Das Leipziger “Fanprojekt” in der Kommandant-Prendel-Allee (Stötteritz) steht seit langem in der Kritik, seit mehr als zwei Jahren sucht die Stadt Leipzig nach einem neuen Träger. Der bisher verantwortliche Verein “Leipziger Sportjugend” setzt auf die nicht-bewährte akzeptierende Jugendarbeit, um insbesondere die lokale Fanszene des FC Lokomotive, die von der Neonazi- und Hooligan-Gruppierung “Blue Caps” dominiert wird, zu “befrieden”.
Wie sich nun erneut bestätigte, ist dieses hehre Ziel in jeder Hinsicht gescheitert. In einem Dossier der Wochenzeitung ZEIT wurden bereits 2008 einschlägige Vorgänge im “Fanprojekt” aufgerollt:
Im Stadion stehen die Blue Caps unter Beobachtung der Vereinsführung. Nicht aber im Leipziger Fanprojekt […] Sie dürfen im Fanprojekt einen Raum gestalten, pinseln das Bild eines Faustkampfes an die Wand, auch das SS-Symbol. […] Am 1. Februar 2008 organisiert Lohse [= Enrico Böhm, 2009 NPD-Stadtratskandidat] im Fanprojekt ein Treffen von 20 Rechtsextremen, darunter NPD-Funktionäre. Sie besprechen ihre Strategie für den kommunalen Wahlkampf. Wochen später betritt auch Marco Remmler [= Nils Larisch, NPD-Fraktionsmitarbeiter] das Haus, liefert Jugendlichen auf Bestellung rechtsextreme Literatur, kostenlos – im Rahmen eines Präventionsprojekts, das öffentlich gefördert wird. Die Stadt Leipzig zahlte dafür 83160 Euro im Jahr 2008. Den Rest, 41580 Euro, übernahm der Deutsche Fußball-Bund.
Darauf wurde wirklich reagiert, u.a. haben Böhm und Larisch Hausverbot im “Fanprojekt” erhalten, auch das Probstheidaer Bruno-Plache-Stadion dürfen sie nicht mehr betreten. Dort dürfen offiziell auch die von Böhm angeführten “Blue Caps” nicht mehr rein – als Einzelpersonen toleriert man sie allerdings, sofern sie sich nicht als Fangruppierung zu erkennen geben. Um das ohnehin vage Verbot zu unterlaufen, steht auf der “Blue Caps”-Zaunsfahne nur noch der Zahlencode “23″ (für die Gruppeninitialen “B.C.”), neue T-Shirts wurden mit “Kategorie BC” bedruckt – in Anlehnung an die bekannte Nazihool-Band “Kategorie C”.
“Ein verlässlicher Partner” für Ulbig
Mittlerweile haben die “Blue Caps” zusammen mit der ähnlich gesonnenen Gruppierung “Scenario Lok” ihre dominante Rolle im und ums Stadion durch das Ausrufen einer gemeinsamen “Fanszene Lok” gestärkt (GAMMA berichtete). Ein Mittel, dem entgegenzuwirken, wäre der überfällige Trägerwechsel im nahe gelegenen “Fanprojekt” gewesen, der eigentlich zum 1. Juli über die Bühne gehen sollte. Dafür hatte sich auch die Stadt Leipzig eingesetzt, doch wenige Wochen vor der Übergabe platzte das Vorhaben. Grund: Das Land Sachsen drohte im Falle eines Trägerwechsels mit dem Entzug von Fördermitteln. In einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung (LVZ) sagte Innenminister Markus Ulbig (CDU), er verstünde nicht, warum “beim Leipziger Fanprojekt ein neuer Träger gesucht werden soll”:
Für uns ist der Verantwortliche des Leipziger Fanprojekts ein verlässlicher Partner und das soll auch so bleiben. Wenn es zu einem Wechsel käme, würden wir überlegen, ob wir die Fördergelder wie bisher weiterzahlen.
Überdies haben die “Blue Caps” bereits im Internet fabuliert, die Stadt wolle das “Fanprojekt” “pervertierten Kommunisten” und “krankhaften Subjekten” überlassen – und dagegen werde man sich selbstredend “wehren”. Gewehrt hat sich auch der bisherige Träger. Dessen Leiter Udo Ueberschär sagte in einem Interview mit der “Leipziger Internet-Zeitung” (LIZ), die Vorwürfe gegen das “Fanprojekt” seien “völlig aus der Luft gegriffen”. Von den Umtrieben von Böhm un Co., die sich lange Zeit auf das “Fanprojekt” fokussierten und unmittelbar darin abspielten, habe man nur “über Dritte erfahren”, dann aber “als Erste reagiert”.
“Trauermarsch” für und mit Nazis
Mag sein. Doch nun ist bekannt geworden, dass Ueberschär ein weiteres mal “als Erster reagiert” hat – als die rechte “Fanszene Lok” (und vor allem die “Blue Caps”, die einen entsprechenden Aufruf verbreiteten) am 13. Mai zu einem “Trauermarsch” vom Völkerschlachtdenkmal zum Bruno-Plache-Stadion mobilisierte. Anlass war der Unfalltod eines Lok-Fans, Ziel des “Marsches” mit 200 bis 300 Teilnehmern die Partie des FC Lokomotive gegen Carl Zeiss Jena II. An dem Marsch haben sich auch etliche Nazis beteiligt. Leipzigs “Freie Kräfte” organisierten sogar einen “Vorabtreffpunkt” in Grünau.
Zu diesem “Marsch” gab es im Landtag jüngst eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion. Geantwortet hat wiederum CDU-Innenminister Ulbig. Demnach handelte es sich beim Anmelder um eine “Privatperson im Zusammenwirken mit dem Fanprojekt ‘Lok Leipzig’” – genauer gesagt: um denselben Fanprojektleiter Ueberschär, der die “Blue Caps” angeblich rausgeschmissen hat. Das Gegenteil war jedoch am 13. Mai der Fall:
Nach Erkenntnissen der Staatsregierung besuchten alle Teilnehmer des Trauermarsches das [anschließende] Fußballspiel. Auf Anfrage des Fanprojektes hob der 1. FC Lokomotive für dieses Spiel Haus- und Stadionverbote auf.
Böhm und Co. durften dank “Fanprojekt” marschieren und dann ins Stadion. Gefragt nach Verbindungen der Lok-Zuschauer zu Nazi-Strukturen musste Ulbig allerdings passen; die “Zuordnung zu rechtsextremistischen Strukturen” sei “nicht möglich”. Die nachweisliche Rolle der “Blue Caps” lässt nicht nur diese Auskunft zweifelhaft erscheinen, sondern auch die frühere Meinung Ulbigs, ein Trägerwechsel im “Fanprojekt” sei unnötig. Ein weiteres Mal hat es sich als “verlässlicher Partner” erwiesen – für Nazis.
Dokument: Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion vom 9. Juni und Antwort der sächsischen Staatsregierung vom 6. Juli 2011 (PDF-Datei)