Die Dresden-Mafia

19. Februar in Dresden. Bild:  dapd
Erstveröffentlicht: 
26.07.2011

Das sächsische LKA hat einen schweren Auftrag: Es soll eine Mafia finden, die es nicht gibt. Inzwischen suchen die Ermittler unter 40.000 Menschen – und niemand stoppt sie.   Von Martin Kaul

 

 

BERLIN taz | Die Polizisten vom sächsischen LandeskriminIamt (LKA) sind die Beamten für die harten Jungs und Mädchen. Sie suchen diejenignen, die nicht nur Kaugummis im Supermarkt klauen. Sie suchen diejenigen, die anderen richtig auf die Fresse geben. Und das am liebsten ganz organisiert.

 

Derzeit ermitteln die Beamten des sächsischen LKA in einer großen Sache. Es geht um die Bildung einer kriminellen Vereinigung, es geht um gewaltbereite Linke, die auch mit Eisenstangen und Pflastersteinen auf rechte Geschäfte losgehen - und die auch mal einen Baseballschläger dabei haben sollen, wenn sie nachts im Dunkeln Neonazis angreifen und einschüchtern.

 

Dafür zumindest gibt es stichhaltige Hinweise, sagt das LKA. Und weil die Beamten nicht sehr viel mehr wissen, wird die Sache, in der sie ermitteln, immer größer: 40.732 Personendaten, das bestätigt die Dresdner Staatsanwaltschaft auf Anfrage der taz, liegen der Behörde inzwischen vor – und dies allein durch eine Datenabfrage von Personen, die in Dresden am 13. und 19. Februar telefoniert haben als gerade tausende von Gewerkschaftern, Parteimitgliedern, Kulturschaffenden und ganz normalen Demonstranten friedlich gegen rechte Neonazis demonstrierten.

 

40.732 Personen, das sind 10.000 mehr als das Fußballstadion des VfL Wolfsburg Sitzplätze hat. 40.732 mal Namen, Adressen, Telefonnummern – wie groß muss die kriminelle Gruppe sein, gegen die das sächsische LKA da ermittelt?

 

Bislang, das geht aus Dokumenten, die der taz vorliegen, hervor, sind mindestens 22 Menschen im Visier der Fahner, darunter 20 Männer und zwei Frauen. Sie werden überwacht und observiert, ihre Telefone abgehört, ihr Privatleben durchleuchtet. Sie alle stehen im Verdacht, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben, die sich durch eines auszeichnet: Schnell und organisiert, so vermerken es die Ermittler, sollen sie gezielt gegen Neonazis vorgehen und dabei auch Gewalt nicht scheuen. Und einige von ihnen, das weiß das LKA, waren im Februar auch in Dresden unterwegs, als dort zehntausende von Menschen gegen Neonazis demonstrierten.

 

Dresden, das war im Februar so eine Art Protestlabor, weil Menschen aus ganz Deutschland dorthin kamen, um gegen Rechts zu demonstrieren. Und wer Rückschlüsse über die Struktur linken Protestes ziehen wollte, der musste nur analysieren, wer am 13. und 19. Februar mit wem telefonierte. Das tat die Polizei: Über eine Million Verbindungsdaten – also Telefonnummern, Verbindungsdauer und Ortsangaben – ließen sich die Behörden von Telekommunikationsunternehmen liefern. Und dann werteten sie in Ruhe aus, wer wann mit wem telefonierte. Doch es reichte nicht.

 

"Strukturen krimineller Gruppen" aufklären

 

Denn allein die Daten, die sie hatten, gaben noch keinen Aufschluss über die Handynutzer selbst. Also mussten Personendaten her. Und so forderten die Behörden die Namen und Adressen von zunächst 460 Menschen an. CDU-Innenminister Markus Ulbig, zu diesem Zeitpunkt selbst aufgrund der Datenaffäre stark in der Kritik, verkündete im Juni noch stolz, wie wenig Daten das doch eigentlich seien. Tatsächlich: Vor dem Hintergrund teils massiver Auschreitungen, die es am 19. Februar schließlich auch gegeben hatte, war das nicht vielleicht sogar nachvollziehbar? Vielleicht.

