Sie kamen, um das grüne Establishment Freiburgs zu ärgern – und wurden geduldet. Doch die Zeit läuft ab für die Platzbesetzer vom Kommando Rhino.
Nina, Flo und Ellie haben den Blues. Die drei Mittzwanziger sitzen um den kleinen Blechtisch in Ninas mobiler Wohnung, einem ausgebauten Hanomag-Bus. Und blasen Trübsal. Die beiden jungen Frauen tragen Rastalocken, eine ein Nasenpiercing, bei dem jungen Mann schlackern um die Füße löchrige Gummischuhe, die schon bessere Zeiten gesehen haben. Die drei gehören zum Kommando Rhino, jener Wagenburg, die das Gelände am Eingang zum Freiburger Vorzeigestadtviertel Vauban seit zwei Jahren besetzt hält. Der Name Rhino spielt auf ein 2007 in Genf gewaltsam geräumtes Haus an, das 20 Jahre lang besetzt war. Ein riesiges rotes Rhinozeroshorn zierte es.
Immer wieder gab es beim Kommando Rhino im Vauban rauschende Feste und Konzerte. Jetzt trinken Nina, Flo und Ellie Sprudel. Die Tage ihrer Wagenburg könnten bald gezählt sein. Bis zum 31. Juli müssen die Besetzer das Gelände verlassen. Dann ist die Frist der Stadt verstrichen, die dort ein integratives Hotel mit Wohn- und Geschäftsflächen bauen will.
Für die Besetzer sieht das Horrorszenario vom 1. August an so aus: Hundertschaften der Polizei rücken an, Wasserwerfer fahren auf, das Grundstück wird gewaltsam geräumt. Gedanken an das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 werden wach. Aber ist so etwas überhaupt möglich im grünen, von einem grünen OB regierten, Freiburg? Im Ökostadtteil Vauban? 72,7 Prozent der Menschen haben hier bei der Landtagswahl im März Grün gewählt. Würden die allen Ernstes zusehen, wie Polizisten die Rhinos davonzerren? Gar vor den Augen der Öko-Touristen aus nah und fern, die tagtäglich den Stadtteil besichtigen?
Pfarrer Martin Auffarth von der evangelischen Johannesgemeinde im Vauban gibt sich kämpferisch: "Hier würde sicher niemand einfach zuschauen, wie da eine polizeiliche Räumung über die Bühne geht." Also solidarische Sitzblockaden und wutbürgerliche Sprechchöre? "In welcher Form es Widerstand gäbe, weiß niemand genau. Aber ich kann es mir einfach nicht vorstellen, dass die Bevölkerung eines Stadtteils, der fast zu Dreivierteln Grün gewählt hat, eine gewaltsame Räumung unterstützen würde."
Auffarth gehört zu einer Bürgergruppe, die sich erst in den vergangenen Wochen gegründet hat. Sie nennt sich Runder Tisch. An ihm sitzen Vertreter aus Hochschule, Kultur, Kirche, Sozialem und aus der Bewohnerschaft sowie Vertreter des Quartiersbeirats Vauban. Das Gremium will verhindern, dass das Undenkbare Wirklichkeit wird. Dass die Besetzer mit Gewalt aus dem Vauban verjagt werden. Mit am Tisch sitzt auch Anwältin Angela Furmaniak. "Ich rechne fest damit, dass es zu einer gewaltsamen Räumung kommt. Es wird knallen", sagt sie. Und jeder am Tisch zuckt zusammen, wenn sie es sagt. Aber alle wissen, dass mit jedem Tag ohne Lösung das Risiko einer Polizeiaktion wächst.
