Wie die Stadt die “O8″ zu den Akten gelegt hat / Veranstaltung im Nazi-Zentrum mit der Antisemitin Sylvia Stolz / Leipzigs Polizeipräsident bezieht Position / Demo-Mobilisierung geht weiter / Streetart-Impressionen
Wie die Stadt die “O8″ zu den Akten gelegt hat
Wie von uns berichtet, hat das Bauordnungsamt der Stadt ein Anhörungsverfahren gegen die Odermannstraße 8 eröffnet, aber rasch wieder eingestellt. Über die Inhalte und Ergebnisse des Verfahrens wurde die Öffentlichkeit nicht unterrichtet. Nach wie vor hat sich auch der zuständige Baudezernent Martin zur Nedden (SPD) nicht gegenüber der Presse geäußert. Allerdings hat die Presse nun publik gemacht, was selbst dem Stadtrat nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit bekannt gegeben wurde.
Im Stadtrat hatte sich die Linken-Fraktion in mehreren Anfragen u.a. nach den Gründen erkundigt, wegen denen das Bauordnungsverfahren gegen die Odermannstraße 8 eingestellt worden ist. Laut Leipziger Internet-Zeitung (L-IZ) sei dabei herausgekommen,
“…dass die Stadt im Ergebnis des Ende Mai abgeschlossenen Anhörungsverfahrens wegen möglicher Verstöße gegen die Baugenehmigung Erkenntnisse des sächsischen Innenministeriums ignoriert und keine Ortsbegehung vorgenommen hat.”
So liegen der Stadt zwar Expertisen des Innenministeriums und des Verfassungsschutzes vor, laut denen bei Veranstaltungen in der Odermannstraße 8 die zulässige Teilnehmerzahl von 100 Personen mindestens bei zwei “Liederabenden” überschritten worden ist – was einen wiederholten Verstoß gegen die Nutzungsauflagen der einst erteilten Baugenehmigung darstellt. Dadurch ist nicht nur eine behördliche Prüfung gerechtfertigt, möglich gewesen wäre auch eine “präventive Nutzungsuntersagung”.
Das sieht zur Nedden allerdings anders und argumentiert, dass die entscheidenden “Liederabende” zwar in Leipzig, aber nicht zwingend in der Odermannstraße stattgefunden hätten. Damit widerspricht zur Nedden einem Dossier des sächsischen Innenministeriums, das zwar unvollständig ist, die entscheidenden “Liederabende” aber klar der Odermannstraße 8 zuordnet.
Statt dessen will die Stadt nur von einer einzigen solchen Veranstaltung wissen, die im Nazi-Zentrum stattgefunden hat. Und aufgrund des angeblich einmaligen Verstoßes gegen die Nutzungsordnung wurde das besagte Bauordnungsverfahren gegen den Besitzer Steven Hahn eingeleitet. Das Verfahren war mit einer Anhörung erledigt. Ergebnis:
“Im Rahmen der Anhörung wurde seitens der Mieter versichert, dass sich zu keinem Zeitpunkt mehr als die zugelassene Anzahl Personen im Veranstaltungsraum aufgehalten hätten. Seitens des Eigentümers wurde versichert, dahingehend auf die Mieter einzuwirken, dass die Inhalte der Baugenehmigung eingehalten werden.”
Mit anderen Worten hat sich die Stadtverwaltung nicht auf die Fakten berufen, sondern völlig auf die Darstellung der Nazis eingelassen, deshalb auf eine Begehung oder gar weitere Sanktionen verzichtet und das Bauordnungsverfahren kurzerhand zu den Akten gelegt.
Und dort bleibt die Causa O8 auch, wenn es nach der Verantwortlichen geht. So zeigen Fotos, die auch der Stadtverwaltung vorliegen, zwar eine Schankanlage im Inneren des Nazi-Zentrums. Berichte von Besuchern erwähnen auch, dass dort gegen Geld Getränke verkauft worden sind. Trotzdem schließt die Stadt nicht auf die “Durchführung eines Gewerbes” – was erst zu genehmigen wäre. Aber selbst nachgeschaut hat die Bauaufsicht wie gesagt nicht. Sie hat auch nie nachgeprüft, was es mit dem eingebauten Spielautomaten auf sich hat.
