Undichte Fenster, Stromausfälle, Schimmel im Bad – das Immobilienunternehmen Gagfah macht den Mietern das Leben schwer. In Freiburg traf man sich nun zu einem gerichtlichen Vor-Ort-Termin.
Der Dienstag war für die Yassines ein besonderer Tag. Nicht nur, weil in
 der Vier-Zimmerwohnung der Familie in Freiburg eine Gerichtsverhandlung
 stattfand. Die Yassines hatten zum ersten Mal das Gefühl, dass sie von 
ihrem Vermieter wahrgenommen werden. Ihr Vermieter ist das 
Immobilienunternehmen Gagfah, das einst als "Gemeinnützige 
Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten" einen guten Ruf hatte.
 Damals, als die Gagfah noch der Bundesversicherungsanstalt für 
Angestellte gehörte. Dann wurde die Firma 2004 an den US-Finanzinvestor 
Fortress verkauft. Inzwischen gilt sie mit rund 155.000 Wohnungen als 
größtes börsennotiertes Immobilienunternehmen in Deutschland – und sorgt
 landauf, landab für schlechte Stimmung.
Wo die Yassines wohnen, ist es trist. In den kahlen Treppenhäusern im 
Auggener Weg 2 bis 6 im Stadtteil Weingarten bröckelt der Putz von 
grauen, fahlen Wänden, die irgendwann einmal gelb gewesen sein müssen. 
Überall zeigen sich die Spuren der vergangenen Jahre, in denen die 
Blocks mit 120 Wohnungen sich selbst überlassen waren.
Die Gagfah vermittelt den Eindruck, als sei sie für ihre Mieter da: Im 
Erdgeschoss hängt ein Glaskasten mit Telefonnummern, meist mit 
Stuttgarter Vorwahl. Der Hausmeister wird als "erster Ansprechpartner 
vor Ort" empfohlen. Wer irgendwo anruft, erzählen Mieter, weiß nie, wo 
er landet: In Freiburg, Stuttgart oder bei der Zentrale in Mülheim an 
der Ruhr.
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El-Abed Yassine hat sich schon oft bei der Gagfah gemeldet. Immer wieder
 kamen Handwerker in seine 96 Quadratmeter große Wohnung, für die er 
knapp 800 Euro Warmmiete bezahlt. Genutzt hat das wenig. "Die bleiben 20
 Minuten und wechseln ein paar Schrauben", sagt der zehnfache Vater, 
dessen sechs jüngere Kinder zwischen 7 und 16 Jahren bei ihm und seiner 
Frau wohnen.
Vor knapp einem Jahr haben die Yassines mit ihrem Anwalt Ralf Ullrich 
ihre Miete selbstständig um zehn Prozent gekürzt. Auch ihre 
Nebenkostenabrechnung für 2009 haben sie nicht akzeptiert. Jetzt klagt 
die Gagfah gegen die Familie. Wenn sich die Anwälte beider Seiten in den
 kommenden Wochen einigen, ist eine außergerichtliche Lösung möglich. 
Ansonsten entscheidet das Gericht, wie es weitergeht.
Die Richterin Sabine Rothacher vom Freiburger Amtsgericht nutzt ihren 
Vor-Ort-Termin, um sich mit Ralf Ullrich, der Gagfah-Mitarbeiterin 
Annette Prottengeier und der Gagfah-Anwältin Constanze Oberkirch ein 
Bild von der Lage zu machen. Einige Mängel nehmen die Yassines eher hin 
und stellen sie nicht in den Vordergrund: zum Beispiel, dass in der 
Küche oft die Sicherung herausfliegt, weil fast alle Geräte über eine 
einzige Steckdose laufen. Dass er im Bad immer wieder Schimmel 
wegkratzen muss, erzählt El-Abed Yassine sogar erst, als der offizielle 
Besuch gegangen ist.
Das, worüber die Yassines in der Gerichtsverhandlung am meisten klagen, 
sind die Fenster. Sie sind undicht, die Rahmen morsch und verfault, in 
der Wohnung wird es nie warm. "Wir sind immer dick angezogen", sagt der 
Familienvater. Als die Kinder kleiner waren, hatte er das Fenster im 
Kinderzimmer mit einem Fahrradschloss gesichert; sie sollten es nicht 
öffnen können, beim Putzen war El-Abed Yassines Frau zuvor ein Flügel 
des Doppelfensters entgegengestürzt. Erst Ende September war dieses Jahr
 wieder ein Handwerker da, diesmal wegen des Fensters im Wohnzimmer.
Auch der Richterin Sabine Rothacher geht es nicht viel besser: Als sie 
selbst versucht, das Fenster zu öffnen, hält sie plötzlich den 
abgelösten Griff in der Hand. Doch der wacklige Fenstergriff ist im 
Vergleich zu allem anderen nur ein kleines Ärgernis, eher ein Symbol 
dafür, wie es hier eben läuft: Die Handwerker kommen kurz vorbei, die 
grundlegenden Probleme lösen sie nicht.
Ähnliches erleben Tausende andere Gagfah-Mieter bundesweit – 
Schwerpunkte sind Hamburg und Berlin, Beispiele in Baden-Württemberg 
gibt es in Leutkirch, Villingen, Konstanz und Heidenheim. Die Stadt 
Dresden, die 2006 rund 48 000 Wohnungen an die Gagfah verkauft hat, 
verklagte das Unternehmen im Frühling wegen Nicht-Einhaltung der 
vereinbarten Sozialcharta. Die Gagfah konterte mit einer Gegenklage und 
wirft der Stadt wirtschaftliche Motive für ihr Vorgehen vor.