Der Runde Tisch will dem fahrenden Volk aber auch kein Bleiberecht im Stadtteil verschaffen. Petra Krug, Sprecherin des Runden Tischs: "Die Rhinos haben zwar in den zwei Jahren im Quartier positive Impulse gebracht. Die Koexistenz zwischen ihnen und den Bewohnern war aber nicht immer reibungsfrei." Tatsächlich gibt es neben vielen Sympathisanten auch Rhino-Kritiker, ja, sogar hier, im Vauban. An heißen Sommertagen kann man sie am Café Limette treffen, wenn sie mit ihren Kindern im Fahrradanhänger für jeden eine Kugel Eis holen. Eine Mittvierzigerin mit Brille, Rock und zwei blonden Kindern an der Hand hält nicht hinterm Berg mit ihrer Sicht: "Es wäre besser, wenn das Grundstück bebaut würde. Dazu gab es ja einen demokratischen Prozess. Dass jetzt nur 30 junge Leute eine Fläche dieser Größe am zentralen Platz im Quartier bewohnen, ist auch Verschwendung von Wohnfläche."
Ein älterer Mann, der eben noch an drei Bällchen Vanilleeis geleckt hat, schließt sich an: "Ich kann es gar nicht erwarten, dass die Rhinos endlich den Platz räumen müssen."
Jüngst erreichte die Badische Zeitung der Leserbrief einer Bewohnerin aus dem Vauban. Verbittert zitiert sie darin ein Banner, das sie täglich auf dem Weg zur Arbeit am Rhino-Gelände lesen darf: "Free your mind" – Befreie deinen Geist. "Ich würde auch lieber trommelnd, Feuer spuckend und in Sachen Lebensfreude missionierend durchs Gelände ziehen, statt meinen langweiligen Pflichten nachzugehen", schreibt die Leserin.
Auch die Besetzer müssten verstehen, dass Grundstücke und Geld nicht auf Bäumen wachsen. "Als Provisorium ist Rhino okay. Ich freue mich aber auch über die Deadline Ende Juli."
Der 31. Juli ist kaum mehr drei Wochen entfernt. Dennoch bemühen sich die Besetzer, ihre Nervosität zu verbergen: Während die Bedienung im Café Limette kaum mit den Eiskugeln nachkommt, jagen auf dem staubigen Rhino-Gelände zwei junge Männer einander ausgelassen mit Wasserpistolen über den Platz.
Nina, Flo und Ellie schauen ihnen nachdenklich hinterher. Nina sagt: "Es sieht vielleicht nicht so aus. Aber Alltag gibt es hier nicht mehr. Alle Gespräche drehen sich nur noch um die bevorstehende Räumung."
Aber worum geht es ihnen eigentlich? Um die Akzeptanz einer alternativen Lebensweise? Meutern sie gegen das politische System? Oder protestieren sie gegen das von der Stadt an dem Standort geplante Gebäude? Mittlerweile ist klar: Kurzfristig geht es ihnen nur noch darum, irgendwo unterzukommen. Das war nicht immer so. Als am 7. Mai 2009 die ersten der anfangs sechs Wagen das M 1-Gelände am Vauban-Eingang besetzten, hatten die Ur-Rhinos noch ein selbsterklärtes, antikapitalistisches Ziel: Sie wollten unbedingt den Bau des dort ursprünglich geplanten "Green-Business-Centers" verhindern. Rasch folgten weitere Wagen. Die Besetzer begannen, sich in ihrer Wagenburg häuslich einzurichten. Irgendwann verlor der Schweizer Investor das Interesse.
Heute stehen rund 30 Wagen auf dem Gelände. Die Nabelschnur zur Susi aus der Anfangszeit der Besetzung gibt es noch: Wasser kommt von dort, Besetzer ohne Solardach kommen so an Strom. Es gibt eine zentrale Toilette, eine Küchenhütte mit Gasherd und Kühlschrank, eine Sauna, ein Sonnendeck, ein Café, eine Kneipe und einen Kunst-Pavillon. Es ist eine kleine Stadt in der Stadt, die da im Vauban entstanden ist. Eine Stadt mit Infrastruktur und basisdemokratischer Verwaltung – und Bürgern, die dem Bevölkerungsschnitt jenseits des Bauzauns entsprechen. Es gibt Lehrer, Studenten, Steinmetze, aber auch Arbeitslose.