Zur Nedden und die ihm unterstehenden Ämter haben für das Nazi-Zentrum kurzerhand Bau-, Gewerbe- und Spielautomatenverordnung außer Kraft gesetzt. Mit so viel freundlicher Nachsicht kann ansonsten keine Veranstaltungsstätte in Leipzig rechnen.
Mittlerweile gab es eine weitere Veranstaltung im Nazi-Zentrum. Am Freitag, 22. Juli, referierte Sylvia Stolz auf Einladung der NPD in der Odermannstraße und berichtete über ihren “Weg in der nationalen Bewegung” und ihre “Zeit in der Gesinnungshaft”. Die 47-jährige Rechtsanwältin aus München saß unter anderem wegen Volksverhetzung mehrere Jahre in Haft und ist erst seit April 2011 wieder auf freiem Fuß. Bekannt wurde Stolz als Strafverteidigerin mehrerer Geschichtsrevisionisten und Holocaustleugner, darunter ihr Lebensgefährte Horst Mahler.
Aufsehen erregte Stolz in ihrer Funktion als Rechtsanwältin unter anderem, als sie 2006 zwei Schöffen ihrerseits mit der Todesstrafe drohte, sollten sie ihren Mandanten – den Antisemiten Ernst Zündel – schuldig sprechen. Daraufhin wurde Stolz vom Verfahren ausgeschlossen, worüber sie sich schriftlich beschwerte – unterzeichnet mit “Heil Hitler”, ihrer üblichen Grußformel.
Bei der Verteidigung Horst Mahlers, einst RAF-Mitglied und selbst Anwalt, leugnete Stolz in ihrem unerträglichen Plädoyer drei Stunden lang die Shoah, hetzte gegen JüdInnen, bekundete Sympathien für den historischen Nationalsozialismus und bestand – was in ihrer Szene nicht als originell gilt – gegenüber dem Gericht auf der Fortexistenz des Deutschen Reiches. Wegen solcher und ähnlicher Tiraden, die an Zurechnungsfähigkeit und der Eignung zu juristischen Berufen zweifeln lassen, darf Stolz erst in zwei Jahren wieder als Anwältin arbeiten.
Bis dahin lässt sie sich in der rechten Szene als Märtyrerin feiern, so auch bei ihrem neulichen Auftritt in der Odermannstraße. Daran nahmen knapp 50 Nazis teil, darunter der NPD-Landtagsabgeordnete Winfried Petzold, die Ex-NPD-Stadtratskandidaten Oliver Lehm, Christine Mielke (beide aus Grünau) und Axel Radestock (Leutzsch), der die Website des NPD-Kreisverbandes pflegt. Hinzu gesellten sich die hiesigen JN-Aktivisten David Dschietzig und Felix Schoenerstedt sowie die Oschatzer Nazis Robert Sickert und Daniel Zwarteck.
Gegen die Veranstaltung gab es Protest durch etwa 80 AntifaschistInnen (siehe Bild ganz oben). Die Presse berichtete darüber hier, hier und hier. Einige angereiste Nazis brachte die dadurch entstandene kurzzeitige Blockade in Orientierungsschwierigkeiten, so dass sie erst verspätet im Nazi-Zentrum eintrafen. Dort verzögerte sich der Beginn der Veranstaltung, die unter Polizeischutz ablief, durch nervöse “Gaffer” am Metallzaun.
Selbstredend wäre es wünschenswert gewesen, diesen symbolischen Protest durch mehr TeilnehmerInnen in eine haltbare Blockaden zu verwandeln. Was nicht ist, das kann noch werden…
Anknüpfend an einige Naziübergriffe im Leipziger Westen hat das Stadtmagazin “Kreuzer” ein längeres Interview mit Leipzigs Polizeipräsident Horst Wawrzynski veröffentlicht.