 

"Um Strukturen größerer krimineller Gruppen aufklären zu können, sind umfrangreiche Ermittlungen notwendig", sagt der Sprecher der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, Lorenz Haase, am Montag gegenüber taz.de. "Vor diesem Hintergrund halten wir die Maßnahme nach wie vor für gedeckt."

 

Strukturen größerer krimineller Gruppen? Wie groß soll eine kriminelle Gruppe sein, die es rechtfertigt, 40.000 Personendaten zu erheben? Hat vielleicht Frau Müller aus Babelhausen damit zu tun? Weil sie am 19. Februar 2010 ein Telefongespräch mit ihrer Tochter führte, die gerade mit einer bunten Fahne auf einer friedlichen Demonstration in Dresden war? Oder Herr Schmidt, der am 19. Februar seinen Bruder in Dresden anrief, der wohnt dort in der Innenstadt? Ist jetzt auch der Bofrost-Mann ins Visier der Ermittler geraten, der seine Tiefkühl-Lieferung am 19. Februar absagen musste? Weil er an diesem Tag in Dresden nicht durchkam. Die Straßen waren gesperrt.

 

Wenn Lorenz Haase, Staatsanwaltschaft Dresden, ein Mann mit freundlicher, ruhiger Stimme, von den Ermittlungen gegen diese kriminelle Vereinigung spricht, dann redet er von Palermo und dann redet er von der Mafia. Dann sagt Lorenz Haase: "Wenn man in Palermo mafiöse Strukturen durchleuchten will, dann muss man in die Breite ermitteln."

 

Und das ist vielleicht der Kern dieses Missverständnisses: Glauben die sächsischen Behörden tatsächlich, sie hätten es mit der Mafia zu tun?

 

"Wir gehen davon aus, dass es eine Gruppierung gibt, die gemeinschaftlich organisiert ist. Und es geht darum zu ermitteln, wie diese kriminelle Vereinigung organisiert ist, wie und wodurch sie gelenkt wird." Dass die Behörden Gründe haben zu ermitteln, das ist nachvollziehbar: Am 24. Mai 2009 kam es auf der Brühlschen Terrasse in Dresden zu einem Angriff auf Angehörige der rechten Szene. Am 18. Oktober 2009 wurden drei bekannte Rechtsextreme in der Dresdner Ringstraße von mutmaßlich Vermummten attackiert. Am 26. Mai 2010 dann eine gefährliche Körperverletzung, Opfer ist wieder ein Rechter. Und am 17. Juni wird mit Eisenstangen und Pflastersteinen, so zumindest schildert es die Staatsanwaltschaft, ein rechter Szeneladen am Ferdinandplatz angegriffen. 

 

Das Gegenteil von Linksmilitanz

 

Landfriedensbruch, Körperverletzung, alles harte Nummern. Und es gibt noch einige weitere Fälle von ähnlichem Kaliber, wegen denen das LKA ermittelt. Doch die Frage bleibt: Nur weil sich in einigen Fällen linker Gewalt keine Ermittlungserfolge einstellen – rechtfertigt das eine Massenausspähung von Zehntausenden? Und rechtfertigt es, anzunehmen, dass sämtliche Übergriffe auf rechte Personen in Dresden von einer großen, kriminellen Vereinigung organisiert sein sollen?

 

Wer sich mit der linksmilitanten Szene beschäftigt, weiß: Sie ist, bisweilen, klandestin organisiert. Aber sie ist vor allem dezentral. Führungskader sind ein Fremdwort, und Organisationen sind so etwas wie das natürliche Gegenteil von Linksmilitanz. Die Dresdner Behörden meinen dennoch eine große Organisation aufspüren zu können, eine überlagernde Struktur, einen, der sagt, wo es langgeht. Und das müssen sie auch, denn genau dies ist die Voraussetzung für ein Ermittlungsverfahren, dass tiefste Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen gewährleistet.

 

Niemand kann sagen, was mit diesen Daten passiert, in welchen Datenbanken sie landen. Denn wer fragt, bekommt eine einfache Antwort: "Es handelt sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren. Dazu werden keine Angaben gemacht."

 

Bislang ist kein Ende in Sicht. Zwar heißt es bei der Dresdner Staatsanwaltschaft, im Moment würden keine weiteren Bestandsdaten erhoben. Doch das muss zunächst noch nichts heißen. Demnächst vielleicht wieder. Oder doch zuerst mal die bisherigen auswerten.

