Internationaler Aktionstag gegen kapitalistische Stadtentwicklung und Gentrifizierung zur Verteidigung der Roten Flora
Seit Beginn des Jahres ist die Rote Flora in Hamburg von Verkauf und Räumung bedroht, nachdem der formalrechtliche Eigentümer angekündigt hat, die Immobilie gewinnbringend veräußern zu wollen. Das Projekt ist 1989 aus dem Widerstand gegen das Musicalprojekt Phantom der Oper im Schanzenviertel entstanden. Seit mehr als 20 Jahren konnte es sich Vereinnahmungsversuchen und Verträgen verweigern und als besetztes, autonomes Zentrum einen politischen Störfaktor darstellen. Die Flora ist bis heute sowohl ein Ausgangspunkt von Demonstrationen und politischer Intervention als auch ein unkommerzieller Ort für Partys, Veranstaltungen und Selbsthilfe sowie Treffpunkt politischer Gruppen.
Rote Flora verteidigen!
Im März wurden von der Kampagne "Flora bleibt unverträglich" symbolisch die Grundbücher der Flora und anderer Projekte zerschlagen. Damit haben wir deutlich gemacht, dass das seit 22 Jahren besetzte Gebäude ein schwarzes Loch in der Eigentumsordnung ist und niemandem gehört, außer denen, die es aktiv nutzen. Wir wollen, dass dieser Zustand erhalten bleibt und werden im Fall einer möglichen Räumung nicht passiv bleiben, sondern Widerstand auf allen Ebenen entwickeln.
Wir setzen bei der Verteidigung der Roten Flora nicht auf Partizipationsmodelle, Verhandlungen oder Zugeständnisse staatlicher Stellen, sondern auf die aktive Solidarität vieler Menschen. In den letzten Monaten gab es Solidaritätsveranstaltungen, verschiedene Aktionen und eine überregionale Demonstration mit über 5000 Menschen für das Projekt. Um den Konflikt um die Flora weiter zu beschleunigen und die Solidarität praktisch aufzugreifen, die wir in den letzten Monaten aus anderen Ländern und Städten erfahren haben, schlagen wir einen internationalen Aktionstag im Herbst 2011 vor.
Für die Aneignung des Lebens und der städtischen Räume
»Vernetzen wir die Aneignung von Räumen und Ressourcen mit der Verteidigung irregulärer Viertel gegen Abrisspolitik! Verzahnen wir Initiativen von Wohnungslosen mit dem Widerstand gegen Zwangsräumungen! Verstärken wir Mieter_inneninitiativen mit Leerstandskampagnen! Verdrahten wir die Gegner_innen der Umweltzerstörung mit den Kämpfen von Einwanderer_innen fürs Bleiberecht! Erweitern wir den Handlungsraum des zivilen Ungehorsams durch kunstvolle und militante, listige und symbolische, virtuelle und direkte Aktionen!« Thesen zum Recht auf Stadt Kongress in Hamburg Juni 2011
Der Kampf um die Rote Flora in Hamburg ist kein isoliertes Ereignis, sondern eingebunden in ein grenzüberschreitendes Aufbegehren. Der Kampf um Aneigung findet in den Metropolen ebenso wie in der Peripherie und ländlichen Räumen statt. Im Zentrum der kommenden Auseinandersetzungen um die Rote Flora steht für uns nicht primär der Erhalt des Projektes, sondern seine Unverträglichkeit. Die Möglichkeit, es mit seinem Gewicht als politischen Faktor in aktuellen Konflikten zu positionieren. Wir wollen nicht eine Flora, sondern viele, die Vervielfältigung unverträglicher und autonomer Projekte und Zentren als Interventionsorte in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Kämpfen.
Die Rote Flora ist in ihrem Begehren nach Unverträglichkeit Teil vielfältiger Bewegungen, die sich überall entwickeln, wo Menschen sich kritisch begegnen und im Alltag gegen die Illusion der kapitalistischen Unausweichlichkeit organisieren. Wir sind ein Bild aus der Zukunft und gleichzeitig Teil einer Gegenwart, die uns durchdringt und beständig korrumpiert. Herrschaft entsteht nicht nur von oben, sondern auch durch uns selbst; nicht nur durch äußeren Zwang, sondern auch durch die innere Einsicht und das aktivierende Moment, mitzumachen im Wunderland des Kapitalismus. Wir sind Teil einer beständigen Produktion von Waren, Werten und Konsumbedürfnissen. Doch eben dieser Ausgangspunkt, mitten in den Verhältnissen, ermöglicht es uns auch, diese zu sabotieren und anzugreifen, um der Destruktivität der Unterdrückung kollektive Prozesse von Emanzipation und Subversion entgegenzusetzen, temporäre Brüche herzustellen, Lücken und Leerstellen im System zu besetzen, und um uns selbst neu zu erfinden.