Während sich die Polizei bislang nicht auf rechte Täter festlegen mochte, die im Juni in Plagwitz und Lindenau unter anderem PassantInnen zusammengeschlagen, Kulturprojekte angegriffen und bei einer Randale-Aktionen Transparente angezündet hatten, sieht Wawrzynskis nun ein, “dass die Täter vermutlich aus der Odermannstraße kommen. Wir haben sie aber leider noch nicht fassen können.” Und: “Ich bin überzeugt, dass die Odermannstraße ein zentraler Punkt ist, um sich – insbesondere nach Staftaten – in den Schutz dieser Liegenschaft zurück zu ziehen.”
Gefragt nach Handlungsoptionen betont Wawrzynski, womit er nicht ganz daneben liegt, die Polizei sei der “falsche Ansprechpartner. Diese Gesellschaft hat Probleme mit dem Rechtsextremismus und damit müssen wir uns auseinandersetzen.” Weiter:
“Man muss ja aus meiner Sicht dieses Thema täglich neu austragen, da ist die Breite Masse der Gesellschaft noch nicht genug sensibilisiert. In Dresden haben zwar viele Menschen versucht, gegen dieses rechte Phänomen ihren Standpunkt darzustellen, aber es ist noch viel zu wenig Aufbegehren da. Vielleicht unterschätzt man auch die Problematik des rechtsideologischen Gedankengutes. Die Gesellschaft sollte viel deutlicher Farbe zu zeigen, bunte Farben.”
So wenig man zunächst glauben mag, dass es sich hier um die Meinung eines Polizeipräsidenten handeln kann, so sehr werden dessen Aussagen beim zweiten Lesen wieder getrübt: Man kann nicht einerseits zu Zivilcourage, Protest und Widerstand aufrufen und andererseits AntifaschistInnen verfolgen, die sich für diesen Protest organisieren. So ist es nämlich in Dresden gekommen, wo die Polizei hunderttausende Mobiltelefone von BürgerInnen, JournalistInnen und Protestierenden geortet und teilweise abgehört hat.
Gerade auch mit dem Verweis auf die erfolgreichen Aktionen gegen die Dresdner “Trauermärsche” gab es im Frühjahr mehrere Hausdurchsuchungen bei AntifaschistInnen in Sachsen, wovon eine Wohnung in Leipzig betroffen war. Hinzu kommt, dass Menschen, die “aufbegehren”, kurzerhand als “Linksextremisten” hingestellt und von der Polizei auch so behandelt werden – davon betroffen ist die Kampagne “Fence Off”. Herr Wawrzynski sollte sich entscheiden zwischen Ermutigung zum Handeln und Einschüchterung durch Repression.
Wie ernst seine Bekenntnisse zu nehmen sind, wird sich bei den kommenden Protesten gegen die NPD-Kundgebung am 20. August vor dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal zeigen, und sicher auch bei der bundesweiten Antifa-Demonstration am 24. September.
Apropos Demo: Wer seine Ortschaft verschönern und “Fence Off” supporten will, kann wieder Infomaterial ordern. Das war uns zwischenzeitlich wegen der hohen Nachfrage ausgegangen. Wer schon bestellt hat, mag sich noch ein paar Tage gedulden. Weiteren Mobistuff zur Demo haben wir hier zusammengestellt, mehr folgt in den kommenden Tagen.
Übrigens gibt es mittlerweile auch einen Audio-Jingle. Wir freuen uns, wenn ihr ihn in Radiosendungen, bei Veranstaltungen und auf Demos abspielt!
Hier zum Download als
MP3-File (2,7 MB) oder im
OGG-Format (2,5 MB).
Zum Schluss noch Impressionen aus dem Leipziger Stadtbild und drunter ein Blick auf den Kampagnen-Infostand bei der Open-Air-Party im Connewitzer Herderpark am 9. Juli.
PS: Die Sprühschablone mit dem “Fence Off”-Logo gibts übrigens hier. D.I.Y.!