 

Die eine Million Telefondaten, die 40.000 Personendaten, sie sind bei weitem nicht die einzigen sächsischen Ermittlungsmaßnahmen, die Maßstäbe setzen: Derzeit hat das Dresdner Amtsgericht zu befinden, ob eine Durchsuchung am 19. Februar, am Abend der Demonstrationen, rechtswidrig war. Wieder war es an diesem Abend das sächsische LKA, diesmal ein Sondereinsatzkommando (SEK), das den Auftrag hatte, einen Jugendclub zu stürmen. Der Club, genannt "Roter Baum", liegt zufällig im gleichen Haus mit der Parteizentrale der Dresdner Linkspartei. Auch ein Anwalt hat dort sein Büro.

 

Das SEK stürmte gleich alle Räume, sägte mit einer Säge die Türen zu den Partei- und Anwaltsräumen auf - obwohl völlig klar war, dass es sich dabei nicht um den Jugendclub handelte. Das Dresdner Landgericht beschäftigte sich inhaltlich bereits mit der Beschwerde, verwies den Fall dann aber aus formellen Gründen ans Amtsgericht zurück. Doch das inhaltliche Resumee des Landgerichts lautet übersetzt etwa: Die Vermutung liegt fern, dass die Erstürmung der Anwalts- und Parteiräume nicht rechtswidrig gewesen sein könnte.

 

Die sächsische Landesregierung hält das gesamte Verfahren für problemlos. Zwar hat FDP-Justizminister Jürgen Martens eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, die die Gesetzeslage präzisieren soll. Aber danach wird beispielsweise auch weiterhin möglich sein, dass die Polizei sich ohne irgendeine weitere richterliche Erlaubnis auch die Personendaten von all denjenigen besorgt, die sie bislang noch nicht angefordert hat.

 

Denn die derzeitige Rechtslage gibt beispielsweise her, dass das sächsische LKA sich auch von den weiteren 290.000 Personen, deren Telefonnummern sie ebenfalls im Februar schon gesammelt hat, die Namen, Adressen, Telefonnummern liefern lassen dürfte – ohne dass irgendein Richter dem noch einmal zustimmen müsste. Das heißt übersetzt: Eine Datenmenge, die den Daten der Einwohnerzahl Islands entspricht, steht dem sächsischen LKA völlig offen. Diese Daten dürften nach Belieben angefordert werden, ob sie vom Bofrost-Mann sind oder von Mama Müller in Babelhausen. Das ist, sagen sie, legal. 

 

Es geht weiter

 

Natürlich: Die Opposition gibt sich fassungslos. Und die Betroffenen schreien. Nachdem nun also wieder Neues bekannt geworden ist, fordert das "Bündnis Dresden Nazifrei" einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Die zuständigen Minister hätten ihre Behörden nicht mehr unter Kontrolle, sagt Franziska Radtke.

 

Sie spricht für das Bündnis aus Gewerkschaftsgruppen, Parteivertretern und antifaschistischen Initiativen, das seit Jahren schon immer im Februar zu den Protesten gegen die Rechtsextremen ruft. "Es liegt offenbar nicht im Interesse der Verantwortlichen, diesen Skandal umfassend aufzuklären. Deshalb ist der Einsatz einer unabhängigen Untersuchungskommission zwingend notwendig", sagt Radtke.

 

Doch auch die Oppositionfraktionen im Landtag - bestehend aus Linksfraktion, SPD und Grünen -, die einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einberufen könnten, sträuben sich noch. Die Parlamentarier fürchten, dass sie sich ohnehin nur wieder einen Satz anhören müssten, den sie mitterweile schon bestens kennen: "Keine Auskunft, laufende Ermittlungen."

 

Und so ermitteln die Beamten vom sächsischen LKA, und sie ermitteln weiter. Bis sie sie irgendwann gefunden haben, die ganze große Vereinigung, die linksextreme Mammut-Organisation, die 40.732 potenziellen Tatverdächtigen. Bis sie irgendwann, eines Tages vielleicht, erfolgreich waren im Kampf gegen die Mafia.