Aus dem Protest gegen die Bebauung wurde ein Ringen um Sympathie. Erst vor kurzem formulierten die Bewohner der Wagenburg ihre Ziele noch so: "Wir halten den Platz besetzt, um darauf aufmerksam zu machen, dass unsere Wohnform nicht akzeptiert ist. Wir führen einen Kampf um diese Art zu wohnen."
Stück für Stück gingen den Besetzern die Motive verloren. Zuletzt verabschiedeten sie sich vom offenen Protest gegen die Bebauung. Nun geht es ihnen nur noch darum, irgendwo Unterschlupf zu finden.
Aber das ist nicht so einfach. Zwei Jahre lang haben Stadt und Rhinos erfolglos nach geeigneten Grundstücken für eine Übergangswagenburg gesucht. Fest steht: Städtische Grundstücke gibt es für eine neue Wagenburg nicht. Einen entsprechenden Beschluss fasste der Gemeinderat im Jahr 1996: keine neuen Wagenburgflächen neben den bestehenden, die so idyllische Namen wie Biohum, Eselswinkel und Schattenparker tragen. Dass dieser Beschluss noch einmal diskutiert und womöglich geändert werden könnte, ist unwahrscheinlich. Die Unabhängigen Listen (UL) wollen das Thema zwar in der letzten Sitzung des Rats vor der Sommerpause, am 26. Juli, auf die Tagesordnung bringen. Eine Mehrheit wird sich dafür aber kaum finden. Bereits den Vorschlag der UL, die Besetzer übergangsweise auf dem Areal Schlattmatten südlich des Gewerbegebiets Haid anzusiedeln, konterten die dominanten Grünen mit einem Offenen Brief: "Wir sollten unsere Kräfte lieber dafür einsetzen, Kommando Rhino dazu zu bewegen, das Gelände freiwillig aufzugeben. Auch das wird vermutlich ein frommer Wunsch bleiben."
Politisch scheint bei dem Konflikt jeglicher Spielraum ausgereizt. Ziehen die Besetzer nicht freiwillig ab, gibt es nur noch eine Möglichkeit, die gewaltsame Räumung abzuwenden: nämlich dann, wenn sich doch noch ein privates Grundstück als Zwischenlösung findet. Zwischenlösung deshalb, weil auch ein privates Gelände kein Freibrief für die Einrichtung einer Wagenburg ist. Langfristig bräuchte es dazu eine Änderung des Flächennutzungsplans. Dann ginge alles mit rechten Dingen zu.
Denn einfach nur umsonst wohnen wollen die Rhinos nicht. "Wir mieten gern ein Grundstück. Der Vorwurf, die Rhinos als Wagenburg wollten lediglich ihre Wagen in Top-Wohnlage für lau abstellen, ist unfair", sagt Ellie. "Aber um etwas zu mieten, müssen wir erst eine Fläche finden."
Darin will die Stadt die Rhinos weiter unterstützen, versichert Bernd Fuchs vom Büro des Oberbürgermeisters – bleibt aber bei der grundsätzlichen Linie: "Wir haben getan, was wir konnten. Zur Räumung bis zum 31. Juli gibt es keine Alternative, wenn sich nicht doch noch eine private Fläche findet."
Genau da hat sich Nikolaus von Gayling, ein stadtbekannter Großgrundbesitzer und freundlicher Liberaler, in die Debatte eingeschaltet. Gemeinsam mit anderen Stadträten will er in der kommenden Woche Grundstücke im Osten von Freiburg besichtigen. "Dann müssten sich die Rhinos aber in mehrere Gruppen aufteilen", so Gayling. Dazu hat sich die Wagenburg bereit erklärt. Denn die Rhinos stehen mit dem Rücken zur Wand.