Die Konflikte, die Widersprüche und Auseinandersetzungen, die uns bei der Verteidigung der Roten Flora begegnen, sind Erfahrungen, die auch andere beim Kampf um Wohnraum, gegen Polizeiübergriffe oder Vertreibungspolitik in den Straßen der Städte machen. Wir sind die Gespenster im Hier und Jetzt, die sich der Sachzwanglogik verweigern, die nicht loszuwerden sind und davon erzählen, dass ein ganz anderes Ganzes möglich ist.
Die Städte, die Häuser, die Dinge und Ideen werden im Kapitalismus zu Waren gemacht. Für uns sind sie Teil eines Gemeinsamen, welches durch uns alle geschaffen worden ist und folglich auch uns allen zusteht. Wir brauchen Grundbücher ebenso wenig wie Preisschilder, und auch keine Polizei und Überwachungskameras, die dafür sorgen, dass die Dinge so bleiben, wie sie sind. Statt auf gesellschaftlichen Stillstand setzen wir auf Bewegungen, die das System in die Tasche stecken. Das Ziel von Aneignung ist für uns nicht individuelle Bereicherung, sondern die Enteignung zur kollektiven Umverteilung - eine Wiederaneignung der Dinge und damit die Aneignung eines Lebens jenseits von Normen, Zwängen und dem Elend der Lohnarbeit.
Ein Tag der Theorie und Praxis sozialer Kämpfe
Ein konkretes Ziel des Aktionstages ist es, einen Eindruck des überregionalen und internationalen Widerstandes zu vermitteln, welchen wir uns im Falle eines Angriffes auf die Rote Flora erhoffen. Wir wollen damit möglichen Investoren und politisch Verantwortlichen die Laune vermasseln und eine Räumung bereits im Vorfeld politisch unmöglich machen.
Inhaltlich wollen wir dabei nicht die Flora selbst ins Zentrum rücken, sondern das, wofür sie politisch steht und was sie mit euren Kämpfen vor Ort verbindet. Der Protest gegen Gentrifizierung und neoliberale Privatisierungsmodelle, gegen Polizeigewalt und die Vertreibung von unerwünschten Bevölkerungsgruppen, gegen rassistische Polizeikontrollen und Abschiebungen. Den Widerstand gegen Faschismus, Antisemitismus, Homophobie, Sexismus und Kapitalismus im Terrain der Stadt. Es gibt viele Interventionsorte und -formen, wenn wir Flora denken und vervielfältigen. Hausbesetzungen, Störung von Polizeikontrollen, Reclaim the Street Partys, Plakatwände, Transparente, Demos und alle möglichen Aktionen. Wir sind sicher, ihr habt noch viel mehr Vorstellungskraft als wir.
Den Aktionstag sehen wir einerseits als Möglichkeit der Vernetzung, andererseits als eine Chance, über die gemeinsame politische Praxis festzustellen, wo inhaltliche Schwerpunkte in anderen Städten und Ländern gesetzt werden und wie diese in Bezug zueinander stehen. Wo liegen Schnittmengen in den unterschiedlichen Erfahrungen und Bedingungen vor Ort? Wo bestehen Widersprüche und wo entsteht aus genau diesen Bezügen vielleicht mehr als die Summe der einzelnen Teile?
Ein Aktionstag, insbesondere ein internationaler, macht nur Sinn, wenn er auch von vielen mitgetragen wird. Wir fordern euch deshalb auf, diesen Aufruf weiter zu verteilen und euch bis spätestens 22. August bei uns zurück zu melden, wenn ihr ihn aktiv unterstützen wollt, Kritik oder Anregungen habt. Wir haben bisher bewusst noch keinen konkreten Termin für den Aktionstag festgelegt, werden euch aber Ende August über das Feedback informieren und dann den genauen Termin, den noch in diesem Jahr sein wird, mitteilen.
Gentrifizierung sabotieren - besetzte Projekte vervielfältigen!
Für die Enteignung des Privaten und die Aneignung des Öffentlichen!
Kampagne "Flora bleibt unverträglich"
Infos: http://florableibt.blogsport.de
Kontakt: flora-bleibt@nadir.org