Dann stellte Anfang Oktober die Börsenaufsicht Strafanzeige wegen des 
Verdachts auf Insiderhandel bei der Gagfah, ermittelt wird vor allem 
gegen den Geschäftsführer William Brennan. Er hatte vor der Dresdener 
Klage Aktien im Wert von 4,7 Millionen Euro verkauft – rechtzeitig vor 
dem folgenden Kursabsturz.
Vor zweieinhalb Jahren hatten die Gagfah-Mieter im Auggener Weg noch 
Hoffnung. Damals kamen zum ersten Mal die Dekane von der evangelischen 
und katholischen Kirche vorbei. Sie geißelten die Wohnsituation als 
"Skandal". Kein Wunder: Überall bot sich der Besucherrunde damals 
dasselbe Bild: Vermoderte, zugige Fenster, kaputte Böden, überlastete 
Steckdosen, Schimmel.
Damals, im Frühling 2009, war die Gagfah erst knapp eineinhalb Jahre für
 die Verwaltung der Wohnungen zuständig. Ende 2005 hatte sie der 
Freiburger Stadtbau (FSB) ein Gesamtpaket mit 743 Wohnungen abgekauft. 
Zunächst hatte die FSB sie weiter verwaltet, dann übernahm der neue 
Besitzer selbst. Wenig später zeigten sich die Probleme im Auggener Weg.
Die Gagfah handelte nicht, sie reagierte mit Floskeln und Textbausteinen
 – sowohl auf die Beschwerden ihrer Mieter als auch auf die Kritik einer
 wachsenden Öffentlichkeit. Später schaltete sich die grüne 
Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae ein, der grüne Oberbürgermeister 
Dieter Salomon schrieb der Immobiliengesellschaft einen Brief, ein 
Gespräch kam bis heute nicht zustande.
Auch auf eine BZ-Anfrage antwortet die Gagfah nur per E-Mail: "Wir haben
 ein originäres Interesse, dafür zu sorgen, dass die Wohnungen in einem 
guten Zustand sind. Selbstverständlich kommen wir der 
Instandhaltungspflicht nach. Das heißt, erforderliche Reparaturen werden
 durchgeführt." Schöne Worte, wenig Taten und keine Änderung in Sicht.
Wir hatte es so weit kommen können? Hätte man bei der Freiburger 
Stadtbau nicht ahnen müssen, wem man Wohnungen und Mieter anvertraut? 
Nein, sagt die FSB. Ende 2005 sei die Gagfah als "seriöser Partner" 
erschienen, betont Stadtbau-Chef Ralf Klausmann heute, das Unternehmen 
sei der einzige Bewerber gewesen, der sich auf eine Sozialcharta 
einlassen wollte, wenn auch nur befristet auf fünf Jahre. Die 
Entscheidungen zum Verkauf von FSB-Wohnungen fielen 1998 und 2001. Als 
die Sache Ende 2005 offiziell wurde, lobte nicht nur Ralf Klausmann die 
vereinbarte Sozialcharta in den höchsten Tönen. Die Umsetzung erfolgte 
schließlich in mehreren Etappen.
Noch sicherer fühlte man sich, weil auch die Bundesversicherungsanstalt 
für Angestellte bei ihrem Verkauf des Gesamtunternehmens Gagfah an 
Fortress eine eigene Sozialcharta abgeschlossen hatte – diese gilt sogar
 bis 2014. Allerdings haben die Grünen die Bundesregierung bisher 
erfolglos aufgefordert, Druck auf ihren Vertragspartner zu machen. Und 
nach Einschätzung des Mieterbunds gehen die gängigen Sozialchartas 
ohnehin nicht über das Mietrecht hinaus.
Zumindest die fünfjährige Frist, die in Freiburg Stadtbau und Gagfah 
vereinbarten, ist inzwischen abgelaufen. Nach Einschätzung von Ralf 
Klausmann wurden alle Vereinbarungen eingehalten – auch das Versprechen 
des Unternehmens, mindestens vier Millionen Euro in die Wohnungen zu 
investieren. Die Gagfah habe sogar mit zehn Millionen Euro saniert: 
allerdings nur einen Teil der Wohnungen, vor allem im Stadtteil 
Landwasser.
Im Auggener Weg dagegen wurde gespart. Das ist die übliche 
Gagfah-Strategie: Manche Wohnungen werden in Schuss gehalten, andere 
sich selbst überlassen. Und die Mieter? Die meisten resignieren. Außer 
den Yassines hat sich in Freiburg nur eine andere Familie auf das 
Angebot der Grünen und der Kirchen eingelassen und sich juristische 
Unterstützung finanzieren lassen. Viele sind alt oder sprechen schlecht 
Deutsch – Anwälte und Gerichte sind für sie eine fremde, beängstigende 
Welt.
Kerstin Andreae fordert nun die Stadt Freiburg auf, Gagfah-Mietern die 
Mitgliedschaft in einem Mieterverein zu bezahlen. In Münster gibt es ein
 ähnliches Modell. Hilfreich wäre auch eine andere Rechtsgrundlage: In 
manchen Bundesländern können Städte Wohnungen auf Kosten der jeweiligen 
Wohnungsgesellschaft sanieren lassen – in Baden-Württemberg nicht. Den 
Yassines bleibt erstmal nur die Hoffnung auf ein Einlenken der Gagfah. 
Gagfah-Anwältin Constanze Oberkirch hat am Dienstag zumindest bei einem 
der maroden Fenster angedeutet, über eine Erneuerung könne man reden.
