränkt, dass heute selbst diejenigen die wider Willen von der 
Konsumgesellschaft rausgeschmissen werden aufgrund ihrer unmittelbaren 
Bedürfnisse in Konflikt mit dieser Ordnung geraten.
Ungeahnt groß ist der Zuspruch den unsere Aktionen aus der Gesellschaft 
erhalten - diejenigen die ihre Zeit einbringen sind nur eine Minderheit 
unter denen die sich fragen mit welcher materiellen Unterstützung sie zu
 ihrem Gelingen beitragen können. Das macht die Platzbesetzungen selbst 
anfällig für Ausbeutung, Privatisierung und Konsumhaltung, stattet sie 
aber ebensosehr auch mit dem Potential aus diese Mittel zu nutzen um es 
besser zu machen. Wenn auch alle Aktivisten satt werden ist ein Essen 
für inaktive Besucher kein Verlust, im Gegenteil es kann sogar ein 
materieller Gewinn sein, sobald sich durch diese Spirale der 
Großzügigkeit das Spendenaufkommen erhöht. Läßt sich zudem ein Besucher 
von der Mitmachküche aktivieren ist es auch ein spiritueller Gewinn. 
Eine Spende an eine selbstorganisierte Aktion hat einen höheren 
Wirkunggrad als an eine staatliche, gewerbliche oder kirchliche 
Einrichtung, die in finanzielle Statussymbole für ihre Führungsfiguren 
investiert bevor der direkte Verwendungszweck an die Reihe kommt. Eine 
politische Aktion, die einen höheren Umsatz an Essensspenden erhält und 
verteilt, erreicht damit auch einen größeres Besucheraufkommen und eine 
verbesserte Verflechtung mit ihrem unmittelbaren räumlichen Umfeld. Sie 
ist dadurch weniger verletzlich, schwieriger angreifbar und länger 
durchzuhalten.
Derzeit befinden sich die Platzbesetzungen auf der Suche nach einer 
programmatischen Aufgabe die ihrem erklärten Ziel förderlich ist und 
ihren Bestand sichern kann. Der Weg aus der unheilvollen Hegemonie des 
Geldes und der üblen Tyrannei welche sich darin verschanzt ist nicht 
immer als Ganzes kenntlich, und auch nicht in jeder seiner Windungen 
scheint es allzeit weise mehr davon sichtbar zu machen als unmittelbar 
umgesetzt werden kann. Es stellt sich zudem die Frage ob diese Aktionen 
in sich selbst gefestigt genug sind überhaupt eine Aufgabe übernehmen zu
 können ohne davon total funktionalisiert zu werden. Unsere Präsenz kann
 nicht die Herrschenden zur Vernunft bringen, dem steht die Trägheit der
 Macht entgegen. Unsere Aktionen können jedoch dem kapitalistischen 
System von Herrschaft und Macht die Spitze brechen, die jeder seiner 
Transaktionen und Vereinbarungen innewohnende Drohung, Dich in eine 
Situation zu bringen die es eigentlich gar nicht gibt.
Wir können dort wo sie am drängendsten ist mit unseren Mitteln die 
Obdachlosigkeit abschaffen, indem wir gemeinsam der 
Selbstorganisationsfähigkeit in einem Maße Raum verschaffen wie wir es 
als einzelne nicht könnten. Schließlich ist es auch vorausschauendes 
Handeln in eigener Sache, denn was in unserem Leben heute vielleicht 
noch sicher vor dem Zugriff der Banken erscheint ist es womöglich 
bereits morgen nicht mehr. Vielleicht kann das den einen oder anderen 
Todesfall verhindern. Mit Sicherheit kann es all denen die es noch nicht
 wahrhaben wollen verdeutlichen was das heißt, wir sind gekommen um zu 
bleiben bis das Problem mit dem Kapitalismus gelöst ist.
Dies ist ein Aufruf zur Besinnung, dies ist ein Aufruf zur Aktion. Die 
Erfahrung welche uns hierher führte hat auch gezeigt dass eine 
verläßliche selbstorganisierte Infrastruktur Herz und Hirn jeder 
erfolgreichen Langzeitbesetzung ist. Heißt es im kapitalistischen System
 "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral" so sollte es in der 
Gegenbewegung dazu heißen "Die Solidarität kommt beim Essen." 
Obdachlosigkeit hat viele Ursachen und alle sind sie unfreiwillig. Gegen
 Obdachlosigkeit gibt es eine Abhilfe und sie ist für alle freiwillig - 
egal ob Du vom Chef gefeuert oder vom Fallmanager schikaniert wirst, 
egal ob der Vermieter Dich mobbt oder der Gerichtsvollzieher Dich 
heimsucht, egal ob Dir die Unterhaltungselektronik durchgebrannt ist 
oder ein Nazi gezündelt hat, egal ob das Amt Dir Deine Kinder wegnehmen 
will oder die Gestapo Scheinhinrichtungen gegen Dich fliegt.

